Dresden, Kulturpalast, Carmina Burana - C. Orff, IOCO

Dresden, Kulturpalast, Carmina Burana - C. Orff, IOCO
Philharmonie Leipzig, Chöre der Oper Halle,Singphonique Dresden, Philharmonische Kinderchor Dresden © Oscar Schlechter

 

3. Dezember 2025 

Zwischen Schicksal und Sinnenlust

Philharmonie Leipzig, Chöre der Oper Halle, Singphonique Dresden, Philharmonischer Kinderchor Dresden und Ensemble gestalten mitreißendes Konzerterlebnis

Als im Jahre 1803 in einem Säkularisierungsprozess die Bibliothek des Klosters Benediktbeuren dem Zugriff der katholischen Kirche entzogen wurde, entnahm der für die Überführung des Bücherbestandes nach München verantwortliche Baron von Aretin (1769-1822) eine Handschrift und fügte sie seiner privaten Sammlung zu. Die auf Pergament geschriebene Anthologie enthielt 254 Lied- und Dramentexte, die in den 11. bis zum 13. Jahrhundert von meist anonymen Dichtern geschaffen worden waren. Vor allem grenzten sich diese Vaganten-Lieder vom höfig-ritterlichen Konzept der Minne, welches die Liebe zwischen den Geschlechtern zu einem gesteigerten Wert sublimierte, ab. Diese zum Teil drastischen Texte thematisierten unverhohlen die Sexualität zum Lebenssinn, als schlicht notwendig. Die von lediglich zwei Schreibern erstellten Schriften lassen vermuten, dass ein weltoffener Bischof um das Jahr 1350 den Auftrag erteilt hatte, diese sogenannten Vagantenlieder für die Nachwelt zu erfassen. So sind uns Liebeslieder, Trinklieder und Spottlieder sowie zwei geistliche Theaterstücke in lateinischer Sprache, in vierzig Fällen sogar mit ihren Originalmelodien, erhalten geblieben. In welchem Kloster die beiden Schreiber-Mönche arbeiteten und wie die Sammlung in das Kloster Benediktbeuren gelangte, wird wohl unklar bleiben. Der Initiative des Germanisten Joseph Andreas Schmeller (1785-1852) haben wir es zu verdanken, dass nach von Aretins Tode die Sammlung im Jahre 1824 unter dem Titel Carmina Burana, Gesänge aus Beuren, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wordensind.

Der aus München-Neuhausen stammende Komponist Carl Orff (1895-1982) erschloss sich im Jahre 1934, wie übrigens viele andere Nachschaffende, die Fundsache aus dem Klosters Benediktbeuren und wählte einige lateinische, altfranzösische sowie mittelhochdeutsche Texte aus, um auf dieser Grundlage ein Bühnenwerk mit zum Teil derber Erotik in einer vulgär-lateinischen Sprache zu gestalten. Orff komponierte eine kraftvolle rhythmisch akzentuierte Musik, die im Jahre 1937 in einer halbszenischen Fassung auch zur Aufführung gelangte. Obwohl Carl Orff in der Kulturpolitik der Zeit gut vernetzt, war vielen Nazigrößen die Form des Liebes-Fress-Sauf- Bühnenwerkes suspekt. Die Beurteilung seines Werkes war von Orffs Parteifreunden deshalb differenziert aufgenommen gewesen, auch wenn das bürgerliche Publikum das Besondere in der Komposition überwiegend erkannt hatte. Nach Beendigung der Naziherrschaft hatte Orff das Glück, dass sein Entnazifizierungsverfahren von dem US-Kulturoffizier Newell Jenkins (1915-1996) manipuliert worden war und er, als Mitläufer eingestuft, keinem Berufsverbot unterlag. Jenkins war nämlich im Zivilleben Musikwissenschaftler und Orchesterleiter. Im Jahre 1938 hatte er im Zusammenhang mit einer Deutschlandreise Orff getroffen und einige Anregungen für seine Arbeit erhalten.

In den 1950-er Jahren komplettierte Carl Orff sein Chorwerk mit zwei weiteren Kantaten zum sogenannten Trionfi: das 1943 in Leipzig uraufgeführte Catull Carmina, einer Komödie mit Lesbia-Gedichten über Liebe, Treue und Verrat, sowie das Trionfo die Afrodite, einer Komödie, mit Texten von Catull und Sappho. Leider werden diese Triumphzüge recht selten in dieser Form aufgeführt.

