Dresden, Kulturpalast, Dresdner Philharmonie und Dresdner Kreuzchor, IOCO

Dresden, Kulturpalast, Dresdner Philharmonie und Dresdner Kreuzchor, IOCO
Kreuzchor Philharmonie copyright Huy Nguyen Quang

16. Mai 2025

Konzert der Dresdner Philharmonie und des Dresdner Kreuzchors zum Gedenken des Endes des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) – Arvo Pärt (geb. 1935)

 

Die konzeptionelle Idee, die Musik von Wolfgang Amadeus Mozart mit Musik des fast 90-jährigen estnischen Komponisten Arvo Pärt, einem zutiefst religiösen Menschen, zu verschränken, ist für viele Hörer erst einmal  überraschend, erweist sich schließlich aber als Glücksfall. Die Musik beider korrespondiert auf bewegende Weise miteinander in der Klage um die Toten und in der Sehnsucht nach Menschlichkeit und Frieden. Heute, da wir uns fast schon wieder an Kriege in Europa, Nahost, Asien und Afrika gewöhnt haben, sind das Requiem und die Musik von Pärt von großer Wirkung. Es entsteht ein neues Ganzes, eine neue Sicht auf Leben und Tod.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791): Requiem d-Moll KV 626

Wenige Werke der Musikliteratur sind so umwoben von Mythen, Legenden und Gerüchten, um Gift und Mord wie das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart. Alexander Puschkin bedient sich dieser Fake News in seinem Drama Mozart und Salieri, das dann wiederum Nikolai Rimski-Korsakow als Vorlage für seine gleichnamige Oper nutzt. Nicht zuletzt liefern die Gerüchte den Stoff für Miloš Formans grandiosen Film Amadeus. Tatsache ist: Mozart schreibt sein Requiem im Auftrag des Grafen Franz von Walsegg, der bekanntermaßen vergebene Kompositionsaufträge als eigene Schöpfungen ausgibt. Mozart kommt diese Anfrage sehr recht, denn die Familie steckt wieder einmal in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Es lockt ein stattliches Honorar von 50 Dukaten. Die Hälfte im Voraus, die restliche Summe nach Übergabe der Partitur. Sofort nach Fertigstellung der im Herbst 1791 uraufgeführten Zauberflöte beginnt Mozart mit der Komposition des Requiems. Eine schwere Erkrankung am hitzigen Frieselfieber führt in der Nacht vom 4. zum 5. Dezember 1791 zum plötzlichen Tod Wolfgang Amadeus Mozarts. Das Requiem bleibt unvollendet. Nur für etwa zwei Drittel des Werkes liegen vollständige Niederschriften, Gesangsstimmen, ein bezifferter Continuobass oder kurze Skizzen einiger wichtiger Orchesterpartien von Mozarts Hand vor. Das Lacrimosa bricht nach acht Takten ab. Wahrscheinlich sollte das 1960 in der Berliner Staatsbibliothek gefundene Manuskript einer Amen-Fuge diesen Teil beenden. Sanctus, Benedictus, Agnus Dei und Communio fehlen völlig. Die Witwe Constanze ist verständlicherweise sehr daran interessiert, den Fertigungsstand des Requiems zu vertuschen. Sie beauftragt Mozarts Freund Joseph Eybler, einen Schüler Albrechtsbergers und Haydns, mit der Vervollständigung der Komposition. Er ergänzt die Ausführung vom Dies irae bis zum Lacrimosa anhand der originalen Vorlagen und schreibt seine Zusätze direkt in das Autograph. Weitere Arbeiten an der Partitur lehnt er ab. Constanze beauftragt dann Franz Xaver Süßmayr, einen Schüler Mozarts, mit der endgültigen Fertigstellung des Werkes. Dazu muss man wissen, dass Schüler damals darin geübt waren, die Arbeiten ihrer Lehrmeister auf der Grundlage unterschiedlicher Vorlagen, Skizzen und Notizen zum Abschluss zu bringen. Süßmayr vervollständigt die Instrumentierung von Sequenz und Offertorium und das nicht weiter ausgeführte Lacrimosa, komponiert Sanctus, Benedictus, und Agnus Dei hinzu und beendet die Communio durch die originale Eröffnung des Requiems, unterlegt mit dem Text des Lux aeterna. Er schreibt eine neue Partitur, versehen mit der Jahreszahl 1792 und der gefälschten Signatur Mozarts, die dem Grafen von Walsegg übergeben wird. Wahrscheinlich fertigt Constanze vor der Übergabe Kopien an. Bei der Totenfeier am 10. Dezember 1791 werden die ersten beiden Teile des Requiems gespielt. Am 2. Januar 1793 wird das vollständige Requiem als Komposition von Wolfgang Amadeus Mozart anlässlich eines Benefizkonzertes für Constanze und ihre Kinder in Wien uraufgeführt. Das tangiert natürlich den Grafen von Walsegg, der das Werk, von ihm selbst geleitet, 1793 und 1794 als eigene Komposition präsentiert. Erst ein juristischer Vergleich kann den Streit um die Urheberschaft zu Mozarts Gunsten beenden.

