Mannheim, Musikalische Akademie, EINSAM - Akademie DIGITAL, IOCO Kritik, 18.02.2021

Mannheim, Musikalische Akademie, EINSAM - Akademie DIGITAL, IOCO Kritik, 18.02.2021
Nationaltheater Mannheim

Nationaltheater Mannheim

NTM Nationaltheater Mannheim © Christian Kleiner
NTM Nationaltheater Mannheim © Christian Kleiner
MUSIKALISCHE AKADEMIE

Akademie Digital -  Online Recital mit Solisten  des NTO

EINSAM  -  Werke von Bach bis Messiaen - 8.02.21

von Uschi Reifenberg

„Musik gibt uns Hoffnung und kann da wirken wo sie am meisten gebraucht wird“, äußert sich Fritjof von Gagern, der Vorsitzende der Musikalischen Akademie und Solocellist des Nationaltheater-Orchester Mannheim (NTO) im Zusammenhang mit dem neuen Streaming Format „Akademie Digital“.

Die vom Publikum und den Orchestermusikern gleichermaßen schmerzlich vermissten Akademiekonzerte im Mannheimer Rosengarten werden nun um ein neues Online Format ergänzt, in welchem Orchestermitglieder Inhalte und Themen zur Sprache bringen wollen, die ihnen in den aktuell schwierigen Zeiten besonders „unter den Nägeln brennen“.

In dieser krisenhaften Situation der Stille erwachsen der Konzert- und Theaterlandschaft durch den digitalen Wandel aber auch spannende Möglichkeiten der produktiven Erweiterung. Der Paradigmenwechsel markiert möglicherweise nicht nur tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen in der Zukunft, sondern kann auch Freiräume für neue Wege und Ideen schaffen.

In diesem Sinne ließen sich fünf Orchestermusiker der Musikalischen Akademie des Nationaltheater-Orchester zum brandaktuellen Thema des ersten Konzertabends: „Einsamkeit“ inspirieren.

Hochkarätige Instrumentalsolisten präsentierten sich mit Werken von Bach bis Messiaen. Das musikalische Programm wurde durch Texte von Ingeborg Bachmann, Rainer Maria Rilke, Eduard Mörike, Mascha Kaléko und Lars Gustafsson bereichert, gelesen von Opernintendant Albrecht Puhlmann.

Im dunklen Zuschauerraum, spärlich beleuchtet, vor bedrückend leeren Stuhlreihen, platzieren sich nacheinander die Solisten vor ihren Notenpulten. Nichts stört den Vortrag, nichts lenkt ab, die Musiker sind allein mit sich und ihrem Instrument und treten in virtuellen Dialog mit dem Zuschauer. Die Kamera schwenkt immer wieder durch die verlassenen Sitzreihen und schafft bei der Fokussierung auf die Solisten an den entsprechenden Stellen Augenblicke von großer Nähe oder auch Distanz.

Den Rahmen bildet Musik von Johann Sebastian Bach, jeweils mit zwei Solosuiten für Violoncello. Zu Beginn erklingt die 6. Cellosuite in einer Bearbeitung für Viola, am Ende die 4. Suite.  „Bach ist für mich Anfang und Ende aller Musik“, lautet ein Zitat von Max Reger, das an diesem Konzertabend auf ergreifende Weise erlebbar wird.

MUSIKALISCHE AKADEMIE Mannhein / EINSAM - Akademie digital hier Julien Heilchelbach © Annemone Taake
MUSIKALISCHE AKADEMIE Mannhein / EINSAM - Akademie digital hier Julien Heilchelbach © Annemone Taake

Julien Heichelbech taucht mit den ersten drei Sätzen der letzten und vielleicht schwierigsten Suite tief in den Geist des Bach‘schen Kosmos ein. Mit vollendeter Spieltechnik und weit gefächertem Klangspektrum lässt er seine Bratsche im ersten Satz innig aufleuchten und gestaltet die lang gedehnten weiträumigen Phrasen in der „Allemande“ mit melancholischem, meditativem Gestus. Tänzerisch- leichtfüßig werden fein ziselierte Verzierungen stilsicher integriert. Es entstehen Momente großer Innerlichkeit und Weltabgewandtheit, aber auch tröstlicher Zuversicht.

