Berlin, Staatsoper Unter den Linden, Staatskapelle Berlin, VII. Abonnementkonzert, IOCO

19. Mai 2025
Anton Webern (1883-1945), in Wien geboren, bekam bereits als Fünfjähriger ersten Klavierunterricht bei seiner Mutter. 1894 zieht die Familie nach Graz. Dort besucht Webern das humanistische Gymnasium, erhält ersten regulären Musikunterricht und beginnt zu komponieren. Ein Universitätsstudium schließt er mit einer musikwissenschaftlichen Arbeit und der Promotion zum Dr. phil. ab. Kurz nach Vollendung seiner Komposition Im Sommerwind trifft er auf Arnold Schönberg. Dieser erklärt das Werk zu einem stilistischen Endpunkt. Als Schüler Schönbergs wird Anton Webern mit Alban Berg zum bedeutendsten Vertreter der Zweiten Wiener Schule. Pierre Boulez nennt ihn den wichtigsten Orientierungspunkt, der jungen Komponisten geholfen habe, ihre eigene Persönlichkeit zu finden. Als Pädagoge und Dirigent in Wiener Kreisen sehr geachtet, wird er als Komponist nicht ernst genommen. Das Aufführungs- und Publikationsverbot der Nazis ab 1938 lässt ihn weitestgehend in Vergessenheit geraten. Erst nach dem Ende des Krieges und dem tragischen Tod 1945, er wird versehentlich von einem amerikanischen Kontrollposten erschossen, beginnt man, die überragende Bedeutung Anton Weberns für die Musikavantgarde zu erkennen. György Ligeti beschreibt in einer Sendereihe des Südwestfunks, wie Webern sich von Wagner und später auch von Schönberg entfernt, seinen eigenen Stil findet: knapp in der Aussage, konzentriert auf das Wesentliche, auf die Verdichtung des Ausdrucks und den gänzlichen Verzicht auf jede Art von Ausschmückung. Diese Komprimierung der musikalischen Strukturen wird später zum Ausgangspunkt für das serielle Komponieren. Peter Stadlen, ein Schüler Weberns, weist jedoch immer wieder darauf hin, dass der Komponist seine Musik durchaus als gefühlsbetont romantisch auffasst, dass seine Musik sich nicht auf Sachlichkeit und Objektivität beschränkt. Webern will sehr wohl tiefe Empfindungen ausdrücken. György Kurtág gilt sein Schaffen als purste Musik. Die Kompositionen Anton Weberns werden zur wesentlichen Inspiration für Pierre Boulez, Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen.
Im Sommerwind – ein Idyll für großes Orchester, entsteht 1904 nach einem umfangreichen Hymnus von Bruno Wille. Dieser beschreibt einen Sommertag in der Natur. Damals noch völlig unbeeinflusst von der Atonalität des Arnold Schönberg, nimmt Webern die impressionistischen Stimmungen des Gedichts auf, es wechseln stille, feierliche Partien mit heiteren Abschnitten. Für diese spielt ein von der Oboe vorgestelltes, lustiges Motiv eine wichtige Rolle. Die Musik beginnt in dreifachem Piano und endet in gänzlicher Unhörbarkeit.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791): Konzert für Klavier und Orchester d-Moll KV 466
Als Dreijähriger beginnt Wolferl, Klavier zu spielen, mit vier Jahren Geige, mit nicht einmal sechs gibt er sein erstes öffentliches Konzert, im Alter von zwölf Jahren hat er bereits drei Opern, sechs Sinfonien und eine Vielzahl anderer Werke komponiert. Mozarts Vater Leopold erkennt schon früh die große musikalische Begabung. Als Wunderkind und später als heranwachsenden Komponisten präsentiert er seinen Sohn in allen musikalisch bedeutenden Städten und an den Fürstenhöfen Europas. Das bedeutet beträchtliche Einnahmen, aber auch das Kennenlernen der wichtigsten Stile und Komponisten der Zeit. Die ständigen Reisen haben für Mozart aber zur Folge häufiges Kranksein und einen Mangel an Kontakten und Freundschaften zu Gleichaltrigen. 1789 wird er Erzbischöflicher Hofkonzertmeister in Salzburg. Der Papst Clemens XIV. ernennt ihn zum Ritter vom Goldenen Sporn. Da ihn die Tätigkeit in Salzburg nicht ausfüllt reist er wieder, muss aber 1777 in Paris erkennen, dass der Ruhm als Wunderkind inzwischen verblasst ist. Er kehrt nach Salzburg zurück und wird Hoforganist des Fürsterzbischofs. Die mit dieser Tätigkeit verbundenen Einschränkungen seiner persönlichen Freiheiten veranlassen Mozart, seinen Dienst zu quittieren. Er geht nach Wien. Die von ihm verehrte Aloysia Weber ist inzwischen vergeben, so heiratet er die Schwester Constanze. Sie und Wolfgang können mit dem zu der Zeit noch reichlich verdienten Geld nicht umgehen, beide haben ständig Schulden und leben oft am Rand des wirtschaftlichen Ruins. Eine Stelle als Kammermusicus am Hofe gibt Mozart bald wieder auf, er versucht jetzt, sich ohne feste Anstellung durchzuschlagen. Das endet schließlich in einem Desaster. Jedoch entstehen in diesen Jahren mit den Opern Don Giovanni und Die Zauberflöte, den späten Klavierkonzerten und Sinfonien einige seiner großartigsten Werke. Kurz vor der Vollendung des Requiems stirbt Wolfgang Amadeus Mozart am 5. Dezember 1791.
