Mannheim, Musikalische Akademie, 6. Akademiekonzert - Mozart, Ibert, Mendelssohn, IOCO Kritik, 20.04.2021

Mannheim, Musikalische Akademie, 6. Akademiekonzert - Mozart, Ibert, Mendelssohn, IOCO Kritik, 20.04.2021
Nationaltheater Mannheim

Nationaltheater Mannheim

NTM Nationaltheater Mannheim © Christian Kleiner
NTM Nationaltheater Mannheim © Christian Kleiner

 Nationaltheater Orchester Mannheim - 6. Akademiekonzert

Aus dem Mannheimer Rosengarten -  Mozart, Ibert, Mendelssohn

von Uschi Reifenberg

Die ursprünglich geplante 5. Sinfonie von Anton Bruckner, die im Rahmen des Bruckner Zyklus im 6. Akademiekonzert aufgeführt werden sollte, musste aktuell leider der geforderten Orchester-Besetzungsgrösse geopfert werden. Stattdessen präsentierte die Musikalische Akademie des Nationaltheater Orchester am 12. April 2021 im Mannheimer Rosengarten nun Werke von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791), Jaques Ibert (1890 - 1962) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 -1847).

NTM Nationaltheater - Orchester / Musikalische Akademie © Minna Jung
NTM Nationaltheater - Orchester / Musikalische Akademie © Minna Jung

 Ausgelassenheit und Lebensfreude kämpfen gegen Tristesse

Antonello Manacorda konnte aufgrund situationsbedingter Terminverschiebungen die Leitung des Konzertes nicht übernehmen, für ihn dirigierte nun der italienische Shooting Star Jader Bignanini das exzellent ausgewählte Programm mit Mozarts 29. Sinfonie, Iberts Divertissement und Mendelssohns  4. Sinfonie, die Italienische.

Die drei Meisterwerke aus drei Jahrhunderten verbindet nicht nur der Ausdruck von purer Lebensfreude und Optimismus. Sie setzen mit ihrer Unbeschwertheit auch ein Zeichen der Hoffnung in einer als lähmend und trostlos erlebten Gegenwart, in der Kunst und Musik ihren essentiellen Platz verloren haben und Kulturschaffende sich immer mehr in ihrer Existenz bedroht sehen.

Allen Beteiligten gebührt größte Anerkennung und Respekt für die Durchführung dieses Konzerts  im gespenstisch leeren Mozartsaal mit seinen 2.500 Plätzen im Mannheimer Rosengarten.  Dirigent Jader Bignanini und das Nationaltheater Orchester (NTO) musizierten dennoch voller Inspiration und Spielfreude, so dass der Funke auch im Live Stream mühelos übersprang.

Mozarts 29. Sinfonie KV 201 aus dem Jahr 1774 weist nicht nur in der Tonart A-Dur Parallelen zu Mendelssohns Italienischer Sinfonie auf, konnten doch beide Komponisten auf bereichernde Erfahrungen einer vorangegangenen Italienreise zurückblicken, die in ihren Werken nachhaltige Spuren hinterließ.

Wolfgang Amadeus Mozart © IOCO
Wolfgang Amadeus Mozart © IOCO

Der 18-jährige Mozart erweitert in diesem Sturm-und Drang Werk seine Ausdruckspalette, er ergänzt die Sinfonie um einen vierten Satz, die Einzelsätze wiederum sind thematisch aufeinander bezogen. Dramatik, Kontrapunktik und Freiheit in der individuellen Themenbehandlung lassen dieses geistreiche Werk zu einem Höhepunkt in Mozarts frühem sinfonischem Schaffen werden. Einflüsse der berühmten „Mannheimer Schule“, die wesentliche Impulse zur Weiterentwicklung der Sinfonie im 19. Jahrhundert beisteuerte, sind im letzten Satz mehrfach zu hören wie die „Mannheimer Rakete“, eine schnelle aufsteigende Tonfolge mit deutlichem Crescendo.

Jader Bignanini, der mit Atemschutzmaske dirigierte, und das NTO boten einen in zarten Farben leuchtenden Mozart, elegant, präzise und inspiriert. Er setzt mit kammermusikalischer Sensibilität und stets weicher Phrasierung ganz auf einen abgerundeten und eher kontrastarmen Mozartklang. Verhalten beginnt er das Hauptthema mit seinem charakteristischen, rhythmisch markanten Oktavsprung, das sich kanonartig zu einem ersten Höhepunkt steigert. Der zweite Andante-Satz atmet die typische mozartsche Gefühlstiefe, die Streicher entfalten gedämpft-gelassene Heiterkeit, seelenvolle Bläsereinsätze fügen sich ins homogene Klangbild und machen Mozarts genialen melodischen Einfallsreichtum beglückend erfahrbar.

Das Menuett mit seinen punktierten Rhythmen und fast schon „ruppigen“ Akzenten blieb eher leichtgewichtig. Mit Spritzigkeit und pulsierender Energie ging Bignanini den letzten Satz an, der mit  temperamentvoll vorwärtsdrängendem Gestus, seiner Dramatik und den „Mannheimer Raketen“ fast schon an Rossini erinnerte.

Hoang Nguyen, Cellist des NTO, erläuterte zur Pause das nächste Stück: Jaques Iberts Divertissement, ein musikalisches Unterhaltungsstück, auf höchstem Niveau komponiert. Neben der kleinen Orchesterbesetzung  sind Klavier, Celesta, Tamburin und sogar eine Trillerpfeife vorgesehen.

