Dresden, Semperoper, 4. Symphoniekonzert der Staatskapelle Dresden, IOCO
14. Dezember 2025
Gern erinnern wir uns an die Musikalische Leitung des Vorabendkonzertes der internationalen Schostakowitsch Tage des Jahres 2025 der französischen Dirigentin Marie Jacquot, als sie uns mit Kurt Weills (1900-1950) zweiter Symphonie bekannt gemacht hatte. Den Musikern der Staatskapelle ist die energiegeladene Dirigentin bereits vertraut, seit sie bei der Europa-Tournee des Orchesters im Jahre 2023 die Leitung der Konzerte in Wien, Paris, Essen und Köln übernommen hatte. Nun hat sie kurzfristig die Leitung der Veranstaltungen des vierten Symphoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle übernommen, deren Matinee wir am 14. Dezember des Jahres 2025 erleben konnten.
Mit ihrem frischen und hochkonzentrierten Dirigat der Ouvertüre zur Oper Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck (1854-1921)eröffnete sie nicht nur das Konzert, sondern stimmte die Besucher auf die Vorstellung der Capell-Compositrice der Saison Unsuk Chin ein. Denn nur wenige Konzertfreunde des Matinee-Kreises dürften das Portrait-Konzert der aus Korea stammenden Komponistin im Festspielhaus Hellerau besucht haben. Ihre im Jahre 2020 entstandene Komposition Subito con forza war ihr Beitrag zu den Feierlichkeiten anlässlich des 250. Geburtstags Ludwig van Beethovens (1770-1827).. Folgerichtig begann die Sächsische Staatskapelle mit einem brillant gespielten Zitat aus der Egmont-Ouvertüre, dessen Klangschönheit fast unmittelbar durch flirrende Streichertremoli verzerrt wurde. Dem schlossen sich in einer raschen und spannenden Abfolge instrumentale Motive und orchestrale Klangblöcke an, bei denen vor allem das Klavier sowie ein enormes Aufgebot von Trommeln und Schlaginstrumenten herausragten. Außergewöhnliche Kontraste zwischen einem Vulkanausbruch ähnlichen Klängen und Phasen extremer Gelassenheit führten zu einer gedämpften Streichersektion. Diesen fünf Minuten pulsierenden Gespürs für eine farbenreiche Musik folgte die Tondichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche op. 28 von Richard Strauss.
Eigentlich wollte Richard Strauss (1864-1949) eine Oper Till Eulenspiegel bei den Schildbürgern schreiben. Er verfasste auch im Frühjahr des Jahres 1894 Teile des Librettos und skizierte die ersten musikalischen Motive. Als aber seiner Erstlingsoper Guntram mit der Uraufführung in Weimar sowie mit einem weiteren Aufführungsversuch in München kein Erfolg beschieden war, brach er die Arbeit ab. Im Herbst 1894 griff Strauss den Stoff wieder auf und verarbeitete seinen Text zum Programm einer Tondichtung Till Eulenspiegels Streiche; nach alter Schelmenweise in Rondeau Form, die für großes Orchester gesetzt, im November 1895 einen spontanen Erfolg brachte.
Marie Jacquot eröffnete ihr Dirigat ostentativ und mit beeindruckender Achtsamkeit. Bekannte Bilder zogen am Hörer vorbei: Till mit keifenden Marktweibern denen er Körbe umwirft und Töpfe zerbricht; Till der als Wanderprediger die Menschen an der Nase führt; Till, der sich vergeblich in ein Mädchen verliebt und ob deren Abweisung in Wut gerät; Till, der seinen Zorn an den Banausen der Wissenschaft abreagiert und am Ende, von der verspotteten Welt vor Gericht gestellt, zum Tod durch den Strangverurteilt auch gehängt wird.
Marie Jacquot band die instrumentalen Effekte der Tondichtung einfallsreich in den Orchesterkanon ein. Sie vermied, dass die Musik auf eine bloße Bebilderung der schlichten Handlungsfetzen begrenzt blieb, so dass eine durchaus moderne Erzähltechnik entstanden war. Das alles ließ sie vom Orchester fröhlich und burlesk ausmalen und zu einem optimistischen Nachspiel führen. Den Abwechslungsreichtum, die Präsenz und die Drastik des Geschehens gestalteten die Musiker der Staatskapelle bildhaft und entwickelten die thematisch variable, rhythmische, harmonische Musik auf das Eindrucksvollste.
Den Abschluss des Konzertes bildete die Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98 von Johannes Brahms. Hinlänglich bekannt ist, dass Brahms (1833-1897) sich mit seinen Symphonien vom Erbe Beethovens nie recht frei machen konnte. Deshalb stellte er erst im Alter von 43 Jahren seine erste Symphonie vor und veröffentlichte bereits im 52. Lebensjahr mit seiner vierten Symphonie seinen letzten Beitrag zu dieser Gattung.
Vor allem der erste Satz des anspruchsvollen Werkes verlangte von Marie Jacquot mit seinen großen , spannungserfüllten Bögen einen langen Atem. Trotz des großen Orchesterapparats spürte Frau Jacquot den kammermusikalischen Strukturen der Komposition auf subtile Weise nach und ließ dem Orchester ausreichend Zeit, die klanglichen Einzelheiten des Kopfsatzes auch zur Wirkung zu bringen. Mit faszinierender Detailarbeit gelang der Dirigentin, die duftige Kantabilität des Folgesatzes Andante moderato mit der notwendigen Gelassenheit herauszuarbeiten.
Was beim Dirigat des dritten Satzes der e-Moll-Symphonie im ersten Eindruck schroff wirkte, erwies sich als sorgfältig austariert. Denn von Brahms war der Satz ausdrücklich mit Allegro giocoso betitelt worden und die Staatskapelle kann auch allerfeinste Pianissimo bieten. Vor allem wenn diese kontrastierend mit gewaltigem Dröhnen wirkungsvolle Effekte ermöglichten.
Mit schlankem Klang und straffen Tempi durchleuchtete die Dirigentin den Weg bis zur finalen Passacaglia, deren Choralthemen feierlich, aber keinesfalls verklärend klangen.
Besonders für diese schlüssige Interpretation der vierten Brahms-Symphonie erhielten Marie Jacquot und die Staatskapellen-Musiker heftigen, zum Teil stehenden Beifall der Konzertbesucher.