Klagenfurt, Stadttheater, TRISTAN UND ISOLDE – Richard Wagner, IOCO

Mit Tristan und Isolde setzt das Stadttheater Klagenfurt unter Intendant Aron Stiehl seine eindrucksvolle Wagner-Pflege fort. In einer visuell und musikalisch dichten Inszenierung wird Wagners Liebesdrama zur metaphysischen Reise zwischen Licht, Raum und Erlösung – groß gedacht, intensiv gestaltet.

Klagenfurt, Stadttheater, TRISTAN UND ISOLDE – Richard Wagner, IOCO
Stadttheater Klagenfurt © Helge Bauer

von Marcus Haimerl


Mit der Produktion von Richard Wagners Tristan und Isolde knüpft das Stadttheater Klagenfurt an jene Wagner-Pflege an, die unter der Intendanz von Aron Stiehl mit der vollständig realisierten Ring-Tetralogie begonnen hat. Damit zeigt sich, dass Wagners Musikdramen in Klagenfurt nicht als gelegentliche Prestigeprojekte betrieben werden, sondern als bewusstes Repertoire – künstlerisch verantwortet vom Intendanten selbst, der auch bei Tristan und Isolde die Regie übernommen hat.

Richard Wagners Tristan und Isolde, zwischen 1857 und 1859 im Zürcher Exil entstanden, markiert eine Zäsur in der Musikgeschichte. Aus der unerfüllten Liebe zu Mathilde Wesendonck und den Gedanken Arthur Schopenhauers entstand ein Werk, in dem Sehnsucht, Todesverlangen und metaphysische Erlösung untrennbar ineinandergreifen. Der berühmte „Tristan-Akkord“, mit dem die Oper beginnt, löst sich erst im letzten Takt des Werkes auf – musikalisch ist das eine Revolution: Tonalität wird suspendiert, die Harmonie schwebt, Zeit wird gedehnt. Liebe erscheint nicht als Erfüllung im Leben, sondern als Übergang in einen anderen Zustand – jenseits von Tag, Ordnung und Ego – in die „heilige Nacht“, in der die Liebenden nur im Tod ganz beisammen sein können. Damit wurde Tristan und Isolde zum Wendepunkt der Musikgeschichte: ein Werk zwischen Ekstase und Verstummen, zwischen Begehren und Auflösung. Und genau diesen Gedanken nimmt die Klagenfurter Produktion auf – nicht als romantisches Mittelalterdrama, sondern als psychische und metaphysische Reise. Diese seelische Bewegung hat einen einfachen äußeren Anlass. Tristan, Neffe König Markes von Cornwall, hat im Kampf MoroldIsoldes Verlobten – getötet und wurde dabei selbst von dessen vergiftetem Schwert schwer verletzt. Nur Isolde konnte ihn heilen. Doch als sie erkennt, wer er ist, will sie ihn töten – und kann es nicht. Jahre später holt Tristan sie als Braut für König Marke nach Cornwall. Auf der Überfahrt wächst Isoldes Schmerz darüber, an der Seite eines Mannes zu leben, den sie nicht liebt, während sie Tristan nicht vergessen kann. Im ersten Akt fordert Isolde deshalb von Brangäne einen Todestrank, den sie gemeinsam mit Tristan trinken will. Doch Brangäne reicht ihnen einen Liebestrank – und beide gestehen sich ihre Liebe, als das Schiff in Cornwall anlegt. Im zweiten Akt treffen sich Tristan und Isolde heimlich in der Nacht. Sie sehnen sich nach einer Liebe jenseits des Tages und seiner Gesetze. Melot verrät sie an König Marke. Im Zweikampf wird Tristan lebensgefährlich verwundet. Der dritte Akt führt nach Kareol, Tristans Heimat. Kurwenal hofft auf Isoldes Ankunft, doch als sie eintrifft, stirbt Tristan in ihren Armen. König Marke erscheint – zu spät – mit dem Wissen um den Liebestrank und der Bereitschaft zu vergeben. Isolde folgt Tristan.

