Dresden, Kulturpalast, Musikfestspiele 2025, SIEGFRIED - R. Wagner, IOCO

Dresden, Kulturpalast, Musikfestspiele 2025, SIEGFRIED - R. Wagner, IOCO
Asa Jäger, Thomas Blondelle © Oliver Killig

14. Juni2025          

Abschlusskonzert mit dem The Wagner Cycles „Siegfried“

Die Musikkritiker der „New York Times“ hatten eine konzertante „Walküre-Aufführung“ der Dresdner Musikfestspiele vom 16. März 2024 im Concertgebouw Amsterdam in ihre Liste der zwanzig weltweit besten Aufführungen des Jahres aufgenommen. Daraufhin nahm in der Stadt die Diskussion, das Projekt „The Wagner Cycles“ zu einem Forschungs- und Kompetenzzentrum des Musiktheaters des 19. Jahrhunderts, zu einer Richard-Wagner-Akademie, zu erweitern, wieder richtig Fahrt auf. Die künstlerische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Aufführungspraxis der insbesondere für die Dresdner Konzertlandschaft interessanten Wagner-Zeit sollte eine ständige Aufgabe bleiben und verstreutes Wissen konzentrieren. In der noch andauernden Diskussion des „Ob und Wie“ war sogar eine von mir unterstützte Anregung einbezogen worden, im Zuge einer eventuellen Zerschlagung des Volkswagenkonzerns dessen merkwürdiges Objekt der „Gläsernen Manufaktur“ als Standort der RWA zu nutzen. Dort fanden ohnehin in der Vergangenheit aufwendige Konzertveranstaltungen mit üppigen Mahlzeiten und anregenden Diskussionen statt. Vor allem würde das Objekt die angespannte Situation bezüglich der Bereitstellung von Proberäumen für kleinere Musikergruppen entspannen können.

Zum Abschluss der Dresdner Musikfestspiele 2025 sahen wir dem dritten Teil der „The Wagner Cycles“, dem „Siegfried“ unter der Musikalischen Leitung  Kent Naganos gespannt entgegen, waren doch Informationen aus dem Kreis der Beteiligten über weitere Erkenntnisse der Konzert- und Theaterpraktiken aus dem 19. Jahrhundert gedrungen. Über die ersten Aktivitäten der Ausweitung der Erprobung auf ursprüngliche Hörerlebnisse hatte ich in einem Bericht von den „Wagnerstätten Graupa“ mit dem „Siegfried-Idyll“ und Mendelssohn Bartholdys „Streicher-Oktett Es-Dur“ mit ihren Facetten bereits berichtet.

Leider hatte die Staatsoper Prag am 1. April 2025 aus Termingründen den Dresdner Musikfestspielen die Premiere des historischen „Siegfrieds“ weggeschnappt.

Richard Wagner und sein Berater in Gesangsfragen Julius Hey (1832-1909) legten bei ihren Einstudierungen des „Siegfrieds“ großen Wert auf die Konsonanten-Aussprache und eine deutliche Trennung von Worten bzw. Silben. Bei den Vorbereitungen für „Siegfried“ war besonders intensiv die Sprechwissenschaftlerin Ursula Hirschfeld von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wirksam. Sie bezog ihre Mitwirkung auf Wagners Forderung, dass nicht der Wohlklang, sondern die Verständlichkeit im Vordergrund einer Rolleninterpretation zu stehen habe. Über 150 Quellen aus dem 19. Jahrhundert wertete das Team um die Professorin aus. Die Teile des Wortschatzes Wagners, die heute nicht mehr gebräuchlich sind, wurden bezüglich ihrer Bedeutung untersucht und wie sie ausgesprochen worden waren. Auch interessierte in Halle, welche Bedeutung heute noch gängige Worte früher hatten und wie sie damals artikuliert worden sind. Mit den Sängern wurden die „Wagner-Lesarten“ regelrecht trainiert. Vor allem die Konsonanten am Wortende fallen den Sängern schwer, weil sie eine besondere Körperspannungsbelastung darstellen. Um uns Hörer nicht zu überfordern, wurden wir im „Siegfried-Konzert“ mit einem Kompromiss konfrontiert und erlebten einen Mittelweg zwischen Julius Hey und unseren nachlässigen Hörgewohnheiten.

