Dresden, Kulturpalast, RHEINGOLD - DIE WALKÜRE - DRESDNER PHILHARMONIE, IOCO Kritik, 03.10.2022

Dresden, Kulturpalast, RHEINGOLD - DIE WALKÜRE - DRESDNER PHILHARMONIE, IOCO Kritik, 03.10.2022
Kulturpalast Dresden © Nikolaj Lund
Kulturpalast Dresden © Nikolaj Lund

Kulturpalast Dresden

RHEINGOLD - DIE WALKÜRE - konzertant - DRESDNER PHILHARMONIE

- Der direkte "Wagnerklang" überwältigt in konzertanten Dresdner Aufführungen -

von Thomas Thielemann

Richard Wagner Statue in Venedig © IOCO
Richard Wagner Statue in Venedig © IOCO

Der 1939 in Warschau geborene aber in Wuppertal aufgewachsene Dirigent Marek Janowski ist einer der wenigen Wagnerinterpreten, von dem gleich zwei Gesamteinspielungen des Ring des Nibelungen existieren. Von Dezember 1980 bis April 1983 spielte Janowski mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und einem hochkarätigen Solistenensemble das Werk Richard Wagners (1813-1883) im Studio „Lukaskirche Dresden“ als Co-Produktion des VEB Deutsche Schallplatten mit Ariola-Euro Disk erstmals digital ein.

Die grandiosen Sängerinnen, wie Jessye Norman, Jeannine Altmeyer, Ortrun Wenkel und Sänger wie Theo Adam, René Kollo, Peter Schreier, Matti Salminen, und Siegfried Jerusalem sowie die prachtvolle Sächsische Staatskapelle unter Janowski machten die Aufnahme für viele Wagner-Freunde bis heute zu einer Referenzeinspielung.

Für uns war damals der Erwerb der vier Kassetten mit den drei bzw. fünf Langspielplatten ein finanzieller Kraftakt, zumal die hart erarbeitete Sendung nach einmaligem Hören zu Mariannes Patentante, einer leidenschaftlichen Wagner-Verehrerin, in den Schwarzwald ging und gegen Dinge des täglichen Bedarfs eingetauscht wurde. Aber inzwischen können wir uns mit den CD- Bearbeitungen der LP-Einspielungen von RCA/Sony trösten.

In den Jahren 2012 und 2013 hatte Marek Janowski für das  Premium-Label Pentatone Classics bei vier Konzertanten Aufführungen mit dem Rundfunksinfonieorchester Berlin in der Berliner Philharmonie eine „Ring-Gesamtaufnahme“ in der Multi-Kanal-Technik SACD eingespielt.

Dresden Kulturpalast / Dresdner Philharmonie und Marek Janowaki © Oliver Killig
Dresden Kulturpalast / Dresdner Philharmonie und Marek Janowaki © Oliver Killig

Dem Maestro wurde nachgeredet, er habe bei den Berliner konzertanten Aufführung vor allem Wert auf eine glänzende orchestrale Durchdringung des Wagnerschen Opus gelegt. Dieser Verdacht erhärtete sich auch, als er in den Jahren 2016 und 2017 als spätberufener Debütant im Bayreuther Festspielhaus als eine Art Einspringer von Kirill Petrenko die Dirigate der Ring-Inszenierung von Frank Castorf übernahm. Der bekennende „Eiferer wider des Regie-Theaters“ hatte das Primat der Urgewalt der Wagnerschen Musik behaupten lassen, sich wenig um das Bühnengeschehen gekümmert und die Tempi des „Ringes des Janowski“ durchgezogen. Und die Festspielbesucher hatten das hingenommen, auch wenn es vereinzelte Buh-Rufe zu Janowskis Dirigat gegeben hatte.

Mit Beginn der Saison hat Marek Janowski seine letzte Spielzeit bei der Dresdner Philharmonie begonnen. Von 2001 bis 2003 war er,  und seit 2019 ist er Chefdirigent des Orchesters. Als eine Art Abschiedsgeschenk wollte er jedem Musiker des Orchesters die Möglichkeit geben, zumindest einmal in seinem Berufsleben Richard WagnersRing des Nibelungen“ als Gesamtheit mitgespielt zu haben.

Eventuell wollte Marek Janowski auch die begrenzte Klangentwicklung der im Dezember 1980, im August 1981, im März 1982 und im April 1984 im Anschluss an die Schallplattenaufnahmen in der „Vorgänger-Mehrzweckhalle“ von dem damals Mittvierziger dirigierten konzertanten Aufführungen vergessen machen.

