Dresden, Kulturpalast, GÖTTERDÄMMERUNG - Dresdner Philharmonie, IOCO Kritik, 17.10.2022

Dresden, Kulturpalast, GÖTTERDÄMMERUNG - Dresdner Philharmonie, IOCO Kritik, 17.10.2022
Kulturpalast Dresden © Nikolaj Lund
Kulturpalast Dresden © Nikolaj Lund

Kulturpalast Dresden

GÖTTERDÄMMERUNG - Der Ring des Nibelungen - konzertant

Marek Janowski und die Dresdner Philharmonie beschließen den konzertanten Ring

von Thomas Thielemann

Nach der grandiosen „Direktschall-Darbietung des dritten Siegfried-Aufzugs“ vom vorhergehenden Samstag waren wir auf Marek Janowskis konzertante Götterdämmerung am 15. Oktober 2022 gespannt.

Richard Wagner - aber in Venedig © IOCO
Richard Wagner - aber in Venedig © IOCO

Mit einem richtig freigespielten Wagner-Orchester konnte Marek Janowski prachtvolle, bis ins Detail aufgefächerte plastische Klangbilder hörbar machen. Die Transparenz, die dynamische Vielschichtigkeit bei musikalischer Direktheit sowie die Konzentration und die sensible Energie des Orchesterspiels brachten uns zu staunenden, gebanntem Zuhören.

Janowskis Sinn für die spezifischen Spannungsverläufe ließen dynamische Anspannung mit Entspannung, kammermusikalischen Aufhellungen mit lautstarkem Renommieren sowie Verlangsamungen mit stürmischen Drängen  durchaus auch kontrastiert wechseln. Mit der Erfahrung von weit mehr als hundert Ring-Dirigaten lotete er regelrecht suggestiv das wuchernde Motivgeflecht Richard Wagners aus.

Dabei erwies sich Marek Janowski als umsichtiger und rücksichtsvoller Begleiter der Singenden. Nie überdeckt das Orchester auch nur eine der Stimmen.

Die Brünnhilde der Catherine Foster ließ ihren faszinierenden Gesang vom Orchesterklang regelrecht in den Saal tragen. Schwerelos, locker, mit klanglicher Breite und sichtlicher Freude am Singen erlebten wir eine intensive Brünnhilde. Mit unglaublicher Präsenz, hochdramatisch zwischen Aufbegehren und elegischer Zurückhaltung in der Erniedrigung, dominierte ihre Darbietung.  Demonstrativ ließ Frau Forster mehrfach das ihr bereitgestellte Notenpult vom Podium entfernen.

Dresden / GÖTTERDÄMMERUNG hier Vincent Wolfsteiner, Michael Kupfer-Radecky und Regine Hangler (Siegfried, Gunther und Gutrune) © Oliver Killig
Dresden / GÖTTERDÄMMERUNG hier Vincent Wolfsteiner, Michael Kupfer-Radecky und Regine Hangler (Siegfried, Gunther und Gutrune) © Oliver Killig

Vincent Wolfsteiner war hochkonzentriert an die Gewaltpartie des Siegfried gegangen, sich von dessen doch unreifem Charakter gelöst und vor allem die musikalischen Aspekte der Partie verdichtet. Souverän, mit makellos artikulierter ausdrucksvoller Stimme bot er nicht zuletzt auch gute Verstehbarkeit der Texte.

Den Gunther des bereits in der Bayreuther Walküre bewährten Einspringer Michael Kupfer–Radecky zu erleben, machte richtig Freude. Sein bestens fokussierter, geradlinig und intensiv geführter sonorer Bariton sicherte der von Wagner nicht verwöhnten Rolle des Gunther ihre Bedeutung, während die Gutrune der Regine Hangler richtig aufhorchen ließ. Eine schöne, hochdifferenzierte Stimme, die mühelos im Ansatz, kraftvoll aufgeblüht in den Konzertsaal strahlte.

Für den Alberich von Jochen Schmeckenbecher gab es nach seinen Kabinettstücken in den vergangenen Teilen kaum noch eine Steigerung des Eindrucks. Seine sichtliche Spielfreude blieb auch im konzertanten Format begeisternd, wenn er vom Seitenrang seinem Sohn Hagendie Leviten liest“.

Mit der Schwärze seines Basses konnte Rúni Brattaberg in perfekter Diktion und repräsentabler Resonanz den Hagen-Drahtzieher allein durch seine Art des  Singens die Hinterlist und charakterliche Boshaftigkeit offerieren. Ein Hauch von „Grand opera“ wehte durch das Haus, als Brattaberg, unterstützt von drei in den Rängen verteilten Stierhörnern, die „Mannen“ zum Empfang Siegfrieds aufruft.

