Halfing, Immling-Festival, CARMEN – Georges Bizet, IOCO
Eine Frau gegen die Konventionen, ein Festival mit Haltung: Die Immlinger Festspiele 2025 zeigen mit Carmen eine Oper, die auch heute noch aufwühlt – modern, mutig, musikalisch glänzend.

von Daniela Zimmermann
Die Immling Festspiele 2025 zeigen, mit Georges Bizets Carmen, eines der populärsten Werke der Opernliteratur. Als das Werk 1875 in der Pariser Opéra-Comique uraufgeführt wurde, empfand das bürgerliche Publikum den Stoff als skandalös. Eine selbstbewusste Frau der Arbeiterklasse, selbstbestimmt, die sich weder gesellschaftlicher Moral noch männlichem Besitzdenken unterwirft, das war revolutionär. Das Carmen am Ende stirbt, nicht weil sie sich beugt, sondern sich verweigert, war zu viel für die Konventionen der damaligen Zeit. Dass diese Oper auf einer wahren Begebenheit basiert und von Prosper Mérimée in einer Novelle verarbeitet wurde, macht sie umso brisanter. Bizet vertonte diesen Stoff mit spanisch gefärbter Folklore und dramatischer Wucht. Carmen ist heute ein Welterfolg und gleichzeitig eine sehr herausfordernde Oper, über Besitzergreifung und Gewalt, über eine Frau, die ihre eigene Freiheit und ihre eigenen Entscheidungen über alles stellt.

In Immling inszenierte Ini Gerath, die Carmen modern und eindrucksvoll, mit Lichtdesign, starken Bühnenbildern und intensiven Choreografien. Nicht die „üblich“ Männer mordende Frau steht im Mittelpunkt dieser Inszenierung, sondern eine Frau, die liebt, wen sie will, sie geht, wann sie will, niemand bestimmt sie, nur sie selbst. Für Ini Gerath ist Carmen kein dämonisches Weib, sondern für sich eine konsequent freie Frau. Und genau das macht sie im patriarchalischen Umfeld zur Bedrohung. Die Bühne ist mehr oder minder reduziert auf einen großen Marktplatz, auf dem sich das bunte Treiben der Oper abspielt. Hier trifft man sich, hier wird diskutiert und geplant und von hier aus geht man zur Arbeit und in die Arena (Bühnenbild: Susanne Ruppert). Die Kostüme von Wiebke Horn sind entsprechend der Inszenierung modern gehalten. Es ist Sommer und die Arbeiterinnen tragen leichte Kleider, die Soldaten schlichte Uniformen. Diese realistische Kostümwahl passt zur Bodenständigkeit der Inszenierung.

Der Bauernsohn Don José verlässt sein Dorf und zieht als Sergeant nach Sevilla. Dort beobachten die Soldaten faszinierend, die herausströmenden Mädchen der Zigarettenfabrik, unter ihnen Carmen, die für Ihre Reize genauso ist wie für ihre Unabhängigkeit, verletzt eine Kollegin und wird festgenommen. Don José erhält den Befehl, sie ins Gefängnis zu bringen, doch Carmen verdreht ihm den Kopf. Er lässt sie entkommen und wird selbst degradiert. Ein kurzes Verhältnis folgt, doch während Carmen sich nicht binden will, steigern sich Don Josés Gefühle in Besessenheit. Er verlässt Micaёla, das sanfte und fromme Mädchen aus seiner Heimat und folgt Carmen in die Berge, in eine Welt jenseits bürgerlicher Ordnung. Als er ihretwegen seine Stellung verliert, schließt er sich einer Schmuggelbande an. In der Immlinger Inszenierung verhelfen diese Schmuggler Frauen zur Flucht, die vor gewalttätigen und unterdrückenden Männern fliehen wollen, ein Einfall der Regie, um Carmens weiblichen Freiheitsdrang zu unterstützen. In den Bergen, im Kreis der Schmuggler, legt Carmen für sich die Karten, und sieht darin unmissverständlich den Tod. „Die Karten lügen nicht“, sagt sie gefasst. Diese Szene untermauert ihren ungebrochenen Willen, den Weg zu gehen, den sie für richtig hält, auch wenn er den Tod bedeutet. Als Carmen sich dem gefeierten und charismatischen Torero Escamillo zuwendet, verliert Don José vor Eifersucht und Besitzansprüchen völlig die Kontrolle. Vor der Arena fleht er sie an, zu ihm zurückzukehren. Doch Carmen bleibt bei ihrer Entscheidung, frei zu leben und zu lieben, wen sie will. Don José tötet sie, unfähig ihre freie Entscheidung zu akzeptieren.

Anastasiya Matyniuk singt und spielt die Carmen mit dunklem, klangvollem Mezzosopran und einer sehr attraktiven Bühnenpräsenz. Ihre Carmen ist nicht die große Verführerin, sondern die junge Frau, stolz und frei, mit innerer Haltung zu ihren Werten. Joseph Dahdah beeindruckt in seiner Rolle als Don José mit leidenschaftlicher Intensität. Sein lyrischer Tenor bringt emotionale Tiefe. Er gestaltet den Absturz vom Sergeanten zum Getriebenen glaubhaft echt. Anton Keremidtchiev gibt dem Escamillo stimmliche Autorität. Er ist das Gegenbild zu Don José, sicher, selbstbewusst, in sich ruhend. Aistė Piliba als Micaёla singt mit leuchtendem, strahlendem Sopran. Micaёla ist nicht naiv, sie spürt die Gefahr für Don José, möchte ihn aus Überzeugung zurückholen und gewinnt dabei selbst an Stärke. Die Musik Bizets klingt so wunderschön, sie ist farbenreich, mitreißend und voller klanglicher Kontraste. Unter der musikalischen Leitung von Cornelia von Kerssenbrock entfaltet das Festivalorchester Immling eine differenzierte Interpretation. Die Habanera klingt verführerisch und kühl zugleich. Das Torero-Lied strahlt vor Selbstbewusstsein. In den Ensembles und Chorpassagen, erleben wir den Klang in voller Kraft. Es singt und spielt wie immer hervorragend der Festivalchor Immling, der Extrachor und der Kinderchor. Alles unter der Leitung von Cornelia von Kerssenbrock. Besonders in den leisen und innigen Momenten, die Arie Micaёla oder im letzten Duett Carmen und Don José, zeigt sich von Kerssenbrocks Gefühl für musikalische Dramaturgie und emotionale Balance.
Immling bietet eine musikalisch starke Carmen, die nicht nur unterhält und berührt. Das Bild der Titelheldin in einem neuen Licht. Kein Opfer, sondern eine Frau, die ihren Weg kennt, ihn geht und dafür alles riskiert.