Halfing, Immling-Festival, LA FORZA DEL DESTINO – Giuseppe Verdi, IOCO
Ein starkes Zeichen im diesjährigen Immlinger Festspielsommer: Verdis La forza del destino entfaltet sich als musiktheatralisch wie bildlich vielschichtiger Abend über Schuld, Wandlung und Entscheidungskraft.

von Marcus Haimerl
Eine eindringliche Reflexion über Schuld, Versöhnung – und die Wahlfreiheit des Menschen
Zwischen sanften Hügeln, Pferdekoppeln und Opernbühne entfaltet sich alljährlich ein Festival, das ländliche Idylle mit künstlerischer Vision verbindet: Die Immlinger Festspiele, einst aus der privaten Initiative von Ludwig Baumann hervorgegangen, haben sich längst als feste Größe im süddeutschen Festspielsommer etabliert. Baumann, der nicht nur Gründer, sondern bis heute Intendant des Festivals ist, hat mit außergewöhnlichem Engagement einen Ort geschaffen, an dem Musiktheater jenseits urbaner Institutionen auf höchstem Niveau entstehen kann. In ungewöhnlich familiärer Atmosphäre, fernab großer Stadtzentren, entwickeln sich hier Opernproduktionen, die sich durch kreative Handschrift, kluge Werkwahl und ein spürbares Herzblut auszeichnen – auch, oder gerade weil man sich bewusst nicht dem Mainstream unterordnet.

Mit Giuseppe Verdis La forza del destino hat sich das Festival 2025 eines der düstersten und zugleich komplexesten Werke des italienischen Repertoires vorgenommen. Die Oper, 1862 im St. Petersburger Bolschoi-Theater uraufgeführt und 1869 in einer überarbeiteten Fassung an der Mailänder Scala präsentiert, zählt zu Verdis reiferen Werken – und ist zugleich eines seiner umstrittensten. Das Libretto kreist um Schuld, religiöse Erlösung, blinde Rache und die Ohnmacht des Individuums gegenüber einem scheinbar unerbittlichen Schicksal. Es ist ein Werk voller Brüche, plötzlicher Wendungen, großer Gefühle – und fordert Regie, Sänger und Orchester gleichermaßen heraus.
In Immling übernahm Verena von Kerssenbrock sowohl Regie als auch Bühnenbild – und entwarf ein symbolisch aufgeladenes Konzept, das sich vom tibetisch-buddhistischen Lebensrad inspirieren ließ. Im Zentrum steht ein riesiges Schicksalsrad, das abwechselnd mit einem großen roten Schwert den Bühnenraum dominiert: Sinnbild für die zyklische Wiederholung menschlicher Irrtümer und die Möglichkeit zur Wandlung. Zwei archetypische Figuren begleiten die Handlung: ein Dämon, der für Zerstörung, Kampf und Versuchung steht – und ein weiß gekleideter Geist, der Natur, Wachstum und Liebe symbolisiert. Beide treten mitunter stumm, aber immer bedeutungsvoll in Erscheinung – als Spiegel innerer Prozesse.
Die Bildsprache dieser Forza ist reich an Symbolen: Der Chor trägt nicht nur Steine als sichtbare Last, auch die Teller werden doppelt codiert – als Bettelschalen, die Hunger und Bedürftigkeit ausdrücken, und als improvisierte Helme, Sinnbild für Schutz und Verteidigung. Nahrung und Sicherheit, die elementarsten Grundbedürfnisse des Menschen, verschmelzen hier zu einem eindringlichen Bild von Überleben und Verletzlichkeit.