Gedenkmuschel für Benjamin Bitten am Strand seines Heimatorts Snape Malting © IOCO
Gedenkmuschel für Benjamin Bitten am Strand seines Heimatorts Snape Malting © IOCO

Mit Benjamin Brittens Six Metamorphoses after Ovid für Oboe solo opus 49 lässt Daniela Tessmann die besondere poetische Qualität dieser individuellen Charakterstücke lebendig werden. Jeder der sechs Sätze ist einer Figur der griechischen Mythologie gewidmet, die eine eigene Verwandlung durchmacht, Britten ergänzt diese um eine kurze inhaltliche Zusammenfassung. Mit klagendem spannungsreichen Gestus wird der Hirtengott „Pan“ beschworen, der auf der „Syrinx“ spielt, und um seine verlorene Geliebte trauert. Mitreißend gelingt die weinselig- heitere Stimmung des „Bacchus“ mit seinen kreisenden Motiven und gezackten Rhythmen. Im elegischen „Narzissus“ und dem an Spielfiguren und Trillern reichen letzen Satz“ „Arethusa“ bringt Daniela Tessmann das Klangspektrum der Oboe ideal zur Geltung.

In den Gedichten „Die gestundete Zeit“ von Ingeborg Bachmann und „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke und Eduard Mörike „Um Mitternacht“ werden Gefühle der Endlichkeit, Begrenzung und der Hoffnungslosigkeit thematisiert.

Die Harfensonate von Paul Hindemith, 1939 komponiert, gilt als richtungsweisendes Werk der modernen Harfenliteratur. Diese exklusive dreisätzige Komposition ist von herber Schönheit und reizt alle spieltechnischen und klanglichen Möglichkeiten der Harfe aus. Eva Wombachers hinreißend sensibles Spiel verzaubert mit einer großen Farbpalette, klanglicher Raffinesse und eindrucksvoller Virtuosität. Die Künstlerin scheint mit ihrem Instrument innere Zwiesprache zu halten. Verinnerlicht, fast in meditativer Versunkenheit zelebrierte die Künstlerin den elegischen dritten Satz der Sonate, den Hindemith nach einem Trauergedicht von Ludwig Hölty mit „Lied“ überschrieb.

Olivier Messiaen schrieb „Quatuor pour la fin de temps“ - Das Quartett auf das Ende der Zeit - 1941 in deutscher Kriegsgefangenschaft in Görlitz, wo dieses legendäre Kammermusikwerk auch uraufgeführt wurde. Der gläubige Katholik Messiaen, inspiriert von der Offenbarung des Johannes, beschwört hier die Vision des Engels der Apokalypse, der das Ende aller Zeit verkündet. Der dritte Satz „Abîme des oiseaux“, der Abgrund der Vögel, für Klarinette solo, wurde von Patrik Koch auf erschütternde Weise zelebriert. Der Klarinettist spürt den Abgründen der Zeit in ihrer Düsternis und Melancholie ebenso nach als auch den zwitschernden, flirrenden Vogelrufen auf ihrem Weg zum Licht. Mit hingehauchten ätherischen Tönen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen und schneidenden, fast aggressiven Fortissimi vermittelt er eindrucksvoll die Grenzerfahrung des Messiaenschen Klangmysteriums.

Vor dem letzten Programmpunkt liest Albrecht Puhlmann das Gedicht „Vagabundenspruch“ von Mascha Káleko, das Aufbruchstimmung und einen möglichen Neuanfang schildert und „Die Stille der Welt vor Bach“von Lars Gustafsson.

Fritjof von Gagern setzt den gewichtigen Schlusspunkt mit der vierten Cellosuite von Johann Sebastian Bach, die in der für Streicher unbequemen Tonart Es-Dur geschrieben ist. Er begeistert mit großem Gestaltungswillen, geht das „Prélude“ mit vitalem, rhythmisch pointiertem Zugriff an, und macht die unbändige Energie deutlich, die dieser Musik innewohnt. Die ruhige, kontemplative „Allemande“ mit frei atmenden Melodiebögen und erlesener Klangkultur dargeboten. Mit temporeichem, leidenschaftlich engagiertem Spiel und plastischer Artikulation wird die Gigue in der Darstellung des Cellisten zum groß angelegten Finalsatz.

Nach Verklingen des letzten Tones folgt eine lange Pause. Fritjof von Gagern steht auf, lehnt sein Cello an seinen Stuhl und geht aus dem Saal. Die Kamera zeigt den dunklen Raum und die leeren Sitzreihen. Zurück bleibt das einsame Instrument.


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