Dresden, Semperoper, RICHARD STRAUSS-TAGE 2023 : 2. - 16. April 2023, IOCO Kritik, 17.04.2023

Dresden, Semperoper, RICHARD STRAUSS-TAGE 2023 : 2. - 16. April 2023, IOCO Kritik, 17.04.2023
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Semperoper © Matthias Creutziger
Semperoper © Matthias Creutziger

Richard Strauss-Tage 2023 - 16. April 2023

Richard Strauss-Tondichtungen - Franz Liszt - 1. Klavierkonzert

Sächsische Staatskapelle -  Tugan Sokhiev - Hoachen Zhang

von Thomas Thielemann

Richard Strauss Büste in Walhalla © IOCO
Richard Strauss in Walhalla © IOCO

Von den sieben Werken die Franz Liszt (1811-1886) für Klavier und Orchester komponierte, war das als Nummer 1 eingestufte Es-Dur-Klavierkonzert jene Arbeit, mit der er sich über zwei Jahrzehnte recht schwer getan hat.

In der Zeit um 1834 notierte Liszt Skizzen, mit denen er eine neue Verarbeitung von Motiven in Form von Versetzungen und Transformationen anstrebte. In diesen Versuchen vereinen sich seine erfolgreichen Jahre als Klaviersolist mit dem Beginn des Weges zu seinem späteren symphonischen Stil. Diese Entwürfe verarbeitete er später in den Es-Dur- und A-Dur-Klavierkonzerten. In einer erhaltenen Fassung des Es-Dur-Konzerts hatte Liszt den zweiten und dritten Satz bereits miteinander verbunden und ein Thema des zweiten Satzes im Finale wiederkehren lassen. Mit programmatischen Tondichtungen, unter anderem den Variationen über BerliozLélio“, übte er in den Folgejahren und testete seine Ideen.

Vermutlich in der ersten Zeit seiner Kapellmeistertätigkeit in Weimar um 1848 erhielt das effektvolle, variantenreiche Es-Dur Klavierkonzert seine Gestalt. Die Instrumentierung des Orchesterparts ließ der passionierte Pianist Liszt vermutlich von dem später als Komponist sehr produktiv tätigen Autodidakten Joachim Raff (1822-1882) vornehmen.

Sächsische Staatskapelle Dresden in der Semperoper © Matthias Creutziger
Sächsische Staatskapelle Dresden in der Semperoper © Matthias Creutziger

Den klassischen Konzertaufbau sucht man wegen der satzübergreifenden Verknüpfung der Themen vergeblich. Deshalb ist noch immer umstritten, ob es sich bei Liszt erstem Klavierkonzert in letzter Konsequenz um ein dreisätziges oder um ein viersätziges Werk handelt.

Der von poetischem Ausdruck und phantasievoller Durchdringung der Motive geprägte Solopart erfordert höchste virtuose Fähigkeiten und pianistisches Können. Erst nach weiteren mehrfachen Korrekturen wurde das Klavierkonzert im Februar 1855 mit dem Solisten Franz Liszt und dem Dirigenten Hector Berlioz (1803-1869) im Weimarer Schloss erstmalig aufgeführt.

Hoachen Zhang - Pianist © Matthias Creutziger
Hoachen Zhang - Pianist © Matthias Creutziger

Der im Jahre 1990 in Shanghai geborene Pianist Hoachen Zhang stellte sich, obwohl er inzwischen eine bemerkenswerte Weltkarriere macht, zum ersten Mal in Dresden vor.  Die virtuosen Herausforderungen der Tonschöpfung meisterte der Pianist auf das Hervorragendste. Trotz aller Klarheit und Eindeutigkeit werden die dynamischen Aspekte der Komposition nicht überbetont, die temperamentvollen Mittel da eingesetzt, wo sie der klanglichen Auslotung der Möglichkeiten des Instruments dienen. Die langsamen Abschnitte blieben wirksam nuanciert.

Die Solopassagen waren zurückhaltend in das von Tugan Sokhiev geleitete Orchesterspiel der Sächsischen Staatskapelle beziehungsreich eingebunden und blieben an keiner Stelle virtuoser Selbstzweck. Sokhiev war in jeder Phase kooperativer Partner Zhangs, begünstigte Dialoge von Instrumentalisten mit dem Klavier und ließ die Musik atmen. Gewissermaßen als Ausgleich, konnte Hoachen Zhang mit rezitativartigen Teilstrecken und Kadenz-Einfügungen seine Individualität behaupten und seinen schönen Anschlag ausleben.

Das Klavierkonzert war mit zwei Tondichtungen von Richard Strauss (1864-1949) und seinem „Tanz der sieben Schleier“ aus der Oper Salome umrahmt worden.

