Berlin, Philharmonie, VIII. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin

Berlin, Philharmonie, VIII. Abonnementkonzert der Staatskapelle Berlin
Christian Thielemann copyright Andreas Labes


6. Juli 2025
 

Franz Liszt: Ce qu´on entend sur la montagne S 95 (Berg-Symphonie)
Richard Strauss: Orchesterlieder
Franz Liszt: Tasso, Lamento e Trionfo S 96

„Wenn auch anzunehmen ist, dass alles gesagt, so darf man doch keineswegs folgern, dass auch alles gehört und verstanden ist“ (Franz Liszt).

 

Franz Liszt (1811-1886), wird am 22. Oktober in Raiding, im ungarischen Burgenland geboren. Seine musikalische Begabung wird früh erkannt und gefördert. Die Familie übersiedelt 1822 nach Wien und Liszt bekommt den für seine weitere musikalische Entwicklung entscheidenden Unterricht bei Carl Czerny und Antonio Salieri. Schon im Alter von zwölf Jahren verblüfft er Wien mit seinem Klavierspiel, Paris und London feiern das musikalische Wunderkind. In den dreißiger Jahren ist er ein Star, der sich virtuos großartig in Szene setzt. Die Damenwelt liegt ihm zu Füßen. Aus einer skandalträchtigen Beziehung zur Gräfin Marie d´Agoult stammen drei Kinder. Die Karriere ab 1839 ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Heinrich Heine erfindet 1844 den Begriff der Lisztomanie und beschreibt die allgemeine Begeisterung ironisch: „Frauen stürmten die Bühne, sammelten Liszts Haarlocken, fielen in Ohnmacht.“ Dieser bezeichnet die von ihm ausgelöste Euphorie selbst als „pathologisch“. Franz Liszt wird in diesen Jahren der größte Klaviervirtuose seines Jahrhunderts. Er revolutioniert das Konzertwesen, veranstaltet Soloklavierabende in großen Konzertsälen, setzt neue Standards des Klavierspiels. Die von ihm komponierten und gespielten Werke, nicht zuletzt die weit in die Zukunft weisende Sonate in h-Moll sind noch heute für manchen Solisten eine Herausforderung. Berlioz schreibt an ihn: „Du kannst frei nach Ludwig XIV. sagen: Das Orchester bin ich! Der Chor bin ich! Der Dirigent bin wiederum ich!“.

1848 beendet Liszt abrupt seine Virtuosenlaufbahn, „dieses unausgesetzte Wiederkäuen derselben Sachen“ (Franz Liszt) und nimmt die Ernennung zum Hofkapellmeister des Großherzogs von Weimar an. In Weimar entstehen seine großen bedeutenden Orchesterwerke. Auf der Suche nach neuen Ausdrucks- und Gestaltungsformen, basierend u.a. auf den Konzertouvertüren von Beethoven und Mendelssohn, auf der Idée fixe in Berlioz´ Symphonie fantastique, komponiert er dreizehn Symphonische Dichtungen. Mit diesem neuen Typus einer Programmsinfonie, ausgehend von einer poetischen Idee, befreit sich Liszt vom Zwang erstarrter Formprinzipien der Klassik. Während Richard Strauss später anmerkt, Liszt sei „der einzige Sinfoniker, der nach Beethoven kommen musste und auf ihn einen großen Fortschritt bedeutet. Alles Übrige ist purer Dreck“, spricht Peter Tschaikowski von einem Angriff auf die „Keuschheit des Gehörapparates“. Trotz der leider bis heute anhaltenden Vorurteile gehört die von Liszt „erfundene“ Form der Sinfonischen Dichtung, die „Erneuerung der Musik durch ihre innigere Verbindung mit der Dichtkunst“ (Franz Liszt) zu den bedeutendsten musikgeschichtlichen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts. Der Kompositionstitel ist dabei nur eine Andeutung, eine Blickrichtung, die der Fantasie des Hörers freien Lauf lässt. Franz Liszt ist nicht nur musikalisch innovativ, er ist ein vielseitig interessierter, sprachbegabter und tief spiritueller Mensch, er pflegt eine regelmäßige Korrespondenz mit den Geistesgrößen seiner Zeit, wie Honoré Balzac, Victor Hugo, Heinrich Heine und George Sand.

