Kiel, Theater Kiel, DON CARLOS - G. Verdi, IOCO

Kiel, Theater Kiel, DON CARLOS - G. Verdi, IOCO
Tatia Jibladze (La princesse Éboli) Leah Gordon (Élisabeth de Valois) copyright Olaf Struck



Don Carlos am Theater Kiel – Eine Inszenierung zwischen Historie und Psychologie


Zur aktuellen Spielzeit widmet sich die Oper Kiel einem der bedeutensten Werke der Opernliteratur: Don Carlos von Guiseppe Verdi.

Die Inszenierung von Immo Karaman und Fabian Posca bringt französische fünfaktige Fassung von 1867 auf die Bühne des schönen Theaters am Martensdamm. Diese Fassung unterscheidet sich von der späteren italienischen Fassung nicht nur durch die Sprache, sondern auch durch dramaturgische Erweiterungen wie zum Beispiel den Fontainbleau-Akt, welcher die Vorgeschichte von Don Carlos und Elisabeth von Valois beleuchtet.

Die Wahl dieser Fassung scheint eine bewusste Entscheidung des Theaters Kiel zu sein. Während oft die vieraktige italienische Version bevorzugt wird, weil sie kompakter ist, bietet die französische Urfassung tiefere Charakterzeichnungen und eine größere musikalische Bandbreite.

Im Besonderen der erwähnte Fontainebleau-Akt gibt der Geschichte eine zusätzliche emotionale Dimension. Hier erleben wir die erste Begegnung zwischen Don Carlos gespielt von Tigran Hakobyan und seiner Verlobten Elisabeth, welche von Dara Hobbs dargestellt wird. Zunächst stellt er sich als seinen eigenen Gesandten vor, wobei diese Scharade schnell fällt und die beiden sich ineinander verlieben.

Konrad Furian, Opernchor und Extrachor copyright Olaf Struck

Doch um den Frieden zwischen Frankreich und Spanien zu sichern muss sie nun den Vater des Infanten Don Carlos, König Philipp, gespielt von Oleksandr Kharlamov, heiraten. Auf das flehen der verarmten Bevölkerung verlässt ein stimmloses „Oui“ ihre Lippen. So bricht für die beiden eine Welt zusammen, was die Ausgangssituation für das Fundament der dramatischen Konflikte darstellt die sich im weiteren Verlauf der Oper entfalten.

Die Oper Kiel widmete sich in den letzten Jahren verstärkt der französischen Grand Opéra. Hierunter fallen Inszenierungen wie Meyerbeers Die Hugenotten, Rossinis Wilhelm Tell und Berlioz’ Die Trojaner. Nun folgt mit Don Carlos ein weiteres Meisterwerk, das nicht nur musikalisch, sondern auch historisch von großer Bedeutung ist. Die Dauer beträgt in etwa 4 Stunden und 15 Minuten, inklusive 2 Pausen.

Die Inszenierung von Immo Karaman und Fabian Posca setzt stark auf eine psychologische Interpretation des Infanten Don Carlos. So wird er bereits zu Beginn der Inszenierung als gequälter Charakter dargestellt, der sich, von Albträumen geplagt, in seinem Bett windet, wobei ihn innere Dämonen zu verfolgen scheinen. Das Bühnenbild ist eher minimalistisch gehalten: Lichtstreifen umrahmen die Szenerie, bewegliche Wände und Vorhänge lassen Figuren aus dem Nichts erscheinen und auch wieder verschwinden. Diese reduzierte Ästhetik hat das klare Ziel, den Fokus der Zuschauer auf die Charaktere und ihre inneren Konflikte zu lenken, wodurch die psychologische Dimension des Werkes besonders hervorgehoben wird.

Die Produktion beeindruckt dementsprechend eindeutig durch ihre visuelle und konzeptionelle Klarheit. Durch den minimalistischen Aufbau der Bühne wird eine fast schon surreale Atmosphäre geschaffen. Auch die musikalische Umsetzung unter der Leitung von Daniel Carlberg ist sehr gut, auch wenn einzelne Charaktere leichte schwächen aufwiesen. Das Orchester liefert eine durchweg solide Leistung. Unter den Darstellern sticht besonders an diesem Tage besonders Christian Federici hervor. Seine Interpretation ist voller Ausdruckskraft und stimmlicher Präsenz, was ihn zum klaren Höhepunkt des Abends macht. Auch der Chor und Extrachor, einstudiert von Gerald Krammer, überzeugen mit Präzision und Klangfülle.

Trotz der beeindruckenden musikalischen sowie visuellen Umsetzung ist für mich im Kern ein wichtiger Kritikpunkt zu finden. Die Entscheidung, Don Carlos fast ausschließlich als psychisch labilen Charakter zu zeichnen, führt dazu, dass die politischen und dramatischen Konflikte des Werkes in den Hintergrund treten. Verdi und Schiller erzählen eine vielschichtige Geschichte über Macht, Liebe und Freiheit, wohingegen die Kieler Inszenierung sich primär auf die innere Zerrissenheit des Infanten konzentriert. Auch logistische Probleme im Bühnenspiel sind unpraktisch. So singt ein liegender Infant naturgemäß weniger Kraftvoll als ein stehender.
Fazit

Don Carlos in der Oper Kiel ist sowohl visuell als auch musikalisch beeindruckend. Doch der starke Fokus auf die psychologische Dimension des Infanten geht auf Kosten der eigentlichen Handlung. Hier ist aber auch der Knackpunkt. Wer sich einmal auf diese tiefgehende Charakterstudie, das Psychogramm des Don Carlos einlassen will, wird mit dieser innovativen Inszenierung definitiv auf seine Kosten kommen. Wer jedoch die „klassische“ politische und dramatische Dimension des Werkes erwartet, könnte enttäuscht sein. Diese Inszenierung ist dennoch auch jenen zu empfehlen, die die Handlung und ihre Hintergründe schon durch den einen oder anderen Operngang verinnerlicht haben und eine neue Perspektive suchen.

Sängerisch boten sich große Leistungen. Dara Hobbs überzeugte als Elisabeth mit leuchtendem Sopran. Tigran Hakobyan als Carlos verfügte über einen glänzenden Tenor. Tatia Jibladze gab eine Eboli mit grandiosem Gesang und involviertem Spiel. Oleksandr Kharlamov war ein Phillipp mit sonorem Bass und immenser Bedrohlichkeit.

Ein wunderbarer Abend, Sehr empfehlenswert!

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