Melissa Zgouridi (Brangäne), Katherine Broderick (Isolde) © Arnold Pöschl

Aron Stiehl erzählt Tristan und Isolde nicht als höfisches Drama, sondern als Reise in eine entgrenzte, beinahe außerirdische Innenwelt. Im ersten Akt zeigt Stiehl (Bühne: Thomas Stingl) einen weiß gekachelten, nach hinten zulaufenden Raum, kühl, geometrisch, beinahe klinisch. Die schräg abgesenkte Decke erinnert dabei an ein Schiffssegel. Ein hermetisch geschlossener Raum ohne Entkommen. Erst mit dem Liebestrank öffnet sich der Raum, die Decke hebt sich, die hinteren Seitenwände senken sich herab und geben den Blick ins Weltall frei. Sterne inmitten schwarzer Stille, ein grünlich schimmernder Planet. Die Liebe zeigt hier nicht den Weg ins Leben, sondern hinaus aus der Welt. Thomas Stingl übersetzt diese Gedanken konsequent in architektonische Bilder: Räume sind keine Orte, sondern Bewusstseinszustände. Der zweite Akt besteht aus zwei mächtigen, wellenartig strukturierten Wänden, die sich unablässig drehen und neue Formationen erzeugen – fast als würde die Welt um Tristan und Isolde ins Wanken geraten. Die Rückseite der Wände zeigt wieder Motive aus dem Weltall: Sternennebel, Galaxien, kosmische Wolken – die Welt der Nacht, in der die Liebenden sich verlieren. Im dritten Akt zerfällt diese Architektur: Die Wände sind beschädigt, geschmolzen und von Rissen durchzogen. Burg Kareol, weniger Schloss als vielmehr ein seelisches Trümmerfeld. Tristan liegt, von Kurwenal bewacht, auf einer Matratze. Als Isolde erscheint, sieht Tristan sie nicht mehr, steht mit dem Rücken zu ihr, ehe er verschwindet. Am Ende öffnet sich in der Rückwand eine kreisrunde Öffnung, von hinten hell beleuchtet, von Nebel umgeben – Tristan steht darin wie eine Erscheinung aus einer anderen Sphäre. Isolde nähert sich, bis sich Raum, Licht, Körper und Musik im Liebestod auflösen.

Bettina Breitenecker wählt für ihre Kostüme keine historisierende Ebene, sondern entwickelt eine eigene, zwischen Mythenwelt und Science-Fiction schwebende Ästhetik. Isolde erscheint im leuchtend purpurroten Tüllkleid mit goldgelbem Mantel – mehr Sternenkönigin als keltische Prinzessin. Tristan und Kurwenal tragen helle, tunikaartige Gewänder, deren Schnitt und Material – strukturierte Stoffe, asymmetrische Überwürfe, breite Gürtel – unübersehbar an die Bildsprache von Star Wars erinnern. Brangäne bewegt sich dazwischen: in lavendelfarbenem Satin, weich fließend, wie ein Bindeglied zwischen Pflicht und Gefühl, zwischen Tag und Nacht. Besonders eindrucksvoll ist das Kostüm von König Marke: ein langer, eisblau schimmernder Mantel mit fein eingewebten floralen Ornamenten, kantig betonten Schultern und goldenen Paspeln an Kragen und Ärmeln. Kein prunkvoller Mittelalterkönig, sondern ein Herrscher von fast außerirdischer Würde – distanziert, melancholisch, mehr planetarische Präsenz als höfische Autorität. In dieser Kostümwelt ist nichts naturalistisch – alles verweist auf Innenzustände: Liebe, Einsamkeit, Macht, Entfremdung.