1858, auf eigenen Wunsch aus dem Kapellmeisterdienst entlassen, zieht er nach Rom. Dort empfängt er die Niederen Priesterweihen und tritt von nun an als Abbé im schwarzen Habit auf. Sein geistliches Spätwerk zeugt von einer unerschöpflichen Kreativität. 1869 kehrt er nach Weimar zurück. Liszt und seinen Kollegen Richard Wagner verbindet eine lange, enge Freundschaft. Auch als Schwiegervater Wagners – dieser heiratet dessen Tochter Cosima – bleibt er in Erinnerung.

Franz Liszt stirbt am 31. Juli 1886 in Bayreuth an einer Lungenentzündung.

Die Musikwelt verliert die vielleicht vielseitigste Künstlerpersönlichkeit des 19. Jahrhunderts, einen Visionär, einen Wegbereiter, der in seiner außergewöhnlichen kompositorischen Kühnheit weit in die Moderne reicht. Zu Unrecht ist ein Teil seiner mehr als 800 Werke in Vergessenheit geraten. Ein Saison übergreifendes Projekt von Christian Thielemann und seinen Musikern ist, daran etwas zu ändern.

Staatskapelle Berlin copyright Andreas Labes

Der heutige Konzertabend beginnt mit Ce qu´on entend sur la montagne S 95 (Bergsymphonie), der ersten der Sinfonischen Dichtungen von Franz Liszt, entstanden 1848/49, uraufgeführt unter Leitung des Komponisten im folgenden Jahr in Weimar. Den poetischen Grundgedanken liefert der Gedichtzyklus Feuilles d´automne von Victor Hugo. Den von Hugo thematisierten Wechsel von Verschwinden und Wiederkehr der Stimmen von Natur und Menschheit, den sich dauernd wiederholenden Konflikt und die immer wieder auf Gott setzende Hoffnung nimmt die Musik auf. „Die beiden Stimmen ringen sich einander näher, durchkreuzen und verschmelzen sich, bis sie endlich in geweihter Betrachtung aufgehen und verhallen“ (Franz Liszt). Bei Hugo endet die Ode allerdings nicht in geweihter Betrachtung, sondern fragend und nachdenklich. Nach Selbstzweifeln und mehreren Überarbeitungen bekommt die Komposition erst 1857 ihre endgültige Gestalt. Die beiden Themen, erwachsen aus einem Kernmotiv, lassen in ihrer kompositorischen Verarbeitung traditionelle sinfonische Formen noch ahnen. So gibt es langsame und schnelle Abschnitte, ein choralartiges Andante religioso führt in den weihevollen Schluss. 

Richard Strauss (1864-1949)

Aus dem vorangegangenen Strauss-Zitat zu Franz Liszt sehen wir, wie sehr dieser Liszt als Komponisten schätzt. Richard Strauss nimmt die Idee der Sinfonischen Dichtung von Liszt auf und setzt sie glanzvoll und vollendet um. Sechzig Jahre lang ist Richard Strauss eine der führenden Persönlichkeiten der europäischen Musikszene, seine Werke dürften auch heute die meistaufgeführten des späten 19. und des 20. Jahrhunderts sein.

Am 11. Juni 1864 wird Richard Strauss in München geboren, der Vater ist Solohornist der Münchner Hofkapelle, Die Familie fördert zielstrebig seine außergewöhnliche musikalische Begabung zielstrebig. Im Alter von sechs Jahren beginnt er zu komponieren. Durch die Verbindungen des Vaters lernt Strauss sehr bald Richard Wagner, Johannes Brahms und Hans von Bülow kennen. Schon die Werke des Zwanzigjährigen werden von den größten zeitgenössischen Dirigenten aufgeführt. Als Komponist einer Reihe meisterhafter Sinfonischer Dichtungen gehört er bereits jetzt zu den führenden Persönlichkeiten der europäischen Avantgarde. 1894 heiratet Strauss die Sängerin Pauline de Ahna, für die er die meisten seiner Lieder komponiert – für ihn die ideale Interpretin. Mit Salome, 1905 erfolgreich in Dresden uraufgeführt, bestätigt er seinen Status als größter Komponist seiner Zeit. In Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal wird 1910 Der Rosenkavalier sein größter Opernerfolg. Auch als Dirigent festigt Strauss seinen internationalen Ruf, mit Franz Schalk übernimmt er die Leitung der Wiener Hofoper. Beide gehören 1917 zu den Mitbegründern der Salzburger Festspiele.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 fordert auch von den Künstlern eine klare Haltung. Doch Richard Strauss sieht tatenlos zu, als Fritz Busch, der eigentlich die Uraufführung seiner Arabella dirigieren sollte, in Dresden aus dem Amt gejagt wird. Bei den Berliner Philharmonikern springt er als Dirigent für den vertriebenen Bruno Walter ein - allerdings spendet er sein Honorar dem Orchester -, in Bayreuth übernimmt er das Dirigat des Parsifal, nachdem Arturo Toscanini aus Protest gegen die Nazis abgesagt hatte. Dort trifft sich Strauss auch mit Hitler und Goebbels. Ende des Jahres 1933 wird er Präsident der Reichsmusikkammer, doch schon zwei Jahre später kommt es zur Amtsenthebung wegen fortgeführter Kontakte mit seinem Librettisten Stefan Zweig. Das hindert Strauss jedoch nicht, für die Olympiaeröffnung 1936 die Hymne zu schreiben und selbst zu dirigieren. Strauss darf auch in der NS-Zeit weiter arbeiten wie gewohnt, 1942 entsteht nach einem Libretto von Clemens Krauss seine letzte Oper Capriccio. Es schließt sich nun ein kompositorischer Kreis, noch einmal widmet sich Strauss der Instrumentalmusik und Liedern. Richard Strauss komponiert so großartige Werke wie die Metamorphosen, das Oboenkonzert und Vier letzte Lieder. Richard Strauss stirbt am 8. September 1949 in seinem Haus in Garmisch.