Philharmonie Leipzig, Chöre der Oper Halle,Singphonique Dresden, Philharmonische Kinderchor Dresden © Oscar Schlechter

 

Im Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes hatte der Chefdirigent der Philharmonie Leipzig Michael Köhler mit seinem Orchester, den Chören und den Solisten ein beeindruckendes Ensemble von Musikern aufgeboten. Die von Frank Flade hervorragend geschulten Chöre der Oper Halle, das von Elke Linder prachtvoll geleitete Singphonique Ensemble Dresden und der Philharmonische Kinderchor Dresden des Professors Gunter Berger boten den Hauptanteil der Mitwirkenden. Die Leidenschaft und das Engagement der Beteiligten war unüberhörbar, so dass der Spannungsbogen der Aufführung vom ersten bis zum letzten Ton erhalten blieb. Das präzise Dirigat Michael Köhlers mit seiner akzentuierten Phrasierung und seiner ausgewogenen Tempi-Gestaltung war mit Begeisterung von den Chören aufgenommen worden. Mit Schwung und Frische sorgte das beeindruckende Team für eine einzigartige Klangwirkung, so dass die Besucher des gut besuchten Hauses von den ersten Tönen des Einleitungschores in ihren Bann gezogen waren. Carl Orff hatte um die drei Themenkomplexe einen großflächigen Chor wie einen Rahmen gezogen, der die Launenhaftigkeit der Schicksalsgöttin Fortuna charakterisierte. Denn alles was der menschlichen Existenz passiert, geschieht am Rad des Schicksals. So wurde die Reihung der Kompositionen mit O Fortuna sowohl begonnen, als auch abgeschlossen.

 

Die ersten Gesänge der Kantate gehörten der Lobpreisung des Frühlings. Voller Lebenslust, spielerisch, mit einem Schuss Ironie wechselten die Hymnen mit einem Tanz und dem Reigen. Roman Trekel von der Berliner Staatsoper behauptete mit kraftvoller Baritonstimme, dass die Sonne alles milder sowie lieblicher forme und die jungen Frauen wünschten viele Farben, um sich begehrlicher machen zu können.

 

Stimmgewaltig führte uns Roman Trekel mit seinem Estuans interius, -glühend in mir- von seiner Wanderschaft in die Taverne. Hier erzählte uns der aus Finnland stammende Tenor Dan Karlström mit seinem ausdrucksvoll-kläglichen Falsett von seinem tragischen Schicksal , wie er vom auf dem See schwimmenden Schwan zum auf dem Feuerrost angekohlten Braten wurde.

Im Mittelalter wurde vor allem gut getrunken sowie vor allem üppig gegessen. Deshalb lud der Abt von Cucanien, der Vorsteher des Schlaraffenlandes, in der Person Roman Trekels stimmgewaltig zum Fress-Sauf-Konvent. Aber wehe dem Würfelspieler!

Trotzdem schwärmte der prachtvolle Männerchor Wenn wir in der Schenke sitzen, selbst wenn auch das seine Tücken hatte.

 

Der letzte Teil war den verschiedensten Formen der Beziehung der Geschlechter gewidmet. Die Chöre, die Dresdner Koloratursopranistin Jenniver Riedel sowie Roman Trekel wechselten sich mit sehnsuchtsvollen Gesängen voller Liebesschmerz und freimütigen sexuellen Anspielungen. Letztere ließen durchblicken, warum es im Mittelalter so viele voreheliche Kinder gab. Mit rundem Klang und einer volltönenden Stimme erreichte die Koloratursopranistin Jennifer Riedel mühelos die hohen Töne des Dulcissime, -du Süßester-.

 

Eine Konzentration auf das Musikalische hätte die Aufführung durchaus zugelassen. Doch der nicht mit dem Werk wenig vertraute Besucher würde sich an der berauschenden Musik zwar erfreuen können, wäre aber um den tieferen Sinn der Aufführung betrogen worden. Der populäre Leipziger Schauspieler Friedhelm Eberle hatte es deshalb übernommen, in seiner lockeren Art einige Erläuterungen zu den Gesängen darzubieten und einige Liedtexte zu rezitieren. Mit lang anhaltendem und teilweise stehenden Beifall bedankten sich die Besucher bei den Mitwirkenden.

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