Vorgestellt: Die Musikalische Akademie im Mannheimer Rosengarten youtube mcon Mannheim [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Ibert komponierte 1930 die Bühnenmusik zu einer Komödie von Eugène Labiche und extrahierte daraus sechs Sätze, die in einer ausgelassenen „Vergnügungstour“ ein funkelndes Kaleidoskop der 1920er Jahre vorbeirauschen lassen.

Da sprudelt es nur so von Zitaten, Parodien und vielfältigsten Verweisen. Jeder einzelne der achtzehn Musiker gestaltet seinen Part hochvirtuos und mit spürbarem Vergnügen an diesem „respektlosen Divertissement“, das von humorvollen Einfällen und schroffen Wechseln nur so strotzt.

Dirigent Jader Bignanini ist in diesem Stilmix bestens zu Haus, jedem der sechs Sätze gibt er die jeweilige   Charakteristik und wechselt souverän und mit Augenzwinkern zwischen Ironie und Tiefgang. Wähnt man sich im ersten Satz noch in einer Opéra comique, so findet man sich später in einem Stummfilmkino, dann wieder in einem französischen Salon wieder. Im 2. Satz, der „Cortège“ hört man neben jazzigen Elementen Mendelssohns Hochzeitsmarsch“ parodistisch aufblitzen.

Auch die Schattenseiten der so genannten „Belle Époque“ finden Einlass in dieses surreal anmutende Spektakel, namentlich die Gräuel des 1.Weltkriegs, die Ibert selbst hautnah miterleben musste. Im „Nocturne“ mit seiner düsteren Einleitung schlägt das Spiel plötzlich in Ernst um, der aber nicht lange währt. Im 4. Satz, dem „Valse“ wirbeln diverse Spielarten des Tanzes vorüber, mal wienerisch, mal krass verfremdet. Militärparaden ziehen vorbei, das Klavier persifliert in wilden Clustern die Avantgarde und deren Atonalität, bis die Trillerpfeife dem immer überschwänglicheren Treiben ein Ende setzt. Ein hinreißender musikalischer Spaß!

Der Geiger Arne Roßbach erläuterte in der zweiten Umbaupause die Entstehung von Felix Mendelssohns Bartholdys wohl populärster Sinfonie, der Italienischen.

Felix Mendelssohn Bartholdy © IOCO
Felix Mendelssohn Bartholdy © IOCO

Der junge Mendelssohn begab sich 1830 auf Kultur- und Bildungsreise in die wichtigsten europäischen Städte, um seinen Horizont zu erweitern und neue Eindrücke für seine künstlerische Arbeit zu gewinnen.

In Weimar traf er Goethe, in London wurde er zu seiner Schottischen inspiriert, während seines Italienaufenthaltes zwischen Rom und Neapel begann er dann mit der Komposition der Italienischen. Die Uraufführung fand 1833 unter Mendelssohns Leitung in London mit großem Erfolg statt. Insgesamt arbeitete er acht Jahre an seiner 4. Sinfonie, mehrere Fassungen entstanden, die letzte setzte sich in der Konzertpraxis durch, die auch an diesem Abend gespielt wurde.

Die Städte Italiens, die historische Architektur, vor allem Rom machen großen Eindruck auf den jungen Mann. Mendelssohn ist begeistert von der italienischen Landschaft und Lebensart, in einem Brief schreibt er: „Die italienische Symphonie macht gute Fortschritte, sie wird das lustigste Stück, das ich je gemacht habe“.

Diese „unbeschwerte Leichtigkeit des Seins“ kommt vor allem in den Ecksätzen zum Ausdruck, der 2. und 3. Satz sind von leichter Melancholie überzogen, die an die deutsche Romantik im Stile Schuberts oder Webers erinnert.

Bignanini zelebriert das berühmte Hauptthema des 1.Satzes, dessen jubilierende Violinen sich  über den pulsierenden Holzbläser-Repetitionen emporschwingen. Das ist präzise, lebendig und durchsichtig musiziert und weckt zahlreiche Assoziationen an südliches Flair, aber auch die Sehnsucht wie sie Goethe vor seiner ersten Italienreise empfunden haben musste, als er aufbrach, das „Land mit der Seele zu suchen“.

Der 2. Satz erinnert mit seinem Hauptthema an das Lied „Der König in Thule“, von Goethe gedichtet, von Zelter vertont. Das Zitat könnte auch als doppelte Referenz an die beiden Meister verstanden werden, zum einen an Goethe, mit dem Mendelssohn freundschaftlich verbunden war und an Karl Zelter, seinen 1832 verstorbener Kompositionslehrer.

Weich geschwungene, schön phrasierte Holzbläserkantilenen unterstrichen mit sattem pastosen  Klangspektrum die untergründig fahle Stimmung, dazu erzeugte der rhythmisch strenge Streicher- Kontrapunkt große Spannungsmomente.

Im 4.Satz, dem „Saltarello“, einer typischen Italienischen Tanzweise, hält der neapolitanische Karneval Einzug mit ausgelassenem Treiben und leidenschaftlicher Vehemenz.

Dennoch steht der Finalsatz in a-Moll, nicht in der Ausgangstonart A-Dur, was in der damaligen Zeit als äußerst ungewöhnlich galt. Bignanini mobilisiert in dieser „Tarantella“ alle Reserven des  kraftvoll und begeistert aufspielenden Orchesters. Mit einem glanzvollen Eröffnungsakkord  beginnt der Presto Satz, wie entfesselt stürzen sich die Musiker in die federnden Tanzrhythmen, dennoch immer fein artikuliert und durchsichtigdie stetig anschwellenden Streicherphrasen mit überschäumender Energie in ein strahlendes Finale überleiten.

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