München, Residenztheater, Tartuffe von Jean-Baptiste Molière, IOCO Kritik, 26.10.2017

München, Residenztheater, Tartuffe von Jean-Baptiste Molière, IOCO Kritik, 26.10.2017

Residenztheater München

Residenztheater München © Matthias Horn
Residenztheater München © Matthias Horn

„Und Herr Tartuffe?“

 Molières Tartuffe - In der Regie von Mateja Koleznik

Von Hans Günter Melchior

Nichts Ernsteres als die menschliche Komödie. Und nichts Zeitloseres. Da ist der reiche Orgon (Oliver Nägele) hingerissen von der – heuchlerischen – religiösen Hingabe des jungen Herrn Tartuffe (Philip Dechamps), den er in der Kirche beobachtet. Er nimmt Tartuffe in seinem Haus auf, vergisst sich geradezu im Überschwang seiner frommen Begeisterung, überschreibt ihm sein ganzes Vermögen und verspricht ihm sogar seine bereits einem anderen Mann zugesagte Tochter Mariane (Nora Buzalka). Als sich Tartuffe allerdings an Orgons attraktive Ehefrau Elmire (glänzend und schön Sophie von Kessel) heranmacht und Orgon (von Elmire dazu veranlasst) das Paar belauscht, begreift dieser endlich, dass er einem Scharlatan aufgesessen ist. Er will sich von ihm trennen, aber jetzt dreht Tartuffe den Spieß um und pocht auf sein verbrieftes Recht, ist er doch Eigentümer des Hauses; er fordert Orgon und dessen Familie auf, sofort auszuziehen. Schon raffen die schicken Bewohner ihre persönlichen Habseligkeiten, Kleider, Pelze und dergleichen zusammen, ein riesiges Altarbild (Giottos Ognissanti-Madonna?) wird hinausgetragen, da erscheint ein Beamter des Königs und erklärt in dessen Namen alle Kontrakte für null und nichtig. In Molières Stück feiert Orgon emphatisch das glückliche Ende, in München sinkt er wie entseelt nach hinten, man weiß nicht: ist er tot oder nur ohnmächtig geworden vor Freude.

Ein gelungener Theaterabend, kurz und bündig auf 75 Minuten gebracht und in die Moderne umgesetzt. Keine Komödie, eher ein Lehrstück über die kalte Rationalität von Egoismus und Gier.

Residenztheater München / Tartuffe - hier v.l. Bijan Zamani, Nora Buzalka, Sophie von Kessel, Christian Erdt © Matthias Horn
Residenztheater München / Tartuffe - hier v.l. Bijan Zamani, Nora Buzalka, Sophie von Kessel, Christian Erdt © Matthias Horn

Die Bühne besteht aus lauter dunkelbraunen Kleiderschränken, offenbar Palisander, rechts und links, dort ein wenig nach hinten versetzt, gehen Treppen hinauf, ganz links vorne führt eine Treppe nach unten. Auf diesen Treppen kommen und gehen die Protagonisten, ein ständiges Eintreffen und Verlassen ist das wie in einem Club; und jedes Mal wird verhandelt, geschimpft, in den Knien gewippt, vor allem werden existentielle Ängste deutlich. Denn es geht um eines und um immer dasselbe: das Geld, das Vermögen und dessen Bedrohung durch einen frömmelnden Blutsauger.

Knapp und schnörkellos, sachlich und neuzeitlich ist das alles und man begreift: Kleiderschränke sind seit Theater- und Filmgedenken die typischen Verstecke für flüchtende Liebhaber oder lauschende Ehemänner. Von hier aus wird der Blick auf die Wahrheit gelenkt und die Geschichte wird ihren Verlauf nehmen.

In dem modernen, eher stilisierten Interieur flanieren die Akteure in der Manier von Schicki-Micki-Typen, hochelegante Damen der Spaßgesellschaft, mondän und erotisch in sehr langen und eng anliegenden, die Figur betonenden Abend- oder Cocktailkleidern, bald im Small-talk, bald empört, Sektgläser in der Hand. Zu ihnen gesellen sich schwarz gewandete Männer, die mit effekthascherischen Gesten Lässigkeit vorspiegeln, wo die pure Wut in ihnen kocht (Gunther Eckes als Marians Geliebter Valére, Bijan Zamani als Orgons Schwager Cléante).

Residenztheater München / Tartuffe - hier Oliver Nägele © Matthias Horn
Residenztheater München / Tartuffe - hier Oliver Nägele © Matthias Horn

Die jungen Männer, diese vor allem, und die Zofe Dorine (Charlotte Schwab) durchschauen, am kapitalistischen Zeitgeist geschult, den raffinierten und cleveren Tartuffe sofort und polemisieren ausgiebig. Wobei sie natürlich um den eigenen Vorteil fürchten, die saugende Gier des Parasiten im Hause ist eine ernste Bedrohung.

