Hamburg, C. Bechstein-Centrum, Klavierabend Seungyeon Lee, IOCO

Hamburg, C. Bechstein-Centrum, Klavierabend Seungyeon Lee, IOCO
Seungyeon Lee copyright Michael Stange

 

Klavierliebhaber können in Hamburg ihrer Leidenschaft in vielen kleinen und großen Konzertsälen frönen. Einen der schönsten Orte ist das C. Bechstein-Centrum im historischen Chilehaus zwischen Innenstadt und Hafen-City und mit seiner hervorragenden Akustik.

 

Die Pianistin Seungyeon Lee gab dort ihr jüngstes Hamburger Konzert. Erneut bewies sie ihr immenses Talent und ihre große Meisterschaft. Geboren wurde die Künstlerin in Kunsan, Südkorea. Mit dem Klavierspiel begann sie mit 5 Jahren und lernte zudem Geige. Mit 17 Jahren debutierte sie mit Sergei Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr. 2. Ihre Ausbildung setzte sie in Deutschland fort und studierte sie bei Prof. Anna Vinnitskaya und später bei Prof. Marian Rybicki an der École Normale de Musique de Paris. Sie errang zahlreiche Wettbewerbserfolge, darunter der Béla-Bartók-Sonderpreis beim Internationalen Béla-Bartók-Wettbewerb in Wien und der 1. Preis bei der International Music Competition Amigdala in Italien. Sie feierte weltweite Konzerterfolge und arbeitete im vergangenen Jahr mit dem Gewandhaus-Quartett Leipzig zusammen.

 

Geschätzt wird Seungyeon Lee für ihre feinsinnige Interpretationen, ihre virtuose Präzision und ihr intuitives Verständnis für die plastische Wiedergabe oft vertrackter Klangwelten. Durch ihr einfühlsames Spiel gelingt ihr die hinter den Kompositionen liegenden Geheimnisse zu lüften und das Publikum mit einem beglückenden Fluss in ihren musikalischen Kosmos zu entführen.

 

Für ihr neues Programm wählte sie im Hauptteil Stücke bedeutender Komponistinnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Clara Schumann (1819–1896) wird besonders in jüngerer Zeit für ihre Klavierwerke, Lieder und Kammermusik, darunter ihr bekanntes Klaviertrio op. 17, geschätzt. Fanny Hensel (1805–1847), geborene Mendelssohn, war die Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy. Sie schuf über 400 Werke, darunter Lieder, Klavierstücke und Kammermusik. Amy Beach (1867–1944) war die erste bedeutende amerikanische Komponistin. Sie komponierte Symphonien, Klavierkonzerte und Kammermusik, darunter die „Gaelic Symphony“. Cécile Chaminade (1857–1944) war eine französische Komponistin und Pianistin. Sie schrieb sie vor allem Klavierwerke und Lieder, die für ihren melodischen Charme bekannt sind, wie das „Concertino für Flöte“.

Alle vier Frauen waren hochbegabte Musikerinnen, die trotz gesellschaftlicher Einschränkungen bedeutende Werke schufen. Sie waren oft als Pianistinnen tätig, was ihre Kompositionen prägte, insbesondere im Bereich Klaviermusik und Lieder.

 

Jede von ihnen kämpfte dagegen, dass Frauen in der Musikszene benachteiligten wurden. Sie mussten alle erhebliche persönliche Opfer bringen, um ihr Künstlertum zu leben. Ihre Werke verbinden technische Meisterschaft mit emotionaler Tiefe. Schumanns und Hensels Bindeglied ist die deutsche Romantik. Beach und Chaminade spiegeln eher Einflüsse ihrer jeweiligen nationalen Herkunft wider. Zudem variierte der Grad der Anerkennung zwischen den Komponistinnen. Schumann und Beach wurden zu Lebzeiten gefeiert. Hensel und Chaminade mussten länger um ihren Platz in der Musikwelt ringen. Alle Komponistinnen vereint, dass sie die Musik nachhaltig geprägt haben und trotz großer Widerständen ihren Platz in einer männerdominierten Welt eroberten.

Fanny Hensel copyright WikiCommons

 

Auftakt der Soirée war Fanny HenselsNotturno g-Moll und Melodie“, op. 4 Nr. 2. Das introspektiv angelegte Werk verbindet Melancholie mit mannigfaltigen harmonischen Wendungen. Es bietet ein glänzendes Beispiel für Fanny Hensels kompositorische Sensibilität und ihre Fähigkeit, dem Klavier einen Kosmos an Farben und Emotionen zu entlocken. Seungyeon Lee konnte diesen Reichtum durch ihre subtile Klanggestaltung vollständig gerecht werden. Die sanften Übergänge meisterte sie mit vollendet variationsreichem Anschlag. Die nächtliche Stimmung machte sie eindringlich greifbar. Ihre Finger glitten fließend und teilnahmsvoll über die Tasten. So entspann sich ein zartes, liedhaftes Werk mit lyrischen Kontrasten. Hier brillierte die Künstlerin durch ihre präzise Artikulation und dynamische Schattierungen, die die emotionale Wärme des Stücks verstärkten und das Publikum in eine Welt der Zärtlichkeit entführten.

 

Als Nächstes erklangen Clara Schumanns „Variationen über ein Thema von Robert Schumann“, op. 20. Dieses Werk basiert auf einem Thema ihres Mannes und entwickelt es durch eine Serie virtuoser Variationen, die von zart bis dramatisch reichen. Lees Interpretation war ein Meisterwerk der Balance: Sie handhabte die komplexen Polyphonien mit kristallklarer Klarheit, während ihre Virtuosität in den schnellen Passagen – etwa in den Oktaven und Arpeggien – atemberaubend präzise und kraftvoll war. Ihre emotionale Hingabe machte aus dem Stück eine persönliche Hommage, die ihre tiefe emotionale Verbundenheit der Schumanns und ihre Fähigkeit, diese dem Publikum zu präsentiere, offenbarte.

