Münster, Theater Münster, TRISTAN UND ISOLDE - Richard Wagner, IOCO

Münster, Theater Münster, TRISTAN UND ISOLDE  - Richard Wagner, IOCO
Ansicht Theater Münster, Foto: Oliver Berg

Keine richtige Liebe im falschen Leben

Das Theater Münster deutet „Tristan und Isolde“ gesellschaftskritisch

Besuchte Aufführung: 8.11.2025

 

Hanns Butterhof

MÜNSTER. Das Theater Münster hat sich Richard Wagners 1865 uraufgeführter Handlung in drei Aufzügen „Tristan und Isolde“ angenommen und Clara Kalus mit der Regie betraut. Diese unterzieht die Oper einer gesellschaftskritischen Deutung im symbolträchtigen Bühnenbild von Dieter Richter. Der gibt der Handlung im Großen Haus einen klaustrophoben Rahmen, den Katarina Eckold noch mit vielen Details per Video bespielt.

Isolde denkt an Tristan. (Kristiane Kaiser, Brad Cooper und Chor), Foto: Thilo Beu

Der erste Aufzug spielt in einem langgestreckten, bunkerartig grauen Schiff. Tristan, ein hochrangiger Vasall und Freund des Cornwall-Königs Marke, und Isolde, die irische Königstochter, sind auf Meerfahrt in Richtung Cornwall. Dort soll Isolde mit Marke vermählt werden, für den Tristan den Brautwerber gemacht hatte. Doch Tristan und Isolde lieben sich, ohne es sich selber einzugestehen, seit Isolde einst eine nicht heilen wollende Wunde Tristans behandelt hatte. Die hatte ihm Isoldes Verlobter Morold im Kampf zugefügt, bei dem er selber von Tristan getötet wurde. Höhnisch hatte Tristan seinen abgeschlagenen Kopf Isolde nach Irland geschickt, noch führt sie ihn auf dem Schiff bei sich.

Dort geht Tristan (Brad Cooper), ein Mann im Offiziersmantel (Kostüme: Katharina Weissenborn) mit seinem Vertrauten Kurwenal (Johan Hyunbong Choi) männerkumpelnd, Isolde aus dem Weg.

Isolde (Kristiane Kaiser) bewegt sich mit ihrer vertrauten Dienerin Brangäne (Wioletta Hebrowska) wie von einem Zaun umschlossen und von übergriffigen Soldaten bewacht in einem mächtigen goldenen Bilderrahmen. Sie plant, sich und Tristan zu töten, weil sie den Tod ihres Verlobten an Tristan rächen und nicht Markes Frau werden will. Als es ihr gelingt, Tristan durch Brangäne zu sich zu zitieren, reicht sie ihm einen Todestrank und trinkt selber davon. Beide wollen sterben, und im Angesicht des Todes gestehen sie sich ergreifend ihre Liebe. Da erhebt sich der Rahmen bis über Kopfhöhe, im Tod scheinen beide bei sich angekommen zu sein.

Aber Brangäne hatte den Todes- mit einem Liebestrank vertauscht. Jetzt leben beide, Tristan und Isolde streifen verzückt ihre Kleidung ab und knien in schwarzer Unterwäsche voreinander. Weltverloren merken sie nicht, dass sie in Cornwall angekommen sind und der König, umgeben von seiner paradierenden Leibwache, die Übergabe Isoldes erwartet. Brangäne und Kurwenal reißen sie auseinander.

Isolde und Tristan schwelgen in Liebesbeteuerungen. (Kristiane Kaiser, Brad Cooper, Wioletta Hebrowska und Chor), Foto: Thilo Beu

Der zweite Aufzug ist reine Symbolik. In einem verglasten Raum warten Isolde und Brangäne ungeduldig darauf, Tristan das Zeichen geben zu können, dass die Zeit für die Erfüllung ihrer Liebe gekommen ist; König Marke ist zu einer nächtlichen Jagd aufgebrochen, langsam verklingen die Jagdhörner. Die ganze Rückwand des Raums füllt im goldenen Rahmen des ersten Aufzugs das Kolossalgemälde „Das Floß der Medusa“ des französischen Malers Théodore Géricault. Es zeigt das Floß, auf dem nach der Havarie der Medusa von 147 Überlebenden  nach 13 Tagen von Hunger und Durst, Verzweiflung und Kannibalismus nur 15 übrig geblieben sind, in dem Augenblick, als der Ausguck am Horizont ein rettendes Schiff zu sehen vermeint. Es leuchtet zunächst nicht wirklich ein, was das mit Tristan und Isolde zu tun hat, die sich gerade rauschhaft ihre Liebe bis in den Tod versichern. Sie kommen sich dabei körperlich nicht nahe, vielleicht weil durch das transparent werdende Bild ihre Ängste hindurchscheinen, die sie nicht loslassen können: die warnende Brangäne mit einer Fackel, von Soldaten bedrängt, König Marke, wie er ein weißes Reh ausweidet, die gewaltbereite Soldateska. Die Liebe zwischen Tristan und Isolde bleibt Sehnsucht, bis König Marke mit dem tückischen Melot (Ramon Karolan) erscheint, der den Liebenden diese Falle gestellt hatte. Markes bewegender Klage über den ungeheuren Treuebruch seines Freundes kann sich Tristan nicht entziehen und stürzt sich in Melots Schwert.