Ob unserer selten erfüllten hohen Ansprüche an das Regietheater im Opernhaus sind wir zunehmend zu begeisterten Anhängern  konzertanter Opernaufführungen geworden. Die ausschließliche Konzentration sowohl der Agierenden als auch der Hörenden auf das Musikalische lassen immer wieder Sternstunden im Konzertalltag erreichen.  Eine Darbietung, die das Szenische ausblendet oder nur andeutet und das Musikalische schärft und in den Vordergrund stellt, kann näher an das Kunstwerk führen, auch wenn das zunächst paradox erscheinen mag. Wagner hatte das enorme Orchester nicht nur wegen eines gewaltigen Klangeindrucks entwickelt. Die monströse Instrumentenausstattung soll vor allem subtile Partiturstellen auch differenziert zum Hörer bringe. Das aber ist letztlich nur über die direkte Konfrontation des Orchesters mit den Hörenden zu erreichen und mit Musik aus dem Graben nicht realisierbar.

Dabei ist gerade in unserer Zeit auch der Verzicht auf Bebilderung und optisch wahrnehmbare Interpretation unter Umständen auch eine Kostenfrage, insbesondere wenn es um eine geringe Anzahl von Aufführungen geht. Selbst Richard Wagner klagte im Angesicht des Aufwandes an Kostümen und Bühnenausstattung in einem schwachen Moment: „… nachdem ich das unsichtbare Orchester erschaffen, möchte ich auch das unsichtbare Theater erfinden“.

Dresden Kulturpalast / Dresdner Philharmonie, Marek Janowaki und die Göttergeschwister Froh _ Bernhard Berchtold und Donner _ Markus Eiche © Oliver Killig
Dresden Kulturpalast / Dresdner Philharmonie, Marek Janowaki und die Göttergeschwister Froh _ Bernhard Berchtold und Donner _ Markus Eiche © Oliver Killig

Nicht ohne Grund zog sich Janowski in den neunziger Jahren vom Hamsterrad des Opernbetriebs zurück und setzt mit seinen konzertanten Darbietungen der Musikdramen Wagners ein Gegengewicht zu den szenischen Extremen der Bühne. Die Orchesterouvertüre des Rheingold ließ die Hörer am 30. September bereits in der Schönheit der Wagnerschen Komposition eintauchen. Janowski setzte auf Präzision und Durchsichtigkeit, verzichtete auf Pathos, fasziniert mit einem zupackenden, kräftig akzentuierten, dramatisch angeheizten Dirigat.

Auch war ein Glücksfall des Abends, dass den Sängerinnen und Sängern der Abende die Charakterisierung der Wagnerschen Figuren, unabhängig von der Größe der Rolle,  hervorragend gelang. Die Solisten waren um das Orchester herum angeordnet, schlossen die Musiker gewissermaßen ein.

Die koketten Rheintöchter, von Marek Janowski links hinter das Orchester verortet, waren mit den Altistin in Christina Landshamer und Christel Loetzsch sowie  der Mezzosopranistin Roxana Constantinescu vokal besten aufeinander abgestimmt, dabei doch individuell unterscheidbar.

Mit seiner Alberich-Darbietung zeigte Jochen Schmeckenbecher ein Glanzstück baritonal-ausdrucksvoller Rollengestaltung. Sowohl als verhaltensgestörter geiler Laffe beim Liebesverlust, als auch als Machthaber über dem Nibelungen-Arbeitsvolk sowie mit seinem markerschüttertem Fluch, nachdem ihm der Ring entrissen worden war, bot er die Versagerfigur des Alberich stimmlich mit höchster Intensität.

Jovial, herablassend gegenüber Fricka und arrogant gegen die Riesen war der Wotan  Egils Silins stimmlich und der Rolle entsprechend dem Alberich ein kongenialer Gegenspieler. Wie infam sein Wotan den Loge Christian Elsners benutzt, um in den Besitz des Ringes zu kommen war schon beeindruckend. Christian Elsner erledigte seine Aufgaben gern und ohne Skrupel mit einem exzellenten farbenreichen Tenor.

Die Mezzosopranistin Marina Prudenskaya agierte als Fricka in ihren Einforderungen an Wotan, bezüglich dessen ehelicher Untreue, etwas zu milde, obwohl ihre flexible Stimme durchaus Aggressivität bieten konnte.

Eine ergreifende Charakterstudie der Hilflosigkeit zeigte die auf den linken Podest-Rand verbannte Regine Hangler als eine hervorragend singende Freia.

Dresden Kulturpalast / RHEINGOLD konzertant in Dresden hier Tareq Nazmi als Fasold und Rúni Brattaberg als Fafner © