Dresden, Kulturpalast, Dresdner Philharmonie - Stéphane Denève, IOCO Kritik, 16.01.2023

Dresden, Kulturpalast, Dresdner Philharmonie - Stéphane Denève, IOCO Kritik, 16.01.2023
Kulturpalast Dresden © Nikolaj Lund
Kulturpalast Dresden © Nikolaj Lund

Kulturpalast Dresden

DRESDNER PHILHARMONIE  - Stéphane Denève

- Konzert 14.1.2023 - Lyrische Klänge und rhythmische Urgewalten -

von Thomas Thielemann

Natürlich ärgerte es den Komponisten Max Bruch (1838-1920), dass aus seinem breiten Schaffen sein erstes Violinkonzert g-Moll eine immense Verbreitung fand, während seine Symphonien und späteren Violinkonzerte, die er selbst niveauvoller beurteilte, vernachlässigt wurden. Dabei war eine 1866 in Bremen aufgeführte Urfassung des g-Moll-Konzertes kein Erfolg. Erst als der erfahrene Konzertdirigent Hermann Levi (1839-1900) das Potential der Komposition erkannte und  gemeinsam  mit dem Geiger Joseph Joachim (1831-1907) eine Überarbeitung des Soloparts der beiden Ecksätze initiierte, wurde die Wirkung der Tondichtung gesichert. Es sollen ein halbes Dutzend Zwischenfassungen, auch mit Voraufführungen im kleinen Kreis, gegeben haben, bis 1868 die Druckausgabe erfolgen konnte.

Das Ohrwurm-Thema der Introduktion, die klare Struktur des Werkes mit ihrer ausdrucksvollen Melodik sowie Klangschönheit fesselten seit der Erstaufführung gleichermaßen Konzertbesucher und  Solisten.

Dresdner Philharmonie im Kulturpalast © Bjoern Kadenbach
Dresdner Philharmonie im Kulturpalast © Bjoern Kadenbach

Das Manuskript der Erstfassung ist leider nicht mehr auffindbar und auch das Manuskript der gültigen Fassung brachte Bruch keinen Reichtum. Im Zusammenhang mit seinem Versuch, die Original-Partitur in den Vereinigten Staaten zu Geld zu machen, gelangte das Dokument im Jahre 1911  in dubiose Hände und tauchte erst 1967 mit der Sammlung der „Philanthropin“ Mary Flagler Cary (1901-1967) in der Pierpont Morgan Bibliothek wieder auf.

Wir Dresdner Musikfreunde erinnern uns an das Silvesterkonzert 2016 der Sächsischen Staatskapelle, als der dänische Geiger, damals noch unter seinem Künstlernamen Nikolaj Znaider, im Semperbau das Bruch-Violinkonzert g-Moll spielte und seinen überwältigenden Erfolg im 1. Symphoniekonzert der Staatskapelle der Saison 2017/2018 mit dem Dirigat Christian Thielemanns wiederholte.

Nikolaj Szeps-Znaider - Violine © Lars Gundersen
Nikolaj Szeps-Znaider - Violine © Lars Gundersen

Unsere etwas nähere Bekanntschaft mit Nikolaj Szeps-Znaider reicht bis in das Jahr 1999 zurück, als der junge Geiger in Bad Kissingen, nach dem er mit der „Sinfonia VarsoviaKrystof Pendereckis (1933-2020) Violinkonzert gespielt hatte, den ersten „Luitpold-Preis“ unseres „Fördervereins Kissinger Sommer“ entgegen nehmen konnte.

Seit dem hat der erfolgreiche Musiker nicht nur seinen Künstler-Namen, um seine Vorfahren väterlicherseits zu ehren, auf seinen Geburtsnamen zurück geändert, ist deutlich älter geworden, aber vor allem künstlerisch gereift.

Nach dem Einstieg der Orchesterexposition spielte der Solist mit hoher Virtuosität seine Deutung des g-Moll-Konzertes. Jede Melodie, jede Linie demonstrierte den feingeistig-ausgereiften Zugang des Nikolaj Szeps-Znaider zur Komposition. Er ließ sich durchaus Zeit und vermied meisterhaft die Gefahren einer abgeschmackten Süßlichkeit im Adagio.

Unbeeindruckt zog er sein Konzept durch, selbst als die Gefahr einer Überdeckung seines Spiels durch die Blechbläser aufkam. Mir blieb unverständlich, warum Stéphane Denève beim Einhegen der Bläser nicht vorbeugend reagiert hatte. Denn ansonsten begrenzte er die Orchester-Forcierung auf die Pausen des Solisten.

Mit einer Bach-Zugabe konnte Nikolaj Szeps-Znaider die feingliederige Differenzierung seines Spiels und den prachtvollen Klang seines Instruments zur Geltung bringen. Er spielte eine Violine aus der Werkstatt von Antonio Guarneris „del Gesu“ von 1741, die auch als „Ex Kreisler Guarnerius“ bekannt ist, weil Fritz Kreisler (1875-1962) das Instrument in London spielte.

Die Ovationen zum ersten Konzertteil waren kraftvoll, aber nicht so intensiv, wie ich es für angebracht erwartet hätte.

Eigentlich hatte mich das Wiedersehen mit Nikolaj Szeps-Znaider und seine Bruch–Interpretation in das Konzert des Gastdirigenten Stéphane Denève gelockt. Im Programm des 1971 geborenen Franzosen standen noch drei weitere Kompositionen, die jede auf ihre unabhängige Weise Vorstellungen in den Köpfen der Konzertbesucher entstehen ließen.

