München, Bayerische Staatsoper, Otello - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 17.12.2018

München, Bayerische Staatsoper, Otello - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 17.12.2018

Bayerische Staatsoper München

Nationaltheater München © Wilfried Hösl
Nationaltheater München © Wilfried Hösl

Otello - Giuseppe Verdi

- Die Rationalität des Bösen -

Von Hans-Günter Melchior

Wie auf haushohen Wellen, auf davon eilt, bebt, donnert die Musik, entfesselt, pfeifend und lärmend und unter die Decke des großen Hauses prallend, sie fast sprengend, ein Orkan, entfacht von Verdi und dem Dirigenten Kirill Petrenko, infernalisch. chromatisch wühlt das großartige Orchester in den Klangwolken, pflügt die Tonwogen und die Gefühle der Zuhörer um, dass man sich an den Stuhllehnen hält. Wieder einmal ein Anlass, den Dirigenten Petrenko gleich am Anfang zu bewundern, er schont niemanden, nicht das Orchester (die Holzbläser!), nicht die Hörer und nicht sich selbst, Naturgewalten sind nunmal groß und erhaben und die Musik fällt über sie her wie sie über die Musik herfallen; hier wird´s Ereignis.

Otello - Guiseppe Verdi Youtube Trailer Bayerische Staatsoper München [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Ob der Held davonkommt?, Hilfe, Hilfe –, Otello, der Feldherr nach siegreichem Kriegszug in Lepanto heimkehrend, nun aber in wilde See geraten, in einen Orkan, Teile des Schiffes fliegen davon, um Otello bangt man, so bedrängend wie das gemacht ist, wo ist Otello, ist die Oper schon am Ende, bevor sie begonnen hat, gibt es noch eine Steigerung?

In tiefem Dunkel der Chor (Leitung Jörn Hinnerk Andresen), gewaltig, furchterregend hart, das Geschehen beschwörend und zugleich beschreibend, es kommentierend, „alles ist Rauch, alles ist Feuer“ –, während eine Etage darüber Anja Harteros die Desdemona verkörpert (nein: sie ist Desdemona, was für eine große Sängerin und Schauspielerin, was für ein voller, warm strömender Sopran!), die Hände ringt und sich auf ein Bett wirft, und der Chor endlich: „Es ist gerettet! Gerettet!“.Schon ist man mittendrin nach höchst gelungenem Anfang, mittendrin und aus den Tonfluten gerettet. Fast schon Mitleidender, hineingeraten in den Sog des gewaltigen Beginns, der flüchtig von einem Video überblendet und illustriert wird, gestreift wie von einem Irrlicht der Turbulenzen. Aufatmen. Entspannen.

Bayerische Staatsoper / Otello - Giuseppe Verdi - hier : Gerald Finley als Jago und Anja Harteros als Desdemona  und Chor © Wilfried Hoesl
Bayerische Staatsoper / Otello - Giuseppe Verdi - hier : Gerald Finley als Jago und Anja Harteros als Desdemona und Chor © Wilfried Hoesl

Otello - kein strahlender Sieger, keine Gloriole - Ein Unterlegener

Und dann wird die Stimmung gleichsam heruntergedimmt, der Otello von Jonas Kaufmann erscheint, gerettet also, wie von den Fluten ans Land geworfen tritt er seiner Frau gegenüber, kein Sieger, kein von der Gloriole des Erfolges Bekränzter, eher ein Wicht, ein Kretin – schon jetzt, ganz am Anfang, vorsichtige, fragende Schritte ausführend. In so einer Art Freizeitkleidung mit Hosenträgern läuft er herum, unsicher, langsam, zögerlich und zögernd kommt er auf Desdemona zu, wo doch jeder eine stürmische Umarmung erwartet –, oh mein Geliebter, dem Himmel sei Dank, so oder ähnlich –, aber Otello schafft es nicht, er belässt es bei einem Klaps auf die Schulter der hochaufgerichteten und souveränen Frau, die die karge Begrüßung hinnimmt wie etwas, das man nicht ändern kann.

