Dresden, Kulturpalast, Sinfoniekonzert Dresdner Philharmonie - Sanderling und Hadelich - IOCO

Dresden, Kulturpalast, Sinfoniekonzert Dresdner Philharmonie - Sanderling und Hadelich - IOCO
Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling (c) Oliver Killig

13. Juni 2025

Ein kluges Programm von beklemmender Aktualität!

 

Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch verbindet nach einer ersten Begegnung 1960 in London, einem späteren Treffen in Aldeborough eine lebenslange, anregende Beziehung. So ahnt man in den Orchesterzwischenspielen des zweiten und dritten Satzes des Britten-Konzerts den Einfluss von Schostakowitsch, andrerseits orientiert sich dieser in der Struktur seines ersten Violinkonzerts an Britten. Benjamin Britten ist es, der 1970 die ihm gewidmete vierzehnte Sinfonie von Schostakowitsch als Erster außerhalb der Sowjetunion aufführt.

Beide gehen in Kenntnis der zeitgenössischen Kompositionsschulen ihren eigenen künstlerischen Weg, beide gehören zu den bedeutendsten Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts.

 

Benjamin Britten (1913-1976), am 22. November 1913 in Lowestoft, Suffolk, geboren, erhält bereits im Alter von fünf Jahren Klavierunterricht, mit acht Jahren schreibt er seine ersten Kompositionen. Noch während der Schulzeit wird er von Frank Bridge im Klavier- und Bratschenspiel unterrichtet. 1930 bis 1933 studiert Britten am Royal College of Music. Persönlich und künstlerisch wird für ihn die Bekanntschaft mit dem Dichter W. H. Auden wichtig. Einige seiner Texte werden von Britten vertont. Seinem späteren Lebensgefährten, dem Tenor Peter Pears, begegnet Britten 1937. Er begleitet ihn am Klavier bei dessen Liederabenden, viele Tenorpartien seiner Werke sind für ihn geschrieben. Bei den Weltmusiktagen der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Barcelona im Frühjahr 1936 kommt Brittens Suite für Violine und Klavier op. 6 mit dem spanischen Geiger Antonio Brosa zur Uraufführung. Wenig später bricht der Bürgerkrieg in Spanien aus - ein Schock für Britten und seine Freunde. Die im März 1939 komponierte Ballad of Heroes op. 14 widmet er den britischen Gefallenen der Internationalen Brigaden. In Vorahnung des Weltkriegs gehen Britten und Pears nach Kanada. Während der Schiffsüberfahrt beginnt Britten mit der Arbeit an seinem Violinkonzert - eine Reaktion auf den Angriff der faschistischen Franco-Putschisten auf die Spanische Republik. In Kanada vollendet, kommt das seinem früheren Lehrer am Konservatorium Henry Boys gewidmete, dreisätzige Werk im März 1940 in der New Yorker Carnegie-Hall unter Sir John Barbirolli und dem von Britten „als Gott der Fiedel“ geschätzten Antonio Brosa zur Uraufführung. Brosa, der in die USA einreisen will, wird zunächst als gefährlicher Ausländer von der Einreisebehörde festgesetzt, ehe er dann die Premiere spielen kann. 1942 kehren Pears und Britten nach Großbritannien zurück, ihnen wird eine allgemeine Kriegsdienstverweigerung zugestanden. Nach dem Ende des Krieges machen Britten seine Oper Peter Grimes und das ambitionierte, tief bewegende War-Requiem weltbekannt. Er ist ein Liedbegleiter und Dirigent von hohem Rang. Das von ihm schon 1945 gegründete namhafte Aldebourgh- Festival gibt es noch heute. So nebenbei: Als politisch denkenden und handelnden Bürger - er unterstützt das Movement for Colonial Freedom - überwacht ihn zeitweise der britische Geheimdienst MI 5.

Musikpreise und Ehrenmitgliedschaften von Kunstakademien der USA, Belgiens und Deutschlands würdigen Brittens Schaffen. Im Juli 1976 in den britischen Adelsstand erhoben, wird er zum Mitglied des House of Lords. Wenige Monate später, am 4. Dezember 1976, stirbt Benjamin Britten, gerühmt als Orpheus Britannicus, als Purcell des 20. Jahrhunderts.  

