Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, DER RING DES NIBELUNGEN - Richard Wagner, IOCO

DER RING DES NIBELUNGEN: Uwe Eric Laufenberg führt in seiner Inszenierung durch die Menschheitsgeschichte in zeitlichen, räumlichen und kulturspezifischen Abstufungen – von der Mythologie in den Orient zur altdeutschen Kneipe in einen Reitsaal ........

Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, DER RING DES NIBELUNGEN - Richard Wagner, IOCO
Hessisches Staatstheater Wiesbaden @ Martin Kaufhold

„Der Ring ist die Dichtung meines Lebens, all dessen was ich bin und all dessen was ich fühle.“ - Richard Wagner

von Ingrid Freiberg

Die Idee zur Tetralogie Der Ring des Nibelungen nahm mit dem im Herbst 1848 niederlegten Prosaentwurf zu Siegfrieds Tod erste konkrete Formen an. Vorausgegangen war eine intensive Beschäftigung mit Literatur, darunter der Edda, dem Nibelungenlied und anderen nordischen Sagen, den klassischen Dramen eines Aischylos und Aristophanes, den Deutschen Sagen der Brüder Grimm… Der zentrale Gedanke vom Raub des Goldes, von der Gier nach Macht und Herrschaft und vom Missbrauch der Gesetze stammt noch aus der Zeit vor dem Dresdner Maiaufstand. Wagner lernte den russischen Emigranten und Revolutionär Michail Bakunin kennen und fand durch diesen zu seiner These „Eigentum ist Diebstahl“. Er betätigte sich auch schriftstellerisch als anarchistischer Revolutionär „Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge, welche die einige Menschheit in feindliche Völker, in Mächtige und Schwache, in Berechtigte und Rechtlose, in Reiche und Arme teilt, denn sie macht aus allem nur Unglückliche. Zerstören will ich die Ordnung der Dinge, die Millionen zu Sklaven von Wenigen und diese Wenigen zu Sklaven ihrer eigenen Macht, ihres eigenen Reichtums macht…“ Im Gegensatz zu Bakunin, der nicht nur die Vernichtung aller Kultureinrichtungen, sondern die Zerstörung alles Bestehenden forderte, wollte Wagner die Menschheit durch seine Kunst zum Besseren beeinflussen. Die politischen Erfahrungen waren der entscheidende Impuls für sein Werk, in dessen Mittelpunkt ein Held steht, der die Menschen von der durch die Macht des Geldes verursachten Unterdrückung befreien soll. Die Entstehungszeit umfasste die Jahre 1848 bis 1874; rund 26 Jahre, in denen sich Wagner vom 34jährigen Revolutionär zum 60jährigen gutsituierten Komponisten entwickelt hat.

RICHARD WAGNER Denkmal in .... @ IOCO

 Im Ring des Nibelungen spiegelt sich Wagners eigenes Leben ebenso wider wie die politischen Veränderungen seiner Zeit. Neben Siegfried, „dem gewünschten, gewollten Menschen der Zukunft“ tritt immer mehr Wotan als Katalysator von Wagners eigenen Ideen und Zweifeln in den Vordergrund. Schließlich gestaltete er die Tragödie des Gottes: „Er gleicht uns aufs Haar, er ist die Summe der Intelligenz der Gegenwart, wogegen Siegfried der Mensch der Zukunft ist, der aber nicht durch uns gemacht werden kann und der sich selbst schaffen muss durch unsere Vernichtung.“ Diese Götter und Figuren entnahm Wagner seiner Zeit und schuf nach seinen Bildern und Visionen eine eigene mythologische Welt aus germanischen und griechischen Vorlagen. Vom Revolutionär Siegfried bis zum den eigenen Untergang als Basis für eine glückliche Menschheit heraufbeschwörenden Wotan, führte ein Weg, der für ihn die Auseinandersetzung mit weiteren philosophischen Schriften beinhaltete.

