München, Bayerische Staatsoper, Boris Godunow von Modest Mussorgsky, IOCO Kritik, 16.05.2016



Boris Godunow: Zaristisches Drama, zeitlos inszeniert
Von Modest Mussorgsky nach Alexander Puschkin
Das von Gewalt und Verrohung gezeichnete Drama über den russischen Zaren Boris Godunow (1552 – 1605) veröffentlichte Alexander Sergejewitsch Puschkin in 1831. Modest Mussorgsky zeichnet 1870 in seinem "musikalischen Volksdrama" Boris Godunow Verzweiflung und Leiden des russischen Volkes; tiefe Streicher, Basstuba, Bassklarinette und Posaunen wogen mit Harfen, aber beständig in düsterem h-Moll.

Calixto Bieito, Regisseur dieser Boris Godunow Produktion besitzt den Ruf als sicherer Garant von Skandal-Inszenierungen. In München folgte er diesem Ruf nicht. Sein Boris Godunow ist modern neutral, Bezüge zu Russland gehen unter. Die Manipulation des Volkes und Korruption durch herrschende Schichten, in zeitlosem Kontext, ist Fokus der Bieito Inszenierung; ohne sichtbaren Bezug auf das alt-zaristische Russland. Doch ungefähre, moderne Bezüge auf ein geknechtetes Volk führen schnell in emotionale Leeren. So hängen die konkreten Heute-Nachrichten das Bühnengeschehen im Nationaltheater an Intensität ab. Doch Mussorgskys schwere h-Moll Komposition verführt den Besucher, die Tiefen von Puschkins Dichtung in zeitlosem Gewand zu erkunden. Dann jedoch wird die Münchner Inszenierung in sieben massiven Bildern (Bühne Rebecca Ringst, Kostüme Ingo Krügler), ohne Pause, zu einem Ereignis voller Spannung und Dramatik.

Nikititsch, Oberpolizist (Friedmann Röhlig) und hochgerüsteten Polizisten prügeln im ersten Bild energisch und brutal die Masse Volk. Der noch unentschlossene Boris Godunow (Alexander Tsymbaluk) soll sich zum neuen Zaren krönen zu lassen. Den nach Einfluss strebendenden Hintermänner versprechen sich, dass Boris Godunow ein manipulierbarer, nicht zu starker Zar zu werde. Es wird mit großem Chor und Extrachor = Volk, mit Orchester, Posaunen und Glocken musikalisch mitreißende Überzeugungsarbeit geleistet. Ist doch die Freude über den neuen Zaren groß und auch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Dazu gilt es auch die Bojaren in Schach zu halten.

Zar Boris thront mit großem wohl timbrierten Baß und eindrucksvoller Leidensfähigkeit während der mächtigen Krönungsszene auf einer Tribüne über seinem Volk: Dem will er nur Gutes, was jedoch nicht immer gelingt. In seinen Gemächern, tröstet er seine durch den Verlust des Verlobten depressiv gewordene Tochter Xenia (Eri Nakamura) und beklagt das Versagen seiner Politik. Der alles hörende, wissende Fürst Schuiskij (Boris Pinkhasovich) stört mit höhnischen Tenor. Er berichtet von einem Ursurpator, der sich als rechtmäßiger Zar Dimitri ausgebe und bereits eine größere Anhängerschaft um sich herum versammelt. Obwohl der Fürst beteuert, dass Dimitri wirklich tot sei, quälen Boris Gewissensbisse. Boris weiß resignierend um seine Schuld, aber ist nicht kaltblütig genug sie zu übergehen. Er erscheint von Krankheit gezeichnet im Parlament und erlebt dort, wie die Bojaren über einander herfallen und, ganz neuzeitlich, mit einem Koffer Geldscheine beruhigt werden. Handlanger Pimen (Ain Anger) und Mitjucha (Tareq Nazmi) stehen dem Fürsten zu Diensten. Auch hier wird Boris mit seinem Verbrechen konfrontiert. Der verstorbenen Zar Dimitri ist auch im Parlament gegenwärtig. Zu viel für Boris Godunow, er bricht zusammen und stirbt. Der falsche Dimitri erstickt seine Kinder und die Schankwirtin erschießt einen Polizisten.

In der zentralen Partie des Boris Godunow zeichnet Alexander Tsymbalyuk mit überragendem Charakterbass den seelischen und körperlichen Zusammenbruch des Zaren. Die Besucher goutierten die zeitlos gehaltene Inszenierung von Calixto Bieito. Großer Applaus jedoch galt Dirigent Vasily Petrenko und dem Bayerischen Staats-orchester, welche die elegische Fülle der Komposition Mussorgskys besonders in der Krönungsszene zum Ausdruck brachten. Ebenso großer Beifall galt Sören Eckhoff und seinen riesigen Chören, welche Resignation und Verzweiflung des Volkes stark wie glaubhaft Charakter verleihen. Tragisch klagende Klänge, großes Orchester, Chor und wunderbare Solisten, machen das Nationaltheater München an diesem Abend zu einem Ort der Besinnlichkeit IOCO / D. Zimmermann / 16.05.2016
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