CD, LATE WORKS FOR FLUTE & PIANO, Ludwig van Beethoven, IOCO

Die Pianistin Sontraud Speidel und der Flötist Johannes Hustedt begeistern mit einer Qualität des Zusammenspiels, die von Harmonie, Kultiviertheit und Spielfreude geprägt ist.

CD, LATE WORKS FOR FLUTE & PIANO, Ludwig van Beethoven, IOCO
CD Cover © Chai Min Werner „together“ 2001, sawn oak

von Uschi Reifenberg

LUDWIG VAN BEETHOVEN - LATE WORKS FOR FLUTE & PIANO
National Airs with Variations, Op.105 & Op.107

Johannes Hustedt, Flöte
Sontraud Speidel, Klavier

Eine Aufnahme von außergewöhnlichem Reiz stellt diese beim Label „audite“ neu erschienene Veröffentlichung dar, mit zwei selten gehörten Variationszyklen des späten Beethoven, in der Besetzung Klavier und Flöte.

Für Beethoven Liebhaber ist diese CD eine absolute Empfehlung, zeigt die Einspielung den Komponisten Beethoven von einer ungewöhnlichen Seite, der hier mit viel Freude, Humor und Innovationsgeist Liedern und Tänzen unterschiedlicher Kulturen eine spezielle Färbung verleiht und seine einzigartige Meisterschaft der Verarbeitungs- und Charakterisierungskunst unter Beweis stellt. Darüber hinaus gibt die CD einen interessanten Einblick in Beethovens lebenslange, vielfältige Beschäftigung mit der Variationsform und veranschaulicht seine kompositorische Entwicklung, die in den „Diabelli Variationen“ Opus 120, Beethovens letzter großer Klavierkomposition, ihre Vollendung findet. Die „Variationen über Volksweisen“ mit den Opuszahlen 105 und 107 bilden den Rahmen der Hammerklaviersonate Opus 106, die als „opus summum“ und zentrales Werk von Beethovens spätem Klavierschaffen gilt. Die leichter zugänglichen, reizvollen Miniaturstücke mit ihrer kammermusikalischen Leichtigkeit bilden einen spannenden Kontrast und nehmen damit in besonderer Weise auf das monumentale Werk Bezug. Entstanden sind die Variationen 1817/1818 im Auftrag des schottischen Verlegers und Volkslied-Sammlers George Thomson (1757-1851), der sich intensiv für eine Verbreitung schottischer, irischer oder walisischer Volksgesänge einsetzte. Die Werke sollten vor allem für Laien, bzw. Liebhaber*innen geeignet sein und einen „eingängigen und ein wenig brillanten“ Stil aufweisen, damit die „große Zahl junger Damen sie ausführen und Geschmack daran haben“ können (George Thomson). Eine klare Zielgruppe schwebte Thomson also vor und Beethoven erhielt für die präzisen Anweisungen seines Auftraggebers ein stattliches Honorar. Dennoch bewegen sich die Kompositionen nicht im „Laiensektor“. Beethoven schuf volkstümliche Meisterwerke, die höchsten künstlerischen Ansprüchen gerecht werden und seine unverwechselbare Handschrift tragen. Die Variationen verarbeiten Themen und Volkslieder aus Schottland, Wales, Irland, Österreich und der Ukraine. Opus 105 enthält sechs Volkslieder, darunter walisische, irische und ein österreichisches Thema, unter anderem das populäre irische Thema „The Last Rose of Summer“. In opus 107 variiert Beethoven zehn Volkslieder, die allein vier schottische Themen enthalten, darunter „Schöne Minka“, das als ukrainisches, beziehungsweise kosakisches Volkslied weite Verbreitung fand.