Dresdner Philharmonie, Antonin Hadelich, Michael Sanderling (c) Oliver Killig

Das Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 15, hält Britten selbst „für fraglos mein bestes Stück. Es ist ziemlich ernst, fürchte ich, aber es gibt durchaus einige Melodien!“. Nach der ersten Revision schreibt er an Albert Goldberg: „Es gibt keine strukturelle Veränderung in der Arbeit, eine Kürzung hier und ein Umschreiben dort ist alles, was ich gemacht habe. Es gibt überhaupt kein neues Material, obwohl die komplette Neufassung einer Violinpassage im letzten Satz eine Neuentwicklung von bestehendem Material ist. Die Kadenz wird gekürzt und ein eher peinlicher Akkord für Orchester in der Mitte entfernt. Ich hoffe, was ich getan habe, ist, das Werk so zu belassen, wie es gewesen wäre, wenn ich es 1939 mit meiner jetzigen Erfahrung hätte schreiben können“.

Der erste Satz des Konzerts beginnt mit einem Quartauftakt der Pauken, der, zunächst vom Fagott aufgenommen, sich dann durch das ganze Werk zieht. Eine lyrische Klage der Solovioline wird immer wieder von aggressiven, kriegerischen Nebenthemen des Orchesters unterbrochen. Wild und ungestüm ist der zweite Satz, eine Art Totentanz, höchst virtuos die beiden Piccoloflöten. Eine großartige Solokadenz führt unmittelbar ins Finale. Die Posaunen stellen das choralartige Bassthema einer Passacaglia in der Tradition von Purcell und Bach vor. Die Hoffnung auf ein versöhnliches Ende durch ein angedeutetes D-Dur im Orchester erweist sich als trügerisch, das Satzende bleibt harmonisch unklar. Das im Verlauf immer wieder erscheinende Quartmotiv des Anfangs erinnert zweifellos an den Beginn des Beethoven-Violinkonzerts, oft sind aber auch versteckte Reminiszenzen an Spanien zu entdecken, man ahnt das kommende Unheil des Weltkriegs. Das Konzert ist wegen seiner technischen Schwierigkeiten gefürchtet. Der berühmte Jascha Heifetz erklärt das Werk für unspielbar. Auch heute meiden viele Solisten aus gutem Grund das Konzert. Mit Antonin Hadelich, seit 2004 in New York lebend, dem aktuellen Artist in Residence, hat das Orchester einen Solisten, der dieses Konzert meisterhaft beherrscht. Hadelich selbst spricht von einer emotionalen Reise des Interpreten. Das Konzert ist für ihn eine Komposition großer tiefer Empfindungen, von Verzweiflung und Ruhelosigkeit aber auch von Hoffnung geprägt. Hadelich ist heute bei allen bedeutenden Orchestern der Welt ein begehrter Gast. Sein persönlicher Ausdruck, seine hochvirtuose, blitzsaubere Technik und nicht zuletzt der wunderbare Klang seines Instruments, einer Guarneri del Gesù, die schon der verehrte Henryk Szeryng spielte, begeistern das Publikum. Nach einem langen Moment ergriffener Stille werden Hadelich, Dirigent und Orchester mit Bravorufen und enthusiastischem Beifall gefeiert. Eine wunderbar gespielte, in sich ruhende Bach-Zugabe des Solisten beschließt den ersten Teil des Konzerts.

Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 8 c-Moll op. 65 in der zweiten Konzerthälfte. Wie die Siebte, die Leningrader, ist auch die Achte im Zweiten Weltkrieg entstanden. 1943, als sich in der blutigen Schlacht um Stalingrad das Blatt des Krieges wendet, die Rote Armee die deutschen Truppen zum Rückzug zwingt, komponiert Schostakowitsch seine achte Sinfonie. Sie wird noch im November desselben Jahres unter Jewgeni Mrawinski in Moskau uraufgeführt, ein melancholisch nachdenkliches Werk, das geprägt ist von Qualen, aber auch vom Kampf und Siegeswillen der russischen Menschen im schrecklichen Blutvergießen an der Wolga. Immer wieder bricht in die stillen Phasen der Komposition verstörender Kriegslärm. „In diesem Werk versuche ich, die Erlebnisse des Volkes auszudrücken und die furchtbare Tragödie des Krieges wiederzugeben“. Das sagt der Komponist über seine Achte, die er selbst hoch einschätzt. Nach dem ausgedehnten, ruhigen, expressiven ersten Satz, der Trauer um die Millionen Toten und die Zerstörung des Landes, folgt der groteske zweite Satz, der den für Schostakowitsch typischen Hang zu bissiger Satire zeigt. Ihm folgt eine unerbittlich ablaufende Toccata, oft grell schreiend: der Krieg. Der nächste Satz, ein Largo, gestaltet als Passacaglia, führt wieder in die bedrückende Stimmung des Anfangs zurück. Ein Fagott-Solo leitet in den letzten Satz, das Finale über. Der Satz in C-Dur vereint noch einmal viele der vorausgegangenen Motive und Stimmungen. Auf einen furiosen Schluss hofft man vergebens. Das Werk endet still und offen.

