Münster, Theater Münster, RIGOLETTO - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 04.03.2023

Münster, Theater Münster, RIGOLETTO - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 04.03.2023
Theater Münster © Rüdiger Wölk
Theater Münster © Rüdiger Wölk
Theater Münster

RIGOLETTO - Giuseppe Verdi

- Mitleid mit den Ekelpaketen -

von Hanns Butterhof

Mit der Oper Rigoletto begann 1851 in Venedigs Teatro la Fenice Giuseppe Verdis internationale Popularität. Die schauer-romantische Geschichte des buckligen Hofnarren Rigoletto, der seine Tochter vor der schlimmen Welt bewahren will und sie gerade dadurch verliert, entsprach dem Geschmack der Zeit. Die feinsinnige Regie von Cordula Däuper am Großen Haus des Theater Münster legt schlüssig die Gebrochenheit der Figuren bloß, die Gesichter hinter den Masken, die sie sich aus verschiedenen Gründen zulegen. Regie wie die umfassend gelungene gesangliche und orchestrale Leistung fanden den begeisterten Beifall des Publikums.

Trailer Rigoletto - Theater Münster youtube Theater Münster

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Was die Regie Cordula Däupers mit diesem Rigoletto zeigen will, besprochene Vorstellung 25.2.2023, macht sie mit dem ersten Blick auf die Bühne deutlich. Die ist von einem hohen, mit Lämpchen bestückten Varieté-Eingang gerahmt. Die dazugehörige Wand ist mit Kippfiguren gemustert, Kuben, die je nach Blick einmal deren Außen- oder Innenseiten zeigen. Mit ihnen sind die Wände im Ballsaal des Herzogs von Mantua tapeziert, in Grautönen mustern sie die Anzüge der Hofgesellschaft, bunt das Narrenkostüm Rigolettos (Bühne: Friedrich Eggert, Kostüme: Sophie du Vinage). Sie sind ein Vexier-Bild für die Welt und ihre Figuren, die je nach Betrachtung und Situation andere Seiten von sich zeigen und von der privaten in die öffentliche, von der herzlosen auf die menschliche Seite kippen.

Öffentlich tragen alle ihre Masken, am offensichtlichsten die feige Hofgesellschaft. Bei ihr verbirgt sich jeder hinter einem lachenden Selfie, das er wie einen übergroßen Lolli am Stil vor sein Gesicht hält. Rigoletto (Johan Hyunbong Chio) ist professionell kostümiert und kann sich unter seiner Schminke verstecken, während der Herzog (Victor Compos Leal) seine Liederlichkeit mit einem flamingopinken Fummel offiziell ausstellt.

Theater Münster / RIGOLETTO hier Johan Hyunbong Choi, Robyn Allegra Parton © Martina Pipprich
Theater Münster / RIGOLETTO hier Johan Hyunbong Choi, Robyn Allegra Parton als Gilda © Martina Pipprich

Er reißt sich ohne Rücksicht auf ihren Gatten oder Scham vor den zuschauenden Höflingen die Gräfin Ceprano (Katharina Sahmland) unter den Nagel, von Rigoletto bösartig und zutiefst verletzend für den  betrogenen Grafen angespornt - zwei absolute Ekelpakete.

Doch kaum wischt sich Rigoletto, von dessen Buckel nur noch ein tapsiger Gang zeugt, seine Schminke aus den Gesicht und macht als Narr  Feierabend, erweist er sich als fürsorglicher Vater. Er hält seine Tochter Gilda (Robyn Allegra Parton) vor dem Hof und vor allem dem Herzog verborgen und zuhause eingeschlossen; nur der Kirchgang ist ihr erlaubt. Doch sie ist eine junge Frau mit eigenen Bedürfnissen, nicht der reine Engel, als den Rigoletto sie sehen will und dessen Bild sie ihm präsentiert. Man kann in Rigolettos Herz schauen, wie er Gilda mit  Engelsflügeln versieht und sie fast in den Himmel erhebt. Was er nicht sieht, sind ihre roten Schuhe, die den Engel dementieren.

Gilda hat sich beim Kirchgang in den Herzog verliebt, ohne dass beide von einander wissen, wer sie sind. Sich als Student ausgebend, verschafft er sich zu ihr Einlass in Rigolettos Haus. Die Liebe scheint beidseitig zu sein, beide begegnen sich rückhaltlos ohne ihre öffentlichen Masken, ohne Fummel, ohne Engelsattribute.

