Dresden, Kulturpalast, Vorabendkonzert internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch, IOCO
25. Juni 2025 Konzertsaal des Kulturpalastes Dresden
Wie in jedem Jahr treffen sich am 26. Juni 2025 für drei Tage im sächsischen Kurort Gohrisch die Verehrer Dmitri Schostakowitschs (1906-1975), um den großen Komponisten auf eine außergewöhnliche Art in einer ausgeräumten zum Konzertraum gestalteten Scheune zu würdigen. Zu den Traditionen der Sächsischen Staatskapelle gehört, dass sich die Gohrisch-Besucher am Vorabend der Eröffnung des Festivals bei ihrer Anreise in Dresden auf die Ereignisse einstimmen können. Das Orchester bot in diesem Jahr unter Leitung der französischen Dirigentin Marie Jacquot Kompositionen aus weitgehend unbeschwerten Schaffenszeiten Schostakowitschs. Dazu erklang Kurt Weills zweite Symphonie. Frau Jacquot hatte im vergangen Jahr bei der Europatournee als Einspringerin mit großem Erfolg die Hälfte der Konzerte von Christian Thielemann übernommen.
Zum Beginn des Konzertes dirigierte sie, wie sollte es anders sein, Schostakowitschs Festouvertüre op. 96.
Es wird berichtet, dass den Verantwortlichen des Moskauer Bolschoi-Theaters im Verlaufe der Vorbereitung ihres Festkonzertes zum 37. Jahrestag der Oktoberrevolution am 3. November 1954 aufging, dass der Beginn des Geplanten ziemlich schwunglos war. Panisch suchte deshalb der Dirigent Wassili Nebolsin (1898-1958) Dmitri Schostakowitsch in dessen Wohnung auf und suchte Hilfe. Der Komponist sollte sich sofort an die Arbeit gemacht haben und Boten hätten die Noten, so wie diese auf dem Papier standen, in feuchtem Zustand zu den Kopisten und dann zum Orchester gebracht. So konnte das Festkonzert am 6. November 1954 mit dem Opus 96 Schostakowitschs mit seiner imposanten Fanfare eröffnet werden. Andere Quellen gehen von einer Entstehung des A-Dur-Stückes zum 30. Jahrestag im Jahre 1947 aus. Schostakowitsch hätte aber zu dieser Zeit, um Missverstände zu vermeiden, von einer Veröffentlichung abgesehen.
Die Fünfminuten-Balance zwischen den Blechbläsern, einem Klarinettenthema und der Holzbläser-Streichergruppe wurde innerhalb kurzer Zeit zu einer der häufigsten Konzerteröffnungen. Auch diente sie u.a. zur Eröffnung einer Olympiade und in der Begleitung einer Nobelpreisverleihung.
Diesem effektvollen Beginn folgten die beiden Klavierkonzerte Schostakowitschs mit dem Pianisten Kirill Gerstein. Im Jahre 1979 im russischen Woronesh geboren, wurde Kirill Gerstein an der Musikschule seiner Heimatstadt gemäß der vorherrschenden Klavierschule ob seiner Begabung zum Konzertpianisten ausgebildet. Sein Improvisationstalent verschaffte dem zwölfjährigen Gerstein einen Studienplatz am Berklee College of Musik. Die Bostoner Privatschule war eine der wenigen, die eine Ausbildung in Jazz, Rock und anderen zeitgenössigen Musikformen anbot. Nach drei Jahren Jazz-Studium nahm er seine Ausbildung zum klassischen Pianisten wieder auf und gilt inzwischen als einer der wichtigsten Brückenbauer zwischen den Musikformen. Im ersten Klavierkonzert assistierte ihm der Solotrompeter der Staatskapelle Helmut Fuchs.
