Guntersdorf, Theater Westliches Weinviertel, ZWEI WIE BONNIE & CLYDE – Müller/Misiorny, IOCO

Wenn der große Coup im Chaos endet: „Zwei wie Bonnie & Clyde“ am Theater Westliches Weinviertel überzeugt mit perfektem Timing, Witz und Herz.

Guntersdorf, Theater Westliches Weinviertel, ZWEI WIE BONNIE & CLYDE – Müller/Misiorny, IOCO
Theater Westliches Weinviertel © Marcus Haimerl

von Marcus Haimerl

Im äußersten Westen des Weinviertels liegt die Marktgemeinde Guntersdorf – ein Ort, der sich in den letzten Jahrzehnten zu einem kleinen, aber lebendigen Kulturzentrum des Bezirks Hollabrunn entwickelt hat. Rund 1.200 Einwohner zählt die Gemeinde, geprägt von Landwirtschaft, Weinbau und einer bemerkenswerten Theatertradition, die weit über die Region hinausstrahlt. Herzstück dieses kulturellen Lebens ist das Theater Westliches Weinviertel (kurz tww genannt). 1986 in einem ehemaligen Bauernhof gegründet, wurde das Haus mit großem Engagement zu einer eigenständigen Spielstätte umgebaut. Die Bühne liegt – untypisch für kleinere Häuser – an der Längsseite des Saales. Dadurch entsteht ein Zuschauerraum mit nur wenigen Reihen, aber einer unmittelbaren Nähe zwischen Publikum und Darstellern, die bis heute das besondere Kennzeichen des Hauses bildet.  Heute gilt das tww als Niederösterreichs kleinstes Theater und seit dem Umbau 1990 im Ganzjahresbetrieb – ein Haus, das seit fast vier Jahrzehnten für handwerklich präzises, publikumsnahes Theater steht. Die Atmosphäre ist familiär, die Produktionen sind professionell gearbeitet, und der direkte Kontakt zwischen Bühne und Zuschauerraum verleiht jeder Aufführung eine eigene Unmittelbarkeit.

Das tww zeigt seit vielen Jahren unterhaltsame Stücke mit regionalem Bezug, die zugleich handwerklich präzise umgesetzt sind. Zwischen Klassikern, zeitgenössischen Texten und pointierten Komödien entsteht ein Spielplan, der sich bewusst an ein breites Publikum richtet, ohne in Beliebigkeit zu verfallen. Mit der Wahl von Zwei wie Bonnie & Clyde – denn sie wissen nicht, wo sie sind von Tom Müller und Sabine Misiorny hat das Haus erneut seine Stärke für kleine, charaktergetragene Stücke bewiesen. Die temporeiche Gaunerkomödie bietet zwei starke Rollen und viel Raum für körperliches Spiel, Timing und sprachliche Präzision – Qualitäten, die in der intimen Atmosphäre des tww besonders zur Geltung kommen.

Julia Handle (Chantal), Samuel Schwarzmann (Manni) © Anna Zehetgruber

Die Komödie stammt vom deutschen Autorenduo Tom Müller und Sabine Misiorny, das sich seit den 1990er-Jahren auf pointenreiche Zwei-Personen-Stücke spezialisiert hat. Beide sind selbst Schauspieler und gründeten 1993 das m&m theater, mit dem sie ihre Werke im gesamten deutschsprachigen Raum tourweise aufführen. Ihre Texte leben von Sprachwitz, präzisem Timing und Figuren, die zwischen Slapstick, Romantik und sanfter Gesellschaftssatire changieren. Zwei wie Bonnie & Clyde zählt zu ihren bekanntesten Werken und wurde seit seiner Uraufführung 1999 am Rotationstheater Remscheid-Lennep an zahlreichen Bühnen gespielt – von Amateurgruppen bis zu professionellen Ensembles.

Im Zentrum stehen Chantal und Manni, zwei liebenswerte Kleinganoven, die vom großen Coup träumen, aber in einem alten Schuhlager landen, wo sie sich zwischen Kartons, Plänen und Missverständnissen verheddern. Statt eines glamourösen Bankraubs erleben sie eine Kette von Pannen und Verwechslungen, die in dieser Fassung humorvoll mit Weinviertler Schauplätzen verknüpft wurden – etwa Hollabrunn, Unternalb, Obernalb oder Retz. Diese lokale Anbindung sorgt für zusätzliche Leichtigkeit und Nähe zum Publikum, ohne die Struktur des Originals zu verändern. Besonders der rhythmisch gesetzte Rap (von unterhalb von Unternalb“ bis „oberhalb von Obernalb“) brachte das Publikum bei der Premiere zum Lachen.

