Nürnberg, Meistersingerhalle, Hochromatik in der Meistersingerhalle, IOCO Kritik, 20.07.2021

Nürnberg, Meistersingerhalle, Hochromatik in der Meistersingerhalle, IOCO Kritik, 20.07.2021
Meistersingerhalle in Nürnberg @ Matthias Dengler
Meistersingerhalle in Nürnberg @ Matthias Dengler

Hochromantik - In der Meistersingerhalle zu Nürnberg  - 16.07.2021

Joana Mallwitz und Andrei Ionita interpretieren: Schumann - Cellokonzert a-Moll op.129,  Mendelssohn Bartholdy - Vierte Symphonie a-Dur „Italienische“ op.90

von

Thomas Thielemann

Die Nürnberger Meistersingerhalle, in den 1960-Jahren als Konzerthaus erbaut, verfügt im Großen Saal über eine Fläche von 2079 m² sowie ein Raumvolumen von über 20 000 m³ und kann, je nach Bestuhlung, zwischen 944 und 2121 Besuchern Platz bieten. Für den verwöhnten Konzertbesucher wirkt diese zu groß geratene Schuhschachtel zunächst irritierend. Aber es erweist sich auch in Nürnberg: die Schuhschachtel-Struktur ist für die akustischen Bedingungen von Konzertsälen ein Optimum und verzeiht viele Raumgestaltungssünden; aber eben nicht alle Diskrepanzen beim Orchesterspiel. Trotzdem ist man überrascht, im imposanten Flachbau trotz langem Nachhall eine befriedigende Klangentfaltung zu erleben.

Robert Schumann Büste in Düsseldorf @ IOCO
Robert Schumann Büste in Düsseldorf @ IOCO

Nachdem die zweite Bewerbung des Robert Schumann (1810-1856) um die Aufgabe des Leipziger Gewandhauskapellmeisters gescheitert war und seine Bemühung um die Stelle des Dresdner Hofkapellmeisters kaum zu einem Ergebnis zu führen schien, nahm er 1850 das Angebot des Düsseldorfer Stadtrates an, als Nachfolger Ferdinand Hillers (1811-1885) zu wirken. Von den Rheinländern im September des Jahres freundlich empfangen, fand er trotz der vielfältigen Aufgaben als Städtischer Musikdirektor die Zeit, in der Euphorie des Neuanfangs innerhalb kurzer Zeit zwei seiner bedeutsamsten Kompositionen zu schaffen: die Rheinische Symphonie und, bereits im Oktober 1850 das „Konzert für Violoncello und Orchester  a-Moll op. 129“. Innerhalb von sieben Tagen skizzierte er das Werk und hatte es nach weiteren sieben Tagen fertig instrumentiert.

Staatsoper Nürnberg / hier das Staatsorchester @ Ludwig Olah

Tragisch, dass die Zusammenarbeit mit dem für die Uraufführung gewünschten, aber offenbar überschätzten Solisten Robert Emil Bockmühl, nicht funktionierte. Ob der Wirren der weiteren Düsseldorfer Dienstzeit und in der Folge der Erkrankung Schumanns wurde zunächst eine Aufführung des Cello-Konzertes regelrecht vergessen. Nach einem zaghaften Versuch, Cello mit Klavierbegleitung, 1860 in Leipzig, einer Uraufführung 1867 in Breslau, eroberte das Konzert erst im 20. Jahrhundert dank hervorragender Schallplatten- und CD-Einspielungen seinen verdienten Platz in den Repertoires. Inzwischen gilt es „als Traum aller Cellisten“.

Ob Dmitri Schostakowitsch 1963 im Hinblick auf Schumanns dramatische Situation in den Jahren nach der Arbeit am Opus 129 zu seiner etwas unglücklichen Bearbeitung veranlasst worden war, indem er der Orchesterbesetzung eine Piccolo Flöte, eine Harfe und zwei Hörner zufügte, ist unbekannt geblieben.