Wie bei allen seinen Kompositionen hatte Wagner auch für den Beginn des Rheingolds rückblickend eine Mystifikation parat: „Am Nachmittag heimkehrend, streckte ich mich todmüde auf einem harten Ruhebett aus, um die langersehnte Stunde des Schlafes zu erwarten. Sie erschien nicht; dafür versank ich in eine Art somnambulen Zustand, in welchem ich plötzlich die Empfindung, als ob ich in ein stark fließendes Wasser versänke, erhielt. Das Rauschen desselben stellte sich mir bald in musikalischen Klängen des ES-Dur-Akkords dar.“ Aus den 136 Takten des Es-Dur-Vorspiels in Rheingold entwickelt Wagner den Uranfang der Welt, seinen Kosmos der Motive – er nannte sie „Gefühlswegweiser“ – die für die rekapitulierenden Erzählungen sowohl musikalisch als auch dramaturgisch erleuchtend sind. Diese „Leitmotive“ sind alles andere als stereotype Erkennungsfloskeln, welche die Handlung nochmals auf der Ebene der Musik spiegeln. Wagners Musik ist stets mehrdeutig. Neue Stilmomente wie die unendliche Melodie, der dramatische rezitativisch-ariose Gesang anstelle geschlossener Arienformen, der weitgehende Verzicht auf den Chor sind eine Abkehr: Im Ring soll nicht die Einzelnummer bestechen, sondern die Kunst der Verwandlung. Die pausenlose Überblendung der Szenen verleiht den Aufzügen eine sinfonische Großform, aus der sich nur noch selten Einzelmomente herauslösen lassen: Loges Erzählung, Siegmunds „Ein Schwert verhieß mir der Vater…“ und „Winterstürme“, Sieglindes „Der Männer Sippe…“, Brünnhildes Todesverkündigung, Siegfrieds Schmiedelieder… Eher gelingt dies mit Szenenkomplexen, sinfonischen Einheiten wie dem „Einzug der Götter in Walhall“, dem „1. Aufzug der Walküre“, „Wotans Abschied“, dem „Feuerzauber“, „Wotans Weckrufer-Szene“, „Brünnhildes Erwachen“, „Siegfrieds Rheinfahrt“ und „Brünnhildes Schlussgesang“. Das Rheingold mit dem falsch klingenden Einzug der Götter in Walhall, der bereits ihr Ende signalisiert, zeigt einen ersten Höhepunkt dessen, was Wagner mit seinem Orchester, das größer als je zuvor besetzt ist, an klanglicher Sensibilität und Psychologie, an interpretatorischem Raffinement und szenisch-magischer Naturbeschwörung bewirken kann.

„Der Ring des Nibelungen ist als Überforderung Operngeschichte geworden: Das Scheitern in der Götterdämmerung ist zum Mantra des Werkes selbst geworden - der Versuch, die ganze Welt- und Menschheitsgeschichte zu erzählen… und alles, was Kunst und Geisteswissenschaften Großes und Wesentliches hervorgebracht haben.“

Folgerichtig führt Uwe Eric Laufenberg durch die Menschheitsgeschichte in zeitlichen, räumlichen und kulturspezifischen Abstufungen – von der Mythologie in den Orient zur altdeutschen Kneipe in einen Reitsaal mit einer an die Germania erinnernden Statue, zur Hochsicherheits-Festung von Fafner, die an Fort Knox erinnert, bis hin zur klassischen Gibichungen-Halle. Sinnstarke Videos von Falko Sternberg - das Rheintal mit der Burg Kaub, die strahlende Sonne, das magische Schwert Nothung, Massaker, Häuserschluchten einer Mega-Stadt, verheerende Atombomben-Explosionen, Panzer und Kampfflugzeuge, der apokalyptische Weltenbrand über den geschlossenen Toren von Walhall - teils drastisch aufgezeigt, ergänzen das Kaleidoskop seiner Deutung. Der Ausgangspunkt der Tragödie, der Raub des Goldes, findet in einem die Bühne dominierenden Auge statt. Aufsehenerregend, wie Rheintöchter und Alberich sich darin necken… Das ist nur das Vorspiel, danach beginnt der Lauf der Geschichte: Eindrucksvoll wie gestenreich Loge den Göttern am abendlichen Lagerfeuer vom Raub des Goldes berichtet, majestätisch der Einzug der göttlichen Beduinen nach Walhall, überraschend wie Siegfried statt eines Bären einen Punk vor sich hertreibt und zeitgemäß wie er den Feuerring mittels Algorithmen überwindet, effektvoll der Bezug zur Antike durch eine überlebensgroße Statue, monströs wie die Walküren wahllos junge Männer morden und deren Leichenteile umherwerfen, modern das Weben der Nornen mittels Laserstrahlen, überwältigend die pyrotechnischen Zaubereien, entsetzlich die Bombergeschwader… überzeugend die Personenregie. Uwe Eric Laufenberg ist an dieser großen Aufgabe nicht gescheitert, seine Inszenierung fällt positiv aus dem Rahmen.