Ein. Ausspruch des klugen, hochgebildeten Musikwissenschaftlers, Beraters und Freund des Komponisten Iwan Sollertinski (1902-1944) könnte über Dmitri Schostakowitschs „Konzert für Klavier, Trompete und Streicher Nr. 1c-Moll op. 35“ stehen: „Sein Ziel ist echter Dostojewski, nacherzählt von Charlie Chaplin“. Ein gereifter Schostakowitsch hatte im Jahr 1932 eine Familie gegründet und von seinen avantgardistischen Experimenten zunehmend Abstand genommen. Die Auseinandersetzungen in der Musikszene der Zeit sah er mit einer gewissen Distanziertheit und Ironie, hielt sich mit öffentlichen Äußerungen zurück. Mit ungetrübt-jugendlichem Optimismus schuf er ein mutiges Experiment einer Mischung aus ironischen Betrachtungen seiner Umwelt und Persiflage unterschiedlichster musikalischer Richtungen. Er verschonte weder Haydn, noch Beethoven oder Liszt, erweckte dabei romantische Emotionen, die er umgehend konterkarierte.
Für Kirill Gerstein war das eine Gelegenheit, dem unakademischen, schrillen Gemisch seine doppelbödige Beängstigung zu entlocken. Die melodischen, harmonischen und rhythmischen Wendungen stattete er mit höchster Plastizität aus, sodass die von Schostakowitsch durcheinander gewirbelten unterschiedlichen stilistischen Ebenen ihre Prägnanz behielten. Überraschend war die Rolle des Solotrompeters Helmut Fuchs. Seine Trompete war weder konzertierend noch begleitend eingesetzt, sondern mischte sich mit eigenartig banalen Motiven ins Geschehen und forderte im Endeffekt nur Aufmerksamkeit. Ein Gassenhauer war letztlich der Höhepunkt des Trompetensolos. Marie Jacquot nahm mit den Streichern der Staatskapelle die Fülle der musikalischen Gedanken und Einfälle gekonnt auf und komplettierte das bunte, faszinierende Kaleidoskop der unterschiedlichen Episoden.
Fast 24 Jahre mussten vergehen, bevor Dmitri Schostakowitsch dem Musikschüler Maxim sein „zweites Klavierkonzert F-Dur op. 102“ auf den Geschenketisch des 19. Geburtstags legte.
In markantem Staccato führte sich Kirill Gerstein am Flügel ein und die an Märsche erinnernden musikalischen Phrasen wurden exzellent, äußerst präzise und in vor Leichtigkeit sprudelnder Spielweise geboten. Den rasend schnellen Läufen verstand Kirill Gerstein Brillanz, Richtung und Farbe zu verleihen. Seine musikalische Differenzierung umfasste kantige, knochentrockene Stakkati und dröhnende Akkorde bis zu kühlen biegsamen Melodielinien. Gersteins sensible Modellierung sowie seine Wahl der Tempi führten zu hoher Konturenschärfe sowie Ausdrucksstärke einzelner Passagen und ließen gelegentlich den Jazz-Pianisten aufleuchten. Den Schwung behielt Gerstein für die kurze, fast wie ein Fremdkörper wirkende Kadenz mit virtuoser Präzision. Marie Jacquot führte sorgsam und impulsiv das Orchester in eine Fülle von Extremen, die zwischen messerscharfer Brillanz und traumverlorener Innigkeit, zwischen manischer Überdrehtheit und fahler Klangfläche wechselten.
Einen rigorosen Kontrast bildete das Andante, das die Interpreten zu einer lyrischen Meditation werden ließen. Bei dem fast zärtlichen Dialog zwischen Klavier und dem satten Klangkörper der Streicher erfassten Kirill Gerstein und Marie Jacquot mit feinstem Gespür das Zartbittere dieser Musik ohne ins Banale abzugleiten. Mit dem Finalsatz wurden die Konzertbesucher mit rhythmischer Schärfe und wachem Spiel aus den verträumten Gedanken gerissenen und mit einer zündenden Ensembleleistung von dem Solisten sowie dem Orchester zurückgeholt. Mit wilder Jagd über die Tasten ging es in rasendem Allegro zur fulminanten Stretta, mit der das zweite Klavier-Konzert in einem Schlusseffekt abrupt endete.
