Greifswald, Theater, Kurt-Weill-Abend, IOCO

Greifswald, Theater, Kurt-Weill-Abend, IOCO
Theater und Stadthalle Greifswald copyright Wiki Commons

Plädoyer für Kurt-Weill
Ein Abend des Theaters Vorpommern

 

Wer kennt sie nicht, die Moritat eines Macki Messer oder das Lied der Seeräuberjenny aus Bertolt Brechts (Text) und Kurt Weills (Musik) kultischem Musiktheaterstück „Dreigroschenoper“!

Aber das war es dann meist schon. Brecht ist natürlich eine bekannte „Hausnummer“. Kurt Weill dürfte einen solchen Bonus allerdings kaum haben, nicht mal unter bekennenden Musikfreunden.

Das ist erklärbar, dennoch bedauerlich und kann schon mal als tiefer Stachel im Fleische eines Enthusiasten produktive Neugier wecken. Vor allem dann, wenn Letzterer als Generalmusikdirektor über jene Voraussetzungen verfügt, die – wenngleich nicht unaufwändig – gesichtskreiserweiternde Maßnahmen etwa im Rahmen eines Philharmonischen Konzertes ermöglichen.

Nennen wir Ross und Reiter: GMD Florian Csizmadia hat am Theater Vorpommern das 3. Philharmonische Konzert der laufenden Spielzeit als „Kurt-Weill-Abend“ konzipiert und mit den Solistinnen Antje Bornemeier (hauseigen) und Brigitte Oelke (als Gast) sowie dem Philharmonischen Orchester Vorpommern in Greifswald (danach zweimal in Stralsund und Putbus) einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Kurt_Weill, Lotte_Lenya 1942 copyright WikiCommons

Kenntnisreich und charmant den Abend moderierend, hatte er auch keine Mühe, dem begeistert mitgehenden Publikum gleich zu Beginn einen Abend mit einiger Überlänge schmackhaft zu machen. Denn auf dem Programm standen nicht nur die 2. Sinfonie, sondern auch nicht weniger als 17 vokale und 2 instrumentale Piecen zumeist aus sechs Bühnenwerken. Für den vehementen Einsatz des Dirigenten und seine offensichtlich starke Affinität zum Werk Kurt Weills spricht auch die Tatsache, dass er (als promovierter Musikwissenschaftler) den hier besonders hilfreichen, weil erfreulich informativen Text des Programmheftes gleich selbst schrieb.

Der Abend in Greifswalds Stadthalle („Kaisersaal“) begann mit Weills 2. Sinfonie. Als Beispiel „absoluter“ Musik gehört sie zu den orchestralen Raritäten im sonst schwerpunktmäßig der Musikbühne gewidmeten Schaffen des Komponisten. Er schreibt:“ Um meinen eigenen Stil zu kontrollieren, habe ich auch absolute Musik geschrieben. Man muß gelegentlich von seinem gewohnten Weg abweichen, in solchen Momenten schreibe ich sinfonische Musik“ (New York World Telegram vom 21. 12. 1935). Nach Gelegenheitsmusik klingt das Werk allerdings nicht. Und wenn es einst auch an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Bezeichnungen wie „Symphony“, „Symphonische Phantasie“ oder auch „Drei Nacht-Szenen“ figurierte, dann versteckt sich dahinter dennoch ein sehr ernst gemeintes und – wie zu hören – originelles Plädoyer für eine deutlich individualisierte Form sinfonischen Gestaltens. Denkbar ist zudem, dass Weills (behauptete) „Flucht“ ins programmlos „Absolute“ vielleicht so glaubwürdig nicht ist, da das Klangbild des Werkes, die Breite und Intensität seiner emotionalen Angebote Einflüsse des ihn durch Emigration unmittelbar berührenden Zeitgeschehens um 1933/34 gut denkbar erscheinen lassen...

„Es ist ein gutes Stück und klingt ausgezeichnet“ - so Weill nach der Amsterdamer Uraufführung durch Bruno Walter und das Concertgebouw-Orchester am 11. Oktober 1934.