Das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart gilt als ein Höhepunkt der Wiener Klassik, als das vollendet – unvollendet hinterlassene Werk eines Genies.

Kreuzchor Philharmonie copyright Huy Nguyen Quang

Arvo Pärt (geb. 1935 im estnischen Paide) gilt als eine der wichtigsten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musik. Bereits im Alter von sieben Jahren erhält er ersten Musikunterricht, beschäftigt sich schon als Vierzehnjähriger mit dem Komponieren, arbeitet von 1954 bis 1967 als Tonmeister beim estnischen Rundfunk und studiert daneben bis 1963 Komposition am Konservatorium Tallinn bei Veljo Tormis und Heino Ellert. Während die frühen Werke noch stark von Prokofjew und Schostakowitsch beeinflusst sind, beginnt Pärt bald, mit seriellen Techniken zu experimentieren. Neoklassizistische Muster werden mit melodisch geführter Zwölftontechnik, Clusterbildungen, Aleatorik und polyphoner Stimmführung vereint. Nekrolog (1960), die ersten beiden Sinfonien (1964 und 1966), die in Collage-Technik geschaffene Collage über B-A-C-H und Credo (1968) erregen gleichzeitig internationale Aufmerksamkeit als auch den Unmut der sowjetischen Kulturbehörden wegen der nicht systemkonformen Kompositionsweise und ihres religiösen Inhalts. Dazu kommt für Pärt das Gefühl, nur mehr bereits Komponiertes zu zitieren. Er sucht nach neuen Wegen, studiert die mittelalterliche Musik, Gregorianik und Renaissancemusik. Ab 1976 schreibt er in dem von ihm entwickelten und so genannten Tintinnabuli-Stil. Ein Schlüsselwerk wird Tabula rasa, ein Concerto grosso für zwei Violinen, Streichorchester und präpariertes Klavier von 1977. Der Stil zeichnet sich aus durch eine radikale Reduktion der musikalischen Mittel, durch „eine Flucht in die freiwillige Armut“ (Arvo Pärt). Die Basis ist eine scheinbar tonale Grundhaltung, die sich aus gebrochenen Dreiklängen aufbaut - Tintinnabulum (lat.) = Göckchen, Schellen – und eine melodische Linie, gestützt durch einen Bordounbass. So schafft Pärt eine meditative Wirkung und Spiritualität in seiner Musik – wunderbare, bisher ungehörte Klänge, eine dichte Klangwelt - die den Hörer ungewollt in ihren Bann zieht und ein breites Publikum erreicht. Die Kompositionen sind durch tiefe Religiosität geprägt. Zunehmende Behinderungen durch die sowjetischen Behörden, Bedrängnis und Einschränkung seiner persönlichen Freiheit zwingen Pärt und seine Familie in die Emigration. 1980 geht er über Wien für viele Jahre nach Berlin. Seit 2010 lebt Arvo Pärt wieder in seiner, jetzt unabhängigen, freien Heimat.   