Mit einer lyrischen „Schostakowitsch-Zugabe“ verabschiedete sich Kirill Gerstein von seinem Publikum.
Den Abschluss des Konzertes bildete die „Symphonie Nr. 2“ von Kurt Weill.
Der musikbegabte Sohn des Küsters der jüdischen Gemeinde Dessau Kurt Weill (1900-1950) ging 1918 nach Berlin, um zu studieren. Nach Kapellmeister-Engagements in der Provinz kehrte er 1926 nach Berlin zurück, um als Musikkritiker und Komponist zu arbeiten. Dabei lernte er die Altistin, seine spätere Frau, Lotte Lenya (1898-1981) kennen. In dieser Zeit begann auch seine Partnerschaft mit Berthold Brecht (1898-1956), auf die sich Weills heutige Bekanntheit in den breiteren Kreisen der Musikfreunde stützt. Die „Dreigroschenoper“ sowie „Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ waren die wichtigsten Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit. Dabei war sein kompositorisches Schaffen bereits in Deutschland deutlich breiter aufgestellt. Besonders Weills Orchestermusik war im deutschen Konzertbetrieb bis 1975 nahezu unbekannt und ist noch immer vernachlässigt.
Nach der faschistischen Machtergreifung hatte Kurt Weill rasch die Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland begriffen und floh im März des Jahres 1933 nach Paris. Im Gepäck führte er eine mit „Sostenuto-Allegro molto“ beschriebene Komposition, den ersten Satz seiner zweiten Symphonie mit. In Paris traf er auf den großzügigen „Künstlersalon de Polignac“ der Winaretta Singer Princesse Edmond de Polignac. Winaretta war das 18. Kind des Erfinders und Industriellen Isaac Meritt Singer (1811-1875), der mit der Vermarktung einer von ihm vervollkommneten Nähmaschinen-Technik ein gigantisches Vermögen erarbeitet und vererbt hatte. Die musikbegeisterte Erbin mit dem erheirateten Adelstitel nutzte ihre finanziellen Möglichkeiten zur Unterstützung vor allem von Musikern, indem sie zahlreiche Kompositions-Aufträge vergab. Es wird berichtet, dass die Mäzenin stundenlang in einer Ecke des Saales ihrer großzügigen Wohnung saß und dem Treiben zuhörte. Jedermann konnte seine Arbeiten vorstellen und wer mit Glück erhört wurde, bekam eine Bestellung. So erhielt Kurt Weill den Auftrag, seine zweite Symphonie fertig zu stellen. Er komplettierte das Werk bis zum Februar 1934 mit dem als Largo bezeichnete Mittelsatz und dem finalen Rondo Allegro vivace. Weills Sinfonien sind keine Werke, die der Entwicklung der Gattung wesentliche Impulse vermittelt hätten, seine zweite Symphonie gilt aber als eine der großen neoklassistischen Essays der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Weill hatte sehr heterogene Elemente nebeneinander gestellt, von denen einige an seine bekannten Berliner Arbeiten erinnern. Marie Jacquots wählte eine pulsierende, farbige Interpretation und ließ von Trompeten und Posaunen das Klangbild mit kontrastierenden „schönen Stellen“ anreichern. Voller Emotionen und eindrucksvoller Melodik gestaltete sie die Trauermusik des zentralen Largo mit seinen different wechselnden Marschmotiven. Waren die ersten beiden Sätze unvermeidlich von den politischen Spannungen der Zeit überschattet, so schickte Frau Jacquot die Musiker der Staatskapelle im Finale in eine Mischung aus missgestimmtem Optimismus und deprimierter Tapferkeit. Selbst wenn flüchtige Anklänge an Mahler oder Hindemith erinnerten, führten die charakteristischen Wendungen der Melodien, die spritzigen Harmonien und die Tanzrhythmen zur eigenen Welt der früheren Bühnenwerke Weills zurück.