Salzburg, Festspiele, Großes Festspielhaus, MACBETH - Giuseppe Verdi, IOCO

Eisiges Lachen, Machtgier und Albtraum: Warlikowskis packende Macbeth-Inszenierung in Salzburg offenbart mit Sulimsky und Grigorian die zerstörerische Kraft des Bösen – ein Opernabend von berührender Wucht.

Salzburg, Festspiele, Großes Festspielhaus, MACBETH - Giuseppe Verdi, IOCO
Masken vor dem Festspielhaus © Luigi Caputo

von Marcel Bub

Eisiges Lachen als brüchige Selbstergötzung des neuen Herrschers und der Lady Macbeth durchzog die angespannte Stille. Nach einem Sturm blutiger Machtergreifung fand sich das mörderische Paar im Zentrum der Macht wieder. Der blutige Plan war aufgegangen, doch die dunkle Ahnung der berechnenden Kraft des essenziellBösen war stetig allgegenwärtig. Schnell verhärteten sich die Mienen, jede Freude versiegte. Krzysztof Warlikowski gelang in dieser Schlüsselszene zu Beginn des zweiten Akts das filigrane Zusammenführen all jener Motive Giuseppe Verdis Macbeth, die diese Komposition, diesen Stoff auf so tiefe Weise beeindrucken und schockieren lassen. Individuelle Machtgier, das unerbittlich Böse und das tragische Zugrundegehen des Subjekts an dieser zerstörerischen Kraft prägten jede Nuance dieser intelligenten und einnehmend gewaltvollen Interpretation. Wie bereits im Jahr 2023 brachten die Wiener Philharmoniker mit Philippe Jordan auch in diesem Jahr die revidierte Fassung aus 1865 zu umjubelter Aufführung.

In Verdis Macbeth wird aus kriegerischem Sieg ein Sog des Verderbens. Macbeth, gefeierter Heerführer, begegnet rätselhaften Gestalten – mal ist hier von Hexen die Rede, mal von Zauberinnen oder Geisterfrauen – die ihm Ruhm und Krone verheißen, während Banco eine Zukunft voller Nachkommen vorausgesagt wird. Die erste Weissagung erfüllt sich sofort: Macbeth wird zum Than von Cawdor erhoben. Lady Macbeth, von ungestilltem Machtverlangen getrieben und unter ihrer Kinderlosigkeit leidend, drängt ihren Mann zum Königsmord. Duncan fällt im eigenen Haus und mit ihm jede Ordnung. Doch die neue Herrschaft ist von angstvoller Brüchigkeit geprägt. Macbeth sieht in Banco den gefährlichsten Widersacher und lässt ihn töten, während dessen Sohn entkommt. Bei einem Festmahl tritt der Geist des Ermordeten auf – nur Macbeth sichtbar, doch zerstörerisch für sein Inneres und seine Glaubwürdigkeit. Das Königspaar versucht, Halt im gemeinsamen Blutpakt zu finden, doch jeder Mord führt nur tiefer in Albtraum und Wahn. Von Visionen getrieben, glaubt Macbeth sich unbesiegbar. Doch die Weissagungen verkehren sich in tödliche Fallen. Lady Macbeth zerbricht im Schlafwandeln an der Schuld und nimmt sich das Leben. Macbeth bleibt allein, umstellt von Feinden. Als Malcolms Heer ihm gegenübertritt, begreift Macbeth den Sinn der Prophezeiungen. Er fällt, verflucht von Himmel und Erde, und seine Krone, für die er alles geopfert hat, vergeht zu Staub.

Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Ensemble, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Statisterie der Salzburger Festspiele © SF/ Ruth Walz

Warlikowski zielte in seinem Umgang mit dem Werk auf die individuellen Ebenen von Macht und Bösartigkeit. Es ging um die Fragen, wie eine/r Einzelne/r, wie wir alle zu Macbeth werden können. Das große, als überwältigend undurchschaubar erscheinende Böse wurde individualisiert und personalisiert. In diesem Sinne setzte diese dichte und an Metaphern reiche Inszenierung des stetig in Salzburg und anderen großen Bühnen der Welt präsenten Regisseurs die fordernde Schlagkraft des Stoffs beeindruckend und innovativ fort.