Ebenfalls ohne Masken unterbricht die offen über Rigolettos Bösartigkeit empörte Bande der Höflinge die Zweisamkeit. Sie halten Gilda für Rigolettos Geliebte und wollen sich an dem Narren rächen, indem sie Gilda entführen und als Beute dem Herzog vorwerfen. Wenn sie dann Geliebte des Herzogs geworden ist, soll Rigoletto so leiden, wie Graf Ceprano unter ihm gelitten hat. Und so geschieht es; als Gilda wieder ihrem Vater überliefert wird, sieht er nur ihre blutverschmierten Engelsflügel.

Als Rache will er den Herzog von dem Auftragsmörder Sparafucile (Ki Hoon Yoo) töten lassen. Dieser lässt seine  Opfer von seiner attraktiven Schwester Maddalena (Wioletta Hebrowska) in sein Haus locken, wo er sie dann zuverlässig umbringt. Auch mit dem Herzog verfährt er so, und Rigoletto nötigt Gilda,dem Verführten bei seinen Liebesschwüren an Maddalena zuzuhören. Das soll sie von ihrer Liebe heilen. Doch der Plan misslingt. Während Maddalena tatsächlich glaubt, sie sei mit der Liebe des Herzogs gemeint und ihren Bruder bestürmt, ihn nicht zu töten, meint der Herzog nur Gilda; er tanzt mit einer Kleiderpuppe, die Gildas weißes Kleid trägt.

Als Mann verkleidet will Gilda den Herzog retten und wird von  Sparafucile getötet. In einen Sack verpackt übergibt  er die vermeintliche Leiche des Herzogs an Rigoletto. Kurz glaubt der an seinen Triumph, zu spät erkennt er seinen Irrtum, während vor seinem inneren Auge Gilda mit reinen Flügeln in den Himmel aufsteigt.

Theater Münster / RIGOLETTO hier Scenefoto © Martina Pipprich
Theater Münster / RIGOLETTO hier Scenefoto © Martina Pipprich

Die Regie Cordula Däupers gewinnt mit ihrem differenzierten Spiel von Maskierung und Entblößung dem Rigoletto eine sehr menschliche Dimension hinzu. Nichts ist im Leben nur gut oder schlecht, überall sind die Charaktere und selbst die Masken uneindeutig, und man hat Mitleid mit den Ekelpaketen des Beginns. Rigoletto bringt sich ins Unglück, weil seine Vaterliebe nicht Gilda sieht, wie sie ist, sondern wie das Bild, das er sich von ihr macht, wie anfangs auch der Herzog, der die Gräfin Ceprano nur durch die Maske eines idealisierten Frauengesichts ansieht. Dass Cordula Däuper die realistische Ebene immer wieder zugunsten einer symbolischen verlässt, ist so mutig wie sinnfällig.

Gesangsdarstellerisch ist dieser Rigoletto in allen Partien gut besetzt. Johan Hyunbong Choi ist mit beweglichem Bariton ein glaubwürdiger Rigoletto in Bosheit wie Verzweiflung, Victor Compos Leal mit heldischem Tenor ein skrupulöser Womanizer mit Liebesbefähigung.  Robyn Allegra Parton nimmt mit jugendlichem Sopran und unangestrengt leuchtenden Koloraturen für sich ein wie auch Wioletta Hebrowska als Maddalena. Zudem gefallen Ki Hoon Yoo als Sparafucile, Gregor Dalal als Monterone, Katharina Sahmland und Kiyotaka Mizuno als Gäfin und Graf Ceprano und der von Anton Tremmel einstudierte Herren-Opernchor. Am Pult des Sinfonieorchesters Münster unterstützte der Erste Kapellmeister Henning Ehlert gefühlvoll das Regiekonzept, kostete die Gegensätze in Verdis Musik voll aus, begleitete Parlandos pianissimo und drehte bei den Tutti voll auf, ohne die Sängerinnen und Sänger jemals zuzudecken.

Der jubelnde Beifall für alle Beteiligten war nach gut zweieinhalb Stunden italienischen Gesangs mit deutscher Übertitelung einhellig.