Dem ist auch heute noch unbedingt zuzustimmen. Denn GMD Csizmadia und das Philharmonische Orchester Vorpommern ließen das knapp halbstündige dreisätzige Werk als in mehrfacher Hinsicht eindrucksvoll komponiert und nun auch musiziert erscheinen. Kein romantischer Wohlklang, aber nicht minder attraktive klangliche Transparenz; Profilierung einer auf der Klassik basierenden inneren wie äußeren Form mit Sonatensatz und bemerkenswerter motivisch-thematischer Arbeit , andererseits dezidierte Betonung aller hier schon deutlichen, später weitaus ausgeprägteren individuellen, ja „modernen“ Züge samt instrumentatorischer wie harmonischer Überraschungen; vom stete Aufmerksamkeit fordernden Reichtum an schon mal durchrüttelnden Kontrasten jeglicher Art ganz zu schweigen.

Eindrucksvoll auch die Präsentation einer sehr speziellen melodischen Intensität zwischen liedhafter Schlichtheit, ausdrucksvollem Adagio-Schwelgen (2. Satz!!), flotter Allegro-Motorik und Ausflügen ins leicht Songhafte. Geradezu prickelnd aber auch die handfest schmetternden und aufregend scharf rhythmisierten Bläserpartien (Blech!). Vordergründig gefällig ist das Ganze nicht. Und wer das Werk interpretieren will, muss sich dazu einiges einfallen lassen. Der Komponist hat diesbezüglich an  entsprechenden Anforderungen nicht gespart!

Umso schöner deshalb, dass dem GMD  und seinem Orchester alle notwendigen Gestaltungsmittel   für eine beeindruckende Umsetzung nicht alltäglicher Ansprüche zur Verfügung standen. Das betraf den schon ein wenig akademisch klassisch gebauten und insgesamt sehr munteren 1. Satz (Sostenuto – Allegro molto) ebenso wie das flotte, sehr bewegte und musikantisch schon mal überbordende Finale (Allegro vivace – Presto); besonders aber den eher gedämpft daherkommenden, fast ungewohnt klangintensiv und bedächtig-stockend (Trauermarsch?!) gestalteten Mittelsatz (Largo).

Sicher ist, dass mit der Darbietung gerade dieser Sinfonie eine Kenntnislücke geschlossen werden konnte. Wenn von der Gattung Sinfonie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert die Rede ist, dann sollte man dieses Werk sowie die 1. Sinfonie (1921) mit im Blickfeld haben; auch und gerade weil sie hinsichtlich Erscheinungszeit und stilistischem Standort zu den Raritäten zählen. 

Raritäten gab es am Greifswalder Konzertabend dann auch noch. Denn wann schon hatte man Gelegenheit, einen differenzierteren Blick auf das Weillsche Schaffen zu werfen, das ja zu großen Teilen  nicht in Deutschland, sondern in Frankreich und dann vor allem in den USA entstand. GMD Csizmadia hatte diesen Teil chronologisch geordnet, was die Möglichkeit bot, den kompositorisch interessanten Weg des Musiktheaterkomponisten Weill detaillierter zu verfolgen. Der führte mit dem für Berlins Stadtwerke geschriebenen (instrumentalen) Song „Berlin im Licht“ (1928), mit vier Songs aus der unglaublich erfolgreichen „Dreigroschenoper“ (1928) und dem „Surabaya Johnny“-Song aus „Happy End“ (1929) als dem Schaffensbeginn in Deutschland über Paris mit den Chansons „Je ne taime pas“ (1934)  und Youkali“ (1935)  in die USA. Die dort zu verortenden Beiträge stammten aus „Lady in the Dark“ (1941), „One Touch of Venus“ (1943), „Street Scene“ (1947), „Love Life“ (1948) und „Lost in the Stars“ (1949).   Sehr erstaunlich etwa Weills Vermögen, stilistisch verschiedene Ausdrucksformen zu nutzen und sich dabei unterschiedlichsten Genres und entsprechenden Texten mit subtil differenzierter Gestaltungskraft zu bedienen. Das reichte dann eben – um die große Linie zu skizzieren – vom kühnen Versuch, eine hochinteressante, neue Art (epischer!) Oper (Brecht!) zu begründen bis hin zu diversen Formen anspruchsvoll unterhaltsamer Broadway-Produktionen; diese zum Beispiel als „Stück mit Musik“, „Komödie“, „Musical Play“, „Musikalische Komödie“, „Broadway-Oper“, „Musical tragedy“  oder „Vaudeville“. Inbegriffen diverse Einzelkompositionen, etwa französische Chansons und amerikanische Songs. Stilistisch bleibt sich Weill vom Dreigroschenoper-Song bis zur letzten amerikanischen Bühnenproduktion treu. Dies erkennbar als so individuell wie großartig,so variabel wie intuitiv passend Song- und Jazz-Stile für das Musiktheater nutzender Komponist.