Rheingold hier die Rheintöchter @ Karl und Monika Forster

Die Bühne von Gisbert Jäkel setzt Laufenbergs Gedankengänge gekonnt in Szene:

Die Götterfamilie wohnt zunächst in einem riesigen Nomadenzelt, in dem ein Modell der tempelartigen Burg Walhall und ein (Reichs?)Adler stehen, Umzugskisten warten auf den Transport. Hundings Hütte ist eine rustikale Gaststube, durch die Fenster ist nebeliger Wald zu ahnen. Nothung steckt in einer imposanten Esche, mit einer deutschen Fahne bedeckt. Brünnhilde schläft in einer Statue, die an Germania erinnert, einer ebenfalls glorreichen Kriegerin. Feuerprojektionen an der Rückwand und Feuerschalen assoziieren den Feuerring. In einem Art Militärzelt hält Wotan als moderner Feldherr seine Lagebesprechungen. Eine Mischung aus Aufbahrungs- und Reithalle ist die weltliche Heimstatt der Walküren. Die FF-Bank ist die Drachenhöhle von Fafner, die zu einem Hochsicherheitstrakt ausgebaut ist. Die Gichungenhalle hat monströse angsteinflößende Ausmaße und ist, außer einer langgestreckten roten Bank, zwei Sesseln, einer Bar und einem ausladenden Tisch, nicht möbiliert. Bei Siegfrieds Ankunft sieht man auf der Hinterwand übergroß den vornehm rassigen Grane. So vielgestaltig wie Inszenierung, Bühne und Videos sind auch die ausdrucksstarken Kostüme von Antje Sternberg: erotische Catsuits für die langhaarigen Rheintöchter, schwarze Thawbs und Turbane für die Götter, römisch-germanisch anmutende Gewänder für die Göttinnen, ein Haute Couture-Kleid für Fricka, Riesen als Sufis, Wotan im mausgrauen Uniformmantel, unschuldiges Weiß für Sieglinde und Siegmund, Walküren im Pilotenlook des frühen 20. Jahrhunderts, Siegfried zunächst als Halbstarker, dann als Businessman, die Gibischmannen in schwarzer Uniform mit Helm, Gewehr, Fahnen schwenkend. Großen Einfluss nimmt die durchdachte Lichtregie von Andreas Frank: verzaubernd schimmert der Orient, das Rheingold erstrahlt, gespenstisch beleuchtet die Szene Alberich mit Hagen…

Wagners Welttheater wird nur erfahrbar, wenn wir die Bilder, Motive, Situationen an seiner Musik entlang gestalten.

„Rheingold“ – mystischer Beginn

136 Takte in Es-Dur… Das Orchestervorspiel beginnt mit leisen Bass-Streichern, die den Ton übers Fagott an andere Instrumente weitergeben und in einem „Wellen-Crescendo“ zum Rheingold-Motiv überleiten. „Weia! Woga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weiala weia!“, das ist „gleichsam das Wiegenlied der Welt“ sagte Wagner. Er habe dabei an das „Eia popeia“ gedacht, das Mütter seit Jahrhunderten ihren Kindern zum Einschlafen vorsingen. Aus der Wiege wird ein Universum. Die goldenen Dreiklänge der Harmonie entstehen aus einem Grundton. So eindrucksvoll es ist, das Rheingold ist kein Idyll natürlicher Unschuld, keine naive Botschaft vom Verlust des Paradieses. Es hat einen trügerischen, täuschenden Glanz. Die Rheintöchter verwandeln sie sich in der Nähe von Alberich in raffinierte Geschöpfe, die den hässlichen Eindringling verspotten. Bezeichnenderweise erringt er den Ring nicht durch Gewalt: „Nur wer der Minne Macht versagt, nur wer der Liebe Lust verjagt, nur der erzielt sich den Zauber zum Reif zu zwingen das Gold... „so verfluch ich die Liebe!“

Rheingold @ Karl und Monika Forster

Wotan hat sich mit Walhall auf ein gewaltiges Bauvorhaben eingelassen, das er sich nicht leisten kann. Die Riesen Fasolt und Fafner verlangen den Lohn in Gestalt von Freia, der Hüterin der ewigen Jugend. Als Wotan vom Ring erfährt, will er listig - zusammen mit Loge - Alberich dazu bringen, ihn ihm zu überlassen. Für den Abstieg nach Nibelheim entfesselt Wagner ein riesiges Schlagwerk mit achtzehn Ambossen. Wotan ist ein moderner Herrscher, bereit Gewalt einzusetzen. Die geringeren Götter repräsentieren die Aristokratie, die Riesen das unruhige Proletariat, Alberich ist Selfmademan und Kapitalist, Loge ähnelt einem abtrünnigen Philosophen und Politiker, der Wotan aus rein pragmatischen Erwägungen heraus unterstützt. Am Ende von Rheingold kommt Loge in Versuchung, Walhall vorzeitig in Brand zu setzen.

