Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, PRIMA LA MAMMA - Gaetano Donizetti, IOCO

Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, PRIMA LA MAMMA - Gaetano Donizetti, IOCO
Rheinoper, Düsseldorf Foto: IOCO

Oper so schrill wie Klimbim

Heute sehen wir eine selten gespielte Oper aus einer ebenfalls selten gespielten Operngattung:

  • In seinem Frühwerk wirft Donizetti einen lustvollen Blick die Umstände und Missstände des Opernbetriebs. Er bringt eine Parodie auf die Bühne, in der eine wild zusammengewürfelte Sängertruppe daran scheitert, eine neue Oper zur Aufführung zu bringen. Und dabei werden alle gängigen Klischees über den Opernbetrieb bestens bedient. Diese Oper wird selten gespielt und wurde erst um 1960 wiederentdeckt.
  • Das Stück gehört in das seltene Fach der Opern-Parodie.

 

Rheinoper Prima la Mamma Foto: Sandra Then

Man kann es gar nicht anders sagen: Die an sich schon groteske Steilvorlage von Donizetti hat das ganze Regie-Team um Daniel Kramer nicht nur einfach aufgenommen. Vielmehr ist der Stoff weiter höchst lustvoll (man möchte fast sagen „schriller als schrill“) auf die Spitze getrieben, bis schließlich jedes Fass zum Überlaufen gebracht wird.

Es kommt jedoch überraschend am Schluss der Oper dann doch noch ein völlig anderer Moment, der einer Verismo-Oper würdig wäre, und den Spaß beendet: Die aufführungswilligen Künstler werden von der Botschaft erreicht, dass die Oper stillgelegt wird, das Stück ausfällt, es kein Geld mehr gibt.

Auch das muss man über den schrillen heutigen Abend wohl sagen: Das meiste, was der Rezensent sonst zu schreiben hat, spielt diesmal keine Rolle:

  • Wie die Sänger waren, ist kaum zu beschreiben. 2 Hauptpartien werden ja angeblich „völlig unmusikalisch“ besetzt und müssten daher (eigentlich) zahnschmerzerregend falsch singen.
  • Ob das hohe C richtig getroffen wurde, ist diesmal völlig gleichgültig. Diesmal ist vielmehr entscheidend, ob die Pointe richtig getroffen wurde.  
  • Wie trefflich Hendrik Vestmann seine Düsseldorfer Symphoniker dirigiert hat, geht im Slapstick völlig unter.             
Rheinoper Prima la Mamma Foto: Sandra Then

Hier ein paar Eindrücke und Momente aus dem wilden Ritt durch Parodie, Zoten und Grotesken:

  •  Donizetti schreckt nicht davor zurück, die Rolle der Mamma Agata (David Stout) mit einem Mann zu besetzen, der sowohl über einen tiefen Bass als auch über ein übertrieben-schrilles Verhalten verfügt. Das ist ganz offensichtlich der komisch-groteske Urquell dieser Oper. Sie bricht als Verhaltens-Ungewitter in die laufenden Proben ein, will die Rolle ihrer Tochter Luigia (gesungen von Heidi Elisabeth Meier) mit brachialen Methoden verbessern, schreckt dabei vor nichts zurück und mischt die Probe bis zum Chaos auf.   
  • Daniel Kramer wiederum schreckt auch nicht davor zurück, Mamma Agata mit einem Atom-Busen auszustatten, der übertriebener nicht sein könnte. Man muss Sorge haben, dass der tapfer mit diesen beiden Brust-Ungetümen kämpfende David Stout nach vorne umfällt. In den Konflikten nutzt er/sie den Atombusen als bedrohlich bedrängende Angriffswaffe.
  • Natürlich ist die Primadonna Daria (gesungen von Elena Sancho Pereg) höchst überspannt, indisponiert und erträgt keinerlei Konkurrenz durch andere Sänger.
Rheinoper Prima la Mamma Foto: Sandra Then
  • Und natürlich reisen auch zwei der Sänger angesichts der völlig unmöglichen Kollegen beleidigt ab. Man steht vor dem Nichts. Unter der Not der drohenden Aufführung nimmt das Drama seinen Lauf und es bleibt nichts anderes übrig, als diese beiden Rollen mit Mamma Agata und dem Mann der Primadonna Daria, Procolo (gesungen von Beniamin Pop), zu besetzen. Beide sind völlig unmusikalisch und können natürlich auch nicht singen.
  • Die Bühne (Justin Nardella) besteht aus einer Orgie von Farben mit Schwergewicht auf ein leuchtendes Pink. Man fragt sich, ob nach dieser Aufführung noch Farbe für andere Opern übriggeblieben ist.  
  • Auch die Kostüme (Shalva Nikvashvili) scheinen einer schräg galoppierenden Fantasie entsprungen.
  • Die beiden Schöpfer des neuen Opernwerkes, Maestro Andreas (Torben Jürgens) und der Dichter Heinrich (Valentin Ruckebier) stehen auch auf der Bühne und müssen zeigen, wie sie mit allen Unglücken und Missgeschicken herzzerreißend mitleiden. „Womit habe ich das verdient?“, raufen sie verzweifelt die Haare.
  • Der Herrenchor schreckt nicht davor zurück, in hypertrophen Muskel-Kostümen mit überlangen, erigierten Gummi-Penissen aufzumarschieren, die beim Marschieren fröhlich vor sich hin wippen. Wer will hier noch auf die gesungenen Töne achten? Man fängt schon fast an, sich zu fürchten, was gleich noch alles auf offener Bühne gezeigt wird. Aber Gott sei Dank, es ist ja nur Groteske und wir sind immer noch im Opernhaus.
Rheinoper Prima la Mamma Foto: Sandra Then
  • Die Publikumsreaktion darauf besteht einerseits aus einem mehrstimmigen (offenbar weiblichen) Kichern und andererseits aus einem lauten Türeschlagen von Personen, die es nicht mehr aushalten wollten.
  • Der Versuch der beiden Nicht-Sänger, eine Arie in der Probe zu singen, lässt sich nicht beschreiben und muss vor Ort angesehen werden.  
  • Irgendwann darf Mamma Agata auch die Heldenrolle in Rüstung spielen. David Stout darf nun endlich seinen Heldenbariton auspacken und das Publikum freut sich in einem Erleichterungs-Schub mit.