Ein besonderer Rang in seinem Schaffen kommt dem Klavierkonzert d-Moll KV 466 zu, dem zwanzigsten nach heutiger Zählung, von Mozart selbst uraufgeführt am 10. Februar 1785. Der Vater Leopold, extra nach Wien gereist, berichtet seiner Tochter begeistert: „Das Concert war unvergleichlich …ein neues vortreffliches Clavierconcert vom Wolfgang, wo der Copist, da wir ankamen, noch daran schrieb, und Dein Bruder das Rondeau noch nicht einmal durchzuspielen Zeit hatte“. Das Konzert markiert den Umschlagspunkt von gefälliger Gesellschaftskunst zu kompromisslosem persönlichem Ausdruck. Nur zwei seiner Klavierkonzerte sind in einer Moll-Tonart geschrieben, Schon für den ersten Satz Allegro ist der dramatische, sinfonische Anspruch bestimmend. Das Soloklavier folgt nicht der unruhigen Orchestereinleitung, sondern entwickelt einen eigenen thematischen Gedanken. Es entsteht eine oft kontrastierende Zwiesprache zweier gleichberechtigter Partner. Der zweite Satz Romance beginnt friedvoll, bis dann im Mittelteil das B-Dur des Beginns in ein leidenschaftliches g-Moll umschlägt. Doch der kurze Ausbruch führt zurück in die Tonart und den Charakter des Satzanfangs. Das temperamentvolle abschließende Rondo (Allegro assai), der Beginn noch in d-Moll, endet versöhnlich, aber auch etwas fragwürdig in D-Dur. Übrigens ähnelt sein Thema sehr dem des vierten Satzes der Sinfonie g-Moll KV 550.
Von den Konzerten in d-Moll und c-Moll ist Beethoven so begeistert, dass er, wie auch später Brahms, für die Ecksätze Solokadenzen schreibt.

Antonin Dvořák (1841-1904): Sinfonie Nr. 6 D-Dur op. 60
Als Sohn eines Metzgermeisters und Gastwirts im böhmischen Nelahozeves geboren, durch die Familientradition als Nachfolger im Geschäft vorgesehen, fällt glücklicherweise dem Kantor des Nachbarortes Zlonice die außerordentliche musikalische Begabung des jungen Antonin Dvořák auf, und es gelingt ihm, den Vater zu überzeugen, dem Sohn den Weg für eine musikalische Laufbahn freizumachen. Nach einer Ausbildung an der Prager Organistenschule, einer schlecht bezahlten Tätigkeit als Bratscher im Orchester des Prager Interimstheaters, als Komponist von unbeachteten drei Sinfonien und zwei Opern, gelingt ihm mit der Hussiten-Kantate Die Erben des Weißen Berges ein erster größerer öffentlicher Erfolg. Johannes Brahms und der Wiener Kritiker Eduard Hanslick verhelfen ihm zu einem bescheidenen, vierjährigen Staatsstipendium, das es Dvořák ermöglicht, sich mehr dem Komponieren zu widmen. In der Folgezeit entstehen das Stabat mater, die Slawischen Tänze und die Klänge aus Böhmen und Mähren, die seine nationale und internationale Wertschätzung begründen, und die endlich den Weg aus der materiellen Enge bedeuten. Die großen Verlage Bote & Bock und Simrock interessieren sich für seine Werke. Viele berühmte Musiker werden seine Freunde, er ist ein gefragter Dirigent seiner Musik in Deutschland und England und wird 1891zum Professor am Prager Konservatorium ernannt. Einem Angebot aus New York, die Leitung des National Conservatory of Music, kann er nicht widerstehen, zahlt man ihm dort doch das Dreißigfache seines Prager Gehalts. 1895 kehrt Dvořák mit seiner Familie nach Prag zurück, unterrichtet wieder am dortigen Konservatorium und wird 1901 dessen Direktor. Auf dem Höhepunkt seines kompositorischen Schaffens und seiner allgemeinen Anerkennung als Böhmischer Brahms stirbt Antonin Dvořák am 1. Mai 1904.
