Lübeck, Theater, CARMEN - G. Bizet

11. Juli 2025
Die letzte Premiere der jetzt zu Ende gehenden Spielzeit 2024-25 am Lübecker Opernhaus war Bizets „Carmen“, und diese Inszenierung von Philipp Himmelmann wurde ein rauschender Erfolg für das bis zum letzten Platz ausverkaufte Theater und nicht enden wollendem Applaus für sämtliche Mitwirkenden.
Die Intention des Regisseurs war es, in seiner Inszenierung die Gewalt gegen Frauen und den „Femizid“ darzustellen und zu thematisieren, wofür die Carmen-Geschichte geradezu prädestiniert ist. Und so wird der Mord an Carmen durch Don José gleich während der Ouvertüre auf der abgedunkelten Bühne vorweg genommen, und die Handlung bis hin zu diesem Mord wird in der Rückschau erzählt, während ein Carmen-Double vorn rechts am Bühnenrand liegt und Don José in einigen Szenen vorn links sitzt und das Erlebte quasi Revue passieren läßt.
Die von Dieter Richter entworfene Bühne war schlicht, dennoch wirkungsvoll, sparsam möbliert mit Stühlen, einem Bett auf der Drehbühne, als Hintergrund eine metallene Wand als Fassade für die Kaserne, für die Zigarettenfabrik, später für die Gebirgsszene, entsprechend dezent angestrahlt in rötlich-blauen bzw. graugrünen Farben (Lichtregie von Falk Hampel).
Doch es geht hier nicht nur um Carmen, sondern auch Micaela ist in sehr vielen Szenen präsent als stille Beobachterin und als scheuer Gegenpol zur temperamentvollen Carmen. Bei ihrem ersten Auftritt ist Micaela sogleich ein Objekt der Begierde bei den Soldaten und wird von Morales und Zuniga in eindeutiger Absicht belästigt.

Auch während Carmens Zigeunerlied „Les Tringles des sistres tintaient“ im zweiten Akt ist Micaela mit von der Partie: Die Drehbühne dreht sich immer rasanter, Carmen singt ihr Lied immer leidenschaftlicher, sinnlicher, das Orchester spielt ekstatischer, die Bewegungen von Carmen, Mercedes und Frasquita werden lasziver, während Micaela zwischen ihnen schüchtern und verunsichert wankt und Mercedes ihr am Ende einen Kuß gibt, was sie völlig verstört. Diese Szene war einer der stärksten Momente des Abends.
Auch Escamillos erster Auftritt mit seinem „Toreador en garde“ in der Schenke vor einem silbrigen Lametta-Vorhang und dem von oben auf die Bühne fallendem Schwert verfehlte seine Wirkung als Show-Act nicht. Und das Liebesduett zwischen Carmen und dem halbnacktem Escamillo, auf dem Boden 'a-tergo' vor dem Bett ausgeführt und gesungen ließ die prickelnde Erotik nicht zu kurz kommen.
Ieva Prudnikovaite war eine große schlanke, überaus attraktive Carmen im engen schwarzen Kleid – alle Damen trugen schwarze Kleider und rote Schuhe, die Herren Soldaten und Schmuggler beigefarbene Jacken, dunkle Hosen und Stiefel (Kostümentwürfe von Meentje Nielsen) – . Sie gab sich als starke, die Freiheit liebende junge Frau, die sich ihrer erotischen Ausstrahlung bewußt ist. Mit ihrer klangvollen, saturierten Alt-Stimme und dem sinnlichen Timbre beeindruckte sie sogleich in ihrer ersten Arie „L'amour est un oiseau rebelle“, verlieh der „Seguidilla“ ebenso wie dem „Zigeunerlied“ im zweiten Akt facettenreiche, durchaus erotische Farben, während sie bei der Kartenarie traurige Melancholie verströmte.
Als Don José präsentierte Konstantinos Klironomos seinen kraftvollen strahlenden, inzwischen zum Heldischen neigenden Spinto-Tenor und bewältigte die sanfteren Passagen in seiner Blumenarie mit gekonnt und berührend eingesetzter 'voix mixte'. Darstellerisch war er weniger der brutale Macho, sondern eher der psychisch Leidende, der aufgrund seiner katastrophalen Situation zu solch einer Tat fähig ist.
Ein interessanter Regieeinfall war die Szene, wenn Carmen von Don José gefangen genommen werden soll. Ein langes rotes Seil kommt vom Bühnenhimmel herab, José fesselt Carmen damit, doch im Laufe der Szene windet sie sich heraus und am Ende ist José der Gefesselte. Auch die Szene von Carmens Ermordung am Schluß wurde von Beiden ergreifend gestaltet.

Jacob Scharfman als sein nonchalanter Gegenspieler Escamillo trug ein traditionelles buntes Torero-Kostüm und gefiel in klassischer Siegerpose bei seinem Show-Auftritt in Lilas Pastias Schenke vor dem Glitzervorhang mit seinem ausdrucksvollen Kavaliersbariton, ebenso wie in der anrührend und mit vokalem Eros gestalteten Liebesszene mit Carmen im vierten Akt.
Mit der Micaela hat Evmorfia Metaxaki eine weitere lyrisch-jugendliche Sopranpartie für sich erobert. Ihre klare, farbenreiche Stimme ist makellos geführt bis hinauf ins leuchtende Höhenregister, besticht sogleich in ihrem Duett mit Don José, „Parle-moi de ma mère“, und in ihrer großen Arie „Je dis que rine ne m'épouvante“. Als stets bühnenpräsente Darstellerin charakterisierte sie die Micaela als scheue junge Frau, die sich dem übergriffigen Gebaren einiger Soldaten zur Wehr setzen muß und während des bunten Treibens in Lilas Pastias Schenke mit der erwähnten erotisch aufgeladenen Situation beim „Zigeunerlied“ total überfordert ist.

Andrea Stadel mit ihrem das gesamte Ensemble überstrahlenden lyrischen Sopran als Frasquita und Frederike Schulten mit kontrastierendem, samtenem hellen Mezzo als Mercedes gefielen sowohl während der rasanten, ekstatischen Zigeunerlied-Szene als auch insbesondere im dritten Akt in der großen Karten-Szene.
Changjun Lee als Zuniga und Viktor Akzentijevic als Morales, sowie Noah Schaul als Remendado und Wonjun Kim als Dancairo erfüllten stimmlich und darstellerisch ihre Partien perfekt, ebenso der von Jan-Michael Krüger hervorragend einstudierte Chor der Soldaten bzw. der Fabrikarbeiterinnen.

Grandios spielte das Pilharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter der Leitung seines Ersten Kapellmeisters und stellvertretendem GMDs Takahiro Nagasaki. Die Ouvertüre geriet fulminant, Bizets mitreißende, raffinierte Rhythmen klangen phantastisch, die Dynamik bei Carmens Zigeunerlied im zweiten Akt, die Ekstase bis hin zur Kulmination geriet sensationell und war gewiss einer der orchestralen Höhepunkte dieses Abends.
In der neuen Spielzeit, am 21. September 2025, wird diese beeindruckende Carmen-Inszenierung wiederaufgenommen – ein Datum, das man sich merken sollte.