Salzburg, Festspiele, GIULIO CESARE IN EGITTO – Georg Friedrich Händel, IOCO
Händels „Giulio Cesare“ in Salzburg: Statt barocker Pracht ein klaustrophobischer Bunker. Dmitri Tcherniakovs radikales Festspieldebüt, vier hohe Männerstimmen und Emmanuelle Haïm am Pult machen die Oper zu einem elektrisierenden Machtspiel aus Liebe, Verrat und Überlebenskampf.

von Daniela Zimmermann
Als Georg Friedrich Händel 1724 in London Giulio Cesare in Egitto komponierte, befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Die Oper erlebte im selben Jahr am Kings Theater am Haymarket ihre Uraufführung, mit einigen der größten Stars der damaligen Zeit, darunter der gefeierte Kastrat Senesino als Cesare. Die Oper Giulio Cesare verschwand nicht in der Versenkung, sondern kehrte erfolgreich zurück auf die Bühnen, beflügelt an dem Interesse barocker Opern und dem Aufstieg der Countertenöre.
In Salzburg jedoch geht die Regie einen gänzlich anderen Weg. Statt barocker Pracht spielt die Handlung in einem abgeriegelten Bunker. Ein Schauplatz, der Enge und Machtkampf gleichermaßen symbolisiert. Dmitri Tcherniakov ist der Regisseur dieser Operninszenierung. Es ist Tscherniakovs Festspieldebüt in Salzburg. Der Bunker wird zur Bühne, funktional, kalt und offen zum Publikum. Kein ägyptischer Prunk, dafür Überlebenskampf und gegenseitiges Misstrauen. Dazu kommen Sirenenalarm, Neonlicht und Betonwände, die eine bedrohliche Atmosphäre wiedergeben. Es gibt eigentlich keinen geschützten Raum, alle sind abhängig voneinander und gleichzeitig Gegner.

Elena Zaitseva kleidet die Sänger in moderne Outfits. Cesare als schlicht gekleideter Büroangestellter, Cleopatra, mit enger sexy Lederhose, pinkfarbiger Jacke und pinkfarbener Perücke. Klassische Gestalten in zeitgenössischem Look.
Gleb Filshtinsky ist verantwortlich für die Lichtregie und sorgt zusammen mit Tcherniakovs Bühnenraum für eine intensive Atmosphäre, in der Sirenensignale und Neonlicht den Machtkampf verstärken.
Händels Giulio Cesare in Egitto spielt zur Zeit der römischen Bürgerkriege. Gleich zu Beginn konfrontiert der ägyptische König Tolomeo den römischen Feldherrn Giulio Cesare mit dem abgeschlagenen Kopf seines Rivalen Pompeo, ein sogenanntes Freundschaftsgeschenk, das in Wahrheit eine Provokation ist. Seine Witwe Cornelia und ihr Sohn Sesto schwören Rache.
Cleopatra, Tolomeos einzige Schwester, verfolgt eigene Pläne. Sie will Cesare für sich gewinnen, um selbst die alleinige Herrscherin Ägyptens zu werden. Als eine fremde Schönheit, namens Lydia, verführt sie Cesare mit List und Sinnlichkeit. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Beziehung, geprägt von echter Anziehung und von politischen Interessen. Währenddessen spinnt Tolomeo seine Intrigen weiter, um sowohl Cesare als auch seine Schwester auszuschalten. Gleichzeitig zur Machtintrige entfaltet sich das tragische Schicksal von Cornelia. Sie wird von Tolomeo schamlos gedemütigt, der sie als seine Beute beansprucht. Verrat und Machtspiele eskalieren, bis Cesare in Lebensgefahr gerät und sich nur knapp retten kann. Sesto gelingt es schließlich, was er sich vorgenommen hat, Tolomeo zu töten und die Würde seiner Mutter wieder herzustellen.

Am Ende triumphieren Cesare und Cleopatra, in Händels Musik, ein strahlendes barockes Happy End. Im Salzburger Bunker bedeutet das nicht die komplette Freiheit, denn alle sind weiter eingesperrt im Bunker mit ihren weiterhin ungelösten Konflikten.
Eine Besonderheit dieser Aufführung und das verdient gleich zu Beginn besonderer Erwähnung: Vier (!) hohe Männerstimmen in einer einzigen Oper: drei Countertenöre und ein Sopranist. Jeder von ihnen bringt eine eigene stimmliche Farbe als auch eine eigene Interpretation mit, zusammen ein faszinierendes Vokalpanorama.
Christophe Dumeaux als Giulio Cesare überzeugt mit seinem herrschaftlichen Countertenor und einer berührenden Bühnenpräsenz, die sowohl Macht als auch Menschlichkeit ausstrahlt. Er kämpft souverän zwischen seiner Autorität und den inneren Konflikten. Yuriy Mynemko begeistert als grausamer ägyptischer König Tolomeo. Sein Countertenor klingt kühl und bedrohlich und stellt den skrupellosen Machthaber dar. Frederico Fiorio singt den Sesto. Sein Sopran, eine seltene, aber wirkungsvolle Besetzung, singt die Rolle mit technischer Brillianz und jugendlicher Energie. Seine Stimme vermittelt zugleich Verzweiflung und Entschlossenheit. Er spielt die Rolle mit vollem Körpereinsatz. Andrey Zhilikhovsky als Achilla unterstreicht mit seinem sonoren Bariton die Brutalität der Figur. Er ist ein wichtiger Gegenspieler, dessen Loyalität und Motive vielschichtig bleiben.

Olga Kulchynska verkörpert die Cleopatra mit einer Stimme voller Verführung und List. Ihr Sopran reicht von sanften, verführerischen Tönen bis zu dramatischen Ausbrüchen. Cleopatra ist eine sehr ambivalente Rolle, die sie bestens präsentiert. Lucile Richardot bringt als Cornelia, Pompeos Witwe, mit ihrem Mezzosopran eine nuancierte Mischung aus Trauer und unbeugsamer Rachsucht auf die Bühne. Jake Ingbar als Niren und Robert Raso als Curio runden das Ensemble bestens ab.
Diese ausgewählte Stimmenvielfalt passt zu Händels komplexen Geflecht aus Macht, Liebe und Verrat. Das alles wird sehr lebendig vor dem Hintergrund des Bühnenbunkers, der die emotionalen Spannungen auf die Spitze treibt.
Händels Musik lebt von ihrer barocken Klangpracht, die hier unter der Leitung von Emmanuelle Haïm mit dem Ensemble Le Concert d’Astrée aufgeführt wird. Haïm ist eine anerkannte Händel-Expertinmit viel historischer Aufführungspraxis. Sie dirigiert das Orchester mit Stil und historischer Sensibilität und begleitet die Sänger mit viel Feingefühl bei ihren virtuosen Koloraturen und emotionalen Momenten.
Der Bachchor Salzburg, ein Chor aus erfahrenen Barockchoristen, unterstützt die Szenen, in denen das Volk oder Soldaten eine wichtige Rolle übernehmen.
Ein Abend, der einmal mehr beweist, dass die Salzburger Festspiele ein Ort sind, an dem musikalische Höhepunkte, szenische Fantasie und die Freude am Opernerlebnis zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.