Angeregt durch Hans Richter, einem wichtigen Förderer des Komponisten und Dirigenten der Wiener Philharmoniker, schreibt Dvořák 1880 in wenigen Wochen seine Sinfonie Nr. 6 D-Dur. Er trägt diese in Wien Richter am Klavier vor und schreibt sofort an seinen Freund Alois Gobl: „Mein lieber Freund! Ich bin in Wien“ (…) „Richter gefiel die Symphonie sehr, so küsste er mich nach jedem Satz, und sie wird am 26. Dezember uraufgeführt“. Doch die Wiener Philharmoniker, die selbst über die Programme entscheiden, lehnen die Aufführung eines Werkes eines unerfahrenen, tschechischen Komponisten in zwei aufeinander folgenden Spielzeiten ab. So findet die Uraufführung des Hans Richter gewidmeten Werks am 25. März 1881 in Prag unter Adolf Čech statt. Erst 1942 (!) wird die Sinfonie erstmalig von den Wiener Philharmonikern gespielt. Dabei ist es gerade diese Musik, die Dvořák auch im Ausland endgültige, begeisterte Anerkennung verschafft. Sie wird in der Folge sowohl in den Musikzentren Europas als auch in New York aufgeführt und macht ihn zu einem der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit. Es ist das erste Mal, dass Dvořák sich in seiner Komposition konsequent mit einer viersätzigen Einheit auseinandersetzt. Dabei ist unverkennbar ein Einfluss der D-Dur-Sinfonie von Brahms in Tonart, Orchestrierung und auch thematisch im Finale erkennbar. Der erste Satz Allegro non tanto, dessen Hauptthema auf einem böhmischen Volkslied basiert, ist in Sonatenform geschrieben. Beide Seitenthemen erscheinen in der Durchführung nicht wieder. Dvořák besteht explizit darauf, den ersten Teil nicht, wie sonst üblich, zu wiederholen. Das folgende Adagio, eine lyrische Kantilene, ist in Form eines Rondos komponiert. Im Scherzo (Furiant). Presto erklingt der mitreißende, energische, hier zum ersten Mal in einer Sinfonie verwendete Volkstanz Furiant. Das euphorische Publikum der Erstaufführung in Prag fordert seine Wiederholung ein. Das Finale. Allegro con spirito, wiederum in Sonatenform geschrieben, beschließt die Komposition mit einer grandiosen Coda.
Für mich überraschend ist die Bekanntschaft mit dem jungen tschechischen Dirigenten Petr Popelka (geb. 1986 in Prag). Noch bis 2020 Stellvertretender Solokontrabassist der Dresdner Staatskapelle, ist er heute Chefdirigent der Wiener Sinfoniker und des Prager Rundfunkorchesters und als Komponist und Kammermusiker aktiv. Zunehmend als Gast von erstrangigen Orchestern gefragt, darf man auf seine weitere Entwicklung sehr gespannt sein. Den Musikern zugewandt, sorgt er für ein spannungsvolles, stets klanglich sensibles, durchsichtiges, engagiertes Musizieren. So gelingen die romantisch-impressionistische Stimmung von Weberns Im Sommerwind ebenso wie die schwungvoll auftrumpfende Dvořák-Sinfonie.

Der polnisch-amerikanische Pianist Emanuel Ax ist einer der Großen seines Fachs. Vielfach ausgezeichnet und geehrt, ist er gefragt als Solist und Kammermusikpartner, ein stiller, nie seine Virtuosität vorzeigender Künstler. Ich hätte mir für seine intime, agogisch lebendige Interpretation des Konzerts die Reduktion der Kapelle auf Kammerorchestergröße gewünscht. So wurden für mich die Solokadenzen und die dem Applaus folgende Zugabe eines Walzers von Chopin zum eigentlichen Erlebnis. Besonders hervorheben möchte ich schließlich die wunderbaren Soli der Konzertmeisterin Jiyoon Lee im Webern und die großartig korrespondierenden und dynamisch fein abgestimmten Holzbläser.
Ein begeistert gefeierter Abend!