Sontraud Speidel, Klavier © KREISRUND.media

Die Pianistin Sontraud Speidel und der Flötist Johannes Hustedt begeistern mit einer Qualität des Zusammenspiels, die von Harmonie, Kultiviertheit und Spielfreude geprägt ist. Gespannt folgt man dem Duo durch 16 vielgestaltige Miniaturen, die mit hoher Charakterisierungskunst dargeboten werden. Virtuosität, artikulatorische Finesse und kantabel ausgestaltete Linien sind gepaart mit Ausdruckskraft und Sensibilität. Das Entwickeln verschiedener Stimmungsgestalten beruht auf dem inspirierenden Miteinander und einem fortwährenden Dialog im Dienst gemeinsamen Gestaltungswillens. Sontraud Speidels Spiel besticht mit Virtuosität, Phrasierungskultur und Nuancenreichtum, ihre Läufe und Triller perlen mit kristalliner Klarheit, auch im zupackenden Forte bleibt der Klang immer elastisch und differenziert. Beeindruckend ihre stupende Anschlagsvielfalt, glitzernd klingt der Flügel in der hohen Lage, resonanzreich und voll im tiefen Register. Johannes Hustedt veredelt den Klavierklang mit einem warmen Flötenton, sein modulationsreiches Spiel offenbart eine große Bandbreite an Klang- und Ausdrucksfarben, die vorzügliche Artikulation folgt einem beredten Gestus, seine weitgespannten Bögen atmen Schwerelosigkeit und seelenvolle Hingabe. Die Variationen sind kleine Kostbarkeiten und bezaubern einerseits mit Schlichtheit und Anmut, verweisen aber auch auf Beethovens späten Kompositionsstil in seiner komplexen harmonischen und rhythmischen Ausgestaltung, den das Duo detailliert auslotet. Vom kraftvollen Auftrumpfen bis zum verhauchenden Pianissimo begeistert das reiche Farbspektrum, typisch die kontrastgeschärften Passagen, die ruhigen Variationen mit ihrem tiefen Ausdrucksgehalt offenbaren selbst in ihrer Kürze hier Beethovens Spätstil. Die irischen Volkslied-Variationen „Sad and Luckless Was The Season“ opus 105. Nr. 4, ist eine Variante von „Last Rose of Summer“, dem bekannten und häufig verarbeiteten Volkslied. Das Thema erklingt melancholisch in der Flöte, das Solo-Klavier antwortet mit einer weichen lyrischen Kantilene. In der bewegten Variation erhebt sich die Flötenstimme in ätherisch weiten Linien mit wunderbaren crescendi über den fein gesponnenen Klavier-Triolen. Die Variation endet nachdenklich und in großer Ruhe. Das österreichische Volkslied opus 107 „I bin a Tiroler Bua“ kommt sehr charmant daher mit einem gemütvoll-wiegenden Thema im alpenländischen Stil, Sontraud Speidel gibt der Variation zart getupfte Akkorde im Klavier, die Akzentverschiebungen „verstecken“ schelmisch das Thema, Johannes Hustedt zitiert es anschließend in Ländlerart, in der Moll Variation folgt ein fragender Dialog. Beschwingt dann die letzte Variation mit Dreiklangsbrechungen und Verzierungen in humorvoller Heiterkeit. Dem „Frischen Burschen aus den schottischen Highlands“ hat Beethoven in seiner Variation „Bonny Laddie, Highland Laddie“ op. 107 ein ebensolches Thema verpasst, eingängig, heiter, von Flöte und Klavier parallel geführt, mal rhythmisch prägnant, dann mit brillanten Läufen im Klavier, die Flöte kontrapunktiert mit Intervallsprüngen in hoher Lage.