Der ursprüngliche Text als „Siegfrieds Tod“ war 1848 in Dresden entworfen, aber erst 1853 als die „Götterdämmerung“ mit den drei Vorgeschichten zum „Ring des Nibelungen“ komplettiert worden. Vergleichbar mit Restauratoren, die unter einer mehrfachen Übermalung das tatsächliche Bild des Künstlers der Mitwelt erschließen, wurde am Versuch, uns den wahren Richard Wagner nahe zu bringen, gearbeitet.

Thomas Ebenstein, Thomas Blondelle © Oliver Killig

Der aus Brügge stammende Thomas Blondelle demonstrierte mit der Titelfigur einen intelligenten Pubertierenden. Nachdem er seinem Ziehvater die Deutung seiner Herkunft abgepresst hatte und ihm das Schmieden des neidlichen Schwertes Nothungs gelungen war, spulte er die Etappen seiner Entwicklung ab: das Töten des Drachen und des Mime, die Auseinandersetzung mit dem Wanderer, seine Unbedarftheit bei der Erstbegegnung mit einer Frau sowie die daraus entstehende Entwicklung bis zum Duett mit Asa Jäger waren prachtvoll auf das Podest gebracht. Mit der lyrischen eher gefühlvollen Anlage, der emotionalen Durchdringung seine Rolle dürfte Blondelle den Sängern der Wagner-Zeit nahe gekommen sein, denn den „Heldentenor“ gab es noch nicht. Auch ermöglichte ihm das zurückhaltende Singen eine hervorragende Verständlichkeit seiner Worte. Die Brünnhilde der Schwedin Asa Jäger, unsere große Entdeckung des Vorjahres, hatte ihren dramatischen Sopran um die Persönlichkeit der liebenden Frau erweitert und mit ihren Spitzentönen den Schlussgesang gemeinsam mit dem Tenor zum emotionalen Höhepunkt des Konzertes gestaltet.

Als boshafter und intrigierender Mime strukturierte der aus Kärnten stammende Thomas Ebenstein vor allem den Generationskonflikt mit Siegfried, indem er seine eigentlich glanzvolle Tenorstimme von Blondelles poetischer Darstellung absetzte.

Das Orchester hatte bereits verraten, dass der Wanderer Simon Bailey kein anderer als der Gott Wotan war. Trotz seiner inneren Zerrissenheit nahe der Resignation versuchte er mit seinem tiefgrundiertem voluminösen Bariton gegen den Alberich von Daniel Schmutzhard, vor allem bei der Auseinandersetzung mit der Erdgöttin aufzutrumpfen. Die Erda der Gerhild Romberger konnte mit ihren edlen, feinversponnene differenzierten Phrasen energisch gegenhalten.

Der listige Alberich, der sich mit gleichen Absichten, wie Mime in Fafners Umgebung herumtrieb, wurde von Daniel Schmutzhard mit seinem düsteren Gesang als interessantes Rollenportrait entwickelt.

Die Präsenz des Lindwurms Fafner war zwar fast ausschließlich vom Orchester übernommen worden. Hanno Müller-Brachmann stellte seine wenigen Phrasen mittels Hilfe eines zur Wagnerzeit häufig eingesetztem „Sprechtrichters“ mit großer Durchschlagskraft in den Raum.

Bleibt noch die Stimme des Waldvogels, die von einem Solisten des Tölzer Knabenchors einprägsam, wenn auch nicht ganz präzise aufgewartet wurde.

Die üppig besetzten Streicher des Orchesters hatten stellenweise einige Mühe, mit ihrer Darmsaiten-Bespannung das Volumen des Dresdner Weinberg-Konzertsaales auszufüllen, obwohl dem Gerücht nach Maestro Nagano einige Stahlsaiten zugelassen habe. Die Bläsersektion hatte mit ihren historisch angepassten Instrumenten weniger Probleme, die 19 000 m³ des Raumes zu füllen. Vor allem boten die ohne Ventile ausgestatteten Hörner opulente Obertöne. Das demonstrierte besonders der Solo-Hornist Franz Draxinger mit seiner Entwicklung des Siegfried-Motivs.

Der Klang im „Schuhkarton“ der „Wagnerstätten Graupa“ könnte authentischer empfunden gewesen sein. Zumindest mir war im Verlaufe des langen Abends die 435-Hz-Einstimmung des Orchesters als Besonderheit verloren gegangen. Nach den fünf Stunden hatte ich mich an den Sound gewöhnt.

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