Der dritte Aufzug spielt in Kareol, der elterlichen Burg Tristans. Sie gleicht dem Schiff des ersten Aufzugs, nur dass es bis auf Tristans Krankenlager, eine steile Treppe mit Meerblick und das tote Reh leer und wie halb versunken wirkt. Tristan ist tödlich verletzt, ohne sterben zu können. Die Sehnsucht nach Isolde hält ihn am Leben. Jetzt erfährt man von seiner Traumatisierung dadurch, dass sein Vater noch vor seiner Geburt im Kampf getötet wurde, während seine Mutter bei seiner Geburt starb. Er musste seinen Weg in einer von Gewalt gezeichneten Welt als Mann gehen. Hier erst erhellt sich der Sinn des Gemäldes im zweiten Aufzug, das diese Welt darstellt, die voller Kampf ums Überleben und Gewalt eines jeden gegen jeden ist. Dagegen gab sich Tristan einen Ehrenkodex, der ihn umfassend definierte, die Treue. Der Konflikt zwischen Treue gegenüber seiner Liebe zu Isolde und Treue zu seinem König ist für ihn nur im Tod auflösbar, im Leben verlöre er ohne Treue sich selbst.

Tristan sehnt sich sterbend nach Isolde. (Kristiane Kaiser, Brad Cooper), Foto: Thilo Beu

Als die lange erwartete Isolde schließlich doch eintrifft, stirbt er in ihren Armen, doch noch untreu seinem Versprechen, mit ihr sterben zu wollen. König Marke kommt zu spät, um den Konflikt durch Verzicht auf Isolde human aufzulösen, und gibt sich mit Brangäne und Kurwenal den Tod, nicht ohne dabei noch einmal die Konstellation auf dem Todesfloß nachzustellen. Der Ausguck hat getrogen, es gibt in dieser falschen Welt keine Rettung für die richtige Liebe.

Die Regie Clara Kalus' hat das fein gedacht und letztlich „Tristan und Isolde“ als Kritik einer Gesellschaft interpretiert, die von ihrer Menschlichkeit entfremdet ist. Aber die Szene ist oft zu unklar, um diese Interpretation sinnfällig zu machen. Schon ab der Ouvertüre muss man über die Bedeutung verschiedener Geschehnisse und Figuren wie das weiße Reh oder später das Kind mit Tristans Verwundung rätseln. Bis in den dritten Aufzug und darüber hinaus bleibt vor Géricaults Gemälde unklar, warum es trotz ergreifendster Liebesbeteuerungen nicht zur Liebe langt. Die gesellschaftskritische Deutung gewinnt szenisch keine Überzeugungskraft.

Umfassend überzeugend sind in dieser „Tristan und Isolde“-Aufführung die Musik, das Ensemble, der Chor und vor allem das Sinfonieorchester unter Golo Berg. Kristiane Kaiser ist eine auch schauspielerisch beeindruckende Isolde, deren leuchtender Sopran über die gesamte Dauer dem Orchester standhält. Brad Cooper trat bereits angeschlagen als Tristan an und zollte dem ab dem zweiten Aufzug Tribut, indem er seinen Tenor sanft zurücknahm und seine schwere Partie, durchaus in Übereinstimmung mit der Gebrochenheit seines Helden, honorig zu Ende brachte. Wioletta Hebrowska gefiel als um Isolde besorgte Brangäne, und  Johan Hyunbong Choi war mit stimmkräftigem Bariton ein bulliger, schließlich verzweifelter Kurwenal. Wilfried Staber bot mit profundem Bass einen berührenden König Marke. Der von Anton Tremmel einstudierte Chor, der meistens aus den Öffnungen in den Schiffswänden sang, war so kräftig wie klangschön. Das Sinfonieorchester unter Golo Berg entfaltet begeisternd die unendliche Melodie der Oper mit großer Klarheit, auch Zartheit im romantischen Liebestaumel, muss sich aber, angefangen in der Ouvertüre, gegen die Fülle szenischer Assoziationen behaupten, die mit der Musik unnötig um Aufmerksamkeit konkurrieren.

Das Publikum dankte nach fünf deutsch gesungenen, deutsch übertitelten Stunden allen an der Aufführung Beteiligten stehend mit anhaltendem Applaus.

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