Die Walküre hier Ensemble @ Karl und Monika Forster

„Die Walküre“ - Leben nach dem Tod oder die Existenz von Gottheiten

In manischem Tempo begann Wagner die Arbeit an der „Walküre“: Wotans Zwillingskinder Sieglinde und Siegmund verlieben sich ineinander, ohne zu wissen, dass sie Geschwister sind. Trotz dieses Skandals fand das Publikum des 19. Jahrhunderts diese Szenen genauso anrührend wie andere populäre Romanzen dieser Zeit. Die sich steigernden Gefühlskaskaden: Siegmunds leidenschaftlicher Gesang von Frühling und Liebe „Winterstürme wichen dem Wonnemond…“, Sieglindes ebenso glühende Antwort „Du bist der Lenz, nach dem ich verlangte…“ und Siegmund, der das Schwert aus der Esche zieht „Nothung, Nothung…“, die sich anschließende orgiastische Umarmung der beiden ist eine Tour de Force heißblütiger romantischer Gefühle. „Braut und Schwester bist du dem Bruder, so blühe denn Wälsungen-Blut!

Nachdem Wotan Fafner das Gold überlassen hat, kann er den Handel wegen der in seinem Speer eingeritzten Verträge nicht rückgängig machen und hofft auf seinen Menschensohn Siegmund, der an göttliche Verpflichtungen nicht gebunden ist. Doch Wotans missmutige Ehefrau Fricka zerpflückt den Plan. Blutschänderische Liebe sei frevelhaft. Sie verlangt, dass Wotan sich nicht einmischt, wenn Hunding Vergeltung üben will. Nach einem ergreifenden Dialog mit Brünnhilde versinkt Wotan in Seelenqualen „Was keinem in Worten ich künde, unausgesprochen bleib es denn ewig...“ Wagner schrieb über diese Szene: „Wird er einmal ganz so dargestellt, wie ich es verlange, so muss er allerdings – wenn jede Intention vollkommen verstanden wird – eine Erschütterung hervorbringen, der nichts Dagewesenes gleicht.“ Der Wotan der Walküre ist auf dem Weg zur Weisheit, aber sein Verhalten bleibt hinter seinem Verständnis zurück: „...was ich liebe, muss ich verlassen!“

SIEGFRIED @ Karl und Monika Forster

„Siegfried“ – eine Kriegserklärung an die Moral

Erst nach Tristan und Isolde und Die Meistersinger von Nürnberg komponierte Wagner den letzten Aufzug von Siegfried. Inzwischen hatte sich sein Stil verändert… Bei jeder Aufführung ist es wie ein Schock, wenn sich der Vorhang zum 3. Aufzug hebt, und die reichere Kompositionstechnik zu hören ist. Wie aus einem anderen Leben taucht Wagners Musik wieder auf. Sie ist die Stimme seines jüngeren Selbst, die sich nun wieder Gehör verschafft. Gegensätze sind ein beliebtes Thema bei Wagner. Eine psychologische Studie ergab, dass weder eine musikalische Ausbildung, noch Sprachkenntnisse notwendig sind, um die Motive zu erkennen und sich an sie zu erinnern. Sie sind hervorragend geeignet, sich im Gedächtnis des Publikums einzunisten.

Siegfried @ Karl und Monika Forster

Anfangs spielte Siegfried, der blonde Held, in Wagners Phantasie eine fast erotische Rolle. Er sprach von dem „jugendlich schönen Menschen in der üppigsten Frische seiner Kraft…, der wirkliche nackte Mensch, an dem ich jede Wallung des Blutes, jedes Zucken der kräftigen Muskeln… erkennen durfte. Er ist der von uns gewünschte, gewollte Mensch der Zukunft…, der aber nicht durch uns gemacht werden kann, und der sich selbst schaffen muss durch unsre Vernichtung.“ Zuweilen klang der Komponist fast enttäuscht von seinem Helden: Siegfried ist die problematischste Figur im Ring. Seine tragische Schwäche ist seine Unwissenheit. Es ist die archetypische Geschichte eines werdenden Superhelden, der in sich Kräfte entdeckt, die er noch nicht versteht. So kann Mime, Alberichs Bruder, den unwissenden Knaben dazu benutzen, Fafner, den Drachen, zu töten, um den Ring zu erlangen. Siegfried schmiedet Nothung neu und vollbringt die Tat. Vom Blut des Drachen kostend, versteht er plötzlich die Rede des magischen Waldvogels, der ihm Mimes verräterisches Wesen enthüllt. Dessen Rat befolgend steigt er in die Drachenhöhle, um Ring und Tarnhelm zu holen. Davor lauernd geraten Mime und der hinzugekommene Alberich um den begehrten Schatz in Streit. Als Siegfried wieder aus der Höhle kommt, warnt ihn der Waldvogel erneut, worauf er Mime niederstreckt. Furchtlos eilt er zu Brünnhilde, um das wonnigste Weib aus dem Feuerring zu befreien. Im seligen Taumel menschlicher Liebe gibt sie sich im Zeichen der Götterdämmerung hin. Er, der ausgezogen war, „das Fürchten zu lernen“, bekommt nun Angst vor der Liebe einer Frau.

