Mannheim, OPAL, Oper am Luisenpark, DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN – Emmerich Kálmán, IOCO
Astrid Kessler lässt in der anspruchsvollen Partie der Varieté-Diva ihren jugendlichen Sopran leuchten, geizt nicht mit dramatischen Höhen, ihre Auftrittsarie „Heia, in den Bergen ist mein Heimatland“ wird zur glanzvollen Visitenkarte.

von Uschi Reifenberg
„Die Csárdásfürstin“
Neuinszenierung am 15.07.25, besuchte Vorstellung am 19.7.
Operette in 3 Akten von Emmerich Kálmán (1882-1953)
Libretto von Leo Stein und Béla Jenbach
Feiern bis es dunkel wird
Je bedrohlicher die Gegenwart, desto größer der Wunsch, in eine heile Gegenwelt abzutauchen, die krisenhafte Wirklichkeit, die eigenen Sorgen wenigstens für einige Stunden zu vergessen, sich zu amüsieren, zu leben, zu lachen, zu lieben. In der mitreißenden Neuinszenierung von Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“, der letzten Produktion vor der Sommerpause, hatte das NTM einen Volltreffer gelandet. Opulente Bühnenbilder, farbenfrohe Kostüme und jede Menge zündende Musik, versetzten in der Oper am Luisenpark das Publikum in euphorischen Gleichklang. Ein Abend voller Emotionen, eine Melange aus „Weaner Schmäh“, feurigen ungarischen Tänzen, weltbekannten Melodien, hervorragenden Sänger-Darstellern und Darstellerinnen und einer prächtigen Ausstattung. Ein Fest für Augen und Ohren, das mit einer beklemmenden politischen Schlusspointe aufwartet. Erzählt wird die Geschichte der Varieté-Diva Sylva Varescu, die Adelssohn Edwin Lippert-Weylersheim liebt. Weil die Hochzeit mit der Künstlerin nicht „standesgemäß“ ist, haben die hochadeligen Eltern bereits Cousine Stasi als Braut für Edwin vorgesehen. Um die Hochzeit mit Sylva zu verhindern, täuscht die Familie eine Einberufung zum Militär vor. Die Beziehung mit der Sängerin scheitert vorerst und Edwin wird mit seiner adligen Cousine Stasi verlobt. Am Ende akzeptieren Edwins Eltern jedoch Sylva, da auch die Mutter einst aus Liebe gegen gesellschaftliche Konventionen gehandelt hatte. Am Ende siegt die Einsicht und Graf Boni vermählt sich mit Stasi. Die Regisseurin Stephanie Schimmer, 2022 ausgezeichnet mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis für die beste Nachwuchsproduktion sowie dem „Operettenfrosch“ für „Die lustige Witwe“ in Fürth, brachte im Mannheimer Rosengarten 2023/24 eine viel gelobte „Fledermaus“ auf die Bühne. Für die „Csárdásfürstin“ erstellte sie eine eigene Fassung mit humorvollen aktuellen Bezügen und zog nun in Kálmáns populärem Werk sämtliche theatrale Register, überzeugte mit Tiefgang, Ironie und Liebe zum Genre „Operette“ und verstand es, mit großem handwerklichem Können und hervorragender Personenführung, die „schwere Kunst der leichten Muse“ in all ihren Facetten und Ambivalenzen darzustellen.
Operette wie man sie kennt und sich wünscht, aber nur als Vorderansicht bröckelnden Gesellschaftsstrukturen. Fin de Siècle Stimmung vor dem großen Knall, was Zitate zum Ausdruck bringen wie „mag die ganze Welt versinken“, „pfeife auf der Welt Misere“ oder „weißt du, ob es morgen nicht schon zu spät“. Das Werk stellt -im Spannungsfeld von oberflächlichem Amüsement einerseits sowie altem aristokratischem Gesellschaftsdenken und Walzerseligkeit andererseits - auch die Frage nach Standesunterschieden, Doppelmoral und wahrer Liebe. Uraufgeführt 1915, in der krisengeschüttelten Zeit des 1. Weltkriegs, ist Angst allgegenwärtig, das Ende der alten Ordnung, der k. und k. Monarchie wirft seine Schatten voraus. Weltuntergangsstimmung wird in ausschweifendem, realitätsvergessenem Taumel champagnerselig ertränkt. Eine dekadente Spaß-Gesellschaft am Rande des Abgrunds amüsiert sich fast zu Tode. Anfang und Ende des Stückes umrahmt ein einsamer Dialog zwischen dem bittersüß aufspielenden Stehgeiger und Feri Bácsi, dem Grandseigneur und Mittler zwischen Damals und Heute. Thomas Berau verleiht ihm mit warmem Bariton Weltwissen, changierend zwischen Melancholie und Lebensfreude. Das Bühnenbild von Davide Raiola zeigt im ersten Akt ein rot ausgeleuchtetes „Orpheum“ Varieté-Theater, mit hoher Show-Treppe, das später zum schmucklos-strengen, in grauen Farbtönen gehaltenen Fürstenpalais „derer von und zu Lippert - Weylersheim“ mutiert. Wirkungsvoll angestrahlt (Licht: Florian Arnholdt) schreitet Revuestar Silva Varescu die breite Treppe hinab, eine hochattraktive, platinblonde Hollywood