Auch in der heutigen Zeit hält die Diskussion über die ambivalente Person Strauss weiter an. Für die Philosophen Theodor W. Adorno und Ernst Bloch ist Scheinhaftigkeit und der Mangel an gesellschaftlicher Realität die Besonderheit seiner Musik. Dagegen bezeichnet der Ausnahmepianist Glenn Gould Richard Strauss als die größte musikalische Gestalt des 20. Jahrhunderts.

Elin Morley copyright Andreas Labes

Orchesterlieder: In seinen Liedschöpfungen beweist der Komponist sein außergewöhnliches Verständnis für die Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Stimme. Viele Lieder entstehen zunächst mit Klavierbegleitung, erst Jahre später entscheidet sich Strauss für eine Orchesterfassung. Durch seine unübertroffene, feinfühlig sinnliche Orchestrierung, in wenigen Fällen unterstützt von Felix Mottl (Ständchen) und Robert Heger ( Allerseelen, Zueignung), erreichen die Lieder eine neue, tiefe emotionale Wirkung und finden jetzt den Weg auch in die großen Konzertsäle.

Ständchen op. 17 Nr. 2 komponiert Richard Strauss 1886. In diesem Zyklus von sechs Liedern vertont er Gedichte von Adolf Friedrich von Schack. Es ist interessant, dass die Orchesterfassung (1912) nicht von Strauss, sondern von Felix Mottl stammt. Mit seiner lyrischen, volksliedhaften Melodie erreicht das Lied beim Publikum eine große Beliebtheit.

Meinem Kinde op. 37 Nr. 3, nach einem Gedicht von Gustav Falke, schreibt Strauss 1897 während der Schwangerschaft seiner Frau Pauline. Der sechsteilige Zyklus basiert auf Texten von Richard Dehmel, Detlev von Liliencron (2), Anton Lindner und Gustav Falke, erst später kommt ein früher komponiertes Lied nach Emanuel von Bodmann hinzu.  

Mein Auge op. 37 Nr. 4 entsteht 1898 nach einem Text von Richard Dehmel, gewidmet seiner geliebten Frau: „Mein Auge Du! Wie war ich doch so blind!“

In diesem Zyklus ist es unmöglich, die Komposition von höchst persönlichen, privaten Empfindungen zu trennen. 1933 schreibt Strauss eine Orchesterfassung der Lieder.

Das Bächlein op. 88 Nr. 1 komponierte Richard Strauss im Dezember 1933, nach seiner Ernennung zum Präsidenten der Reichsmusikkammer und trägt die eigenhändige Widmung an Herrn Reichsminister Dr. Joseph Goebbels. Der Text des dreistrophigen Liedes wird bis heute gelegentlich und fälschlicherweise Johann W. Goethe zugeschrieben, aber auch Caroline Rudolphi ist als Autorin nicht gesichert. 1935 entsteht eine Orchesterfassung

Freundliche Vision op. 48 Nr. 1, im Jahr 1900 nach einem Text von Otto Julius Bierbaum komponiert und 1918 orchestriert, erweitert Strauss mit vier Vertonungen von Gedichten von Karl Henckell. Das Lied muss Strauss selbst sehr geschätzt haben, es gehört zu den Liedern, die er mit auf eine seiner USA-Tourneen nimmt und dort mehrfach aufführt.