Don Carlo erscheint mit martialischer Augenklappe und metallisch gerüstetem Oberkörper – als Figur, deren Blickfeld wie ihr Denken halbiert ist: ganz auf Rache fixiert. Auch sonst spielt die Inszenierung mit Bildüberlagerungen, Überzeichnung und Kontrast: zwischen Krieg und Zuflucht, religiöser Einkehr und menschlicher Verzweiflung.
Lilli Hartmanns Kostüme verorten das Geschehen zwischen historisierendem Detail und abstrahierter Fantasiewelt. Farblich dominiert eine Palette aus Erdtönen, Dunkelblau und Grau – punktuell durchbrochen von expressiven Akzenten wie Preziosillas auffälligem, gestreiftem Kleid mit weißen, gerüschten Ärmeln oder den farbenfrohen Kutten der Mönche, die in ihrer Anmutung entfernt an tibetische Gewänder erinnern.
Die Bewegungsszenen, choreografiert von Rebecca Gollwitzer, fügen sich organisch in das Geschehen ein – besonders in den Massenszenen des Militärlagers, wo Tanz, Ironie und Disziplin ineinandergreifen. Auch ihr Soloauftritt als Dämon, tänzerisch kraftvoll und bedrohlich zugleich, hinterlässt einen starken Eindruck beim Publikum. Cornelia von Kerssenbrock führt das Festivalorchester mit klarem, kontrolliertem Zugriff durch Verdis schroff geschnittene Partitur. Ihr Dirigat verzichtet auf romantisierendes Aufschäumen zugunsten analytischer Transparenz und musikalischer Konsequenz – dabei aber mit feinem Gespür für Verdis Melodik und orchestrale Farben. Der Festivalchor und Extrachor sind klanglich homogen und szenisch präzise geführt – ein tragender Pfeiler dieser Aufführung.

In der Rolle der Leonora beeindruckt Yunuet Laguna mit leuchtendem, fein geführtem Sopran. Ihre Interpretation vereint innere Zerrissenheit mit berührender Reinheit, besonders in der Arie „Pace, pace, mio Dio“, die sie mit Innigkeit und stimmlicher Präsenz gestaltet. Ragaa Eldin als Don Alvaro beeindruckt mit energiegeladenem Tenor und starker Bühnenpräsenz. In den dramatischsten Momenten verlangt die Partie der Stimme einiges ab – was Eldin mit expressiver Kraft und szenischer Hingabe auffängt. Stefano Meo gibt einen intensiv aufspielenden Don Carlo, dessen Rachebesessenheit glaubhaft zwischen brüderlicher Wunde und fanatischer Verbohrtheit changiert. Sein markant gefärbter Bariton überzeugt mit kraftvoller Attacke, kernigem Ausdruck und gut fokussierter Höhe – eine Präsenz, die auch in den Konfrontationen mit Don Alvaro klanglich souverän und spannungsgeladen bleibt. Giorgi Chelidze als Padre Guardiano bringt mit profundem Bass Wärme und Ruhe ein – ein stimmliches Fundament von beeindruckender Autorität. Maria Ermolaeva verleiht der Preziosilla mit ihrem ausdrucksstarken, farbenreichen Mezzosopran temperamentvolle Energie und Bühnenpräsenz. Ihr bewusst gesetzter Spielwitz und die klare stimmliche Kontur sorgen für lebendige Kontraste in den Szenen des Militärlagers. Tiziano Bracci bringt mit seinem Fra Melitone eine pralle Portion Buffo-Qualität in die düstere Handlung, ohne ins Groteske zu kippen. Auch die Nebenrollen – allen voran Inés López Fernández als Curra und Levan Makaridze als Marchese di Calatrava – sind durchweg solide besetzt.

So gelingt es dieser Immlinger Forza, das Werk nicht nur aufzuführen, sondern in seiner ganzen moralischen und psychologischen Tiefe zur Diskussion zu stellen. Es ist ein Abend, der weit über den Opernrahmen hinausweist – ein Nachdenken über Schuld und Entscheidung, über familiäre Konflikte, Ausgrenzung, Krieg und das Potenzial zur Versöhnung. Und es ist ein starkes künstlerisches Statement, wie es zu Immling passt: mutig, durchdacht – und emotional berührend.