Diva im glitzernden Bikini, umrahmt von ebensolchen glamourösen Tanzdamen mit pinkfarbenen Federboas. Die Kostüme von Falk Bauer sind eine Augenweide, ob in Tanz- oder in Abendrobe, die verführerischen „Mädis vom Chantant“ und der fulminante Chor unter der Leitung von Alistair Lilley machen in jeder Bekleidung eine gute Figur. Johanna Bodor hat allen Mitwirkenden ausgefeilte Choreografien auf den Leib geschrieben, mit viel Bewegungsfreude werden schwungvolle Formationen aufs Parkett gelegt. Nicht fehlen dürfen die Beine schwingenden Showgirls, Backstage ist nackte Haut jedwedes Geschlechts zu bewundern, dort geht es selbstverständlich sexuell locker und freizügig zu. Es lebe die Liebe und das süße Leben der Halbwelt! Der Dirigent Janis Liepinš entfaltet Kálmáns facettenreiche Partitur aufs Schönste, gibt den Walzern fein dosierten Schwung, die zündenden Rhythmen werden gewürzt mit ungarischem Temperament, traumselige Arien und Duette versetzen in eine idealisierte Vergangenheit. Der opulente Orchesterklang blüht manchmal für die Sänger eine Spur zu üppig. Diese Musik macht Freude und weckt die Lebensgeister. Alles dreht sich um Sylva Varescu. Astrid Kessler lässt in der anspruchsvollen Partie der Varieté-Diva ihren jugendlichen Sopran leuchten, geizt nicht mit dramatischen Höhen, ihre Auftrittsarie „Heia, in den Bergen ist mein Heimatland“ wird zur glanzvollen Visitenkarte. Darstellerisch intensiv, berühren vor allem die intimen Momente mit ihrem Herzensmann Fürst Edwin von und zu Lippert-Weylersheim.
Sie verkörpert eine ernsthafte Frau, die weiß, was sie will; bangend zwischen Hoffnung und Resignation kämpft sie um ihr Liebesglück. Bis sich am Ende die richtigen Paare gefunden haben, gibt es die üblichen Verwicklungen, Hindernisse und besonders den Standesdünkel, den Fürstenspross Edwin gottlob abgestreift hat. Christopher Diffey setzt seinen schönen, lyrischen Tenor leicht und flexibel ein, überzeugt mit müheloser Höhe und schönen Kantilenen, in „Heut Nacht hab’ ich geträumt von dir“. Hingerissen von seiner Leidenschaft und wahren Liebe zu Silva, vergisst er seine adlige Haltung und erscheint zutiefst authentisch. Frauenheld Raphael Wittmer wirbelt als buffonesker Graf Boni mit Selbstironie durch das Nachtleben, gekonnt platziert er seine Pointen und erweist sich als virtuoser Darsteller. Er setzt mit seiner variablen Stimme tenorale Glanzlichter und präsentiert die schwungvollen Ohrwürmer „Die Mädis vom Chantant“ und „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“ hinreißend. Komtesse Stasi, Bonis spätere Verlobte, wird von Theresa Steinbach mit lupenreinem, gut fokussiertem Sopran, bester Textverständlichkeit und viel Charme ausgestattet, eine vernünftige junge Frau, die kurzerhand Boni einen Heiratsantrag macht. Die Zeiten ändern sich erfreulicherweise. Das Elternpaar Leopold Maria, Fürst von und zu Lippert-Weylersheim und seine Gattin Anhilte erscheinen wie Karikaturen der letzten Tage der k. und k. Monarchie, man ist stolz auf das Adelsgeschlecht, das bis zu Kaiser Maximilian zurückverfolgt werden kann. Es herrscht militärischer Drill, die Dialoge werden mit viel Witz und Schlagkraft geführt, das Regiment führt Anhilte, die Michaela Schneider herrlich steif und dünkelhaft vorführt, vor allem wenn sie ihren „Leopold Maria“ aufstampfend zur Ordnung ruft. Erzkomödiant KS Thomas Jesatko hat die meisten Lacher auf seiner Seite, auch wenn er am Ende feststellen muss: „Ich gebe jeden Widerstand auf. Zwei Chansonnetten in der Familie, mein Stammbaum zerfällt in lauter Brettl!“.
Den 3. Akt lässt Stephanie Schimmer in einem Wiener Bahnhof spielen, ein letzter Treffpunkt für alle Beteiligten, bevor andere Wege eingeschlagen werden, sich Beziehungen neu formieren. Wenn endlich die Standesschranken fallen dürfen, Lebenslügen aufgedeckt werden, dann ist -nicht nur für die wahrhaft Liebenden - der Weg frei für eine neue Zeit. Soldaten sind unterwegs, es herrscht plötzlich hektisches Treiben, eine unheilvolle Stimmung bemächtigt sich der Szene. Aus dem Lautsprecher tönt die Durchsage, dass in Sarajewo Österreichs Thronfolger ermordet wurde … ein schwarzer Tunnel bildet sich, der die Menschen zu verschlucken scheint. An seinem Ende geht ein grelles Licht auf. Dem langen Jubel des Publikums dankte das NTM Orchester mit der Wiederholung „Ganz ohne Weiber …“. Diesen Ohrwurm will man eigentlich gar nicht loswerden.