Lübeck, Theater, "CANDIDE" - L. Bernstein, IOCO

                                                     Noah Schaul als 'Candide'  ©Jochen Quast
Noah Schaul als 'Candide' ©Jochen Quast
  1. November 2025

Einen höchst vergnüglichen Abend bot das Lübecker Theater am 14. November mit der Premiere von Leonard Bernsteins Musical „Candide“, hier auch als 'komische Operette' bezeichnet.

Allzu häufig ist „Candide“ auf deutschen Bühnen nicht zu erleben, und wenn, dann meist in konzertanter Form, denn aufgrund der weitschweifigen und verwirrenden Handlung ist das Stück nur sehr schwer zu inszenieren. Und so hatte sich Ronny Scholz ein interessantes Konzept ausgedacht, „Candide“ als eine Art Revue auf die Bühne zu bringen unter Einbeziehung von vielen amüsanten Live-Illustrationen, die auf die Bühnenrückwand projiziert wurden – ein Konzept, welches sich in den letzten Jahren bereits an den Theatern Münster und Regensburg bewährt hatte und nun auch am Lübecker Theater große Begeisterung vonseiten des Premierenpublikums auslöste. Denn was der Illustrator Robert Nippoldt gemeinsam mit seiner Assistentin Lotta Stein an erklärenden originellen Zeichnungen 'live' und temporeich auf die Bühne projizierten und die Geschichte dadurch auch verständlicher machten, war einfach grandios und ließ die Besucher immer wieder in maßloses Staunen versetzen.

Der Orchestergraben war hochgefahren, dort saßen sowohl der Chor, als auch an einem Regietisch die beiden Illustratoren. Das Orchester war im hinteren Teil der Hauptbühne platziert. Links und rechts führten zwei Showtreppen hinauf zur oberen Bühne vor der großen Projektions-Leinwand. Candide und Kunegonde agierten meist oben, während auf der unteren Spielfläche sich Dr. Pangloss, Paquette, die alte Lady, Maximilian und die Nebenrollen tummelten.

Sophie Naubert/Kunegonde und Noah Schaul/Candide ©Jochen Quast

„Candide“ war Bernsteins erstes groß angelegtes Musical, uraufgeführt 1956, das jedoch sowohl die Kritiker als auch das Publikum spaltete. Gelobt wurde die musikalische Kühnheit und die intellektuelle Tiefe des Stückes, während man die Handlung als recht chaotisch empfand.

Basierend auf Voltaires Roman „Candide oder der Optimismus“, wurde das ursprüngliche Libretto mehrfach überarbeitet. Hugh Wheeler schrieb das Libretto neu und brachte den komisch-satirischen Aspekt Voltaires wirkungsvoll zur Geltung. Richard Wilbur und Stephen Sondheim schrieben die Songtexte, und für den deutschsprachigen Raum hatte Vicco von Bülow alias Loriot erklärende Erzähltexte entwickelt, die das Stück straffen und nun leichter verständlich machen sollten.

Die Handlung ist episodisch und satirisch strukturiert. Die Geschichte folgt dem etwas naiven Helden Candide, der durch eine Reihe skurriler Abenteuer lernt, daß die Welt alles andere als ein optimistischer Ort ist.

Gerard Quinn als Dr. Pangloss ©Wolfgang Radtke

In einem Schloß seines Onkels in Westfalen lebt Candide gemeinsam mit seiner Cousine Cunegonde, die er liebt, und ihrem Bruder Maximilian. Ebenfalls auf dem Schloß wohnen die Kammerzofe Paquette und der Lehrer Dr. Pangloss, dessen optimistische Lebensphilosophie von der „besten aller möglichen Welten“ ihnen beigebracht wird. Doch das Schloß wird beim Krieg zwischen Westfalen und Bulgarien zerstört, und Candide zieht fortan durch eine Welt voller Chaos und großen Katastrophen wie Krieg, Mord, Inquisition, Erdbeben, Schiffbruch und weiteren Unwägbarkeiten. Geprägt von der Lehre seines Lehrmeisters Pangloss, der beharrlich behauptete, „alles ist zum Besten bestellt in der besten aller möglicher Welten“, widerspricht Candide jetzt diesem blinden Optimismus aufgrund seiner vielen gesammelten Erfahrungen. Jedes seiner Erlebnisse vermittelt ihm die ironische Erkenntnis, daß das Leben keineswegs „das Beste aller möglichen Welten“ ist, sondern stattdessen von Zufall, Ungerechtigkeit und menschlicher Hybris geprägt wird. Candide begegnet Königen, Räubern, Piraten, und anderen Charakteren, die alle ihre universellen menschlichen Schwächen offenbaren.

Schließlich kommt Candide zu der Erkenntnis, daß man am besten lebt, wenn man sich auf pragmatische Arbeit und reale Anstrengung konzentriert, um sein eigenes Leben auf der Welt selbst bestmöglich zu gestalten, anstatt sich auf übermäßigen Optimismus zu verlassen.

