Dresden, Semperoper, Staatskapelle, 2. Saison-Symphoniekonzert, IOCO

12. Oktober 2025
Finnegan Downie Dear dirigierte- Der Cellist Gautier Capuçon stellte sich als Capell-Virtuos vor
Fast 30 Jahre hat Joseph Haydn (1732-1809) seit dem Jahre 1761 zunächst als Vizekapellmeister, und später als Kapellmeister der Familie Esterházy gedient. Für seine Tätigkeit im abgelegenen Schloss Fertöd der Esterházy, sowie in ihrem Familiensitz im ungarischen Eisenstadt und dem Winterpalais in Wien stand ihm ein privates Orchester zur Verfügung, mit dem er nahezu unbegrenzte Möglichkeiten zum Experimentieren hatte. Abgeschieden von den musikalischen Trends schuf er Symphonien, Kammermusikwerke, Oratorien sowie Opern und entwickelte dabei seinen unverkennbaren Stil.
Die Symphonie Nr. 44 e-Moll war um 1771 entstanden und beinhaltet die wichtigsten Merkmale der explorativen Entwicklung Haydns im Zeitbereich zwischen 1768 bis 1774. Der insgesamt eigenwillige, leidenschaftliche und spannungsreiche Charakter dieser Symphonie, ihre starke Dynamik vom Pianissimo bis zum Fortissimo im ersten Satz, die zahlreichen Synkopen, die reichen Akzente und ihre Chromatik lässt auf Haydns Sturm-und-Drang-Periode schließen.
Auf dem Podium der Semperoper hatte eine machtvolle Streicherformation von Musikern der Sächsischen Staatskapelle, Platz gefunden, die von sechs Bläsern unterstützt wurde. Die Hofkapelle derer von Esterházy dürfte zur Entstehungszeit des Werkes deutlich kleiner gewesen sein. Auch fanden sich anstelle von Pauken und Trompeten neben der Streicher-Besetzung nur zwei Hörner und zwei Oboen.
Der noch junge britische Dirigent Finnegan Downie Dear präsentierte den Allegro-con-brio-Satz mit hoher Konzentration, schlank im Ton und ohne Vibrato. Das von der Satzbetitelung geforderte Feuer loderte nach der inspirierenden Farbigkeit der Eingangstakte mit den herrlichen Läufen und Übergaben in den Streichergruppen temperamentvoll, was aber das vorbildliche Bemühen um die feineren Nuancen nicht ausschloss. Wie sorgfältig er sein Dirigat vorbereitet hatte, war zu erkennen, als mit einem Fortissimo in der Wiederholung des Themas ein Höhepunkt des gesamten Werkes gesetzt wurde.
Theatralisch zupackend und scharf dirigierte Dear das Menuett, verdeutlichte aber gleichzeitig die warmen Kontraste des Trios.
Das Adagio, das Haydn angeblich zu seinem Requiem erkoren hatte, gefiel mit seinem in breiten Bögen schreitendem Tempo, ohne mit emotionalem Ausdruck in Banalität zu versinken.
Das rasant vorgetragene Presto des Finalsatzes übertraf an Heftigkeit den Allegro-Kopfsatz. Auch hier war jede Nuance berücksichtigt und es war eine Freude, den verschlungenen Stimmführungen des Seitenthemas zu folgen.
Weniger die Details des vermeintlich vertrauten Werkes, sondern die klaren transparenten Texturen, die eindringlichen Tempi in den äußeren Sätzen und vor allem das durchgehend zart nuancierte Spiel der Violinen machten Dears Interpretation zum Erlebnis.

Mit einem Kontrastbeitrag führte Finnegan Downie Dear die Zuhörer in den zweiten Teil des Konzerts:
Der englische Komponist Thomas Adès (*1971) hatte uns bereits im Oktober des Jahres 1923 auf der Studiobühne SEMPER Zwei mit seiner Oper Powder Her Face viel Freude bereitet. Im zweiten Konzertteil wollte uns nun Finnegan Downie Dear die Sicht des Thomas Adès auf das Inferno, wie es Dante Alighieri (1265-1336) seinem Begleiter Virgil (70 v.Chr.-19 v.Chr.) gezeigt hatte, zumindest andeuten. Wie unzählige weitere Kreative der verschiedensten Kunstformen hatte sich Adès um das Jahr 2019 mit einem dreiteiligen Ballett-Zyklus The Dante Projekt dem Sujet genähert. Mit dem Choreografen Wayne McGregor stellte Adès den Weg der Verstorbenen durch die Hölle nicht als religiöses Drama, sondern als künstlerisch-psychologischen Abstieg in die menschschlichen Abgründe dar. Jeder Kreis der Hölle war von grotesk über ironisch bis hin zu tragisch charakterisiert worden. Die virtuose dramatische Musik der im Jahre 2022 ausgekoppelten Suite konzentrierte eine extrem farbenreiche an Schostakowitsch erinnernde Orchestrierung. Mit stilistischen Anspielungen an frühere Versuche von Liszt, Verdi, Strawinsky vielen anderen, gefiltert durch die einzigartige Stimme Adès, waren sie oft von bissigem Humor durchzogen.
Die flüssige und phantasievolle Partitur Adès ermöglichte dem Dirigat Dears vom Beginn an des Lasset alle Hoffnungen fahren die Musik geradezu zum Unheil zu führen und einen Schrei und ein Knurren zugleich bieten. Der Vergleich zu Liszt Inferno-Suite des war zum Teil subtil, gelegentlich aber offenkundig.
Im zweiten Teil der Inferno-Suite ließ Dear die Seelen der Seligen in der Schwebe, unbeholfen und unterbrochen von Slapstick-Schlägen, dahinschlittern. Der lyrisch gleitende Rhythmus des Der Fährmann erzeugte durch seine rollende Struktur eine andere Art von Unbehagen und erinnerte eher an Rachmaninows Toteninsel. Mit aus einer gewissen Eleganz entwickelten Dissonanzen wurden die Sünder in Die Geschichte von den Päpsten, diese für ihre Bestechungen bestraft. Den grüblerischen Heuchlern war ein schwebendes Cello-Soli gewidmet.
Das nächste Stück war das gruseligste, als Satan in einem Eissee am Grund der Hölle samt knirschenden Dissonanzen stöhnte und mit böser Noblesse endete.
Doch nicht alles war erschreckend. Mit einem Zirkusgalopp, verfolgt von Schlagzeug, einer enthusiastischen Peitsche und den Blechbläsern wurden Die Diebe von Schlangen verschlungen. Eine Kadenz mit einer schönen Akkordfolge schloss die Suite, als Dante und Vergil einen flüchtigen Blick ins Fegefeuer warfen.
Finnegan Downie Dear fing den Rhythmus, die Dynamik und alle Farben der meisterhaften Orchestrierung der Partitur zielsicher ein. Die Soli und die Paarungen der Orchesterklänge verliehen der Interpretation zusätzliche Tiefe.

