Frankfurt, Oper Frankfurt, Die Trojaner von Hector Berlioz, IOCO Kritik, 13.03.2017

Frankfurt, Oper Frankfurt, Die Trojaner von Hector Berlioz, IOCO Kritik, 13.03.2017
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Oper Frankfurt

Oper Frankfurt inmitten des Finanzzentrums © IOCO
Oper Frankfurt inmitten des Finanzzentrums © IOCO

"DIE GRÖSSE DER FRAUEN" Les Troyens von Hector Berlioz an der Oper Frankfurt

Von Ljerka Oreskovic Herrmann

Paris / Grabstätte Hector Berlioz © IOCO
Paris / Grabstätte Hector Berlioz © IOCO

Es ist eine Binsenwahrheit, aber deswegen nicht unwahr, wenn man sie wiederholt: Oper ist eine Gesamtkunstwerk und nur durch das Zusammenwirken aller Abteilungen eines Opernhauses möglich. Am Premierenabend von Berlioz’ Les Troyens – nach über 34 Jahren erstmals wieder – in der Oper Frankfurt konnte sich jeder von der Meisterleistung der Bühnentechnik überzeugen. Ohne das präzise arbeitende Team der Bühnenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter wäre diese Vorstellung so nicht realisierbar gewesen. Die große Drehbühne, im Dauereinsatz, eröffnet Außen- und Innenräume sowohl der Protagonisten als auch der dramatischen Handlung. Aber dazu später, zuvor soll die Leistung der Schneiderei (170 Kostüme), des hervorragenden Chores (100 Personen zuzüglich des Extra- und Kinderchores) und des großen und großartigen Orchesters zuvorderst gewürdigt werden.

Oper Frankfurt / Die Trojaner - Tanja Ariane Baumgartner als Cassandre, Chor, Extrachor © Barbara Aumüller
Oper Frankfurt / Die Trojaner - Tanja Ariane Baumgartner als Cassandre, Chor, Extrachor © Barbara Aumüller

Und dann war es ein Abend der Frauen. Cassandre und Didon sind die Heldinnen der Oper und ihre Sängerinnen, die des Abends. Tanja Ariane Baumgarten und Claudia Mahnke sind Kolleginnen an der Oper Frankfurt, und ein Vergleich der beiden Mezzosoprane liegt nahe. Aber Cassandre und Didon sind zu unterschiedlich in ihrer Rollenbiographie und einzig, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, in ihrem Schmerz vereint.

Tanja Ariane Baumgarten ist eine gepeinigte Cassandre, die nirgendwo dazugehört – weder in den an die 1920er Jahre erinnernden Art Déco-Salon der trojanischen Elite – noch in die antikisierende Außenwelt des Volkes, das sich über das trojanische Pferd zunächst noch freut. Sie schaut die Zuschauer zu Beginn – projiziert auf einen Zwischenvorhang – und auch später direkt an, ihr Inneres nicht verbergend, doch auch wissend, dass alle Wehklage umsonst sein wird (Video: Bernd Zander). Sie ist der Dreh- und Angelpunkt des ersten Teils, und Tanja Ariane Baumgarten spielt und singt mit großer Intensität. Ihr auch in die Tiefe gehender Mezzosopran verleiht der Cassandre die notwendige psychologische Dunkelheit, die diese Figur mit ihren Vorahnungen auszeichnet. Sie stattet dieser Seherin mit einer Würde aus, um nicht vollends wie die anderen in der Opferrolle zu erstarren. Um sie herum herrscht Rat- und Tatlosigkeit und insbesondere die Männer scheinen den Verlust, nicht nur der verlorenen Endschlacht, sondern der bisherigen Lebensweise nicht zu verstehen und zu verkraften. Wie Schatten ihrer selbst irren sie durch die zunehmend zerstörten antiken Landschaften vor und in ihrem Salon, unfähig ihre Frauen zu beschützen oder einen anderen Ausweg zu finden. Die Kostüme spielen mit Farben, so wie Berlioz für jede Person eine eigene Klangfarbe entwickelte, tragen die Damen – Cassandre sei hier exemplarisch erwähnt lila-violett – Gewänder in verschiedener Couleur. Das Farbenspiel setzt sich auch bei den Männern fort, die allerdings in kurzen Hosen (mit oder ohne Jackett) und antik anmutenden Sandalen zu sehen sind; vielleicht als Hinweis auf die bereits erwähnte irrlichternde Laissez-faire-Attitude, die sehenden Auges dem Untergang entgegensteuert.

