Dresden, Frauenkirche, Musikfestspiele 2019 - Mahler 6. Sinfonie, IOCO Kritik, 25.05.2019
Mahlers 6. Sinfonie - Orchestra dell´Academia Nazionale di Santa Cecilia
Akustisches Desaster - Hörbild oft unbefriedigend
von Thomas Thielemann
Sir Antonio Pappano hatte mit seinem Orchestra Dell ´Accademia Nazionale di Santa Cecilia die Aufgabe übernommen, die Dresdner Frauenkirche mit ihrer problematischen Klangentfaltung in das Konzertgeschehen der Dresdner Musikfestspiele 2019 einzubeziehen. Trotz intensiver Kleinarbeit von Tontechnikern gelingt es nur in kleinen Schritten das Hörbild auf möglichst vielen Plätzen befriedigend zu verbessern.
Andererseits hat die Frauenkirche ob ihres Wiederaufbaus nach der Zerstörung am 13. Februar 1945 einen so hohen Symbolwert, als dass die Dresdner Musikfestspiele auf Veranstaltungen in diesem Raum verzichten könnten.
Antonio Pappano, 1959 als Sohn italienischer Eltern in Großbritannien geboren, gilt dort als Spezialist für die italienische Oper ansonsten ob seiner Arbeit mit dem Orchestra dell´Academia Nazionale di Santa Cecilia vor allem als hervorragender Konzertleiter. Sein Debüt bei der Staatskapelle Dresden war 2018 erstaunlich spät. Sein Konzertdirigat hatte dann aber bereits zu einem sensationellen Konzerterfolg geführt. Das Orchestra dell´Academia Nazionale di Santa Cecilia hatte bereits im Jahre 2006 an den Musikfestspielen der Stadt Dresden teilgenommen.
Der Abend am 21. Mai 2019 dürfte für Dirigent und Orchester die erste öffentliche Begegnung mit dem Raum der Kirche gewesen sein. Pappano ist bei Orchestern als berüchtigter Probe-Perfektionist bekannt, so dass zu hoffen war, dass er das akustisch Machbare für Gustav Mahlers 6. Sinfonie in der Frauenkirche vorbereitet haben wird.
Die Sinfonie wird auch unter dem Beinamen „die Tragische“ geführt, obwohl Mahlers Lebensumstände während der Entstehungszeit 1903/04 familiär und künstlerisch recht günstig waren. Als Direktor der Wiener Hofoper war er etabliert und als einer der weltweit besten Operndirigenten künstlerisch anerkannt. Auch die junge Ehe mit Alma Schindler dürfte noch glücklich gewesen sein. Natürlich scheint die Schwere der Themen bedrohlich. Auch die mehrfachen Wechsel der Tonarten zwischen Dur und Moll und der Hammerschlag im Schlusssatz die lassen Verunsicherungen beim Komponisten vermuten.
Doch bereits beim Betreten des Kirchenraums war die konventionelle Verteilungen der Instrumentengruppen erkennbar: Im Altarraum die Schlagwerke, davor das komprimierte Blech und im Grenzbereich zum Kuppelrund die Holzbläser. Die Streicher waren direkt unter der offenen Kuppel verteilt. Mit dem Einsetzen der düstern marschartigen Leitmotive des Allergico, ma non troppo wurden die Hörer unter der Kuppel mit dem Klangbrei der Kuppelreflexionen gleichsam zugeschüttet.
Ich hatte mir einen Platz im Seitenschiff unter einer Empore ziemlich exakt gegenüber dem Altarraum gesichert, da ich Pappano im Blick, gleichzeitig aber die Kuppelreflexionen gemildert haben wollte. Aber das half wenig, denn der Ton-Brei drang unbarmherzig bis an die Rückwand des Seitenschiffs.
Pappano offerierte mit seinem italienische Temperament und energischem Dirigat das Fortissimo der Paukenwirbel und des tiefen Blechs, bis plötzlich Beruhigung eintrat und das Kriegerisch-Düstere ablöste. Feine Soli der Holzbläser schickten mir ihren Direkt-Schall-Klangteppich und vermittelten einen Eindruck vom Potential des Orchesters. Selbst das Kuhglocken-Streicherkonglomerat ließ für kurze Zeit die Vision einer ruhigen Almlandschaft zu.
Die endlose Diskussion zur Positionierung der Mittelsätze hatte Pappano zugunsten der Reihenfolge: erst das Scherzo, dann das Andante moderato folgend, entschieden. Rechte Entspannung konnte selbst bei der berühmten Präzision nicht aufkommen, weil man ständig neue Wucht aus der Kuppel fürchten musste.
Den Dirigenten schien die Verwirrung auf wundersamer Weise nicht zu beeindrucken. Selbst wenn mal Musikergruppen begannen zu schlurren, weil sie offenbar ihre Kollegen nicht ordentlich hören, holte er sie mit kaum merklichen Handbewegungen ein. Ansonsten machte er seine Arbeit. In Erinnerung bleiben die Qualitäten der Musiker in den fein gesponnenen leisen und langsamen Stellen im dritten Satz, wenn im Seitenschiff das Kuppelecho nicht ankam. Auch der Finalsatz konnte am zwielichtigen Gesamtbild nichts ändern.
Insgesamt war Mahlers 6. Sinfonie in der Dresdener Frauenkirche ein akustisches Desaster - trotz eines wunderbaren Orchesters mit einem Dirigenten, den wir bereits als hervorragend kennen gelernt hatten.
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