Götterdämmerung @ Karl und Monika Forster

„Götterdämmerung“ – zu End’ ewiges Wissen! Der Welt melden Weise nichts mehr.

Wagners Entscheidung, Siegfried mit einem Duett zu beenden, kündigt die umstrittene Rückkehr zur traditionellen Oper an. Sie verzerrt diese Konventionen mit einer Art böswilliger Schadenfreude. Wir erleben Duette, schurkische Monologe, das Schwören eines Eides, einen Trinkchor, einen Hochzeitszug: Die stilistischen Gänge reiben sich aneinander.

In gewisser Weise sind die Nornen das Gegenstück zu den Rheintöchtern. Aber während letztere fröhlich und verspielt sind, sind sie ein mürrisches Trio. Sie spinnen das Seil des Schicksals „Welch Licht leuchtet dort?“, „Wie das wird…“, „Aus Not und Neid ragt mir des Niblungen Ring: ein rächender  Fluch nagt meiner Fäden Geflecht…“, „Ein Ende der ewigen Weisheit!“ und erschauen das Ende der Götter im brennenden Walhall. Das Seil reißt – ihr Wissen ist zu Ende (Der Vier-Akkord, der einst so prächtig glänzte, als Brünnhilde erwachte, ist in einem düsteren, unheilvollen Klang zu hören.)

Die Geschwister Gutrune und Gunther sind ohne Partner. Hagen, ihr Halbbruder, der den Ring begehrt, erzählt Gunther vom „herrlichsten Weib der Welt“. Mittels eines präparierten Begrüßungstranks vergisst Siegfried schlagartig, „dass je ein Weib ihm genaht.“ In wilder Leidenschaft entbrennt er für Gutrune. Mit Gunther schließt er Blutsbrüderschaft und ist bereit, für ihn die Braut zu gewinnen „Frisch auf die Fahrt...“ (Hier erklingt das Motiv von Wotans Speer in den unteren Blechbläsern und signalisiert die dunkle Entsprechung zwischen den Machthungrigen.) Hagen zurückbleibend: „Ihr freien Söhne, frohe Gesellen, segelt nur lustig dahin! Dünkt er euch niedrig, ihr dient ihm doch, des Niblungen Sohn.“

Brünnhilde wird von ihrer Walkürenschwester Waltraute aufgesucht, die sie eindringlich bittet, den Ring zurückzugeben: Erlöst werde die Welt, gäbe sie ihn an die Rheintöchter zurück. Der mittels Tarnhelm in Gunthers Gestalt verwandelte Siegfried naht, ergreift die entsetzte Brünnhilde, reißt ihr gewaltsam den Ring vom Finger. Als er Nothung zwischen sie legt, um die Keuschheit der Jungfrau Gunther vorzubehalten, dröhnt das Motiv des Schwertes schroff und wild im Orchester.

Der 2. Aufzug ist die düsterste und konzeptionell gewalttätigste Musik, die Wagner m. E. geschrieben hat. In der ersten Szene beschwört Alberich seinen Sohn Hagen „Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“„Sei wahr!“ Hagen antwortet zweideutig: „Mir selbst schwör’ ich’s; schweige die Sorge!“