Eigentlich wollte Richard Strauss eine Oper „Till Eulenspiegel bei den Schildbürgern“ schreiben, verfasste auch im Frühjahr des Jahres 1894 Teile des Librettos und skizierte die ersten musikalischen Motive. Als aber seiner Erstlingsoper Guntram mit der Uraufführung in Weimar sowie mit einem weiteren Aufführungsversuch in München kein Erfolg beschieden war, brach er die Arbeit ab. Im Herbst 1894 griff Strauss den Stoff wieder auf und verarbeitete seinen Text zum Programm einer Tondichtung „Till Eulenspiegels Streiche; nach alter Schelmenweise in Rondeau Form“, die für großes Orchester gesetzt, im November 1895 einen spontanen Erfolg brachte.

Bekannte Bilder ziehen am Hörer vorbei: Till mit keifenden Marktweibern denen er Körbe umwirft und Töpfe zerbricht; Till der als Wanderprediger die Menschen an der Nase führt; Till, der sich vergeblich in ein Mädchen verliebt und ob der Abweisung in Wut gerät; Till, der seinen Zorn an den Philistern der Wissenschaft abreagiert und am Ende von der verspotteten Welt vor Gericht gestellt, zum Tod durch den Strangverurteilt auch gehängt wird.

Tugan Sokhiev und die Sächsische Staatskapelle © Matthias Creutziger
Tugan Sokhiev und die Sächsische Staatskapelle © Matthias Creutziger

Tugan Sokhiev eröffnete das Konzert mit dem „Eulenspiegel“ pointiert und bissig mit imponierender Achtsamkeit. Dabei band er die instrumentalen Effekte nachhaltig ein, vermied, dass die Musik auf eine bloße Bebilderung der schlichten Handlungsfetzen begrenzt blieb, so dass eine durchaus moderne Erzähltechnik geboten wurde. Das alles ließ er vom Orchester fröhlich und burlesk ausmalen und zu einem optimistischen Nachspiel führen. Den Abwechslungsreichtum, die Präsenz und die Drastik des Geschehens gestaltete das Orchester plastisch und entwickelte die thematisch variable, rhythmische, harmonische Musik auf das eindrucksvollste.

Richard Strauss war noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, als er sich mit der Sterblichkeit des Menschen auseinander setzte. Dabei gibt es keine Hinweise, was ihn zu den morbiden Überlegungen geführt habe. Bei nüchterner Betrachtung hat er sich dem Thema auch kühl und prosaisch, letztlich ohne philosophischen Hintergrund und eigentlich voyeuristisch genähert.

Trotzdem war ihm eine der eindrucksvollsten künstlerisch überhöhten Gestaltung des Sterbeprozesses eines Menschen der Musikliteratur gelungen. Einprägsam, düster und realistisch lässt Richard Strauss den Hörer am Sterbeprozess eines dem Tode Geweihten teilnehmen. Das Leben zieht noch einmal vorüber, lässt seine Gedanken schweifen und die eine oder andere Erinnerung zurückholen. Immer wieder peinigen Schmerzen, bis sich die erlösende Apotheose, die Verklärung entwickelt. Die drastischen Schilderungen seiner Tondichtung „Tod und Verklärung“ empfindet nicht jeder aufmerksame Zuhörer angenehm. Aber die von Strauss geschilderten Umstände betreffen irgendwann Jeden.

Tugan Sokhiev erwies sich als ein hochsensibler Dirigent, der mit Emotionen und Ausdrucksintensität diese schwer erträgliche Gefühlswelt aufzuhalten vermag. Die Musiker der Staatskapelle waren ihm empfindsame und feinfühlige Partner, diese Intension auch so in den Raum der Semperoper zu transformieren, dass seine Zuhörer nicht zu tief belastet wurden.

Das dem Werk später untergeschobene Programm-Gedicht des Strauss-Freundes Alexander Ritter (1833-1896), einem Sohn der berühmten Dresdner Wagner-Mäzenin Julie Ritter (1794-1864), dürfte der Komposition eher schaden, als zu helfen, obwohl immer wieder Bezug darauf genommen wird.

Mit der Adaption des skandalösen Dekandenzdramas „Salome“ des Oscar Wilde setzte sich Richard Strauss mit der eingrenzten Sinnlichkeit einer dämonischen Kind-Frauen-Figur auseinander. Dabei bewegte sich seine überbordende inbrünstig-schwül-leidenschaftliche, zugleich zarte und flirrende Komposition an der Grenze der Moderne. Psychogramme zügelloser Wollust, hitzig aufgeladene Gefühlswogen, dabei seelische Abgründe und erschreckende Gefühlskälte kennzeichnen die Musik von „Salomes Tanz“.

Wie diese Auswüchse von Obsession, Inzest und Nekrophilie in einem zeitgemäßen Konzert und dabei noch als abschließenden Höhepunkt zu verpacken? Hier konnte Tugan Sokhiev nur mit schroffen Klangballungen und ruppigen Dissonanzen Rückgriffe auf die Kindheit der Stieftochter des Herodes hervorzaubern und so die Herkunft der schwelgerischen Klangbilder begründen.

Den Hörern des Konzertes kam diese eher bachanale Interpretation nach der schweren Kost von „Tod und Verklärung“ entgegen, so dass deutlich heftiger und länger Applaudiert wurde.

Autor der Bilder:     © Matthias Creutziger

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