Amor op. 68 Nr. 5 schreibt Richard Strauss auf einen Text von Clemens Brentano: Der listige Liebesgott Amor verführt ein naives Hirtenmädchen.

Keck und mit virtuosen Koloraturen ist das Lied eine Herausforderung für alle Interpreten. Die sechs Lieder werden 1918 zum ersten Mal aufgeführt. 1940 schreibt Strauss eine Orchesterversion nur für Holzbläser und Streicher, ohne Kontrabässe.

Zueignung op. 10 Nr. 1 komponiert Strauss im Herbst 1885, verliebt in Dora Wilhan. Er vertont Gedichte von Hermann von Gilm. Da Strauss die Orchesterfassung von Robert Heger von 1932 nicht gefällt, fertigt er 1940 eine eigene Version an, die erst 1965 im Druck erscheint. Mit seinen impulsiven melodischen Bögen zählt dieses Lied zu seinen beliebtesten Kompositionen.

Die US-amerikanische Sängerin Erin Morley gestaltet die sieben ausgewählten Orchesterlieder von Strauss mit ihrem glockenklaren, leichten Koloratursopran intensiv, lupenrein in der Intonation, mit wunderbarer Phrasierung Dabei wird sie von Christian Thielemann und der Kapelle zurückhaltend subtil getragen, von Lied zu Lied raffiniert wechselnd in Farbe und Stimmung. Die gesangsartistische Leistung in Amor wurde mit spontanem Beifall belohnt. Langanhaltender Applaus sorgte für eine Zugabe von außergewöhnlicher Art: das Strauss-Lied Nacht, das, erst jetzt im Nachlass des Komponisten als Particell entdeckt, von Thomas Hennig orchestriert wurde. Insgesamt hätte allerdings der Textverständlichkeit der Lieder eine fokussierte Stimme mit etwas mehr Volumen gut getan. Nebenbei: Für mich ist unverständlich, warum das etwas läppische Bächlein mit seiner zweifelhaften Entstehungsgeschichte Bestandteil des Programms wurde.

Mit Liszts zweiter Sinfonischen Dichtung Tasso. Lamento e Trionfo S 96 schließt der Abend. 1849, anlässlich des 100. Geburtstags von Johann W. Goethe als Ouvertüre zum Schauspiel Torquato Tasso komponiert, 1850/51 überarbeitet und 1854 um eine Art Menuett erweitert, erhält das Werk, der Fürstin Carolyne zu Sayn-Wittgenstein gewidmet, zum ersten Mal die Bezeichnung Sinfonische Dichtung. In einem Vorwort bezieht sich Liszt nicht nur auf Goethe, sondern explizit auch auf ein Gedicht von Lord Byron. Lamento e Trionfo: Verzweiflung über die höfischen Intrigen am Hof des Fürsten d´Este in Ferrara, eine Ballszene und letztlich der Triumph des Tasso in Rom bilden den Handlungshintergrund. Die einsätzige Komposition ist aufgebaut auf einem Hauptthema, das kunstvoll verwandelt und in drei satzähnlichen Teilen gekonnt formal organisiert ist. Dieser Komposition liegt eine Canzone der venezianischen Gondolieri zugrunde. Bereits Jahre zuvor in Italien gehört, verwendet Liszt das Lied schon vorher in seinem Klavierstück Chant du Gondolier. Interessant ist die Verarbeitung dieses Themas. Einer langsamen Einleitung folgt ein erregtes Allegro. Jetzt erklingt das Kernthema in der Bassklarinette. In der menuettartigen Episode spielen die Streicher ein in sich geschlossenes Stück, die Holzbläser ein eigenes. Das anschließende Allegro führt zum triumphalen Finale. Der Ruhm Tassos ist unvergänglich!

Wolfram Brandl copyright Andreas Labes

Die Leistung der Berliner Staatskapelle, von Christian Thielemann aufmerksam und sensibel geführt, war makellos, ein wunderbar homogener und dunkel gefärbter Streicherklang, eine Holzbläsergruppe mit großartigen Solisten, ein Blech wie aus einem Guss! Für seine solistischen Leistungen bekam der Konzertmeister Wolfram Brandl verdienten Extrabeifall. Das Publikum feiert die Staatskapelle und Christian Thielemann enthusiastisch. Auf die Fortsetzung der Serie Liszt-Strauss darf man schon sehr gespannt sein.

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