Berlin, Staatsoper Unter den Linden, I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin, IOCO

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, I. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin, IOCO
Staatskapelle Berlin, Elim Chan @ PeterAdamik

7. September 2025

Zwei junge Frauen rocken das Saisoneröffnungskonzert der Berliner Staatskapelle!

 

Schon das Auftreten von Patricia Kopatchinskaja und Elim Chan ist fulminant: Kopatchinskaja in leuchtend rotem Seidenmantel, Chan elegant in Schwarz.

Patricia Kopatchinskaja, 1977 in Moldawien (damals eine Sowjetrepublik) geboren, heute auch mit österreichischer und Schweizer Staatsbürgerschaft, ist wohl eine der vielseitigsten und allerorten gefragten Violinistinnen der Gegenwart. Nicht nur, dass sie als Solistin bei den renommierten Orchestern willkommen ist, sie tritt auch als Stimmkünstlerin in Werken von Schönberg (Pierrot Lunaire) und Ligeti auf, arbeitet mit Ensembles für alte Musik zusammen, leitet Kammerorchester, komponiert und realisiert experimentelle, szenische Projekte. Sie passt in keine der üblichen Schubladen. International wird sie geschätzt für ihre unkonventionellen Interpretationen klassischer Konzerte, eine große Zahl von Werken des 20. und 21. Jahrhunderts hat sie uraufgeführt. Sie versucht immer, deren Bedeutung für die heutige Zeit verständlich zu machen: „Kunst muss dich bewegen, sonst erstarren wir“. Kopatchinskaja spielt ein Instrument von Giovanni Francesco Pressenda aus dem Jahr 1834, dessen Farbreichtum und dunkel grundierter Klang ihr Spiel auch klanglich sehr interessant macht.

Staatskapelle Berlin, Elim Chan, Patricia Kopatchinskaja @ PeterAdamik

Belá Bartók (1881-1945): Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 Sz 36, BB 48a

Noch während seines Studiums an der Budapester Musikakademie beginnt Bartók mit seinem Studienfreund Zoltán Kodály, die authentische Folklore seiner Heimat zu erforschen, sie mit Hilfe eines Phonographen aufzuzeichnen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass die Regionen des damaligen Königreichs Ungarn, in dem Bartók aufwächst, heute Teile Ungarns, Rumäniens, der Ukraine und der Slowakei sind. Die Sammlungen haben daher mit dem üblichen Ungarn-Klischee nichts zu tun. Deren melodische, rhythmische und strukturelle Elemente beeinflussen die Kompositionen Belá Bartóks wesentlich: „Das Studium der Bauernmusik brachte mich auf die Möglichkeit einer vollständigen Emanzipation von der Alleinherrschaft des bisherigen Dur-Moll-Systems“. Auf der Suche nach einem eigenen Stil löst er sich zunehmend von den Einflüssen der Musik Richard Strauss´ und Franz Liszts. So ist auch das frühe Erste Violinkonzert, vollendet 1908, in zwei rhapsodischen Sätzen noch deutlich von der Spätromantik geprägt, lässt aber unverkennbar die zukünftige eigene Tonsprache erkennen. Das Konzert ist vielleicht sein persönlichstes Werk, Bartók durchlebte damals eine unglückliche Liebesbeziehung zu der 19-jährigen Geigerin Stefi Geyer. „Ich falle von einem Extrem ins andere. Ein Brief von Ihnen, sogar eine Zeile, ein Wort von Ihnen macht mich jubeln, ein anderes bringt mich fast zum Weinen, so weh tut es mir. Was wird am Ende davon sein, und wann. Es ist ein ständiger seelischer Rausch“ (Belá Bartók). Obwohl Stefi Geyer diese Beziehung abbricht, widmet Bartók ihr die Komposition und übersendet ihr das Manuskript. In einem Abschiedsbrief schreibt Bartók: „… ich habe die traurige Vorahnung, dass ich im Leben keinen anderen Tröster haben werde als die Musik“, darunter notiert er das Motiv, das, vielfach variiert, den ersten Satz bestimmt.