Siegfried kehrt erfolgreich zu den Gibichungen zurück. Gunther und die tief gedemütigte Brünnhilde folgen. Als sie Gutrune am Arm Siegfrieds erblickt, an seinem Finger den Ring, schreit sie in eifersüchtiger Wut auf „Heil’ge Götter“. Auf Hagens Speer beschwört Siegfried seine Unschuld. Brünnhilde bekräftigt ihre Anklage ebenfalls auf den Speer und weiht ihn als todbringende Waffe für den Meineidigen „Helle Wehr!“ Der heuchlerische Hagen bietet sich als Werkzeug ihrer Rache an. Sie erzählt ihm von Siegfrieds ungeschützter Stelle und schwört gemeinsam mit Hagen und Gunther einen Racheeid. Am Ufer des Rheins stößt Siegfried auf die Rheintöchter, die ihm seinen Tod voraussagen. Hagen und Gunther erscheinen mit einer Jagdgesellschaft. Ein Zaubertrank, den Hagen ihm verabreicht, löst Siegfrieds Zunge. Er erzählt „Mime hieß ein mürrischer Zwerg…“, von seinem Kampf mit dem Drachen und von der ersten Begegnung mit Brünnhilde. Seine Erzählung macht ihn in den Augen der Gesellschaft „schuldig“. Hagen stößt seinen Speer in Siegfrieds Rücken. „Brünnhilde, heilige Braut!“ mit diesem letzten Liebesgelöbnis, bei dem sich im Orchester die gewaltige Trauermusik entfaltet, eine umfassende Prozession von Leitmotiven aus allen Phasen des Zyklus, stirbt Siegfried. Trotzig brüstet sich Hagen mit dem Mord, weil der Tote „Meineid sprach“. Er macht „heiliges Beuterecht“ geltend und fordert den Ring. Brünnhilde tritt in die Halle und befiehlt, einen Scheiterhaufen aufzuschichten „Starke Scheite schichtet mir dort...“, zündet das Feuer und schickt Wotans Raben nach Walhall, damit sie den Göttern das Ende verkünden „Fliegt heim, ihr Raben!“ Dann sprengt sie mit ihrem Pferd Grane in den Scheiterhaufen. Als das Feuer erlischt, schwimmen die Rheintöchter heran. Mit dem Ruf „Zurück vom Ring!“ stürzt sich Hagen in die Flut. In hellem Feuerschein sieht man das brennende Walhall. Die Götter finden ihr Ende.

GÖTTERDÄMMERUNG @ Karl und Monika Forster

Bezwingendes Ensemble, große Bewunderung

Fesselnd KS Thomas de Vries als Alberich (Rheingold, Siegfried, Götterdämmerung), Nachtalbe, der der Liebe entsagt. Mit technischer Brillanz, dramatisch aufblühendem Ton von anrührender Seelentiefe, vermittelt er mit seinem virilen Bariton beklemmende Präsenz. Grantig und toxisch meldet er seine Ansprüche an. Eindrücklich die Szene mit seinem Sohn Hagen. Er ist ein Alberich der Extraklasse.

Egils Silins ist Wotan und Wanderer (Rheingold, Walküre, Siegfried), Gott, Naturfrevler, Machtmensch und gescheiterter Herrscher der Welt. Silins ist nicht eine Figur, er ist viele, verändert sich mit Voranschreiten der Geschichte nach und nach. Seine herrliche Stimme, sonor, gepaart mit guter Textklarheit erfüllt die anspruchsvolle Bandbreite dieser Rolle. Mit fließender Geläufigkeit und Virtuosität, suggestivem Spiel, tönt sein dramatisch timbrierter Bassbariton. Fricka Katrin Wundsam, Wotans Ehefrau, Göttin und Hüterin von Ehe und Moral (Rheingold, Walküre), ist ein selbstbewusster unbeugsamer Charakter, eine Dame von Welt. Dicht gestaltete Gesangsbögen und wohl dosierte Noblesse lassen dramatisch aufwallend ihre Persönlichkeit und Kompetenz aufleuchten. Die fokussierte Stimme klingt wunderbar sinnlich. Ihre Waltraute (Götterdämmerung) ist eine Walküre mit eigener Identität. Suggestiv berührend die zentralen Passagen ihrer Waltrauten-Erzählung.

Betsy Horne übernimmt mit großem Erfolg drei (Liebes)Rollen: Als Freia (Rheingold) ist sie die Göttin der Goldenen Äpfel, sorgt für die Unsterblichkeit der Götter. Sie ist der Inbegriff von Weiblichkeit und Fruchtbarkeit. Von einer Kinderschar umringt, entwickelt sie für den Riesen Fasolt erstaunlich liebevolle Gefühle. Als Sieglinde (Walküre), Siegmunds verloren geglaubte Zwillingsschwester und Geliebte, überzeugt sie auf ganzer Linie; als Gutrune (Götterdämmerung), Gunthers Schwester, verliebt sie sich in Siegfried und wird von ihm und Hagen um ihre Liebe betrogen. Allen Partien gibt sie souverän anrührend mit Seele in der Stimme und viel Zärtlichkeit Profil. Die Reinheit ihrer Gesangslinie, ihre herrlich warme, expressive Mittellage und die mühelos erreichten Spitzentönen sind bewegend und gehen zu Herzen. Es ist eine große Freude, sie zu hören. Marco Jentzsch ist ein jugendlich schwärmerischer Siegmund (Walküre), ein vortrefflicher Partner für Betsy Horne. Zusammen sind sie eine Augenweide und verkörpern die Liebe ergreifend mit innerer Stärke und Tiefe. Sein quellfrisches, angenehm vibratoarmes Timbre, der wahre Wagner-Belcanto, seine präzise Tongebung, ohne jegliche aufgesetzte Drücker, begeistern. Er artikuliert den Text, ohne jemals zu deklamatorischen Mitteln greifen zu müssen. Seine Stimme strömt kraftvoll und behält bis zum Schluss ihre Lebendigkeit.