Die Bühne von Werner Wurm bleibt dem Originalschauplatz – dem aufgelassenen Schuhlager – treu und füllt ihn mit liebevollen Details. Holzregale mit Schuhkartons bilden die Rückwand, links öffnet sich ein Doppeltor, rechts führt ein Gang in den hinteren Bereich. Zwischen den Regalen hängt ein Plakat, das eine Kuh mit Stiefeln zeigt, versehen mit dem augenzwinkernden Schriftzug Kuhmanic – eine köstliche Parodie auf ein bekanntes Schuhgeschäft. Dieses Detail bringt den Witz der Inszenierung auf den Punkt: pointiert, selbstironisch, regional verankert.

Samuel Schwarzmann (Manni), Julia Handle (Chantal) © Anna Zehetgruber

Ursula Leitners Regie beeindruckt durch präzise Personenführung und ein ausgeprägtes Gespür für komödiantischen Rhythmus. Auf engem Raum entwickelt sie eine erstaunliche Dynamik, die nie zufällig wirkt. Jeder Gang, jede Bewegung, jedes Innehalten ist exakt gesetzt – und doch bleibt der Ablauf leicht, natürlich und fließend. Leitner versteht es, Körperkomik und Timing so zu gestalten, dass sie sich aus der Situation ergeben, nicht aus dem Willen zur Pointe. Der begrenzte Spielraum des ehemaligen Schuppens wird dabei zu einem kreativen Vorteil: Die Regisseurin nutzt ihn konsequent als Teil der Dramaturgie. Die Schauspieler stoßen sich an Holzpfeilern und stolpern über Requisiten – und genau darin liegt der Witz. Was leicht wie Slapstick wirken könnte, wird bei Leitner zur choreografierten Komödie, präzise getaktet und perfekt auf die Akteure abgestimmt. Ihr Regiekonzept zeigt, wie viel Feingefühl und Struktur in scheinbar spontanem Spiel stecken können. Der Humor entsteht aus der Genauigkeit, nicht aus der Übertreibung. Sie schafft es, Tempo, Körperlichkeit und Sprachwitz in Balance zu halten – das Spiel bleibt energiegeladen, aber nie laut; pointiert, aber nie platt. So entsteht eine rhythmisch dichte Farce, die von Timing, Vertrauen und wechselseitiger Reaktion lebt – getragen von zwei Darstellern, die sich in jedem Moment aufeinander verlassen können. Leitners Regie beweist eindrucksvoll, dass Komödie eine der präzisesten Formen des Theaters ist – und ihre Wirkung umso größer ist, je genauer sie gebaut ist.

Das Herzstück der Aufführung bilden Julia Handle und Samuel Schwarzmann – ein kongeniales Duo, das die Komödie mit Leichtigkeit, Präzision und Charme trägt. Auf der Bühne des tww entwickeln sie eine erstaunliche Dynamik und zeigen, wie viel Ausdruck auch auf kleinem Raum möglich ist.

Samuel Schwarzmann prägt den Abend entscheidend. Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass hier ein Schauspieler auf der Bühne steht, der Text, Rhythmus und Raum vollkommen beherrscht. Seine Sprache bleibt von Anfang bis Ende klar und präsent – jede Silbe sitzt, jeder Akzent ist gesetzt, ohne je gekünstelt zu wirken. Diese Präzision verleiht seiner Figur Kontur und Glaubwürdigkeit, gerade in den Momenten, in denen das Spiel rasant wird. Sein Manni ist kein einfacher Komödientyp, sondern eine Figur mit eigener Logik – ein liebenswerter Tüftler, der fest an den großen Coup glaubt, obwohl längst alles schiefgeht. Schwarzmann gibt ihm jene Mischung aus Selbstüberschätzung und Herzensgüte, die das Publikum sofort für ihn einnimmt. Er versteht es, körperliche Komik und sprachliche Präzision zu verbinden, ohne in Routine zu verfallen. Besonders beeindruckend ist seine Kontrolle über Tempo und Timing: Jede Bewegung, jeder gestolperte Schritt, jeder ironische Seitenblick ist exakt gesetzt und zugleich natürlich im Ablauf. Das wirkt nie mechanisch, sondern hoch konzentriert und lebendig. Damit gelingt Schwarzmann das Kunststück, die Figur in all ihrer Tollpatschigkeit ernst zu nehmen – und genau daraus entsteht ihr Witz. Ein Auftritt von bemerkenswerter Bühnenpräsenz und handwerklicher Reife, der zeigt, wie viel Intelligenz und Gespür in einer wirklich guten Komödie steckt.