Der prachtvolle Gesang des gemischten MDR-Rundfunkchores, Brattabergs Intonation und der Schall der  Stierhörner hatten sich über das Orchester hinweg regelrecht in den Saal verströmt.

Mit den Auseinandersetzungen der Schwestern Brünnhilde und Waltraude erregte Marina Prudenskaya schon einiges Aufsehen, wenn sie mit bezwingendem Mezzosopran ihre Positionen kundtat.

Dresden / GÖTTERDÄMMERUNG hier Catherine Foster und Marina Prudenskaya (Waltraute) © Oliver Killig
Dresden / GÖTTERDÄMMERUNG hier Catherine Foster und Marina Prudenskaya (Waltraute) © Oliver Killig

Mit den Nornen Christa Mayer, Kristina Stanek und Miriam Clark sind regelrechte Luxusbesetzungen aufgeboten gewesen. Auch die stimmlich hervorragend aufeinander abgestimmten Rheintöchter Christina Langhammer, Roxana Constantinescu mit Christel Loetzsch imponierten mit bestechenden Gesängen.

Auf die überirdisch ergreifenden pathetischen Schluss-Akkorde folgten Sekunden der Besinnung und der Ergriffenheit, bevor stürmische, stehende Beifallskundgebungen und Jubelrufe das Haus regelrecht erschütterten.

Ein versöhnlich-gut besuchtes Konzert, was in der Erinnerung verbleiben wird!

Anmerkung:

 Dresden / GÖTTERDÄMMERUNG hier Rúni Brattaberg (Hagen) und zwei Stierhorn-Spieler © Oliver Killig
Dresden / GÖTTERDÄMMERUNG hierRúni Brattaberg (Hagen) und zwei Stierhorn-Spieler © Oliver Killig

Mit der Komposition der Götterdämmerung hatte Richard Wagner die im dritten Aufzug des Siegfried beeindruckende Befreiung des motivischen Materials von der engen Textverknüpfung  weitergeführt. Damit blieb die Partitur der Götterdämmerung gegenüber den früher entstandenen Teilen der Tetralogie durch eine größere Dichte der Motivsubstanz und deren musikalische Verarbeitung geprägt.

Dennoch erreicht die Götterdämmerung nicht die kompositorische Geschlossenheit des dritten Siegfried-Aufzugs. Das mag unterschiedliche Gründe haben:

Die Textentwürfe von „Siegfrieds Tod“ waren zur Zeit der Komposition mehr als zwanzig Jahre früher entstanden und standen Wagner 1869 offenbar nicht vollständig zur Verfügung.

Auch beließ Wagner die Anklänge der Textskizzen an die „Grand opera“ insbesondere im zweiten Aufzug. Der Chor der Mannen in der zweiten Szene  und der Ensemblegesang des Verschwörungs-Terzetts mit seiner Art der Deklamation sind zwar bühnenwirksam, deuten aber auf rückwärtsgerichtete Tendenzen.

Offensichtlich hat auch der Zeitdruck eine Rolle gespielt, denn selbst wenn die Arbeit 1874 als „fertig gestellt“ galt, ist an der Partitur der Götterdämmerung bis zur Uraufführung im Festspielhaus gefeilt worden. Das sind zwar kleinliche Anmerkungen auf höchster Ebene und sie beeinträchtigt das stilistische Niveau der Komposition, ihre dramaturgische Wirkung nicht im Geringsten, blieben aber bei der konzertanten Aufführung auffällig.

Wenn ich den Vergleich meiner Empfindungen beim Hören der Darbietungen im Dresdner Kulturpalast analysiere, so beschleicht mich eine Vermutung: die in der Siegfried-Partitur regelrecht versteckten prachtvollen Details sind letztlich nur mit der direkten Konfrontation der Spielenden mit den Hörenden zur Wirkung zu bringen. Eine Intonation aus dem Graben, und erst recht unter den gedeckelten Bedingungen im Bayreuther Festspielhaus, lässt eine musikalische Wirkung, wie uns von Marek Janowski am 8. Oktober 2022 geboten, schon aus physikalischen Gründen unmöglich zu.

Hatte Richard  Wagner nicht doch eine Ahnung, dass er den konzentrierten musikalischen Glanz des „dritten Siegfried-Aufzugs“ in seinem Festspielhaus nicht werde realisieren werde können?

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