Oper Frankfurt / Die Trojaner - Claudia Mahnke als Didon, Chor, Extrachor, Chorgäste © Barbara Aumüller
Oper Frankfurt / Die Trojaner - Claudia Mahnke als Didon, Chor, Extrachor, Chorgäste © Barbara Aumüller

Im zweiten Teil hat sich das Bühnenbild geweitet, der Salon ist leicht verändert, aber doch der passende Rahmen für eine Königin, die mit ihrem Witwendasein hadert. Und hier entwickelt die Regisseurin Eva Maria Höckmyer eine größere emotionale Dichte – was im schönen „Kontrast“ zur Musik steht, die die Emotionalität zunächst nicht vordergründig bescheinigt und erst langsam, dann aber deutlich entfaltet. Insbesondere in den intimen Momenten der Zweisamkeit von Didon und Enée beweist sie eine gut geführte Personenregie. Die von Liebe zerrissene Didon wird von Claudia Mahnke stimmlich (mit einer schönen Höhe ) und darstellerisch jederzeit beglaubigt und sehr beeindruckend dargestellt. Sie zeigt eine erwachsene Frau – im Gegensatz zu ihrer etwas unbekümmerten jüngeren Schwester –, wissend, dass eine neue Liebe den ganzen Menschen, also auch die Monarchin, fordert. Das Scheitern ist unausweichlich, da Enée nicht aufrichtig ist. Berlioz scheint Frauen nicht nur stimmlich mehr aufzubürden, er sieht sie als starke Persönlichkeiten, die trotz ihres individuellen Untergangs Haltung bewahren. Das Farbenspiel der Kostüme ist hier einer Zurückhaltung gewichen, es überwiegt ein blau-grau bei den Damen, Didon trägt noch eine Jacke mit Gürtel, die sie als Königin ausweist. Die inzwischen langen Hosenbeine der Herren sind farblich intensiver gewählt. Nur Enée fällt aus dem Rahmen mit seiner Lederjacke und verbeulten Hose: Er ist ja „ein Flüchtling“, der weiter will und daran ermahnt wird, dass er einem göttlichen Auftrag folgen muss – wie auch seine Partie zunehmend die dritte Hauptrolle im Stück wird und von Bryan Register allmählich an Entfaltung gewinnt.

Oper Frankfurt / Die Trojaner - vlnr Claudia Mahnke als Didon, Irene Bauer (Tänzerin), Martin Dvorák (Tänzer) © Barbara Aumüller
Oper Frankfurt / Die Trojaner - vlnr Claudia Mahnke als Didon, Irene Bauer (Tänzerin), Martin Dvorák (Tänzer) © Barbara Aumüller

Eva Maria Höckmeyer gelingt es, zwischen der Geschichte um Krieg in Troja einerseits und die Flucht der übriggebliebenen Trojaner andererseits einen Bogen zu spannen. Auch weil beide Teil im gleichen antikisierenden Bühnenbild (Jens Kilian) spielen und die farbenprächtigen Kostüme (Saskia Rettig) zeitlos wirken und eine Kontinuität auch durch die Choreografie (Martin Dvo?ák) zwischen den beiden Teilen herstellen. Und trotzdem bleibt ein kleiner Wehmutstropfen, da das unablässige Drehen der Bühne sich mit der Zeit erschöpft – etwas mehr Ruhe und weniger Sinneseindrücke hätten der Umsetzung durchaus gut getan. Denn die Wucht des Werkes – musikalisch, dramaturgisch und bühnentechnisch – braucht eine gewisse Reduktion, keine Vereinfachung, aber die Besinnung auf das Wesentliche: die Figuren. Wohltuend ist, dass die Regisseurin nicht auf Aktualisierung setzt – und doch konnte jeder die Nachrichtenbilder aus Syrien sich in Erinnerung rufen, so man sich auf die Geschichte einließ. Krieg und Vertreibung ist keine aktuelle Erfahrung, es ist das Grundrauschen der gesamten europäischen Kultur. Auch Berlioz’ Musik und Libretto, vom ihm selbst verfasst, ist von diesem Wissen (und man muss hinzufügen von der Liebe Berlioz’ zu dem antiken Dichter Vergil und seiner Aeneis) durchdrungen. Im 19. Jahrhundert gehörten die antiken Mythen noch zum Allgemeingut.

Oper Frankfurt / Die Trojaner - Tanja Ariane Baumgartner als Cassandre und Ensemble © Barbara Aumüller
Oper Frankfurt / Die Trojaner - Tanja Ariane Baumgartner als Cassandre und Ensemble © Barbara Aumüller

Die große Besetzung der Troyens stellt für jedes Opernhaus eine Herausforderung dar, die hier meisterlich bewältigt wurde von: Gordon Bintner (Chorèbe), Daniel Miroslaw (Panthée), Alfred Reiter (Narbal), Martin Mitterutzner (Iopas), Elisabeth Reiter (Ascagne), JuditaNagyová (Anna), Michael Porter (Hylas / Hélénus), Dietrich Volle (Priam), Thomas Faulkner (ein Soldat / der Schatten Hektors / Merkur), Brandon Cedel (ein griechischer Führer / erster trojanischer Soldat), Thesele Kemane (zweiter trojanischer Soldat), Alison King (Polyxène), Britta Stallmeister (Hécube) sowie die Tänzer und Tänzerinnen Martin Dvorák, Irene Bauer und Gal Feffermann.

Der Dirigent John Nelson, ein ausgewiesener Berlioz-Kenner, führt das Orchester sicher, große Gesten meidend, jederzeit souverän, präzise und unaufgeregt durch den Abend. Dem musikalischen und durchaus auch szenischen tableauhaften des Werks verleiht Nelson den übergreifenden Rahmen, die Spannung bis zum Schluss haltend und damit dieser Grand opéra die Rechtmäßigkeit im Opernrepertoire zuweisend. Nicht nur dafür gab es großen bis stürmischen Applaus.

Die Trojaner an der Oper Frankfurt; weitere Vorstellungen: 18.3.2017, 26.3.2017.

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