Thomas Blondelle als Loge (Rheingold) zeigt eine überragende Leistung: Ausgereift-geistreich, listig und verschlagen treibt er als Wotans Berater dessen und der Götter Untergang voran. Mit ungewöhnlich kommunikativer Kraft, subtiler Körpersprache, großer Stimme, ist er Träger von Mitteilungen, die ebenso aus der Musik wie aus ihm selbst kommen. Kein Ton, kein Wort, das nur nebenbei gesungen wird! Eine  ausdrucksstarke Interpretation, ein erzählerisch auf Hochglanz polierter Tenor!

Fasolt Timo Riihonen (Rheingold), ursprünglich redlich arbeitender Riese, wird im Streit von seinem Bruder Fafner erschlagen. Für seine Liebe zu Freia findet er wunderschöne Farben der Sehnsucht. Ausdrucksstark, mit sonorem mächtigen Bass, gestaltet er darstellerisch profiliert und sicher im Ton und angenehm im Klang, den Betrogenen; eine szenische Ausstrahlung von verzweifelter Würde und Sehnsucht. Young Doo Park besticht in der Rolle des gewaltbereiten Fafner (Rheingold, Siegfried). Mit bedrohlicher Präsenz, mit klarem beweglichen Bass, dominiert er gefährlich scharf und beeindruckend als Drache. Seine Riesenstimme ist darstellerisch ebenso fesselnd wie sängerisch einprägsam. Das prädistiniert ihn auch für die Rolle des bösen Hunding (Walküre). Erschreckend brutal und verschlagen, mit Hass und innerer Wucht, verfolgt er Siegmund. Seine Stimme lässt Erschauern. Er ist ein gefährlicher und furchteinflößender Gegner.

Paul Kaufmann als Mime (Rheingold, Siegfried) ist ein verschlagener Schmied, ein Zerrissener zwischen Vaterrolle und seiner Gier nach Hort und Ring. Entgegen der oft unreflektierten Rollendarstellungen ist er eher zurückhaltend. Er fühlt sich missverstanden, giert nach Liebe und Anerkennung. Mit Stilgefühl, ohne viel Faxen, lässt er seine Stimme frei strömen. Mit Spannung erwartet, das Rollendebüt von Manuela Uhl als Brünnhilde (Walküre, Siegfried, Götterdämmerung). Sie gehört zu den gefragtesten Interpretinnen der Werke von Richard Strauss und Richard Wagner. Mit musikalischer Differenzierungsfähigkeit, subtiler Körpersprache wird die attraktive Sängerin vor allem darstellerisch mit bewundernswerter Präzision der Rolle gerecht. Sie meistert die Tücken dieser anspruchsvollen Partie mit Kraft und Flexibilität. Ihr Temperament, ihre Bühnenpräsenz, ihre dramatische Wirksamkeit überzeugen.

Klaus Florian Vogt (Siegfried, Götterdämmerung) ist der derzeit einzige Heldentenor, der weltweit alle Wagner-Partien interpretiert. Der Götterdämmerungs-Siegfried ist besonders gefürchtet, weil der Sänger den unmittelbar zuvor absolvierten, enorm umfangreichen Jung-Siegfried noch in den Knochen hat. Und als einzige Tenorpartie im Schaffen Wagners muss er furchtlos mehrfach hinauf zum berüchtigten hohen C... Der Siegfried von Vogt beeindruckt neben Klangschönheit und Klarheit durch deutliche Diktion. Mit strahlend hohe Tönen, großer Ausdruckspalette und stimmlicher Agilität stellt er sich ganz in den Dienst der Musik. Beeindruckend sein Stimmschmelz und seine Ästhetik. Er beweist hiermit, dass er sich zu einem der führenden Rolleninterpreten entwickelt hat. Auf sein Debüt bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen darf man sich freuen. Ein weiterer Höhepunkt ist Albert Pesendorfer als Hagen (Götterdämmerung). Das Zwiegespräch mit Alberich gehört zu den Spitzenleistungen des Abends. Pesendorfer ist körperlich und stimmlich überragend, seine Gefährlichkeit glaubwürdig. Anfangs fast jovial, bald mit bröckelnder Fassade, kann er seine Gier kaum verstecken. Die böswillige Durchsetzungskraftdie Intensität, mit der er seine Vorhaben vorantreibt, lässt erschauern. Seine hochdramatischen Eruptionen sind eindrucksvoll unforciert und kultiviert. Birger Radde ist Gunther (Götterdämmerung), der Anführer der Gibichungen, und Donner (Rheingold), der Gott der Gewalt und des Zornes. Sein profunder charismatischer Bariton ist eindrucksvoll, von besonderer Strahlkraft. Darstellerisch überzeugt er durch beherztes Spiel, lässt seine gesangliche Wandlungsfähigkeit aufblühen. Seine Stimme gleitet schwerelos durch die Register. Aaron Cawley singt mit müheloser Höhe Froh (Rheingold), den Herrscher über Regen und Sonnenschein. (In dieser Produktion ist er auch als Siegmund zu hören!)