Im Zentrum all dessen standen Macbeth (Vladislav Sulimsky) und Lady Macbeth (Asmik Grigorian). Die Neuartigkeit dieser Rollenbesetzung und Personengestaltung wurde bereits zur Entstehungszeit Verdis Oper deutlich. So war die Besetzung einer Hauptrolle mit einem Bariton, anstelle der klassischen Wahl eines Tenors, mindestens ungewöhnlich. Innovativ aufbrechend war jedoch insbesondere die komplexe Gestaltung der zwischen lustvoller Machtgier, selbstzerstörerischem Bedauern und somnambulem Wahnsinn changierenden Lady Macbeth. Die Verkörperung dieser zugleich machtvollen und gebrochenen Person wurde in der Darstellung durch Asmik Grigorian zum Ereignis nahezu beispiellosen Ausmaßes. Mit stimmlicher Präzision, risikofreudiger Brillanz und darstellerischer Intensität Verdis atemberaubende Klangwelt, das gesamte Bühnengeschehen souverän dominierend und sich dabei aufmerksam in den Gesamtorganismus aller beteiligten Künstler·innen einfügend, ließ sich an diesem Abend abermals die Meisterschaft der gefeierten Sopranistin erleben. So ließ der groteske Impetus der Trinkarie während des Festmahls im zweiten Akt die Gemüter des Publikums erschaudern und bereits auf den sich anbahnenden tragisch zerstörerischen Fluchtpunkt des Werks ausblicken. In jener bereits von Shakespeare sogenannten Schlafwandelszene, die wohl zu den eindringlichsten Sopranpartien des Repertoires gehört, kulminierten schließlich die Kräfte individuellen Machthungers, innerer Leere und des zutiefst Bösen. Grigorians erneut Maßstäbe setzende Darbietung dieser zugleich herzzerreißenden und schockierenden Passage überzeugte auf fundamentaler Ebene und kann sich in die zahlreichen künstlerischen Höhepunkte einreihen, die diese Sopranistin insbesondere auch hier in Salzburg in den letzten Jahren bereits geschaffen hat. Auch die erneute Zusammenarbeit mit Warlikowski stellte sich vor diesem Hintergrund als Erfolg auf allen Ebenen heraus. Ein Glücksgriff, der vorwiegend auf die künstlerisch innovative und gestalterisch kluge Intendanz Markus Hinterhäusers zurückzuführen ist, und auch auf Zukünftiges hoffen lässt.

Ensemble, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Statisterie der Salzburger Festspiele © SF/ Ruth Walz

Irgendwo zwischen Liebenden, Komplizen und Instrument der Lady Macbeth steht an ihrer Seite der Namensgeber des Werks. Stimmlich und darstellerisch ebenfalls exzellent überzeugte hier der Bariton Vladislav Sulimsky. Das auf faszinierende Weise einnehmende Timbre und die präzise Phrasierung zogen sich als stimmliche Konstante seiner Darbietung durch den Abend. Komplex und intensiv verkörperte Sulimsky dabei die existenzielle Zerrissenheit zwischen gestalterischer Autonomie und Fremdbestimmung, zwischen individueller Machtgier und Instrumentalisierung durch böse Kräfte. So füllte sein Macbeth im einen Moment noch souverän die Machtfülle des neuen Herrschers aus – triumphal mit der Stimmgewalt der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor unter der Leitung von Alan Woodbridge unterlegt –, um im nächsten wie von Sinnen auf einen Ballon einzustechen. Auch an dieser Stelle wurde der inszenatorische Detailreichtum dieser Interpretation deutlich. Weiterer elementarer Bestandsteil der Trias im zerstörerischen Kampf um Macht ist Banco, in dessen Rolle der Bassist Tareq Nazmi eindringlich und nuanciert überzeugte. Ferner setzte sich das erwartbar hohe Niveau der Besetzung bei Charles Castronovo als Macduff, Natalia Gavrilan als Kammerfrau und den anderen Sängerinnen und Sängern fort.

Wie auch in den zerrütteten Konstitutionen der einzelnen Charaktere passierte in dieser Inszenierung auf visueller und metaphorischer Ebene viel. Die blutigen Erinnerungen und gewaltvollen Taten der Lady Macbeth und ihres Mannes wurden im Laufe des Stücks immer wieder durch Darsteller·innen im Kindesalter verkörpert, die sich mal schlafend passiv, mal spielerisch umherspringend oder entpersonalisiert mit Maske in das teilweise überbordende Bühnengeschehen einfügten. Auf eindringliche Weise nahm der Regisseur hier den Ausspruch Pierre Victurnien Vergniauds, „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder“, ernst. Vor dem Hintergrund einer exzellenten, durch eine klare und fokussierte Ästhetik gekennzeichnete Bühnen- und Kostümgestaltung durch Małgorzata Szczęśniak, war dieser Opernabend ein musikdramatisches Fest künstlerischer Meisterklasse. Im Zuge dessen komplettierten die Videoelemente der Künstler Denis Guéguin und Kamil Polak sowie das Lichtdesign von Felice Ross die Gesamtästhetik auf produktiv-treffende Weise. Diese weiteren Ebenen reichten von einer intimen Nahaufnahme des Gesichts der Lady Macbeth während einer gynäkologischen Untersuchung zu Beginn der Aufführung, bis hin zu Animationen von durch Wälder irrenden Kindern.

Vladislav Sulimsky (Macbeth), Asmik Grigorian (Lady Macbeth) © SF/ Ruth Walz

An der Spitze der Wiener Philharmoniker präsentierte Jordan einen erfrischend klaren und spannend analytischen Verdi. Immer wieder folgte auf Momente gewaltigen Aufbäumens der Modus zurückgenommenen Begleitens. Routiniert bot das Orchester die Basis eines faszinierenden Gesamtklangs. Im Zuge dieses musikdramatischen Tragödienspiels konnten die Abgründe menschlicher Existenz, die zerstörerische Kraft individuellen Machtstrebens und die existenzielle Konsequenz des fundamental Bösen auf berührend schockierende Weise erlebt werden. Dieser denkwürdige Opernabend war durch eine überzeugende Besetzung vor dem Hintergrund eines anspruchsvollen Interpretationszugangs geprägt sowie insbesondere durch die einnehmende Präsenz und genialen Darstellungen durch Sulimsky und Grigorian als tragisch gewalterfülltes Paar.

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