Osnabrück, Theater am Domhof, Songs for Days to Come - Kinan Azmeh, IOCO Kritik, 14.06.2022

Osnabrück, Theater am Domhof, Songs for Days to Come - Kinan Azmeh, IOCO Kritik, 14.06.2022
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Theater Osnabrück

Osnabrück / Theater am Domhof © Marius Maasewerd
Osnabrück / Theater am Domhof © Marius Maasewerd

Songs for Days to Come - Oper - Uraufführung - Kinan Azmeh

- Denn Syrien ist überall -

von Hanns Butterhof

Die laufende Spielzeit des Theater Osnabrück steht unter dem Anspruch, transkulturell, gemeinsam und maßlos zu sein. Diesem Anspruch wird das Musiktheater-Stück Songs for Days to Come des syrischen Komponisten Kinan Azmeh vollauf gerecht, das jetzt im Theater am Domhof seine Uraufführung mit einem begeisterten Publikum feiern konnte. Songs for Days to Come ist an der Oberfläche ein Stück über Syrien, reicht aber weit darüber hinaus. Sein Syrien ist überall.

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Auch der Ort, an dem das Stück spielt, kann überall sein. Der syrische Flüchtling Sami (Jan Friedrich Eggers) sitzt im Anzug vor einer dunklen Wand (Bühne und Kostüme: Okarina Peter und Timo Dentler). Als ihm eine Frau in einem seitlich mit einem modischen Schlitz versehenen langen weißen Hemd (Sascha Maria Icks) einen Tischtennisball zuwirft und ihn nach seiner Identität zu befragen beginnt, könnte es sich um die Psychologin in einer psychiatrischen Anstalt handeln. Immer wieder betont sie, Sami helfen zu wollen, und schlägt ihm kühl, aber nicht unfreundlich, Varianten seines Lebenswegs vor. Am Ende schält sich eine Identität heraus, die durch den syrischen Bürgerkrieg und schreckliche, auch persönliche Verluste, aus ihrer Bahn geworfen wurde. Als so scheinbar Klarheit in die Geschichte gekommen ist, fallen vom Schnürboden des Theaters Unmengen von Tischtennisbällen wie unendlich vielen Varianten von Flüchtlings-Schicksalen, von denen das von Sami nur eines ist.

Was sich während der Befragung in Samis Gedanken vollzieht, wird szenisch dargestellt. Man sieht ihn beim Stempeln gefälschter Papiere, hört, wie ein vielstimmiger Chor seiner Gedanken Lebensumstände behauptet, die sich  widersprechen, und erlebt ihn erschütternd am Tag seiner Hochzeit, an dem der Krieg begann und mit dem Tod aller Hochzeitsgäste und seiner Braut, Foto unten, endete. Man sieht auch die Folge, dass er danach in den Bürgerkrieg eingriff und so großen Schrecken verbreitete, dass sich Gegner lieber selbst erschossen, als ihm in die Hände zu fallen.

Theater Osnabrück / Songs for Days to Come - Uraufführung © Stephan Glagla
Theater Osnabrück / Songs for Days to Come - Uraufführung © Stephan Glagla

Die Geschichte entwickelt sich lose an einem Faden von 14 zeitgenössischen syrischen Gedichten, die chorisch oder von der großartigen Sängerin Dima Orsho mit farbig leuchtender Stimme zu deutschen Übertiteln zumeist auf Arabisch vorgetragen werden. Sie zeichnen ein poetisches, unsentimentales Bild der Gefühle von Syrern im Land und im Ausland, von Fremdheit, Trauer und einer Sehnsucht, die sich von Damaskus bis Berlin spannt. Es sind ergreifende Lieder für Tage, die im Guten wie im Schlechten über Nacht an jedem Ort der Welt Gültigkeit erlangen können.

Die Musik Kinan Azmehs weist in den Orchesterpartien viele Einflüsse von einer gemäßigten Moderne bis zum Jazz. Als Bühnenmusiker prägen der Komponist selber an der Klarinette und Issam Rafea mit der Kurzhalslaute Oud herzöffnend den folkloristischen Charakter der eindringlichen Chöre und zeigen ein in der Musik noch präsentes wunderbares Land, dessen Zukunft durchaus möglich und nur aufgeschoben scheint.

Ulrich Makrusch hat Songs for Days to Come  sehr geradlinig und mit viel Gefühl für die über Syrien hinaus gültigen Aussagen inszeniert. Das Osnabrücker Symphonieorchester mit Daniel Inbal am Pult begleitet das Geschehen ausdrucksstark, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Den prägen die Sängerin Dima Orsho und der von Sierd Quarré einstudierte beeindruckende Chor.

Der Beifall des stehend applaudierenden Premierenpublikums galt allen Beteiligten, vor allem Kinan Azmeh, Issam Rafea , Dima Orsho, Sascha Maria Icks, Jan Friedrich Eggers und  Daniel Inbal mit dem  Osnabrücker Symphonieorchester.

Songs for Days to Come ist eine Koproduktion mit dem Morgenland Festival Osnabrück. Das Morgenland Festival Osnabrück, link HIER!, widmet sich dem Musikgeschehen des Nahen und Mittleren Ostens. Seit 2005 findet das Festival jährlich in verschiedenen Spielstätten der Stadt Osnabrück statt und dauert vom 4. bis 18.6.2022

Songs for Days to Come im Theater Osnabrück; die nächsten Termine: 10., 14.,  22.6., 1. und 8.7. 2022 jeweils um 19.30, am 3.7. um 15.00 Uhr.

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