Als Erda (Rheingold, Siegfried), Mutter der Nornen, der Welt weisestes Weib, die allwissende Urmutter und Weltenseele, von Wotan geschwängert, ist Helena Köhne klangschön zupackend, schmerzlich treibend. Sie braucht keine zusätzlichen Gesten, ist mit ihrer kraftvollen farbreichen Stimme hochdramatisch und raumgreifend. Die Nornen Katrin Wundsam, Sandra Jahnke und Betsy Horne (Götterdämmerung), Töchter von Erda, sind weise Frauen, die am Weltgeschehen flechten. Bei Wagner spielen die Nornen eine wesentliche Rolle. Sie erinnern an das in den drei Abenden vorher Geschehene, ermahnen an das Gegenwärtige und schließlich an das nahe Ende der Götter, die hereinbrechende Götterdämmerung. Sie sind ein glutvoll singendes Trio, sehr ausdrucksstark und darstellerisch profiliert. Der verspielte Waldvogel von Anastasiya Taratorkina (Siegfried) erfrischt durch lockend betörenden Wohlklang. Ihre Stimme klingt wunderbar natürlich und farbenreich, die strahlenden Höhen bezaubern.

Mit dem lachenden Spiel der Wassermädchen (Rheingold, Götterdämmerung) Woglinde Anastasiya Taratorkina, Wellgunde Fleuranne Brockway, Floßhilde Louise Fenbury beginnt die Tragödie. Die Mädchen umschwimmen und bewachen das Rheingold in lautem Jubel (strahlendes Rheingoldmotiv des Orchesters). Harmonisch ihr Kichern, Keckern, Jauchzen und Jubeln, sensibel die austarierte Balance der Intonation, Farbgebung und Textartikulation, erotisch ihr Spiel. Die acht Walküren, Brünnhildes Schwestern, bringen die gefallenen Helden nach Walhall. Helmwige Vera Ivanovic, Gerhilde Sharon Kempton, Ortlinde Britta Stallmeister, Waltraute Maren Engelhardt, Siegrune Nora Kazemieh, Rossweiße Fleuranne Brockway, Grimgerde Maria Rebekka Stöhr, Schwertleite Helena Köhne sind rasende Kriegerinnen, die aus Angst vor dem Groll ihres Walvaters Wotan ihrer Schwester Brünnhilde ihre Hilfe verweigern. Der berühmte Walkürenritt ist mit seiner expressiven Wirkung vermutlich eines der bekanntesten Stücke der Musikgeschichte. Den Sängerinnen gelingt es, ausdrucksstark, ohne falsches Pathos, zwischen Respekt und Abscheu Gefühle auszulösen. Sie tragen zum furiosen Gelingen des Abends bei.

Die Herren-Riege des Chors und Extrachors des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden mit ihren Tenören und Bässen bezwingt (Götterdämmerung) mit Verve und Eindringlichkeit, mit einer differenzierten Tongebung und präzisen Diktion, kraftvoll und dramatisch.

Die Musikalische Leitung von Michael Güttler lebt von ihrem elanvollen Zugriff. Das Werk atmet Klarheit und leuchtet wie ein Diamant. Das ist von hoher Kulinarik. Das tiefschwarze es-Moll-Vorspiel in der Götterdämmerung wird sauber intoniert, eine Meisterleistung in Sachen Balance und Orchesterbeherrschung. Die Musik bekommt Süffigkeit und emotionale Tiefe, ist wuchtig. Alle Stimmen werden miteinander verwoben und die Klangfarben differenziert eingesetzt. Die Wagner-Tuben und Stierhörner schließen sich mit der Natur kurz. Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden besticht mit gefühlvoller Sängerbegleitung und hoher sinfonischer Kompetenz.

Es gab tosenden Beifall und Bravi, ein guter Grund, sich die künftigen „Ring-Termine“ vorzumerken… - 28. März – 1. April 2024 bzw. 25. - 30. Mai 2024

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