Amy Beachs Dreaming“, op. 15 Nr. 3 bot ein ganz anderes Farbspektrum mit impressionistischem Einschlag. Träumerisch, an Harmonien reich kommt das Stück daher. Diese Komposition bannt mit Wellen von Klangfarben Farben in ungewohnter Dichte. Seungyeon Lee zauberte hier mit feinsinnigen Nuancen fein abgestufte Dynamiken. So gelang ihr  eine hypnotisch fesselnde Atmosphäre- Ihre virtuose Beherrschung der Klangfarben ließ die Töne wie schwebend wirken. So verdeutlichte sie, was für eine Pionierin des Impressionismus die Komponistin war.

Amy Beach copyright WikiCommons

 

Cécile ChaminadesThème varié“, op. 89 und „Concert-Étude » op. 35 Nr. 2 „Automne“ brachten französischen Flair ins Programm. Das Thème varié ist eine elegante Suite mit verspielten Motiven. Seungyeon Lee bewältigte die technischen Herausforderungen mit ihren schnellen Läufe und Akkorde mit behender Leichtigkeit und Eleganz. Ihre Virtuosität strahlte in jeder Note. Die Concert-Étude „Automne“ ist ein herbstlich-melancholisches Stück. Die stürmischen Passagen, wurden von der Pianistin mit dramatischem Schwung interpretiert. Ihre kraftvollen Akkorde und präzisen Triller ließen Bilder fallender Blätter und Windböen vor den Augen der Zuhörer entstehen. Was für eine tour de force der Fingerfertigkeit.

 

Der erste Teil endete mit Fritz Kreislers „Präludium und Allegro“ in der Klavierfassung von N. Vaneyev. Das barock-inspirierte Werk ist extrem herausfordernd durch seine virtuosen Läufen und expressiven Melodien. Seungyeon Lee konnte neben der exzellenten Umsetzung der dramatischen Herausforderungen insbesondere die Klangfarben der Violine mit Sensibilität und einem feinen Gespür erlebbar machen. Ihre Interpretation war von dynamischer Wucht, feurig, brillant und von eindrucksvoller technischer Finesse. Ein Höhepunkt an Präzision und Leidenschaft.

 

Nach der Pause ertönten Auszüge aus Fanny Hensels Das Jahr“. März – Praeludium und Choral“, „Juni – Serenade und September“ und „Am Flusse“. Der Zyklus-beschreibt in zwölf Stücken die Stimmung des jeweiligen Monats. Der März kommt mit gleichsam choralem Ernst daher. Mit serenadenhafter Leichtigkeit beschreibt Hensel den Juni als tänzerische Etude, Mit der fließenden Melancholie im September endet dieser Teil. Seungyeon Lee hat navigierte die kontrastierenden Charaktere mit meisterhafter Virtuosität: Im März balancierte sie die polyphonen Stimmen mit reinster Klarheit. Im Juni zauberte sie luftig-leichte Phrasen. Im September ließ sie die wellenförmigen Figuren mit sensibler Dynamik fließen. Ihre Fähigkeit, emotionale Nuancen zu formen, machte diese Stücke zu poetischen Miniaturen.

 

Der Abend endete mit Sergei Rachmaninoffs Moments musicaux“, op. 16 Nr. 3–6. Diese vier Stücke reichen von introspektiv (Nr. 3) über dramatisch (Nr. 4) bis hin zu lyrisch (Nr. 5) und virtuos (Nr. 6). Seungyeon Lee kam schon früh mit Rachmaninoff in Berührung. So lieferte sie auch hier eine atemberaubende Darbietung: In Nr. 3 schuf sie tiefe Melancholie durch nuancierte Rubati. In  Nr. 4 sendete sie kraftvollen Akkorde und schnellen Skalen in den Raum. Nr. 5 spielte sie wie eine zarte Ballade, in der ihr sensibler Anschlag besonders beeindruckte. In Nr. 6 entfachte ein Feuerwerk technischer Brillanz.

Seungyeon Lee copyright Dr. Gerhard Strate

 

Seungyeon Lees Klavierabend war eine Hommage an unterschätzte Komponistinnen, deren Werke sie mit mit faszinierender Virtuosität interpretierte. Erneut demonstrierte Seungyeon Lee ihre außergewöhnliche Musikalität und ihr virtuoses Einfühlungsvermögen. Zahlreich ihrer Interpretationen sind auf dem Kanal von Dr. Gerhard Strate (https://strate.net/konzerte/) zu sehen. Ihr Spiel ist geprägt von feinsinniger Dynamik, nuancierter Phrasierung und einer beeindruckenden Virtuosität. Schon in früheren Konzerten glänzte sie durch technische Brillanz und emotionale Tiefe. Diesmal lauschte das Publikum ihrem Spiel noch gebannter. Man hatte den Eindruck, dass sie ihre technischen Fähigkeiten noch einmal gesteigert hat. Auch gelingt es ihr noch bestrickender, ihre Empfindungen und ihre Seelenspiel mit tiefschichtigem, der jeweiligen Szene angepasstem Ausdruck, den Tasten anzuvertrauen.

So bot Seungyeon Lee erneut einen beglückenden Abend voll musikalischen Zaubers. Die Zuhörerinnen und Zuhörer verließen das C. Bechstein Centrum Hamburg mit dem Gefühl, einem besonderen musikalischen Erlebnis beigewohnt zu haben.

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