Osnabrück, Theater am Domhof, DER FLIEGENDE HOLLÄNDER - Richard Wagner, IOCO

Wie Senta die Welt sieht
Christopher Lichtenstein begeistert mit „Der fliegende Holländer“ in Osnabrücker
Von Hanns Butterhof
Christopher Lichtenstein, dem neuen Generalmusikdirektor am Theater Osnabrück, ist mit Richard Wagners Romantischer Oper „Der fliegende Holländer“ von 1843 ein begeisternder Einstand gelungen. Das Osnabrücker Symphonieorchester in Hochform, die mutige, stimmige Regie von Dennis Krauß, Chor und Ensemble, die sich Wagners Ansprüchen in einem klugen Bühnenbild gewachsen zeigen, alles sorgt für einen außergewöhnlichen Premierenabend.
Dennis Krauß erzählt die Handlung nicht naturalistisch als Geschichte der Rettung des zum ewigen Umhersegeln auf den Weltmeeren verdammten Holländers (Martin-Jan Nijhof) durch die Selbstaufopferung der Kapitänstochter Senta (Susann Vent-Wunderlich). Vielmehr zeigt er die Welt, wie Senta sie sieht, und fühlt sich tief in deren Gedanken ein. Es sind die Gedanken einer Außenseiterin, die Senta schon als Tochter eines Kapitäns ist. In der Spinnstube sitzt sie verträumt etwas abseits von den Matrosenfrauen, die dort ihre Arbeit in rasendem Takt wie in einer Fabrik ausführen. Im Holländer, dessen Rettungsballade sie mit wachsender Inbrunst vorträgt, gerinnt ihr der Wille, sich selbst und vielleicht auch all diese Fremdbestimmten zu befreien, zur Gestalt.
Als ihr Vater Daland (Dominic Barberi) ihr einen Holländer als Bräutigam zuführt, scheint ihr Rettungstraum wahr zu werden. Doch dessen blutrotes Kostüm und sein unheimliches Aussehen wie Murnaus blutsaugender Vampir Nosferatu erwecken Sentas Angst. Ein Traum des Jägers Erik (Ilker Arcayürek), der sie liebt, lässt sie wieder unsicher werden, ob sie ihr Erlösungswerk, diesem Holländer treu zu sein bis in den Tod, wirklich vollbringen will.

Vieles noch unterstreicht den gebrochenen Realitätscharakter der Handlung. Daland, die Matrosen und ihre Frauen tragen das gleiche verwaschene Blau, die Leute des Holländers und zunehmend auch Senta knalliges Rot. Alle sind extrem geschminkt und bewegen sich, von Gal Fefferman choreographiert, mit der expressionistischen Gestik eines Stummfilms. Das Geisterschiff des Holländers schwebt als blutrotes Brettergerüst über der Szene, Frauen stürmen die Bühne, rote Fahnen schwingend, und geben dem Erlösungswillen Sentas ein weniger phantastisches Ziel als den Holländer.
Das alles passt bruchlos auf die von Dennis Krauß als sein eigener Bühnenbildner und Ausstatter intelligent genutzte Drehbühne des Theaters. Je nachdem, wie sie sich dreht, ist sie Bug eines Schiffes und sein Deck, die Rampe, auf der sich die Figuren begegnen, und bietet Raum für die Matrosen und Spinnerinnen. In ihrer Drehbewegung kann sie sogar als Bild des Strudels gesehen werden, in den Sentas Gedanken das Geschehen hineinziehen.
Alle Verfremdungen der Regie folgen nicht nur dem Regiekonzept, das dem romantischen Gehalt der Oper einen heutigeren, psychologischen Boden einzieht. Sie verbinden sich auch bruchlos mit der Musik, die Christopher Lichtenstein am Pult des Osnabrücker Symphonieorchesters schlank und durchsichtig, ohne nationaloperlichen Pomp oder romantisierendes Sentiment erklingen lässt. Selbst im Forte fordert er die Sängerinnen und Sänger nur, aber deckt sie nicht zu.

Das Ensemble erweist sich als den Ansprüchen gut gewachsen, die Wagners Partitur stellt. Susann Vent-Wunderlich bewältigt souverän die schwere Partie der Senta, die trotz aller Zweifel, die Erik in ihr aufruft, selbstbestimmt mit gereckter Faust an ihrer Utopie der Selbst- und Welt-Erlösung festhält. Wie Susann Vent-Wunderlich gibt Gast-Sänger Martin-Jan Nijhof mit jungem Bass den zwiespältigen Holländer als Rollendebüt. Dominic Barberi bringt als naiv-gieriger Daland Humor in die Aufführung, Ilker Arcayürek als verzweifelt um Senta kämpfender Erik, Nadia Steinhardt als Mary und Florian Wugk als Steuermann gefallen. Chor und Extrachor des Theaters, die durch die Choreographie von Gal Fefferman zusätzlich gefordert waren, hat Sierd Quarré glänzend eingestellt und erhält mit allen an der Aufführung Beteiligten nach gut zweieinhalb Stunden den anhaltenden, im Stehen dargebrachten Beifall des Premierenpublikums, der besonders Susann Vent-Wunderlich, Martin-Jan Nijhof und Christopher Lichtenstein mit dem Osnabrücker Symphonieorchester sowie Regisseur Dennis Krauß galt.
Die nächsten Termine: 3., 8., 17. und 21.10., jeweils um 19.30 Uhr