Immer ein wenig im Schatten der Leningrader stehend, erweist sich die achte Sinfonie im historischen Rückblick als ein kompositorisches Schwergewicht. Swjatoslaw Richter bezeichnete die Sinfonie als „das wichtigste Werk“ des Komponisten Schostakowitsch, als Zeitdokument und als Zeugnis seiner persönlichen Situation.

Nach erstem Klavierunterricht durch die Mutter, dem Besuch einer Musikschule wird er bereits im Alter von dreizehn Jahren Student für Klavier und Komposition am Konservatorium in Leningrad (St. Petersburg). Als Absolvent legt er 1925 seine erste Sinfonie vor, die sofort internationale Beachtung findet. Zwei Jahre später erhält er beim Chopin-Klavierwettbewerb ein Ehrendiplom. Einige Jahre ist er dann nur als Pianist tätig, er selbst zweifelt an seinen kompositorischen Fähigkeiten. Trotzdem gelingt Schostakowitsch mit der 1930 uraufgeführten Oper Die Nase ein großer Wurf. Die ersten Jahre nach Gründung der Sowjetunion lassen noch eine Breite der Aktivitäten in Malerei, Architektur wie auch Musik zu. Das soll sich bald ändern. Schostakowitschs Oper Lady Macbeth von Mzensk, 1934 mit großem Erfolg in Leningrad zum ersten Mal aufgeführt, wird 1936 in einem Artikel der Parteizeitung Prawda unter der Überschrift Chaos statt Musik als grob, primitiv und vulgär, als von der ausländischen Bourgeoisie geschätzt erklärt. Am 26. Januar 1936 besucht Stalin eine Aufführung der Lady Macbeth im Moskauer Bolschoi-Theater. Zwei Tage später erscheint der Prawda-Artikel. Der Komponistenverband verurteilt Schostakowitsch als Formalisten. Obwohl weitgehend auch im Ausland als Komponist gewürdigt, ist er jetzt ein Staatsfeind, der von nun an ständig unter Beobachtung steht, der in Angst leben muss vor dem Hass des Stalin-Regimes und in der Furcht, Opfer der Säuberungen zu werden. „Das Warten auf die Exekution ist eines der Themen, die mich mein Leben lang gemartert, viele Seiten meiner Musik sprechen davon“ (Dmitri Schostakowitsch). Trotz einer Professur am Leningrader Konservatorium, trotz der Auszeichnung mit dem Stalin-Preis 1941 wird Schostakowitsch 1948 wieder wegen Formalismus seiner Kompositionen beschimpft, was jetzt auch den Verlust aller Ämter nach sich zieht. Einer Rehabilitation ein Jahr später folgt eine erneute Auszeichnung mit dem Stalin-Preis. Obwohl nach dem Tod des Diktators der offizielle Druck wegfällt, Schostakowitsch zu bedeutenden Ämtern in der Kulturhierarchie aufsteigt, bleibt er bis an sein Lebensende am 9. August 1975 gezeichnet von der Vergangenheit. Trotz aller Drangsalierung fühlt er sich als Russe, der seiner Heimat in Loyalität verbunden bleibt.

Mario Bandi sagt 2015 im Deutschlandfunk: „Ein Genie, das gezwungen war, der Macht zu dienen und dabei die Gabe besaß, in seiner Musik die Wahrheit zu sagen. Einer Musik voller Tragik, Hass, Spott – voller unausgesprochener ausgesprochener Gedanken und Gefühle.“

Michael Sanderling (c) Oliver Killig

Michael Sanderling, von 2011 bis 2019 Chefdirigent der Dresdner Philharmoniker, heute Chef des Luzerner Sinfonieorchesters, ist zu recht immer wieder gern gesehener Gast in Dresden und bei einer Reihe namhafter Orchester weltweit. Aufmerksam und sensibel in der Begleitung des Solisten im Britten-Konzert, beweist er mit der Interpretation der Achten seine tiefe, innere Beziehung zum Schaffen von Dmitri Schostakowitsch. Auf große Bögen vertrauend, sorgfältig herausgearbeitete Details, die dynamische Skala voll ausnutzend, dabei den Musizierenden immer den nötigen Raum gebend, führt er das Orchester zu einer eindrucksvollen Leistung, Wunderbar homogen und makellos in der Intonation die Streicher in der Sinfonie, berückend schön die Soli der Bläser (Englischhorn!), des Violoncello und, und, und. Es war ein großer, berührender und nachdenklich stimmender Abend. Bravi!    

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Dresden, Kulturpalast, Musikfestspiele 2025, SIEGFRIED - R. Wagner, IOCO

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