Er ist dieser Frau unterlegen, ach, Otello, denkt man sich zwischen dieses unglückliche Paar, unterlegen und um jedes Wort verlegen ist er, das wird schon jetzt deutlich, ohne dass überhaupt gesprochen werden muss. Sie liebt ihn und bekennt sich zu dieser Liebe, behauptet sie jedenfalls, da ist, man spürt es, noch eine Menge aufzuarbeiten mit diesem Mann, der gehemmt ist und sozial wohl unterprivilegiert, ein Feldherr, nichts weiter, ein Soldat mit normierten Gefühlen und Dienstvorschriften, der niemandem glaubt, es sei denn, er gehört zu den Siegern und hat das Gesetz des Sieges auf seiner Seite, denn nur die Sieger sind glaubwürdig.

So einer hat gegen den gewaltig auftrumpfenden Jago von Gerald Finley keine Chance. Da mag er über einen noch so metallisch makellosen (sehr hohen) Tenor verfügen wie Jonas Kaufmann –, der Bariton Finleys überrollt – nach dem Willen des Librettisten Boito –, seine Gefühle, seinen Intellekt, seine Hoffnungen und innigsten Wünsche mühelos.

Bayerische Staatsoper / Otello - Giuseppe Verdi- hier : Jonas Kaufmann als Otello und Anja Harteros als Desdemona © Wilfried Hoesl

Jago, der Karrierist. Der Intellektuelle, der die Gedanken und Gefühle auffädelt und das Unheil daraus strickt. Er hasst Otello, weil dieser Cassio ihm vorzog und zum Hauptmann machte. Langatmig darf er seine Antipathie mit Gründen und Argumenten aufdröseln wie ein Sündenregister des Befehlshabers. Im zweiten Akt, zweite Szene, entwickelt er geradezu eine Ideologie des Bösen: „Ich glaube an einen grausamen Gott, der mich erschaffen hat zu seinem Ebenbild, und den ich im Ingrimm rufe. Aus der Gemeinheit eines Keimes oder eines Atomes bin ich gemein geboren, ich bin verworfen, weil ich Mensch bin…“

Und so weiter. Ach ja, die verkorkste Psyche, die anfällige Charakterstruktur der Menschen. Freilich klingt das bei Boito im Gegensatz zu Shakespeare doch ein wenig übertrieben. Verbrecher sind keine negativen Idealisten, die das Böse anbeten. Keine Intellektuellen, die am Abgründigen arbeiten wie Wissenschaftler. Ach was. Sie huldigen auch keiner Religion des Bösen und es gibt keine Verbrecherkirche mit einem grausamen Gott. Es gibt mitnichten Verbrecher, die zum höheren Ruhm des Verbrechens handeln. Verbrecher haben handfeste Ziele: Profit, Macht, Befriedigung von Hassgefühlen, Geld, Geld und Geld. Und Affekte. Sie wollen auch nicht das Böse und schaffen das Gute, wie Mephisto behauptet, sondern umgekehrt wollen sie – eher – das Gute und schaffen das Böse, weil sie über das Böse nicht hinauskommen, sondern in ihm steckenbleiben. Glauben Sie mir, ich weiß es. Die meisten Verbrecher sind unglückliche Menschen, am Rand der Straße im Dreck Liegengebliebene. Keine Triumphierenden wie Jago, die für das Böse Kerzen anzünden und vor den Altären der Gewalttaten knien.

Bayerische Staatsoper / Otello - Giuseppe Verdi - hier : Jonas Kaufmann als Otello und Gerald Finley als Jago © Wilfried Hoesl
Bayerische Staatsoper / Otello - Giuseppe Verdi- hier : Jonas Kaufmann als Otello und Gerald Finley als Jago © Wilfried Hoesl

Eine Schwäche des Librettos, der die Regie Amélie Niermeyers nicht erliegt (wie ja auch Shakespeare nicht: Othello, 1. Aufzug, 1. Szene, Jago: „Wär´ ich der Mohr, nicht möchte´ ich Jago sein./ Wenn ich ihm diene, dien´ ich nur mir selbst;/ Der Himmel weiß es! Nicht aus Lieb´ und Pflicht,/ nein, nur zum Schein für meinen eigenen Zweck.“ Und: „Ich bin nicht, was ich bin.“). Bei Niermeyer ist Jago ein höchst mittelmäßiger Schurke, ein gewöhnlicher Verbrecher, Verleumder, Anstifter zum Mord oder Mörder in mittelbarer Täterschaft; bedient er sich doch Otellos, um Desdemona zu töten –, was zugleich den unvermeidbaren Untergang des Mörders bedeutete. Jagos Weg wäre frei gewesen, hätte nicht Emilia, seine Frau, sich voller Abscheu von ihm abgewandt.

