Dresden, Kulturpalast, 12. Internationale Schostakowitsch Tage, IOCO Aktuell, 25.06.2021

Dresden, Kulturpalast, 12. Internationale Schostakowitsch Tage, IOCO Aktuell, 25.06.2021
Kulturpalast Dresden © Nikolaj Lund
Kulturpalast Dresden © Nikolaj Lund

Kulturpalast Dresden

12. Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch : 24. - 27. Juni 2021

Vorabendkonzert im Kulturpalast Dresden

von Thomas Thielemann

"Unerhört schön", so nannte Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) die Gegend um den Kurort Gohrisch, links der Elbe, in der Nationalparkregion Sächsische Schweiz, im Elbtal nahe der die Städte Bad Schandau und Königstein gelegen, als er 1960 im damaligen Gästehaus des Ministerrates der DDR, heutigem Parkhotel Albrechtshof, wohnte. Eigentlich sollte er in Dresden die Musik für den Film Fünf Tage- fünf Nächte, einer idealisierten Verklärung der Umstände, wie Rotarmisten nach dem zweiten Weltkrieg die ausgelagerten Kunstschätze der Gemäldegalerie Alte Meister aufspürten, komponieren und sich vor Ort von der zerstörten Stadt inspirieren lassen. Die Organisatoren wollten dem Gast im 40-km entfernten Luftkurort gute Wohnbedingungen bieten.

„Die schöpferischen Arbeitsbedingungen haben sich gelohnt: ich habe dort mein 8. Streichquartett komponiert.“ - Dmitri Schostakowitsch

Konzertscheune in Gohrisch zum Schostakowitsch Festival in 2020 © Oliver Killig
Konzertscheune in Gohrisch zum Schostakowitsch Festival in 2019 © Oliver Killig

Im Garten des Gästehauses am Teich, unter einer Buche sitzend, arbeitete Dmtri Schostakowitsch zwischen dem 12. und 14. Juli 1960 an der Partitur dieses „ziemlich verzweifelten Stückes Musik“. Später hat Schostakowitsch das Werk als sein Requiem bezeichnet. Auch dürfte es heute sein meistgespieltes Streichquartett sein, bzw. seine Kammersymphonie  op. 110a, eine Bearbeitung des Quartetts von Rudolf Barschai.

24. - 27. Juni   - Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch - Programm HIER!

Im Anschluss an die Berliner Erstaufführung seiner fünfzehnten Symphonie durch das Moskauer Staatsorchester verbrachte Schostakowitsch im Mai und im Juni 1972 mit seiner Frau Irina einige Wochen im Gohrischer Gästehaus. Dort besuchte ihn auch Kurt Sanderling (1912-2011), der seit 1942 Schostakowitschs Schaffen als Dirigent der Leningrader Philharmoniker begleitet hatte und ab 1960 wieder in Berlin sowie ab 1964 in Dresden tätig war.

Auf Initiative des Konzertdramaturgen der Sächsischen Staatskapelle Dresden Tobias Niederschlag (*1976, derzeit Leiter des Konzertbüros des Gewandhausorchesters Leipzig) gründete sich am 22. Juni 2009 der Verein Schostakowitsch in Gohrisch e.V., um den Aufenthalt des Komponisten im Kurort ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und angemessen zu würdigen.

Mangels eines repräsentativen Konzertraums, letztlich auch aus Geldmangel, griff der Verein auf eine Scheune mit Betonwänden, Dachstuhl und Asbestdach zurück, die leergeräumt eine grandiose Akustik bietet. Dank der Mitwirkung von Musikern der Dresdener Staatskapelle zündete die Idee und 2010 waren die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch als das „Ani-Festival“ geboren.

Durch die Mitwirkung namhafter Gäste ist die „Konzertscheune von Gohrisch“ inzwischen die Pilgerstätte der Verehrer des Komponisten und Menschen Dmitri Schostakowitsch. Zu den ersten Unterstützern gehörte Michael Jurowski (geboren 1945), der als Kind mit Schostakowitsch vierhändig Klavier spielte, und als besonders authentischer Interpret seiner Kompositionen gilt.

Für drei Tage, solange arbeitete der Komponist an seinem Streichquartett, beherbergt der 800-Seelen-Ort Gohrisch nahe der Grenze zur Tschechischen Republik das weltweit einzige regelmäßige Festival für den bedeutendsten russischen Komponisten.

Pandemiebedingt musste das Festival 2020 erstmalig ausfallen und wird 2021 aus Gründen der Planungssicherheit in das Europäische Zentrum der Künste in Dresden-Hellerau ausweichen.

Vladimir Jurowski dirigiert im Kulturpalast Dresden © Matthias Creutziger
Vladimir Jurowski dirigiert im Kulturpalast Dresden © Matthias Creutziger

Die Geiger Gidon Kremer und Dmitry Sitkovetsky werden ab dem 24. Juni ebenso erwartet wie die Pianisten Juliana Awdeeva und Dmitry Masleev. Auch das Borodin-Quartett, die Formation Quatuor Daniel und Petr Popelkas kapelle21 haben ihre Mitwirkung zugesagt.

In acht Veranstaltungen erklingen unter anderem auch mehrere Uraufführungen und Deutsche Erstaufführungen von Schostakowitsch Kompositionen. So auch eine frühe Bearbeitung Schostakowitschs´ von Beethovens Adagio cantabile aus der Pathétique.

Inzwischen traditionell, bot am Vorabend der Eröffnung des Festivals die Sächsische Staatskapelle, diesmal im Konzertsaal des Dresdner Kulturpalast, ein Vorabendkonzert unter der Leitung eines Sohnes Michael Jurowskis, Vladimir Jurowski.

Sein Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll komponierte Schostakowitsch als op. 77 in der Zeit vom Juli 1947 bis zum März 1948 in der Zeit des beginnenden Kalten Krieges und der folglich verschärften Kulturpolitik in der UdSSR. Erst 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod wurde das Konzert mit dem Solisten David Oistrach von den Leningrader Philharmonikern unter der Leitung von Jewgeni Mrawinski uraufgeführt.

Zu unserer großen Freude hatten 105 Musikerinnen und Musiker auf dem Podium des Dresdner Kulturpalast-Konzertsaales Platz genommen. Den gewaltigen Solopart hatte Leonidas Kavakos übernommen.

Der Solist bewältigte die Kraftprobe des über 40 Minuten fast ununterbrochenen Spiels auf eine schöne und spannende Art und Weise. Nach dem düsteren Nocturne trieb Kavakos im Scherzo das Orchester gnadenlos durch die Partitur. Der schneller und lauter werdende scheinbar nie aufhörende Rhythmus glich einer enormen Explosion. Besonders beeindruckend das Andante mit der breit angelegten Kadenz, bevor diese direkt in den letzten Satz, einem grotesken Tanz, mündete.

Stehende Ovationen dankten dem Solisten, dem Dirigenten und der hervorragend aufgestellten Staatskapelle.

Mit der Ballettmusik L´Oiseau de feu konnte Vladimir Jurowski im zweiten Konzertteil sein souveränes Können als Musikalischer Leiter der Sächsischen Staatkapelle ausleben.

Die Darbietung bestach durch eine hohe Spielkultur, plastische Klangfarben und -schichtungen sowie ein hervorragend abgerundetes Klangbild. Schlieren in der Tonfolge wus ste Jurowski stellenweise zu betonen und mit sicherer Hand wieder untertauchen zu lassen. Deutlich betonte er mit seiner Interpretation, wieviel russische Tradition im Frühwerk Strawinskys steckt, und stellte damit die Verbindung zu Schostakowitschs Werk her.

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