Düsseldorf, Schauspielhaus, DER BLINDE PASSAGIER - Maria Lazar, IOCO

Düsseldorf, Schauspielhaus, DER BLINDE PASSAGIER - Maria Lazar, IOCO
Rainer Philippi, Minna Wündrich, Michael Fünfschilling, Fnot Taddese, Florian Lange copyright Thomas Rabsch

31.5. 2025 (Premiere)

 

„Was hab‘ ich damit zu tun?“

 

Schwer zu sagen, was dramatischer ist: Ist er der Inhalt dieses Stückes, das hier seine Uraufführung erlebt? Oder sind es die Umstände, die seiner Entstehung und Entdeckung zugrunde liegen?

 

Die Autorin, Maria Lazar, lebte und arbeitete bis 1933 in Wien. Sie war Teil der österreichischen Kulturszene, darunter Robert Musil und Elias Canetti. Die junge Dichterin galt als scharfzüngige und weitsichtige Publizistin. Maria Lazar war Jüdin. Nach Hitlers Machtergreifung wurde es mehr und mehr unmöglich, im deutschsprachigen Raum zu publizieren. Da die Nazis auch in ihrer Heimat immer stärker wurden, emigrierte sie zusammen mit Bertolt Brecht und Helene Weigel zuerst nach Dänemark und kurz vor Kriegsbeginn nach Schweden.

Szene copyright Thomas Rabsch.jpg

 

Auch wenn ihre Arbeiten nicht gedruckt werden durften. Maria Lazar schrieb bis zu ihrem frühen Tod in deutscher Sprache. Ihr Kommentar dazu: „Zum Gebrauch meiner Muttersprache bin nach Ansicht der Nazi-Herren aus rassischen Gründen eigentlich gar nicht berechtigt“. Ihre Werke verwahrte sie in sechs schwarzen Metallkisten auf, die von Maria Lazars Tochter bis ans Lebensende wie ein Schatz gehütet wurden. Erst 2020 erlaubte ihre Enkelin die Arbeiten ihrer Großmutter zu sichten. Darum kommt erst jetzt, achtzig Jahre später als geplant, auch „Der blinde Passagier“ zur Uraufführung.

 

Maria Lazar schreibt das Stück 1938. Es führt uns in die Vorkriegszeit zurück.

Das Bühnenbild der Uraufführung lässt die Zuschauer bereits erahnen, was sie erwartet. In einer von Nebelschwaden umwehten Nacht, liegt ein kleines dänisches Frachtschiff in einem x-beliebigen deutschen Hafen. Im Mannschaftsraum steht mit versteinerter Miene der junge Kapitänssohn Claus, dargestellt von Michael Fünfschilling. Er spielt auf seinem Akkordeon. Keine fröhliche Seemannsmusik. Ganz im Gegenteil. Die Töne klingen Nadelstiche. Man spürt, Claus bedrückt etwas. Er hält Wache an Bord.

Florian Lange, Mila Moinzadeh, Rainer Philippi, Fnot Taddese, Michael Fünfschilling copyright Thomas Rabsch.jpg

 

Der Rest der Mannschaft genießt den Landgang. Die Ladung ist gelöscht, in einem Lokal wird gefeiert. Man freut sich jetzt auf die Rückreise nach Dänemark. Dass die Uhren in Deutschland anders gehen, interessiert die Seeleute nicht. Irgendwo in der Nähe fallen Schüsse. Nicht ihr Problem. Sie verabschieden sich sogar mit dem ausgesteckten rechten Arm, dem sogenannten deutschen Gruß. Man ist ja höflich im Ausland.

 

Wieder an Bord freuen sich Nina, die lebenslustige Kapitänstochter und ihr Verlobter Jörgen, ein bulliger Matrose, auf die baldige Hochzeit in Dänemark. Sie tanzen sogar. Doch Claus lässt sich nicht anstecken von ihrer Ausgelassenheit. Nina, gespielt von Fnot Taddese, spürt, dass etwas nicht stimmt. Schnell kommt die Wahrheit ans Licht: Carl hat einen Mann aus dem Wasser gezogen. Einen, der verfolgt wurde. Wo ist er? Der Mann zeigt sich. Auf diesem engen Schiff lässt sich ein Mensch nicht verstecken.

 

Auch Gefühle lassen sich nicht verstecken, wenn man gemeinsam vor der Frage steht, was zu tun ist. Schnell prallen die Ansichten aufeinander. Für Claus ist klar, dem Mann muss geholfen werden. Hartmann, so sein Name, outet sich als Jude auf der Flucht. Florian Lange in der Rolle des Matrosen Jörgen stellt sich sofort gegen ihn. Egal ob Jude oder nicht, für ihn ist er ist ein Gesetzesbrecher, ein Krimineller, einer, der nur Ärger bringt. Als seine Verlobte noch beginnt, mit Hartmann zu flirten, brennen Jörgen die Sicherungen durch. Er beschimpft Hartmann als Judenbengel. Mehrfach.

Mila Moinzadeh copyright Tomas Rabsch

 

Für Hartmann, von Mila Moinzadeh eindrucksvoll in der Figur des hilflosen Flüchtlings, wird die Lage immer prekärer. Wenigstens Rainer Philippi als Kapitän Petersen scheint es gut mit ihm zu meinen. Er gibt sich als Mann der Vernunft. Er will kein Unmensch sein. Ernst befragt er den Flüchtling: „Was haben Sie verbrochen?“ Hartmann: „Ich bin Jude.“ Kapitän: „Das ist alles?“ Hartmann: „Das ist genug!“ Trotzdem. Ihn zu schützen, sei ein Verstoß gegen das Gesetz. Am Ende ist dem Kapitän sein Schiff wichtiger als dieser fremde Mann.

 

Hartmann sagt: „Die Menschen sind nicht schlecht. Sie sind nur sehr gehorsam.“ Mila Moinzadeh, der selbst als Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland kam, singt an dieser Stelle ein persisches Lied. Das traurige Lied eines Flüchtlings. Hartmann erkennt die Ausweglosigkeit der Situation. Es zieht seine Konsequenzen.

 

Endlich erreicht das Schiff wieder Dänemark. Die resolute Ehefrau des Kapitäns kommt an Bord. Sie ist blind für das Schicksal des Juden. Für sie ist nur eins wichtig: das Glück ihrer Familie. Zu allem anderen sagt sie: „Was hab‘ ich damit zu tun?“ Ein Happy End ist in diesem Stück nicht zu erwarten.

 

Auch wenn dieses Stück für eine andere Zeit geschrieben wurde. Es ist heute so sehenswert wie es damals gewesen wäre. Und leider auch so aktuell. Das stimmt nachdenklich und traurig.

Für die schauspielerische Leistung, die Inszenierung und das beeindruckende Bühnenbild gab es viel Beifall.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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