Hier ist nur Platz für einzelne Momente aus dem überbordenden Parforce-Ritt. Man kann gar nicht alles beobachten, was da auf der Bühne passiert. Die Fernseh-Serie Klimbim aus den 70-er Jahren oder die musikalische Groteske von Wolfgang Ambros „Der Watzmann ruft“ könnten Pate gestanden haben.

Aber wie schon angedeutet, dreht sich das Stück ganz plötzlich kurz vor dem Ende noch radikal. Der Intendant (Thorsten Grümbel) erscheint und verkündet, dass die Oper eingestellt wird - es ist kein Geld mehr da. Sofort fällt all der Klamauk weg. Ab hier wird nur noch gesprochen, nicht mehr gesungen und es werden alle Kostüme abgelegt. Am Ende stehen die Heroen ungeschminkt im Bademantel und ohne irgendeine Rolle da. Wer sind sie jetzt noch? Dass sich hier noch nach so viel humorvoller Groteske ein überaus ernsthafter Gänsehaut-Moment ergibt, ist schon bemerkenswert und ein großer Wurf der Regie. Die Frage steht zentral im Raum, der sich auch das Publikum nicht entziehen kann: Soeben ist die Oper gestorben. Was wird nun?

Wie erwähnt ist dieses Stück sicher das Falsche für eine differenzierte Stimmkritik. Die heutige Besonderheit soll nur am Beispiel der Mama Agata beschrieben werden: Hier braucht es eine Stimme, die sowohl Heldenbariton als auch Bass-Buffo kann, weiterhin noch weibliche Koloraturen imitieren kann und darüber hinaus enormes komödiantisches Talent mit einem Sinn für Slapstick-Timing hat. David Stout hat tatsächlich alles, mit Glanz legt er diese extreme Vielseitigkeits-Prüfung ab. Man glaubt es kaum, dass er auch den Alberich gesungen hat.

Rheinoper Prima la Mamma Foto: Sandra Then

 Und nun zur Gretchenfrage: Ist diese schrille Aufführung eventuell zu empfehlen? Oder keinesfalls? Nun ja, das kommt darauf an.

  • Wer bereits vorher weiß, dass er sich gerne über den „heutzutage gespielten Mist“ und über all die Nackten empört, sollte besser erst gar nicht kommen. Sonst hätte er hier beste Gründe gefunden, das Opernhaus türenschlagend zu verlassen.
  • Wer jedoch in seinem Kultur-Interessen-Profil neben der ganz hohen, unsterblichen Kunst auch ein kleines Eckchen Interesse an dem Übertrieben-Grotesken einer Opern-Parodie hat – oder mal zumindest herausfinden will, ob er ein solches Eckchen hat – der ist hier definitiv richtig.

Und noch etwas bei der Frage zur Empfehlung: Im Zeitalter des drohenden Kultursterbens ist dies heute ganz bestimmt eine Aufführung, die stark in Erinnerung bleibt. An dem Punkt zumindest haben alle heute Mitwirkenden alles richtig gemacht. Glückwunsch! Das Publikum applaudierte jedenfalls völlig ohne Buhs.

 

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