Erin Caves (Tristan), Katherine Broderick (Isolde), Chor © Arnold Pöschl

Die Lichtregie von Walter König unterstützt diese Bildsprache mit großer Sensibilität: gezielt gesetzte Lichtachsen, Kontraste zwischen kaltem Tageslicht und tiefem Nachtblau sowie die atmosphärischen Nebel- und Sternenräume tragen entscheidend zur Wirkung der Inszenierung bei und machen Emotionen sichtbar, noch bevor sie gesungen werden. Auch musikalisch bleiben bei dieser Produktion keine Wünsche offen.

Erin Caves zeichnet einen Tristan, der große, stimmliche Spannweite mit kluger Gestaltung verbindet. Seine Phrasen sind durchdacht gebaut, die Diktion bleibt bis in die Höhe klar, und auch in den fordernden Passagen verfügt er über spürbare Reserven. Besonders im dritten Akt, in den fiebrig irrlichternden Monologen, überzeugt er mit konzentrierter Präsenz: musikalisch kontrolliert, aber mit menschlicher Verletzlichkeit gefärbt. Diese Verbindung von Ausdauer, stimmlicher Klarheit und gestalterischer Intelligenz macht seine Interpretation zu einer tragenden Säule des Abends.

Katherine Broderick überzeugt in der Partie der Isolde mit einem klar geführten, gut fokussierten Sopran, der sowohl in den ruhigen Passagen als auch in den dramatischen Höhen eindrucksvoll zur Geltung kommt. Ihre Phrasierung ist durchdacht und die Dynamik – von gedämpften Pianissimi bis zu kraftvollen Fortissimi – ausgewogen und klangschön. Besonders im dritten Akt entfaltet sie eine spürbare gesteigerte Intensität: Die Stimme bleibt kontrolliert, verliert nicht an Ruhe, und zugleich gewinnt der Charakter eine tiefe, menschliche Tragik. Diese Mischung aus stimmlicher Klarheit, emotionaler Tiefe und dramaturgischer Gestaltung macht ihre Interpretation zu einem bedeutenden Gestaltungselement des Abends.

Birger Radde, Erin Caves © Arnold Pöschl

Melissa Zgouridi verkörpert die Brangäne mit einem Mezzo, dessen dunkle Färbung sofort Verantwortung annimmt: Ihre Stimme verbindet stimmliche Stabilität mit warmem Klang und bewegender Ausdruckskraft. Im berühmten Warnruf lässt sie keine Härte anklingen, sondern webt ein fili­granes Netz aus Bedrohung und Sorge – eindringlich und zugleich kontrolliert. In den stilleren Momenten gelingt ihr zudem eine überraschende Zartheit: Der Ton wirkt nicht nur sicher, sondern auch hörbar empfindlich, als trage sie die innere Unsicherheit dieser Figur in sich. Gerade diese Doppelstellung – zwischen Vertrauter und Auslöserin der Liebestragödie – macht ihre Gestaltung größtmöglich fühlbar. Zgouridi verleiht der Brangäne eine Tiefe und Vielschichtigkeit, die ihren Anteil am Gesamtgeschehen besonders deutlich macht.

Birger Radde setzt als Kurwenal einen starken Akzent. Sein Bariton besitzt Substanz und klare Linienführung, bleibt auch in den dramatischen Passagen kontrolliert und klangvoll. Besonders im dritten Akt überzeugt er mit spürbarer stimmlicher Intensität und innerer Beteiligung. Auffallend ist, wie differenziert er zwischen kraftvoller Hingabe und stiller Loyalität zu Tristan gestaltet. Er zeichnet keinen bloßen Gefolgsmann, sondern eine Figur mit Haltung, Wärme und tragischer Konsequenz. Damit erhält Kurwenal unerwartet zentrale Strahlkraft im dramatischen Verlauf – schauspielerisch wie musikalisch einer der eindrucksvollsten Beiträge des Abends.

