Hamburg, TRISTAN UND ISOLDE - R. Wagner, IOCO

Hamburg, TRISTAN UND ISOLDE - R. Wagner,  IOCO
© Wolfgang Radtke

29. 5.2025

Es war die 50ste Aufführung dieser Inszenierung von Ruth Berghaus (1927–1996) seit der Premiere im März 1988. Als Opernregisseurin hatte Ruth Berghaus die Entwicklung des modernen Regietheaters nachhaltig geprägt. Allerdings wurden ihre eigenwilligen modernen Inszenierungen meist als kontrovers empfunden, da sie die ursprünglichen Intentionen der Komponisten und Librettisten in den Hintergrund stellte. Für Zuschauer, die eine eher emotionale oder traditionelle Opernerfahrung suchten, waren Berghaus-Inszenierungen schwer zugänglich, da es ihren innovativen Regiekonzepten oftmals an Klarheit mangelte und diese als zu abstrakt und schwer nachvollziehbar empfunden wurden.

Ruth Berghaus lebte in der damaligen DDR, war verheiratet mit dem Komponisten Paul Dessau (1894–1979) und wirkte in Ost-Berlin als Choreographin und Regisseurin. Sie war zeitweise Intendantin des „Berliner Ensembles“, war Mitglied der SED, empfand die DDR als „das bessere Deutschland“, erhielt aufgrund ihrer Loyalität zu Staat und Partei den „Nationalpreis“, der ihr nun ermöglichte, auszureisen und in der BRD, der Schweiz und in Österreich als Regisseurin zu arbeiten. Von 1980 bis 1987 war sie ständige Gast-Regisseurin am Opernhaus Frankfurt, 1988 debütierte sie dann an der Hamburgischen Staatsoper mit „Tristan und Isolde“ und konnte das Hamburger Publikum mit ihrem Regie-Stil erfreuen, oder auch nicht, denn ihre Inszenierung galt als sehr umstritten und polarisierte von Beginn an. Dennoch hält sich diese Produktion seit nunmehr 37 Jahren im Spielplan der Staatsoper, in erster Linie wohl aufgrund des spannenden utopischen, von Hans-Dieter Schaal entworfenen Bühnenbildes.

Das Motiv auf dem Zwischenvorhang läßt schon einiges erahnen: Wir blicken ins Universum, auf den Mond, zwei weitere Planeten, auf die Milchstraße – oder befinden wir uns gar in einem anderen Sonnensystem? Steht uns eine „Odyssee im Weltraum“ mit der „Raumpatrouille“ bevor, oder gar „Star Wars“?

Der Vorhang geht hoch, und in der Tat, wir befinden uns auf einer Art Raumschiff, das durchs All gleitet. Commander Tristan hat also die Aufgabe, seinem Onkel Marke, der auf einem anderen Planeten herrscht, eine galaktische Prinzessin als Braut zuzuführen.

Christoph Pohl/Kurwenal, Catherine Foster/Isolde, Simon O'Neill/Tristan, Katja Pieweck/Brangäne © Wolfgang Radtke

In dieser futuristischen Szenerie fallen dem Zuschauer einige banale heutige Requisiten ins Auge: ein weißes Ruderboot, ein Dutzend weiße Liegestühle, eine bräunliche Decke, die Brangäne ab und zu Isolde um den Körper wickelt. Was hat nun ein Ruderboot im Weltraum zu suchen, fragt sich der verblüffte Zuschauer. In einem Ruderboot wurde einst der verletzte Tristan ans Ufer getrieben, wo Isolde ihn fand und gesund pflegte. Aha, ach ja, aber ein Ruderboot im .Weltraum? Widersprüche sind erlaubt bei Frau Berghaus' Inszenierungen, das gehört zum Konzept. Und die Liegestühle, angeordnet wie auf dem Sonnendeck eines Kreuzfahrtschiffs? Unter (!) diesen Liegestühlen liegen die Gefolgsleute Tristans, die Bordbesatzung in dunkelblauen Uniformen, schwarz behelmt wie Feuerwehrmänner – vielleicht eine Art Freiwillige Weltraum-Feuerwehr. Was hat es nun aber mit den Liegestühlen auf sich? „Wie man sich bettet, so liegt man“, sagt Brecht. Zwar nicht sehr bequem, aber man liegt.