Schritt für Schritt bringt er sein kriminelles Werk zur Vollendung, ein Denker, das schon, ein Mann der ratio. Bei diesem Otello hat er freilich leichtes Spiel. Du meine Güte, Otello, merkst du denn nichts.

Niermeyers Otello ist ein Tölpel, ein Kleinbürger und Parvenü. Er ist von Grund auf unsicher, bei Desdemona in der falschen Gesellschaft, diese Frau ist ihm haushoch überlegen und er weiß es, er kann ihr nicht einmal glauben, dass sie einem wie ihm treu sein kann. So fällt er auf jede Anspielung Jagos herein, bohrt nicht nach, begnügt sich mit fadenscheinigen Beweisen wie den angeblichen Traumerzählungen Cassios, in denen dieser von seiner Liebe zu Desdemona gefaselt haben soll oder dem ominösen Taschentuch, das Jago in den Besitz Cassios (sehr gut: Evan LeRoy Johnson) schmuggelt. Einer, der voreilige und falsche Schlüsse zieht, weil er von Grund auf seiner Sache bei Desdemona nicht sicher ist. Und der aus allen Wolken fällt, als Emilia (Christina Damian) Aufklärung schafft –, nachdem es jedoch zu spät ist. Am Ende fällt diesem Otello nichts weiter ein, als sich einen Dolch zwischen die Rippen zu stoßen, weg ist er, auf der Flucht ins Nichts sinkt er zu Boden, ein Häufchen Elend, wo er doch in Venedig gebraucht wird zu irgendetwas.

In der Tat: die alles beherrschende Figur ist in dieser Inszenierung die Desdemona der Anja Harteros. Sie ist fast in jeder Szene im Hintergrund anwesend: als leibhaftige Mahnung und zugleich Relativierung des wuseligen Männergeschehens, das sich nur am Macht und Ansehen, Gewalt und Gegengewalt dreht. Als wolle sie sagen: könnt ihr das alles eigentlich angesichts meiner Präsenz verantworten, was ihr da ausheckt? Habt ihr nichts anderes im Kopf, verdammt? Eine Frau, die einen ungerechten Tod erleidet, weil sie letztlich kein Mittel gegen die brutale Gewalt der Männerwelt hat, sich einfach nicht auf deren Ebene des Handelns begeben kann und will.

Bayerische Staatsoper / Otello - Giuseppe Verdi - hier : Jonas Kaufmann als Otello und Anja Harteros als Desdemona, Gerald Finley als Jago © Wilfried Hoesl
Bayerische Staatsoper / Otello - Giuseppe Verdi - hier : Jonas Kaufmann als Otello und Anja Harteros als Desdemona, Gerald Finley als Jago © Wilfried Hoesl

Kleine Menschen in großen Räumen - siehe Foto. Nimmt man die hoheitsvolle Frauengestalt aus. Überdimensioniert hohe, weiße und helle Herrschaftsräume, in denen nur wenige Gegenstände, ein paar Sessel, ein oder zwei Betten stehen; das ist die Bühne. Und in diesem Palast verkrümeln sich solche armseligen Figuren, winzig im Vergleich zu den steilen Wänden, kleingemacht von dem, was sie groß machen sollte.

Die Inszenierung verweigert sich dem Anspruch des Librettos, das Geschehen ins gleichsam Mythische und Allgemein-Menschliche zu überhöhen. Die Agierenden sind gewöhnliche Menschen, karriere- und profitsüchtige, eifersüchtige, kleinbürgerliche Spießer, die sich durch ihr armseliges Leben fretten. An manchen Stellen stört das ein wenig. Allzu erbärmlich wird Otello gemacht. So mies, dass man Mitleid mit ihm zu haben beginnt. Man muss das in Kauf nehmen. Kunst ist immer ein Versuch. Kommt sie an irgendein Ziel und ist rundum zufrieden, ist es zugleich zu Ende mit ihr. Als Versuch unter vielen möglichen ist diese Inszenierung geglückt. Keine Minute, in der man versucht war wegzuschauen.

Dem Publikum hat es ungemein gefallen. Anhaltende und laute Beifallsbekundungen für die Protagonisten, den Dirigenten und sein Orchester. Etwaige Buhs sind jedenfalls untergegangen.

Otello an der Bayerischen Staatsoper;  im Rahmen der Müncher Opernfestspiele    12.7.2019; 15.7.2019

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