Andrei Ionita @ Andrei Ionita
Andrei Ionita @ Andrei Ionita

Der aus Rumänien stammende Solist des Abends Andrei Ionita gilt nicht zu Unrecht als einer der führenden Cellisten seiner Generation. Nach dem er mit dem Gewinn des ersten Preises des Moskauer Internationalen Tschaikowski-Wettbewerbs 2015 nach Bad Kissingen gekommen war, um den Luitpold-Preis des Fördervereins Kissinger Sommer für 2016 zu erhalten, begleiten wir, wo immer möglich, sein umfangreiches Wirken. Inzwischen ist er auch als Solist in Klavierkonzerten aufgetreten.

Andrei spielt auf einem Violoncello aus der Brescianischen Werkstatt des Giovanni Battista Rogeri (1642-1710) aus dem Jahre 1671.

Schumanns Konzert bot er ohne Überspitzungen oder Zurschaustellungen mit weitsichtig gestalteter Brillanz, Tonschönheit, gepaart mit Kultiviertheit und Noblesse.

Joana Mallwitz @ Simon Pauly
Joana Mallwitz @ Simon Pauly

Das Orchester der Staatsphilharmonie Nürnberg erwies sich als gleichwertiger Partner des Solisten. Seine Generalmusikdirektorin und Dirigentin des Abends Joana Mallwitz sicherte, dass sich die Musiker nicht in monotonen Begleitfiguren langweilten, sondern rhythmisch-harmonische Facetten hervorbringen konnten. Leider ging sie mit dem Solisten nicht immer partnerschaftlich um, veranlasste ihn gelegentlich zum Forcieren oder überdeckte sein Spiel.

Mit einer Zugabe konnte Andrei Ionita sein überragendes Können unbeeinflusst demonstrieren. Vom ersten Ton der Bach-Komposition war man vom reichen, intensiven Celloklang, seiner Eleganz und sensiblen Gestaltung gefesselt. Das völlig unprätentiöse auf das Nötigste beschränkte, aber mit Farbenreichtum, Zartheit und Kraft gebotene Spiel offenbarte das faszinierte Klanguniversum des aufstrebenden Musikers.

Felix Mendelssohn Bartholdy © IOCO
Felix Mendelssohn Bartholdy © IOCO

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) hat sich mehrfach durch landschaftliche Eindrücke zu großen Kompositionen beeinflussen lassen. So fanden auch Erlebnisse einer Reise mit Goethes „literarischem Italien-Reiseführer“ von 1830/31 ihren Niederschlag in seiner populärsten, der 4. Symphonie, der „Italienischen“.

Mit ausgewogenem Orchesterklang nahm uns Joana Mallwitz in den beschwingt-tänzerischen Einstieg des Kopfsatzes mit und versprach ein heiteres ausgelassenes Hörerlebnis. Mit ihrer Interpretation des zweiten Satzes, Andante con moto, vermied die Dirigentin ein Abgleiten ins Melancholische und konnte damit das filigrane Zarte betonen. Mit den beiden abschließenden Sätzen betonte sie vor allem das Unbeschwerte und Lebensfrohe der italienischen Mentalität.

Mit ihrer Auffassung der Mendelssohnschen Komposition vermittelte uns Joana Mallwitz eine differenzierte Verbindung von klassischem Formsinn mit einer tiefen Wärme und Innigkeit in den Empfindungen vermittelt. Jedes Detail war in eine stimmige Gesamtstrategie integriert, so dass große Spannungsbögen zur Wirkung kamen.

Die uns in den letzten Wochen präsentierten Orchester beherrschten das Musizieren mit den Corona-bedingten Abständen und dass jeder Musiker ein eigenes Podium einnimmt, inzwischen recht gut. Bei den Nürnbergern gab es aber, möglicherweise bedingt vom großflächigen Orchesterpodium, Nachholbedarf.

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