Nach der Konzertpause stellte sich der französische Cellist Gautier Capuçon dem Dresdner Publikum mit Antonin Dvořáks Violoncello Konzert h-Moll op. 104 als Capell Virtuos der Staatskapelle der Saison 2025/2026 vor.
Der Erste Bratschist des tschechisch geprägten Prager Interimstheaters, dem späteren Nationaltheater, Antonin Dvořák (1841-1904) versuchte sich neben der Theaterarbeit und einer Klavierlehrertätigkeit auch als Komponist. Nach zwei begrenzt gelungen Symphonien widmete er sich im Jahre 1865 auch auf eine Bitte seines Orchesterkollegen Ludevít Peer einem A-Dur- Konzert für Violoncello und Orchester. Peer hoffte sich mit einem ihm gewidmeten Konzert solistisch zu etablieren. Offenbar ging Peer die Arbeit des Dilettanten Dvořák nicht zügig genug voran, so dass er mit dem Autograph, einer Fassung für Cello und Klavier, aus Prag verschwand. Der verärgerte Dvořák hat sich offenbar um die Weiterführung einer Instrumentierung seiner Komposition nicht weiter gekümmert. Nachdem die Urschrift im Jahre 1925 wieder aufgefunden worden war, wurde dieser Fötus des ersten Cellokonzerts als Konzert A-Dur für Violoncello und Klavier B. 10 in Antonin Dvořáks Werkverzeichnis aufgenommen. Spätere Versuche einer Instrumentierung blieben ziemlich erfolglos.
Als gut dreißig Jahre später, die Anfangsprobleme Antonin Dvořáks von einem erfolgreichen Schaffenswerk längst überdeckt waren, lebte die Familie einige Jahre in den Vereinigten Staaten. Irgendwann hörte der Maestro ein lyrisches Cello-Konzert des in den USA erfolgreichen, aus Irland stammenden Operettenkomponisten Victor Herbert (1859-1924) und war erstaunt, dass das Violoncello nicht nur ein Stück Holz, das oben kreischt und unten brummt, sein konnte. Dvořák gab deshalb dem Drängen des ihm befreundeten Cellisten Hanuš Wihan (1855-1920) nach und begann, obwohl er eigentlich mit einer h-Moll-Symphonie seine Niagarafälle-Erlebnisse würdigen wollte, mit der Arbeit an einem Violoncello-Konzert. So entstand in der Zeit von 1894 bis 1895 eines der meist gespielten Cellokonzerte des Konzert-Repertoire und zudem eines der beliebtesten Werke Antonin Dvořáks.
Über drei Minuten musste Gautier Capuchon dem Dirigenten Finnegan Downie Dear Zeit lassen, damit dieser das lodernde Orchestervorspiel entwickeln konnte, ehe er seinem, im Jahre 1701 in der venezianischen Werkstatt von Matteo Goffriller (1659-1742) gebauten Instrument LʼAmbassadeur, das schlanke facettenreiche Klangbild entlocken durfte. Er betörte mit seiner wunderbaren Melodieführung, in der von der zum Sublimen abgetönten Zartheit bis zur entfesselten Klangsinnlichkeit alles zu hören war. Gautier Capuçon hatte sein vollendetes Cellospiel mit einem klaren intelligenten Blick auf die Komposition samt ihrer Hintergründe verbunden, so dass eine Interpretation, bei der jeder Ton und jede Phrase ein hohes Maß an Vollkommenheit atmete, zu Stande gekommen war. Dabei erwies er sich auch als sicherer Partner des Orchesters und ließ dem Dirigenten Finnegan Downie Dear stets ausreichend Raum für seine Auffassung der Komposition.