Die Solovioline beginnt den ersten Satz Andante sostenuto mit dem „Leitmotiv“, einem D-Dur-Dreiklang mit der schmerzlichen, großen Septime cis, die über d-h-fis aufgelöst wird, bevor das Orchester in kanonischen Einsätzen ihr nach und nach an die Seite tritt. Mit den ersten Takten – pianissimo, entrückt, fahl, fast tonlos - zieht die Solistin das Publikum sofort in ihren Bann. Im Sinne des Komponisten nutzt sie alle Ausdrucksmöglichkeiten ihres Instruments, neben beseelt ausgespielten kantablen Abschnitten gehören eben auch angeschliffene und gedrückte Töne ohne Vibrato dazu. Jeder Ton, jede Phrase bekommt so seinen bzw. ihren eigenen, lebendigen Charakter. Es entsteht ein weit ausholender, hymnisch melodischer Bogen, eine Liebeserklärung, die sich, nur von einem kurzen Abschnitt in Moll unterbrochen, zu einem Fortissimo steigert und schließlich mit dem Motiv des Anfangs im Pianissimo endet. Ohne Pause geht der erste in den zweiten Satz über. Das rasche Allegro giocoso, in Sonatensatzform geschrieben, beginnt mit dem Hauptthema in zwei Sextsprüngen abwärts vom dis zum e. Es charakterisiert das launisch, amüsante Wesen der Angebeteten. Wilde, von der barfuß aufstampfenden Kopatchinskaja kraftvoll vorgetragene, hoch virtuose, schroffe, rhythmisch geprägte Abschnitte mit weiten Sprüngen, Arpeggien, Doppelgriffen und rasanten Läufen der Violine wechseln mit lyrisch stimmungsvollen Einschüben, ein tonales Zentrum wird oftmals verlassen. Dabei wird hier, deutlicher als im vorangegangenen Andante, bereits die eigene musikalische Sprache Bartóks erkennbar. Als Erinnerung an ein gemeinsames Erlebnis zitiert Bartók das Lied „Der Esel ist ein dummes Tier“. Mit einer kurzen, rasanten Coda schließt der Satz. Das Erste Violinkonzert ist Abschluss der frühen Schaffensperiode und Beginn des Umbruchs zugleich.

Stefi Geyer hat das Konzert nie öffentlich gespielt, behält aber das Manuskript bis zu ihrem Tod 1956 unter Verschluss. Erst 1958 wird das Konzert vom Kammerorchester Basel und dem Solisten Hansheinz Schneeberger unter Paul Sacher uraufgeführt.  

Das begeisterte Publikum erwartet natürlich eine Zugabe. Jetzt geschieht etwas, zumindest von mir nicht Gehörtes: Patricia Kopatchinskaja erklärt den Zuhörern, das im vorausgegangenen zweiten Satz zitierte Lied sei eigentlich ein Kanon, frei nach Wilhelm Busch: „Der Esel ist ein dummes Tier, was kann der Elefant dafür! I-Ah! I-Ah!“ Kopatchinskaja teilt das Auditorium in vier Gruppen, die nun einen vierstimmigen Kanon singen, das Orchester stimmt mit ein, und der erste Konzertteil bekommt auf diese Weise ein großartiges, einmaliges Finale.

Antonin Dvořák (1841-1904): Sinfonie Nr. 8 G-Dur op.88

Über die Achte Sinfonie notiert sein Förderer Johannes Brahms etwas abfällig: „Zuviel Fragmentarisches, Nebensächliches treibt sich darin herum. Alles fein, musikalisch fesselnd und schön – aber keine Hauptsache“. Gustav Mahler dagegen zeigte sich von der sinfonischen Erzählung des Werks sehr beeindruckt. Diese gegenteilige Einschätzung zeigt, dass Dvořák mit dieser Sinfonie endgültig aus dem Schatten seines großen Förderers und Vorbilds heraustritt und einen eigenen Weg in Zukünftiges geht. Ende der achtziger Jahre ist der „Böhmische Brahms“ bereits international bekannt und vielfach geehrt. Er komponiert die zweite Serie der Slawischen Tänze, das Quintett in A-Dur, beginnt mit der Arbeit an seiner Oper „Der Jakobiner“ und arbeitet an seinem Klavierquartett Es-Dur. Die unter dem Eindruck der ihn umgebenden Schönheit von Natur und Landschaft während seines Sommeraufenthalts 1889 auf seinem Landsitz in Vysoká skizzierte Achte ist im November bereits vollendet. Am 2. Februar 1890 dirigiert Dvořák die Uraufführung in Prag. Zunächst teilt sich die Reaktion des Publikums in Jubel und Ablehnung. Bald jedoch tritt das Werk seinen Siegeszug über London, Frankfurt/Main, Cambridge und Wien an. Nach der Erstaufführung in Wien schreibt der Dirigent Hans Richter an Dvořák: „Wir alle haben gefühlt, dass es sich um ein herrliches Werk handelt: darum waren wir alle auch mit Enthusiasmus dabei“.

Mit seiner Achten Sinfonie befreit sich der Komponist von der traditionellen sinfonischen Form, behält zwar noch die übliche Viersätzigkeit bei, aber die Sonatensatzform wird sehr frei behandelt, eine Vielzahl von folkloristisch-böhmisch gefärbten Einfällen, die oft wie improvisiert wirken, rückt das melodische Element in den Vordergrund. Dvořák notiert, er beabsichtige „… ein von seinen anderen Sinfonien verschiedenes Werk zu schreiben, mit individuellen, in neuer Weise ausgearbeiteten Gedanken“, und seinen Freund Alois Göbl lässt er wissen: „Mein Kopf ist voll von Ideen. Wenn man sie nur sofort niederschreiben könnte“. Von der ernsten Grundstimmung der noch in der Brahms-Tradition verhafteten Siebten ist hier nichts mehr zu spüren, die Achte ist Ausdruck purer Lebensfreude.