Friedemann Röhlig gestaltet König Marke mit einem tief fundierten Bass, der die Würde der Figur ohne Pathos vermittelt. Sein Klang besitzt Erdigkeit und Ruhe, zugleich eine gewisse innere Verletzlichkeit, die besonders in der großen Ansprache an Tristan deutlich hörbar wird. Nichts wirkt überzeichnet oder von königlicher Pose getragen – vielmehr entsteht das Bild eines Menschen, der zwischen Enttäuschung und Verständnis steht. Seine Linien sind sauber geführt, textverständlich und ohne Härte modelliert. So entsteht ein König, der nicht durch Macht, sondern durch stille Autorität und Menschlichkeit wirkt und der Szene eine eindrucksvolle Tiefe verleiht.

Thomas Paul zeichnet den Melot mit schlank geführtem Bariton und klarer Linienführung. Auch wenn die Rolle nicht im Vordergrund steht, gestaltet er sie stimmlich sicher und szenisch präzise, besonders in der Szene des Verrats. Seine Darstellung bleibt klar umrissen, ohne sich in Effekten zu verlieren, und fügt dem Abend eine stimmige charakterliche Schärfe hinzu.

David Jagodic gestaltet sowohl den jungen Seemann als auch den Hirten mit lyrischer Klarheit und feiner Tongebung. Gleich zu Beginn setzt er mit dem Ruf des Seemanns einen hellen, sauber geführten Klang, der sich natürlich über das Orchester legt, ohne aufgesetzt zu wirken. Im dritten Akt wirkt der Hirte zurückgenommener, fast entrückt – ruhig geführt, mit schlanker Linie und unaufgeregter Musikalität. Auch in diesen kleineren Rollen sorgt Jagodic für klangliche Qualität und stimmige Atmosphäre, was insgesamt zur Geschlossenheit des Abends beiträgt.

Katherine Broderick, Erin Caves © Arnold Pöschl

Dariusz Perczak gestaltet den Steuermann mit klar geführtem Bariton und sicherer Linie. Auch in dieser kleinen Rolle setzt er einen charaktervollen Akzent und fügt sich musikalisch zuverlässig in das Ensemble ein.

Chin-Chao Lin führt das Kärntner Sinfonieorchester mit klarem Zugriff und feinem Gespür für Spannungsverlauf durch Wagners Partitur. Das Orchester folgt Chin-Chao Lin konzentriert und geschlossen. Der Klang bleibt stets transparent, die musikalischen Spannungsbögen sind klar gezeichnet, ohne je ins Pathetische oder Schwerfällige zu kippen. Lin findet einen Weg, Wagners große Linien atmen zu lassen, ohne den Fluss zu verlieren – das Orchester trägt, ohne zu dominieren. Ein besonderer Moment entsteht im dritten Akt durch das Englischhorn-Solo von Angelika Neuwirth-Joham: schlicht und unaufdringlich angestimmt, dunkel gefärbt und mit jener stillen Eindringlichkeit gespielt, die den Raum für einen Augenblick fast zum Stillstand bringt. Solche Momente zeigen, wie sorgfältig musikalische Atmosphäre und szenisches Empfinden in dieser Aufführung zusammengeführt sind. Der Herrenchor und Herrenextrachor des Stadttheaters Klagenfurt, einstudiert von Günter Wallner, überzeugt in seinen Einsätzen zu Beginn der Oper durch Geschlossenheit, klare Artikulation und musikalische Disziplin – ein verlässliches Fundament dieser Aufführung.

Tristan und Isolde in Klagenfurt ist mehr als ein respektables Unterfangen eines Stadttheaters – es ist eine Inszenierung von künstlerischer Geschlossenheit und emotionaler Wucht. Aron Stiehl, Chor, Orchester, Sängerinnen und Sänger formten einen Abend, der vom Publikum mit langem Applaus und stehenden Ovationen bedacht wurde. Klagenfurt beweist mit diesem Tristan eindrucksvoll: Großes Musiktheater braucht kein großes Haus – nur einen klaren Willen und den Mut, ihn umzusetzen.

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