Einzig Orgons Mutter (Ulrike Willenbacher als Madame Pernelle) steht zusammen mit ihrem Sohn auf der Seite des Frömmlers.

Freilich kämpfen selbst Mariane und ihr Geliebter Valère ziemlich lahm um ihre Liebe, wichtiger ist der Tochter der vom Vater erhaltene Scheck als Mitgift; für Geld nimmt sie, so scheint es, auch Tartuffe in Kauf.

Alles ist von der vergifteten Vernunft des Vorteilsdenkens durchdrungen. So ist der naive Herr Orgon keineswegs ein bedingungslos vom selbstlosen Glauben überwältigter Mann, durchaus keiner, der ohne Hintergedanken dem frommen Beter Tartuffe gleichsam seine bürgerliche Existenz opfert und sich mit der Armut abfindet. Er macht listig seine Rechnung mit dem Himmel, glaubt er doch, sich durch gute Werke die Gunst Gottes erkaufen zu können. Das kennen wir doch: es muss sich rentieren In einer etwas subtileren Weise ist auch dies reines Vorteilsdenken, weitab von der kant´schen Moral, wonach Glückseligkeit allenfalls die Folge nicht das Ziel sittlichen Verhaltens sein soll. Da breitet der Geist unserer Zeit mächtig seine Schwingen aus: nichts macht man umsonst, Profit muss sein, sei es auch erst im Jenseits.

Und auch Orgons Ehefrau scheint nichts umsonst zu machen: köstlich die Szene in der sie dem im Kleiderschrank spähenden Ehemann den Ehebrecher Tartuffes vorführt. Da ist sie keineswegs die Verführte, sondern die Verführerin höchstselbst (denkwürdig die wunderbare Sophie von Kessel). Das ist in dieser Inszenierung alles so wunderbar erotisch gestaltet, dass man merkt: Elmire hat Spaß daran, es mit Tartuffe ein wenig (durchaus grenzwertig und halbnackt) zu treiben, handelt es sich doch bei diesem um einen jungen und ansehnlichen Mann, der dem alten Trottel Orgon nicht nur im Verstand um einiges überlegen ist.

Residenztheater München / Tartuffe - hier l. Philip Dechamps, Oliver Nägele, Sophie von Kessel © Matthias Horn
Residenztheater München / Tartuffe - hier l. Philip Dechamps, Oliver Nägele, Sophie von Kessel © Matthias Horn

Zugegeben: Molière arbeitet mit Typisierungen. Er ist um Deutlichkeit bemüht, will Missverständnissen vorbeugen, auch den absichtlichen. Nicht umsonst hat er der dritten Fassung des Stücks (die früheren Fassungen fielen den Protesten der Frömmler zum Opfer) eine lange Erklärung vorausgeschickt, in der er betont, es gehe ihm keineswegs darum, den Glauben und die Frömmigkeit anzuprangern. Er verurteile lediglich die Frömmelei und das Heucheln.

Orgons Trottelei ist wohl nicht zuletzt deshalb deutlich und zweckhaft ins Groteske überzeichnet. Als ihm die Zofe Dorine (Charlotte Schwab) in jener berühmten und unverzichtbaren Szene bei seinem Eintreffen zu Hause vom schlechten Gesundheitszustand seiner Ehefrau berichtet, hat er bei der Aufzählung von deren Leiden rondohaft und beharrlich immer nur die Frage: und Herr Tartuffe? Als kulminiere der Zustand der Welt in dessen Wohlbefinden.

Tartuffe ist im streng strafrechtlichen Sinne kein Betrüger. Die Leistungen Orgons beruhen auf Freiwilligkeit, sind nicht Folge einer durch Irrtum herbeigeführten Zweckverfehlung. Worauf es Molière ankam, war die Darstellung der Persönlichkeitsstruktur des Betrügers. Seine Art zu überzeugen, seine Rationalität und einschmeichelnde Liebenswürdigkeit.

Grabstätte von Jean-Baptiste Molière in Paris - Leider etwas verlottert © IOCO
Grabstätte von Jean-Baptiste Molière in Paris - Leider etwas verlottert © IOCO

Der Inszenierung gelingt über weite Strecken eine Übersetzung des alten Stoffes in unsere Zeit. Dass Tartuffe sich eher im Hintergrund hält und relativ wenig redet, ist freilich nicht typisch für den modernen Betrüger, der sich als begnadeter Schwafler hervorzutun pflegt. Der größte Wortbeitrag des Frömmlers besteht im Hervorkitzeln des Reflexes, der zur sogenannten affektierten Bescheidenheit gehört: Tartuffe macht sich selbst vor allen anderen schlecht –, in der – sich erfüllenden Erwartung –, Widerspruch und Lob zu ernten.

So sind wir nunmal. Quod erat demonstrandum. Man geht psychologisch um einiges bestätigt nach Hause.

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