Antje Bornemeier copyright Peter van Heesen

Was für ein Vergnügen, dieser Musik im Konzertsaal zu begegnen. Und das mit zwei großartigen Sängerinnen. Beide, Antje Bornemeier und Brigitte Oelke, waren geradezu prädestiniert, den Weillschen Intentionen und musikalischen Spezifika die rechte Form musikalischen Ausdrucks zu verleihen. Erstere mit großer, klarer, voluminöser und sehr wandlungsfähiger Stimme, unverkennbar an großer Oper geschult und fähig, jeden Winkel sängerisch möglichen Ausdrucks fesselnd zu „formulieren“, Letztere, hörbar anders geschult, brillierte mit einem Songstil, der in seiner Lockerheit, verführerischen Eleganz und Laszivität geradewegs vom Broadway zu kommen schien. Beide faszinierten mit höchstmöglicher variabler und sehr spezifisch gefärbter Tongebung, vom Umgang mit ebenso spezifisch  geprägter sprachlicher Artikulation ganz zu schweigen. Für Verständnis und Wirkung war es nicht unwichtig, dass im Programmheft (Einlage) sämtliche Texte zweisprachig zur Verfügung standen!

Brigitte Oelke copyright Dania Frönd

Garant für den überaus erfolgreichen Abend aber blieb eine Orchesterleistung, wie man sie sich für dieses spezielle Programm nur wünschen konnte. Vorpommerns Philharmoniker hatten sich mächtig ins Zeug gelegt und für ein stimmungsvolles, musikantisch begeisterndes und dynmisch doch recht sensibel angegangenes Klangbild gesorgt. Man hielt das Publikum in Spannung, verprellte es nicht mit zu viel Lärm und sorgte mit melodisch-rhythmisch fein austarierter gestalterischer Feinarbeit für nicht nachlassende Aufmerksamkeit. Zwischendurch eine Überraschung, als die Konzertmeisterin ihre Violine kurzzeitig abgab und so professionell wie sportlich elegant einen fetzigen Stepptanz aufs Parkett legte. Und als sei es des zusätzlich Unterhaltsamen nicht genug: Auch der kurzzeitige Ausfall eines Tabletts kann  zu ungeahnt phantasievoller Blüte brillanter Improvisationskunst werden; Sonderbeifall für Antje Bornemeier! Und last not least sei es gern wiederholt: Sehr überzeugend ein Generalmusikdirektor, der als Dirigent, Bearbeiter, Pianist und charmanter Moderator für nachhaltige Eindrücke eines nicht alltäglichen Abends sorgte.

Read more

Chemnitz, Opernhaus, Der Bajazzo - R. Leoncavallo, IOCO

Chemnitz, Opernhaus, Der Bajazzo - R. Leoncavallo, IOCO

15. November 2025 Leoncavallos Bajazzo im amerikanischen Mittelwesten; Opernensemble Chemnitz kreiert eine hoffnungsvolle Repertoirebereicherung für ein junges Publikum Wir wissen nicht, ob dem dreiunddreißig-jährigen Ruggero Leoncavallo (1857-1919) bewusst gewesen war, dass er mit seiner Oper Pacliacci eine der seltenen umfassenden Erklärungen der Weltenläufte geschaffen hatte. Denn mit seinem Postulat, dass

By Thomas Thielemann