Fratres für Streichorchester und Schlagzeug (1991) ist eine dreistimmige Komposition in freier Besetzung, eine hypnotisierende Musik über ein sechstaktiges Thema. Rastlose Augenblicke wie Momente schlichter Schönheit  ringen miteinander: „dass der Augenblick und die Ewigkeit in uns kämpfen“ (Arvo Pärt).

De profundis für Männerchor und Kammerorchester (2008), eine vierstimmige Choralkomposition des Psalms 130. Die Komposition entstand unmittelbar nach seiner Flucht und ist Ausdruck tiefer Verzweiflung und geprägt durch eine Atmosphäre leidenschaftlicher Anbetung und Ehrfurcht. Das Werk ist dem Komponisten Gottfried von Einem gewidmet.

Peace upon You Jerusalem für Chor a-cappella (2002), Aarne Saluveer und dem ETV Girls Choir gewidmet, ist einer der fünfzehn Himmelfahrtspsalmen, der die Freude und Dankbarkeit der Pilger ausdrückt, die die Heilige Stadt erreichen. Das vierstimmige Chorstück ist nicht in der Tintinnabuli-Technik komponiert, es ist sehr textzentriert geschrieben. Jedes Verspaar im Psalm bekommt durch individuelle Details eine eigene Farbe und Stimmung.

Cantus in Memory of Benjamin Britten für Orchester (1977), ein Requiem auf den im Dezember 1976 verstorbenen, von Pärt sehr verehrten Komponisten, ist ein frühes Beispiel für den neuen Kompositionsstil. Arvo Pärt beschrieb die Werke Benjamin Brittens als jene „ungewöhnliche Reinheit“, die er selbst als Komponist suchte.

Kreuzchor Philharmonie copyright Huy Nguyen Quang

Da Pacem Domine für Chor und Streichorchester (2006), 2004 geschrieben für  vier Stimmen als Auftragskomposition für Jordie Savall  anlässlich eines  Friedenskonzertes in Barcelona, bekam das Werk durch die schrecklichen terroristischen Zuganschläge von Madrid ein besonderes Gewicht. Es wird jährlich am Jahrestag zum Gedenken der Opfer in Spanien aufgeführt. Auch von dieser Komposition gibt es später mehrere Versionen für unterschiedliche Besetzungen.

Dieses Werk beschließt einen tief bewegenden, die Seele anrührenden Abend. Die leuchtenden Stimmen des Kreuzchors, das ausgewogen abgestimmte, ausgezeichnete Solistenquartett und die Dresdner Philharmonie unter der Leitung des Kreuzkantors Martin Lehmann sorgen für ein außergewöhnliches,  Musizieren, wunderbare klangliche Differenzierung, sorgfältige Phrasierung in den Stimmen und, wenn nötig, für die erforderlichen kraftvollen Akzente. Er wird dabei sensibel und aufmerksam von den Musikern der Dresdner Philharmonie und ihrem Konzertmeister Wolfgang Hentrich unterstützt. Besonders hervorzuheben ist die Posaunengruppe, makellos das Solo im Tuba mirum! Großartig gelang dem Männerchor das De profundis. Das abschließende Da Pacem Domine sorgt für einen langen Moment ergriffener Stille. Begeisterter Applaus belohnt die Sänger und Musiker.

Verdient frenetischer Jubel für den Dresdner Kreuzchor!

 

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Hamburg, Elbphilharmonie, "Kintsugi" + "Silentium", Leon Gurvitch Ensemble / Hamburger Kammerballett, 16. Mai 2025

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By Wolfgang Schmitt