Samuel Schwarzmann (Manni) © Anna Zehetgruber

Julia Handle gestaltet ihre Chantal mit sicherem Gespür für komödiantische Typisierung. Sie verkörpert das liebenswerte Dummchen, das die Welt mit kindlicher Logik betrachtet und an das große Glück glaubt, selbst wenn längst nichts mehr zu retten ist. Handles Spiel lebt von jener Unmittelbarkeit, die sich nicht erlernen lässt: Ihre Reaktionen wirken spontan, ihre Pausen genau gesetzt – und gerade dadurch entsteht Komik, die nie aufgesetzt wirkt. Handle versteht es, die Naivität ihrer Figur durch feine Gesten und Gesichtsausdruck zu nuancieren – zwischen echter Ahnungslosigkeit und einem Hauch von Selbstironie. Sie überzieht nie, sondern findet jene Balance zwischen Tölpelhaftigkeit und Charme, die die Figur menschlich und liebenswert macht. Auch im Zusammenspiel mit Schwarzmann bleibt sie präsent und reaktionsstark – das „Dummchen“ ist bei ihr kein Klischee, sondern eine bewusst gespielte Facette, die den Witz der Szenen präzise trägt. Handles Darstellung überzeugt so durch präzise Körpersprache, lebendige Mimik und eine feine komödiantische Intelligenz, die die Figur in ihrer Naivität ernst nimmt – und genau dadurch so unterhaltsam macht.

Samuel Schwarzmann (Manni), Julia Handle (Chantal) © Anna Zehetgruber

Die Kostüme von Petra Teufelsbauer tragen wesentlich zur Wirkung der Figuren bei. Zu Beginn treten beide in roten Cordhosen, weißen Unterhemden und schwarzen Hosenträgern auf – schlicht, funktional und perfekt abgestimmt auf die körperliche Komik. Diese Kleidung wirkt zugleich arbeitstauglich und leicht grotesk, was die Figuren zwischen Realität und Parodie ansiedelt. Erst im Finale verwandeln sich Manni und Chantal: Er trägt nun einen hellen Anzug, sie ein bordeauxfarbenes Kleid – ein klarer Verweis auf das legendäre Gangsterpaar, jedoch mit charmant-ironischem Unterton. Teufelsbauers Kostümarbeit besticht durch stilistische Treffsicherheit. Die Outfits zitieren die 1930er-Jahre, ohne sie zu imitieren. Schnitt, Materialien und Farben erzeugen eine zeitlose Komödienästhetik, die sowohl zur historischen Anspielung als auch zum heutigen Weinviertel passt. Es sind Kostüme, die Charakter erzählen – und zugleich Spielräume lassen.

Mit Zwei wie Bonnie & Clyde ist dem Theater Westliches Weinviertel ein Abend gelungen, der exemplarisch zeigt, was das Haus auszeichnet: handwerkliche Präzision, schauspielerische Präsenz und spürbare Freude am Spiel. Ursula Leitner inszeniert mit sicherem Gespür für Timing und Bewegung und beweist, dass Komödie weit mehr sein kann als bloßer Klamauk. Das Zusammenspiel von Samuel Schwarzmann und Julia Handle trägt die Aufführung mit Leichtigkeit und Witz, bleibt dabei aber immer menschlich und glaubwürdig. Beide verwandeln das kleine Schuhlager in eine Bühne großer Emotionen – mit klarer Sprache, feinem Rhythmus und perfektem Timing.

Das Theater Westliches Weinviertel beweist mit dieser Produktion einmal mehr, wie viel sich auch mit begrenzten Mitteln erreichen lässt. Die Professionalität und Hingabe, die hier spürbar sind, machen den besonderen Charakter dieses Hauses aus. Das Ergebnis ist eine Komödie, die unterhält, ohne banal zu werden – mit Witz, Charme und handwerklicher Genauigkeit, die ein Publikum begeistert, das seinem Theater zu Recht die Treue hält.

Read more