Zum Auftakt des Abends spielte das Orchester der Dresdner Philharmonie Prokofjews Suite aus der Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“. Sergei Prokofjew (1891-1953) koppelte noch im Entstehungsjahr 1919 aus der spätromantischen Tondichtung seiner wilden Geschichte um den depressiven Prinzen, der von der bösen Fee verflucht und sich in drei Orangen verliebte, Fragmente aus.

Mit seinem unerschöpflichen Erfindungsreichtum und außergewöhnlichem technischen Können setzte er die fantastische Welt des Märchens ins hörbare um. Eine groteske Komik, Witz und Ironie spielen neben tonmalerischen Bestandteilen eine wichtige Rolle.

Der Gast von den Brüsseler Philharmonikern und dem St. Luis Symphonieorchester gestaltete die 1924 überarbeitete Fassung der Suite mit Energie, schwungvoll und mit raschen Tempowechseln. Sparte dabei nicht an gelegentlichem Marschgetöse, aber letztendlich war der Eindruck seiner Interpretation etwas spröde.

Der Belgier Maurice Maeterlinck (1862-1949) hatte mit seiner  symbolistischen Dramatisierung der Dreiecksgeschichte zwischen den Halbbrüdern Golaud und Pelléas mit dem schönen Waldmädchen Mélisande einen wunden Punkt seiner Zeit getroffen. Neben mehreren Übersetzungen und musikalischen Adaptionen des Stoffes unter anderem von Claude Debussy (1862-1918) , Jean Sibelius (1865-1957) sowie Arnold Schönberg (1874-1951) komponierte der Französische Musiker Gabriel Fauré (1845-1924) im Sommer 1898 auf Bitten der englischen Schauspielerin Mrs. Patrick Campell (1865-1940) eine neunaktige Bühnenmusik, die die mystisch, psychologische Vieldeutigkeit der abgründigen Handlung packend und schillernd erfasste.

Stéphane Dèneve, Dirigent © Joseph Joachim
Stéphane Dèneve, Dirigent © Joseph Joachim

Vier der neun Elemente gestaltete Fauré im Jahre 1898 zur Orchestersuite op. 80, die das Orchester der Dresdner Philharmonie im zweiten Konzertteil zu Gehör brachte. Stéphane Denève gestaltete die verschlungenen Linien der Komposition, die schillernd-mystische Abgründigkeit des Dramas, unsentimental mit beeindruckender Spannkraft. Scheinbar schwerelos und geschmeidig flossen Faurés gedeckte Farben flirrend, ohne dabei belanglos zu wirken. Die Musiker der Dresdner Philharmonie folgten dem Dirigenten bedingungslos, so dass er verdeutlichen konnte, wo er musikalisch zu Hause ist.

Zu einem exzessiven Konzertabschluss gestalteten das  Orchester und der Dirigent die Suite Nr. 2 aus „Bacchus et Ariane“ von Albert Roussel ((1869-1937). Der Seiteneinsteiger-Komponist und Sohn einer wohlhabenden Familie Albert Roussel  war ursprünglich Marine-Offizier. Im Jahre 1894 quittierte er den Dienst und widmete sich seinen musikalischen Neigungen. Er  begann ein Musikstudium, tauchte mit seinem kompositorischen Schaffen in die Strömungen seiner Zeit und wandte sich letztlich dem Neoklassizismus zu.

Als  nach dem Tode Sergej Diaghilevs (1872-1929) die legendäre  Tanz-Compagnie  „Balletts Russe“ zerfallen war, gelang es dem Tänzer Serge Lifar (1905-1986), der sich  als eine Art Nachlassverwalter der Compagnie verstand, den Komponisten Roussel zu einer Zusammenarbeit zu gewinnen. Nach einem Libretto des Schriftstellers Abel Hermant (1862-1950) schrieb Roussel das Ballett „Bacchus et Ariane“ als eine Synthese aus Stravinsky und Ravel, aus „Le Sacre du Printemps  und Daphnis und  Chloé“. Nicht zuletzt dank Lifars Choreografie sowie seiner Titelrollen-Gestaltung wurde die Uraufführung 1931 ein großer Erfolg.

Während die Bearbeitung des ersten Ballettaktes als Suite Nr.1 den Ariadne-Faden-Mythos zum Inhalt hat, handelt die Suite Nr. 2 auf der Insel „Naxos“:  Bacchus verhindert den Suizid der verzweifelten Ariadne, beide verlieben sich ineinander. In der Folge entwickelt sich ein ausgelassenes Fest der Liebe, das sprichwörtliche Bacchanale.

Den Beginn seiner Darbietung der Suite begann Denève betont ruhig, etwas nachdenklich und ließ der Solovioline sowie der Oboe betont breiten Raum. Das Dirigat nahm in der Folge zunehmend Fahrt auf und wurde aggressiver. Alles war auf seinem Platz, es entstand ein dichtes, lebendiges Treiben mit stampfenden Rhythmen, was dann im „Bacchanale“ zu einem furiosen Spiel führte. Stéphane Denève ließ dem Orchester freien Lauf, so dass die Musiker ihre Dynamik öffnen und zu einem furiosen Finale führen konnten.

Das Konzert führte beim Publikum zu jenen frenetischen Ovationen, die  bereits nach dem Bruch-Konzert angebracht gewesen wären.