Johannes Hustedt, Flöte © KREISRUND.media

Sontraud Speidel lässt die verspielten pianistische Figuren und eine kleine Kadenz in der Sicilienne funkeln, schwungvoll und gut gelaunt endet diese besondere Preziose. Den Abschiedsschmerz von „Schöne Minka“, op. 107, dem bekannten ukrainischen Volkslied mit deutschem Text, hat Beethoven hier in einen schlichten elegischen Satz gekleidet. Speidel und Hustedt legen die ganze Vielfalt des Variationensatzes frei, in bester Balance wird Gegensätzliches und Gemeinsames unter einem Bogen vereint. Sehnsuchtsvoll gerät der wehmütige Dialog, scharfe dynamischen Kontraste, Fermaten, subito Pausen werden mit eindringlicher Spannkraft aufgebaut, ebenso die flächig bewegten Klavierpassagen, über welchen sich die Flöte mit nuancierter Phrasierung und strahlendem Ton erhebt. Zart und schlicht wird das Thema am Ende noch einmal zitiert und endet fast beiläufig mit einer verschämten Abwärtsbewegung.

Die Klangqualität der CD lässt nichts zu wünschen übrig, das ansprechende Booklet enthält detaillierte Beiträge von Dr. Jürgen Schaarwächter und Johannes Hustedt.

Johannes Hustedt studierte Musikpädagogik und Querflöte in Bremen bei Renate Ruge-von Rhoden und in Karlsruhe bei Renate Greiss-Armin, wo er als Stipendiat der Richard-Wagner-Stipendienstiftung Bayreuth 1990 das Konzertexamen mit Auszeichnung absolvierte. Meisterkurse bei Aurèle Nicolet, Alain Marion, Paul Meisen und András Adorján rundeten seine Studien ab. Mit dem Anliegen musikalisch-kulturellen Austausches übt er eine weltweite Konzerttätigkeit als Grenzgänger zwischen Interpretation und Improvisation aus. Uraufführungen und Konzerte bei hochkarätigen Festivals wie in Ludwigsburg, Hohenlohe, Madrid, Warschau, Kiew, Lwiw, Vilnius, Nida/Litauen, Bergen/Norwegen, Toronto, Los Angeles und New York City zeugen ebenso davon wie seine international viel beachteten CD-Veröffentlichungen als Solist, Kammermusikpartner und auch weltweite Rundfunk- und Fernsehproduktionen. Sein Spiel ist von der Auseinandersetzung mit Musik aus allen Kulturkreisen, besonders Asien, Südamerika und Osteuropa sowie der historischen Aufführungspraxis inspiriert. Johannes Hustedt lehrt an der Hochschule für Musik Karlsruhe und ist ein international gefragter Gastdozent und Juror.

Johannes Hustedt, Sontraud Speidel © KREISRUND.media

Sontraud Speidel kam mit elf Jahren als Vorschülerin in die Klasse der Exilrussin Irene Slavin an die Hochschule für Musik Karlsruhe. Nach dem Abitur studierte sie bei Irene Slavin und Yvonne Loriod-Messiaen in Karlsruhe, Branka Musulin in Frankfurt, Stefan Askenase in Brüssel und Géza Anda in Luzern. Sie ist Preisträgerin nationaler und internationaler Wettbewerbe (1. Preis der Schulen der Bundesrepublik im Alter von 16 Jahren, 1. Preis beim Internationalen Johann-Sebastian-Bach Wettbewerb in Washington D.C./USA, Jackson  Prize des Boston Symphonie Orchestra für Neue Musik u.a.). Konzerte, Rundfunk- und CD Aufnahmen, Fernsehauftritte sowie Meisterklassen führten sie durch Europa, in die USA, nach Kanada, Israel, Japan, Korea, China, Taiwan, Brasilien und Marokko. Sontraud Speidel ist Professorin für Klavier an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Sie war Gastprofessorin an Universitäten und Musikhochschulen in Europa, den USA, Kanada, Israel und Asien, und ist regelmäßig als Jurorin nationaler und internationaler Wettbewerbe tätig. Sontraud Speidel leitet das Piano-Podium Karlsruhe für musikalische  Nachwuchsförderung und ist Mitbegründerin und Künstlerische Leiterin der Konzertreihe Musikforum Hohenwettersbach. Sie ist u.a. Trägerin des Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien, der Goldenen Josef-Dichler Medaille, des Bundesverdienstkreuzes sowie des Verdienstordens des Landes Baden-Württemberg.

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