Münster, Kunstmuseum Pablo Picasso, Schwarze Moderne - Afrika und die Avantgarde, Ausstellung, 01.02.2022
SCHWARZE MODERNE - Afrika und die Avantgarde - Ausstellung
„Schwarzer“ Blick auf die Klassische Moderne
von Hanns Butterhof
Das Kunstmuseum Pablo Picasso Münster stellt in seiner neuen Ausstellung Schwarze Moderne. Afrika und die Avantgarde afrikanische Kunstwerke und europäische Avantgardisten einander gegenüber. Kurator Alexander Gaude verspricht für die mit hochkarätigen Leihgaben bestückte Schau die faszinierende Möglichkeit, Kunst aus Afrika als Grundlage der Moderne neu zu erfahren.
Kunstmuseum Pablo Picasso - Münster - link HIER!SCHWARZE MODERNE - Afrika und die Avantgarde - 29.1. - 1.5.2022
Tatsächlich sind die rund achtzig gezeigten Masken, Gemälde, Zeichnungen und Fotos geeignet, den unmittelbaren Einfluss afrikanischer Kunst und ritueller Gegenstände auf Künstler wie Man Ray, Henri Matisse und vor allem Pablo Picasso, einem eifrigen Besucher des Pariser Musée Trocadero mit seiner ethnographischen Abteilung, deutlich zu machen. Diese Unmittelbarkeit lässt sich nicht viel schöner als mit der Platzierung zweier afrikanischer Masken neben Picassos „Vier Figuren unter einem Baum“ von 1907 demonstrieren; das Bild geht Picassos Kubismus-Ikone „Demoiselles d'Avignon“ mit ihren maskenhaften Gesichtern unmittelbar voraus.
Wenn Museumsdirektor Markus Müller von einer „ stilistischen Frischzellenkur“ für die europäische Avantgarde spricht, der sie sich in der Auseinandersetzung mit indigener afrikanischen Kunst unterzogen habe, so schwingt in dieser flockigen Bezeichnung auch ein leiser Zweifel an der mehr als modischen Tiefe dieser Auseinandersetzung mit.
Tatsächlich fällt in dem Ausstellungssaal mit einer Vielzahl von zueinander in Beziehung gesetzten Objekten ein fulminanter Unterschied ins Auge: Die klassischen afrikanischen Artefakte strahlen unübersehbar eine auratische Energie aus, die an den europäischen Gegenstücken nur schwer aufzufinden ist; in dieser Umgebung nimmt etwa eine Kleinplastik von Man Ray zwar deutlich afrikanisches Formenvokabular auf, wirkt aber nur wie ein blasses Spiel damit. Die Avantgarde zeigt sich in weiten Teilen nur modisch afrikanisch maskiert.
Mit dieser europäischen Afrika-Adaption als Maskerade setzt sich moderne „Schwarze“ Kunst etwa von Chéri Samba, Maître Syms oder John Edmonds auseinander. Lapidar nimmt etwa Edmonds auf das zu Postkarten-Ruhm gelangte Man Ray-Schwarzweiß-Foto „Blanche et noir“ einer träumerischen Europäerin neben einer strengen schwarzen afrikanischen Maske Bezug: Edmonds wiederholt mit seiner Farb-Fotografie „Tête de Femme“ von 2018 Man Rays Bildinhalte Frauenkopf und Maske, und macht allein schon mit dem Medium Farb-Foto seine kritische Distanz deutlich. Noch direkter äußert sich Maître Syms mit seinem 2000 entstandenen Bild „Ça c'est quoi?“ zum Verhältnis heutiger Afrikaner zu Bildern der europäischen Avantgarde: Das großformatige Acryl-Bild zeigt prominent ein Paar aus dem Kongo in einem Museum. Ratlos stehen die beiden vor einem deutlich Picasso meinenden kubistischen Gemälde, und in der Sprechblase des Mannes ist zu lesen, dass er weder etwas versteht noch dass das Gezeigte irgend etwas mit ihnen zu tun hat.
Sehr sympathisch an dieser umfang- und aufschlussreichen Ausstellung ist, dass sie grundsätzlich ästhetisch orientiert ist, die Kunstwerke selber sprechen lässt und den politisch-moralischen Feuilleton-Kämpfen der aufgeregten Aneignungs- und Restitutions-Debatte um afrikanische Kunst aus dem Weg geht. Sie eröffnet mit dem Blick „Schwarzer“ Gegenwartskünstler auf die europäische Moderne tatsächlich auch einen neuen Blick darauf, welche Bedeutung afrikanische Kunst für die Avantgarde hatte. Dieser Blick hat etwas Entzauberndes.
Parallel zur Ausstellung Schwarze Moderne - Afrika und die Avantgarde zeigt das Pablo Picasso-Museum in einer kleinen, sehenswerten Studio-Ausstellung „Picasso - Die Schönen und das Biest“. In ihrem Zentrum stehen Picassos Radierungen zu Minotaurus, dem mythologischen Wesen mit menschlichem Körper und dem Kopf eines Stiers. Die Blätter aus der Suite Voillard sind von biographischer Brisanz, spiegeln sie doch verschlüsselt tagebuchartig Picassos Beziehungschaos, in dem er sich als Minotaurus zwischen seiner scheidungs-unwilligen Ehefrau Olga Chochlowa und seiner schwangeren jungen Geliebten Marie-Thérèse Walter sah. So sind die berührenden Radierungen keine mythologischen Illustrationen, sondern variantenreich psychologische Bekenntnisse einer zerrissenen Seele mit einem breiten Spektrum zwischen tierischen Vergewaltigungsfantasien und tief menschlichen Schuldgefühlen.
Kunstmuseum Pablo Picasso Münster, Picassoplatz 1, 48143 Münster; Tel. 0251-4144710
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Führungen: Samstag, Sonntag, Feiertage 15.00 Uhr
Ausstellung Schwarze Moderne - ein umfangreiches Begleitprogramm ist erhältlich
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