Dresden, Semper Zwei, DER 35. MAI - Erich Kästner

Im Ranking der Veröffentlichungen des Dresdner Schriftstellers Erich Kästner (1899-1974) nimmt sein 1931 veröffentlichtes „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee“ keinen der vorderen Plätze ein.

Dresden, Semper Zwei, DER 35. MAI - Erich Kästner
SEMPER ZWEI - Dresden - Foto Jochen Quast

Gegenwartskunde für Groß und Klein

von Thomas Thielemann

Im Ranking der Veröffentlichungen des Dresdner Schriftstellers Erich Kästner (1899-1974) nimmt sein 1931 veröffentlichtes „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee“ keinen der vorderen Plätze ein. Auch im Kreise meiner Geschwister wurden von den von unseren Eltern über die zwölfjährige Kulturbarbarei geretteten Kinderbüchern vor allem „Emil und die Detektive“ sowie „Pünktchen und Anton“ mit ihren geradlinigen Handlungssträngen dem phantasievollen 35. Mai vorgezogen.

Erich Kästner Gedenktafel in Berlin c Wikimedia Commons

Vor allem Kästners Schwärmereien über das Schlaraffenland waren von unserer Lebenswirklichkeiten der Nachkriegsjahre unverständlich weit entfernt. Die Utopien des Schriftstellers in der automatischen Stadt „Elektropolis“ überanstrengten unsere kindlichen Vorstellungsmöglichkeiten. Die antimilitaristischen Aspekte, das Hintergründige im Geschichtsunterricht der Burg „Zur großen Vergangenheit“ verstanden wir noch nicht. Die Anklänge an die Menschenfresser in der Südsee, die in der 1982er Auflage nur noch im Aufsatz auftauchten, weckten bei uns sogar Assoziationen zu jenen Ausstellungen über die Verbrechen der Menschlichkeit, die wir als Schulkinder besuchen mussten. Denn diese, nach heutigen Vorstellungen für Zehnjährige unmögliche Berührungen mit in den Konzentrationslagern gefertigte Präparate, wie Schrumpfköpfe, mit menschlicher Haut bespannte Lampenschirme sowie andere Scheußlichkeiten, hatten uns ohnehin überfordert.

Da lasen wir lieber Kästners Visionen, dass die Welt von der Wirkung und der Kraft der Kinder zu einem besseren geführt werden sollte. Denn selbst als Kinder spürten wir, dass Erich Kästners Hoffnungen auf diese Generation gesetzt war und er zu Mut, Freundschaften, Ehrlichkeit sowie Gerechtigkeit mit seinen Büchern positive Gedanken vermitteln wollte.

Als ich fast achtzig Jahren später, bei den Vorbereitung unseres Premieren-Besuches am 15. Dezember 2023, eine Nachkriegsauflage des 35. Mai zur Hand nahm, das Atrium-Verlags-Exemplar meiner Kindheit von 1932 war 2013 ein Opfer der Elbeflut geworden, musste ich allerdings konstatieren, dass Erich Kästner ein sozialkritisches Erwachsenenbuch für Kinder auf den Büchermarkt gebracht hatte.

35. Mai - Semper Zwei - Dresden hier Oleh Lebedyev, Carl Becker c Markenfotografie

Bei der Beschäftigung mit der Entstehung des Werkes findet man, dass Kästner bereits 1928, also lange vor „Emil und die Detektive“ und „Pünktchen und Anton“ mit der Arbeit am „35. Mai“ begonnen hatte. Er wollte ein Buch aus einer Mischung sprühender Phantasie und reeller Sozialkritik schreiben, dass im Stil geistreicher Erzählung sowohl die Kinder, als auch deren Eltern ansprechen sollte. Seine Freunde, denen er die Entwürfe zu lesen gab, rieten aber, er solle etwas Handfestes schreiben, was jeder kenne und auch verstehe. So erschien 1929 zunächst der Erfolgs-Kinderroman Emil und die Detektive.