Lübeck, Theater Lübeck, Der Rosenkavalier - R. Strauss, IOCO

Die erste Opernpremiere in dieser neuen Spielzeit am Theater Lübeck ist „Der Rosenkavalier“, ein Meisterwerk, eines der größten Opernkompositionen des 20. Jahrhunderts und ein Paradebeispiel für Richard Strauss' spät-romantische Musik in Verbindung mit Hugo von Hoffmannsthals sprachlicher Finesse.
Gastregisseur Michael Wallner, dessen Lübecker Inszenierungen von Korngolds „Die stumme Serenade“ und Lloyd-Webbers „Sunset Boulevard“ noch in bester Erinnerung sind, schuf eine herrlich klassische Inszenierung dieser turbulenten musikalischen Komödie mit exquisiter, ausgefeilter Personenregie und viel Liebe zum Detail. Szenen wie gleich zu Beginn das lockere, vergnügliche Liebesspiel zwischen der Marschallin und ihrem jungen Octavian, oder auch die skurrilen Auftritte des Intriganten-Paars Annina und Valzacchi zeugten von seinen originellen komödiantischen Einfällen.

Sein Bühnenbildner Stefan Rieckhoff entwarf – unterstützt von Video-Effekten auf der Bühnenrückwand und stimmungsvoller Lichtregie (Falk Hampel) – wunderschön anzuschauende Bühnenbilder für die drei Akte – das pompöse Schlafgemach der Marschallin mit goldenen Stukkaturen, nur mit einem verschnörkelten Prunkbett und ein paar Stühlen ausgestattet, den palastartigen Wohnsitz des Herrn von Faninal, schließlich für den dritten Akt den Wiener Prater mit Riesenrad im Hintergrund, Karussell und Tierfiguren, umsäumt von hohen Bäumen. Die Kostümbildnerin Tanja Liebermann kreierte elegante Roben für die Marschallin und Sophie, farbenfrohe, dem Rokoko nachempfundene Gewänder für Ochs und Faninal, schreiend bunte karnevaleske Kleidung für die Leitmetzerin, für Chor und Statisten, und besonders phantasievolle Kleider für den Sänger, für Annina und für die Modistin.
Mit seinem Philharmonischen Orchester brachte GMD Stefan Vladar diese Strauss'sche Komposition mit ihrem filigranen, lyrischen Schönklang, den herrlichen Walzerfolgen, den zarten bis süßlichen, aber auch ironischen und manchmal scharfkantigen Passagen effektvoll zum Erklingen und offenbarte hier den Übergang zwischen den spätromantischen Klangfarben und den modernisierten Orchestrierungselementen dieser Partitur.

Auch sängerisch ließ dieser Premierenabend keinerlei Wünsche offen. Mit Evmorfia Metaxaki stand eine junge Marschallin in den besten Jahren von aparter Erscheinung und natürlichem Spiel auf der Bühne. Mit perfekten Piani gestaltete sie ihre Szenen und ihren großen Monolog im ersten Akt und ließ ihre klangschöne Stimme mit den zarten Klängen des zurückgenommenen Orchesters wunderbar verschmelzen. Im dritten Akt dominierte sie das gefühlvolle Terzett „Hab mir's gelobt“, ließ ihre Stimme weich und voller Innigkeit strömen und mit den Stimmen von Sophie und Octavian zu einer anrührenden Einheit verschmelzen.
Wie man nachlesen konnte, meinte Richard Strauss, daß die Affäre der Marschallin mit dem jungen Grafen Octavian wohl nicht ihre letzte sein würde, und so ließ der Regisseur die Marschallin ganz am Ende in Begleitung des schmucken jungen Polizeikommissars abgehen.
Friederike Schulte gestaltete den Octavian mit jugendlich-übermütigem Elan, gefiel mit ihrem schlanken, hell timbrierten, makellos geführten lyrischen Mezzosopran insbesondere bei der Rosenüberreichung, ihrem draufgängerischen Temperament und ungestümer Burschikosität beim Zweikampf mit Ochs, und ihrer erfrischenden, gekonnt komödiantischen Darstellung als Mariandl im ersten und im dritten Akt. Das Schlußduett mit Sophie gelang überaus berührend.

Die dritte große Frauengestalt ist die der Sophie von Faninal, hier gesungen von Karola Sophia Schmid und als selbstbewußtes junges Mädchen dargestellt. Schön anzusehen in ihrer eleganten silbernen Robe, gelang ihr auch der silbrige 'Gruß vom Himmel', auch verfügt sie über eine warm timbrierte, apart klingende Mittellage.
Als rustikaler Baron Ochs triumphierte der aus Österreich stammende Spielbass Johannes Maria Wimmer und machte aus diesem unsympathischen verarmten Adligen und respektlosen Brautwerber mit roter Perücke, derber Darstellung und seinem lustigen Wiener Dialekt einen absoluten Sympathieträger. Auch mit seiner vitalen stimmlichen Präsenz und gutem Tiefenregister konnte er gefallen.
Von großer Gestalt, in gelbem Phantasie-Kostüm gewandet und mit wehenden grauen Haaren war Steffen Kubach als Faninal eine wahre Augenweide. Auch gab er sich temperamentvoll, autoritär bei seiner Tochter, und gar nicht so duckmäuserisch Ochs gegenüber, so daß seine Szenen im zweiten Akt durchaus Gewicht hatten, zumal er auch stimmlich deutliche Präsenz zeigte.

Andrea Stadel war eine fröhliche, trefflich schrill singende und übermütig agierende Leitmetzerin. Noah Schaul als humpelnder Valzacchi und Delia Bacher als Annina in ihrem ausladenden Kostüm und dem größten Hut des Abends führten ihre Rollen als Intriganten-Paar vorzüglich aus.
Franz Gürtelschmied mit seinem Charaktertenor und seinem überdimensionalen Feder-Kopfschmuck war eine großartige Karikatur des Sängers. Im dritten Akt schlüpfte er in die Partie des Wirts.
Viktor Aksentjevic als Polizeikommissar sah flott aus in seinem blauen Uniformmantel, er wird wohl der nächste Liebhaber der Marschallin sein.
Von den weiteren kleinen Partien sei stellvertretend Changjun Lee als Notar erwähnt. Auch die in fröhlichen Farben gekleideten Choristen, von Jan-Michael Krüger perfekt einstudiert, wurden ihrer sängerischen, darstellerischen und tänzerischen Aufgaben, besonders im dritten Akt, durchaus gerecht (Choreographie von Kati Heidebrecht).
Dies war der wohl schönste, originellste und beeindruckendste „Rosenkavalier“, den ich bisher erlebt habe. Mein Besuch einer weiteren Vorstellung wird wohl nicht lange auf sich warten lassen. Am Ende gab es nicht enden wollenden Beifall und 'Standing Ovations' für die sämtlichen an dieser Produktion Beteiligten.