Isoldes Liebessehnsucht, ausgedrückt durch das Berühren der Gesichter dieser Gefolgsleute, die den Versuch unternehmen, unter diesen Liegestühlen hervorzukriechen, sie werden jedoch von Brangäne, hier ganz Anstandsdame, wieder daruntergeschoben.

Später beim Auftritt Tristans und Abtritt der Gefolgsmänner ordnet Brangäne die durcheinander geratenen Liegestühle wieder, die Gefühlswelt ist unter Kontrolle, Tristan und Isolde liegen traut nebeneinander auf ihren Stühlen – auf Distanz und ohne sich anzublicken, geschweige denn zu berühren.

Der zweite Akt bringt weitere Überraschungen: Wir befinden uns wohl in einer Raumstation vor einer riesigen Turbine. Im Vordergrund wieder das Ruderboot, für Isolde wohl das Symbol ihrer Liebe zu Tristan und der Rettung dieser Liebe, gleichzeitig aber wohl auch Flucht aus der Verbindung mit König Marke.

Christoph Pohl, Katja Pieweck, Catherine Foster, Simon O'Neill, René Pape, William Desbiens © Wolfgang Radtke

Brangäne tritt auf mit Abblendlaterne und großer brauner Decke (man denkt unwillkürlich an die „Peanuts“, Linus mit Schmusedecke), die sie ausbreitet, wie um die Liebesnacht vorzubereiten.

Tristan erscheint, und das Liebesduett, auf Distanz gesungen, findet in der sich drehenden Turbine statt. Die einzige Berührung der beiden im Verlauf des Duetts wird lediglich als Schatten an der Wand sichtbar.

König Marke erscheint in einem langen weißen Pelzmantel, während Isolde vergeblich versucht, die sich drehenden Räder der Turbine anzuhalten. Während Markes Monolog sitzt sie gleichgültig und teilnahmslos da oder verläßt die Szenerie. Schließlich schreiten zwei Dreiergruppen von rechts nach links und wieder zurück dem Ende des zweiten Aktes entgegen.

Im dritten Akt ist Tristans Raumschiff offenbar mit dem Mond kollidiert und liegt nun zerstört da. Das Ruderboot ist noch vorhanden, auch konnte ein Liegestuhl gerettet werden, Der Hirt ergeht sich in Kletterübungen auf den Tümmern. Tristans Handgelenke sind verbunden, wie wenn er sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Trotz dieser Verletzung muß auch er auf den Trümmern seines Raumschiffes herumbalancieren. Schließlich wird der Liegestuhl im Ruderboot aufgestellt und Tristan legt sich hinein. Isolde kommt hinter dem Mond hervor, setzt sich ins Boot und rudert mit dem inzwischen verblichenen Tristan davon, bzw. sie tritt vor den sich langsam senkenden Zwischenvorhang und breitet die Arme aus wie um den Mond zu umarmen. Ist Isoldes Liebe zu Tristan also nichts als Illusion? Imaginär wie der Mann im Mond?

Simon O'Neill/Tristan, Catherine Foster/Isolde © Wolfgang Radtke

Ruth Berghaus erwartete von ihrem Publikum, daß es mitdenkt und der eigenen Phantasie freien Lauf läßt. Daß die Phantasie des Zuschauers sich nicht unbedingt deckt mit ihren Intentionen, mußte sie in Kauf nehmen. Kritik, daß sie ein Werk der Opernliteratur kaputt inszeniert, mußte sie ebenfalls hinnehmen. Verfechter und Anhänger des modernen Regietheaters können derartige Kritik zwar schlecht vertragen, aber wem nützt es schlußendlich, wenn am Publikumsgeschmack derart vorbei inszeniert wird, daß die Theater manchmal Platzausnutzungen von nur noch unter 50 % verzeichnen konnten? Das Frankfurter Opernhaus war damals das beste Beispiel dafür, und Frau Berghaus hatte dort in den 80er Jahren sicherlich allerhand dazu beigetragen.

Die Hamburger Staatsoper war am späten Nachmittag dieser fünf Stunden dauernden Wiederaufnahme gut besucht, wenn auch nicht völlig ausverkauft.