Steffen Kubach/Erzähler, Sophie Naubert/Kunegonde, Noah Schaul/Candide, und Robert Nippoldt/Illustrator ©Wolfgang RadtkeNoah Schaul als 'Candide' NN

Musikalisch fächert Bernstein in diesem Musical eine breite stilistische Palette auf: vom Orchesterdrama bis zur leichten Operette, vom zupackenden Jazz-Feeling bis zu sanften Melodien. Als Hommage an die europäische Musiktradition verwendete Bernstein in seiner Komposition auch Walzerklänge und weitere Tanzformen wie Gavotte, Mazurka, Polka, Tango und Flamenco. Die Lieder variieren von lyrisch bis bissig-komisch und dienen der Charakterisierung der einzelnen Figuren sowie der Kritik an Philosophien und gesellschaftlichen Zuständen.

Nathan Bas und das Orchester beim Schlußapplaus ©Wolfgang Radtke

Musikalisch war dieser Premierenabend vom Feinsten. Dirigent Nathan Bas setzte mit seinem Philharmonischen Orchester Bernsteins schwungvolle, mit raffinierten Instrumentierungen und knalligen Klangpointen gespickte Partitur treffend um und hatte großen Anteil an dem Erfolg dieses heiteren Premierenabends. Es war bewundernswert, wie natürlich und wie selbstverständlich er die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Stilen nahm – Jazz, Walzer, operettenhafte Passagen, Flamenco – meisterlich bis in jede rhythmische Finesse.

In der Titelpartie brillierte Noah Schaul. Ein gar nicht so naiver Candide von sympathischer Ausstrahlung, spielfreudig und mit sanftweichem lyrischen Tenor in allen Facetten, so überzeugte er in seinen Arien „It must be so“, „This World“, seinen Szenen und Duetten mit Cunegonde, so bei „You were dead, you know“, und schließlich im Schlußsextett „Make our Garden grow“. Eine rundherum überzeugende Leistung.

Sophie Naubert/Kunegonde ©Jochen Quast

Sophie Naubert, noch in glänzender Erinnerung als 'Semele' in der letzten Spielzeit, konnte ihren damaligen Erfolg nun als attraktive Cunegonde wiederholen. Charmant in ihrer intensiven, gefühlvollen Darstellung, besonders auch in ihrem Duett mit Candide „Oh happy we“, pefekt in ihrer sicheren Koloraturtechnik bei ihrer Bravour- Arie „Glitter and be gay“, oder auch im Duett mit der Old Lady „We are Women“. Diese gar nicht mal so alte Lady wurde herrlich komödiantisch dargestellt von Gabriella Giulfail, die ihrer saturierten Alt-Stimme variable Farben entlocken konnte und besonders in ihrer markant vorgetragenen Tango-Arie „I am easily assimilated“ reüssierte.

Jacob Scharfman/Maximilian, Gerard Quinn/Dr. Pangloss und Gabrielle Guilfoil/Old Lady ©Wolfgang Radtke

Gerard Quinn sang den optimistischen Philosophen und Lehrmeister Dr. Pangloss mit sonorem Bariton und dezentem Humor, Andrea Stadel lieh ihren strahlenden Sopran dem Dienstmädchen Paquette, Jacob Scharfman überzeugte wieder mit seinem dunklen geschmeidigen Kavaliersbariton in seinen Partien als Kunegondes Bruder Maximilian sowie als Captain und als Inquisitor.

Wonjun Kim, Andrea Stadel und Jacob Scharfman ©Wolfgang Radtke

Wonjum Kim als der Gouverneur von Montevideo, der sich auch nach drei Jahren noch nicht entschließen kann, die geduldig wartende Kunegonde zu heiraten, und Robin Frindt in diversen kleinen Partien, rundeten das ausgezeichnete Gesangsensemble ab. Auch dem von Jan-Michael Krüger großartig einstudiertem Chor, vor der Bühne im hochgefahrenen Orchestergraben platziert, gebührt besonderes Lob für seine mannigfachen sängerischen, mimischen und tatkräftigen Aktionen.

Steffen Kubach als Erzähler ©Jochen Quast

Doch was wäre dieser „Candide“ ohne den Moderator, Conferencier, ohne den charmanten Erzähler Steffen Kubach – der mit viel Humor, Witz, Ironie und Temperament durch den Abend führte. Er gab spaßige Erklärungen zum Fortgang der komplexen, komplizierten Handlung, hatte auch die eine oder andere Passage mitzusingen, und entledigte sich seiner Hose, um dann in rosa Strümpfen mit Strapsen dazustehen und das Publikum auf die Paris-Episode einzustimmen.

Großer Jubel am Ende für diese szenisch wunderbar illustrierte, und musikalisch perfekt erarbeitete Revue, die sicherlich der Renner dieser Spielzeit werden dürfte.

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