Der erste Satz Allegro con brio wird eingeleitet durch eine Introduktion in dunklem g-Moll, eine Art Motto, das den Satz gliedernd vor Exposition, Durchführung und Reprise stellt. Die Flöte präsentiert das eigentliche Hauptthema, vogelähnlich in G-Dur, nach einer Steigerung in Tempo und Dynamik gefolgt von einem böhmisch getönten Seitenthema. Die Reprise wiederholt das G-Dur-Thema. Das Adagio, der zweite Satz, trägt rhapsodische Züge. Viele melodische Einfälle, unterschiedliche Stimmungen, C-Dur und c-Moll wechseln einander ab. Manches erinnert an Tschaikowski, mit dem sich Dvořák, kurz zuvor befreundet hatte. Das Scherzo Allegretto grazioso in g-Moll ist ein Walzer mit einem volkstümlichen Trio in G-Dur, das in der Coda noch einmal im ungeraden Dreiertakt erscheint. Der Finalsatz Allegro ma non troppo in G-Dur ist eine Mischung aus Sonatensatz und Variationsform. Nach einer Trompetenfanfare wird das Hauptthema erst vierfach variiert, bevor das Seitenthema hinzukommt. Die Reprise nimmt die Variation des Hauptthemas wieder auf. Mit einer wirbelnden Stretta geht die Sinfonie triumphal und glanzvoll zu Ende.

Elim Chan @ PeterAdamik

Die Dirigentin des Abends, Elim Chan, der weibliche internationale Shootingstar, 1986 in Hongkong geboren, erhält ihre musikalische Ausbildung in den USA. Diese schließt sie 2014 glanzvoll mit dem Master und der Doktorwürde ab. Als erste Frau gewinnt sie noch im gleichen Jahr den ersten Preis der Donatella Flick Conducting Competition. Der Besuch der Meisterkurse bei Bernard Haitink, eine Assistenz beim London Symphony Orchestra, eine Zusammenarbeit mit Valery Gegiev, die Teilnahme am Dudamel Fellowship in Los Angeles schließen sich an. Von 2018 bis 2023 ist sie Erste Gastdirigentin beim Scottish National Orchestra und von 2019 bis 2024 Chefdirigentin des Antwerp Symphony Orchestra. Elim Chan folgt damit großen Vorbildern im Amt wie Edo de Waart und Jaap van Zweden. Ihre Debüts z. B. bei den Salzburger Festspielen, bei den „Big Five“ der USA: New York, Chicago, Cleveland, Boston und San Francisco, beim Orchestre de Paris, bei der Staatskapelle Dresden, wiederholte Einladungen nach London, Los Angeles, Oslo und Schweden bestätigen die wachsende Wertschätzung bei allen Orchestern internationalen Rangs. 2024 eröffnet sie die BBC Proms. Schon 2025 dirigiert sie die legendäre „Last Night“. Wohl keine andere Dirigentin ist gegenwärtig bei den Spitzenorchestern der USA und Europas so gefragt, wie die Dirigentin des heutigen Konzerts.

Schon in der Begleitung des Bartók- Konzerts führt Elim Chan das Orchester wach, mit klarer Zeichengebung. Mit der Interpretation der Dvořák-Sinfonie beweist sie ihre Sonderstellung unter den jungen Dirigentinnen und Dirigenten. Sie formt mit ihren Händen herrlich homogene Einsätze der Instrumentengruppen, führt die lyrischen Phrasen sensibel, ruhig und großzügig aus und sorgt, wenn nötig, mit vollem Körpereinsatz und kraftvollen, präzisen Impulsen für glanzvolle, klangliche Höhepunkte. Die Musik bleibt immer lebendig, hervorragend ausbalanciert und durchsichtig. Elim Chan schafft es, ihren Elan, ihre Leidenschaft und Musizierfreude auf das Orchester zu übertragen.

Staatskapelle Berlin, Elim Chan, Patricia Kopatchinskaja @ PeterAdamik

Die Staatskapelle bietet eine selten gehörte geschlossene Leistung mit berückend schönen Details, wunderbaren Bläsersoli, einem klangvollen Violinsolo von Wolfram Brandl und den von ihm und Jiyoon Lee geführten, warm grundierten Streicherapparat aus einem Guss.

Enthusiastischer Jubel – ein spektakulärer, gelungener Saisonauftakt!

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