Catherine Foster/Isolde, Katja Pieweck/Brangäne, Christoph Pohl/Kurwenal © Wolfgang Radtke

Als Positivum dieser Inszenierung sei gesagt, daß Langeweile eigentlich nicht aufgekommen ist, trotz einiger Längen im zweiten Akt. Es passierte immer irgendetwas, was den Zuschauer in Staunen versetzte, ihn schmunzeln oder den Kopf schütteln ließ. Die gesamte Liegestuhl-Aktion mit der Choreographie der Feuerwehrmänner entbehrte nicht einer gewissen Komik, das Schreiten der beiden Dreier-Formationen am Ende des zweiten Aktes stieß auf Unverständnis, und für das eigentlich sinnlose Herumklettern auf den Trümmern des Raumschiffs im dritten Akt – offenbar nur um der Aktion und der Bewegung willen – konnte man den Ausführenden bestenfalls Bewunderung zollen.

Der Bühnenbildner Hans-Dieter Schaal gehörte, wie auch die Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt zu Ruth Berghaus' ständigen Mitarbeitern, letztere entwarf die eher unauffälligen Kostüme, mit Ausnahme von König Markes grotesk wirkender weißer Pelzrobe à la Marlene Dietrich.

Erfreulich war die musikalische Seite des Abends: Das hervorragend disponierte Philharmonische Staatsorchester spielte unter der Leitung des scheidenden GMDs Kent Nagano äußerst klangsensibel, fast ätherisch, vom sehnsuchtsvollen, sanft aufblühenden, fast schon erotisierenden, sich steigernden ekstatischen Vorspiel, über die verführerischen sinnlichen Momente im zweiten Akt, bis hin zu subtil abgestuften dynamischen Steigerungen im letzten Akt.

Einem Sänger des Tristan kann man nicht genug Bewunderung zollen, wenn er diese anspruchsvolle Partie glücklich bis zum Ende durchsteht. Simon O'Neill verfügt nicht unbedingt über eine „Riesenröhre“, die Stimme klingt angenehm in der unteren Mittellage, im oberen Bereich eher wie die eines Charaktertenors mit grellen Spitzentönen, und im Fiebermonolog des dritten Aktes verlegte er sich über weite Strecken aufs Brüllen und Schreien. Man merkte ihm an, wie froh er danach war, es sich im Ruderboot gemütlich zu machen.

Das Ensemble beim Schlußapplaus © Wolfgang Radtke

Catherine Foster wartete als Isolde mit hochdramatisch voluminösen Stimm-Material auf, das an Farbenreichtum ihren Tristan überragte. Sie hatte zahlreiche schöne Momente in den lyrischen Passagen. Die gewohnte Klangschönheit ihrer Spitzentöne konnte sie nicht immer entfalten. Phrasierung, Intonation, Textverständlichkeit und lyrischer Ausdruck waren nicht stets überzeugend. Ihrem Liebestod fehlte es an Intensität.

Einen hervorragenden Abend hatte dagegen Katja Pieweck mit ihrem warm strömenden Mezzosopran als Brangäne mit langen blonden Haaren, die liebevolle Freundin und Vertraute Isoldes. Darstellerisch war sie sehr gefordert, was die Regie ihr so alles an Aktionen aufbürdete. Ihr „Einsam wachend in der Nacht … Habet acht“, mit schlanker Stimme schön gestaltet, klang eindringlich und wunderbar phrasiert. Auch ihr kurzer Auftritt im dritten Akt mit „Sie wacht, sie lebt“ war ergreifend.

René Pape als bewährter König Marke von starker Bühnenpräsenz beeindruckte mit großer Stimme, sonorer Bass-Fülle und eindringlicher Tiefe in seiner langen Klage.

Mit baritonalem Wohllaut gefiel Christoph Pohl als souveräner Kurwenal. William Desbiens sang den treulosen, meuchelnden Melot mit kraftvollem lyrischen Bariton. Aaron Godfrey-Mayes lieh seine Stimme dem jungen Seemann und hatte als Hirt im dritten Akt so einiges an Klettereien über die Trümmer zu leisten. Grzegorz Pelutis in der kleinen Rolle des Steuermanns ergänzte das Ensemble.

Das Ensemble und Kent Nagano beim Schlußapplaus © Wolfgang Radtke

Lang anhaltende Ovationen gab es am Ende für sämtliche Mitwirkenden, ganz besonders für Kent Nagano und das fulminant aufspielende Orchester, und es war schon erstaunlich, daß die Brangäne von Katja Pieweck, was die Intensität des Beifalls anging, den größeren Erfolg für sich verbuchen konnte als Tristan und Isolde.

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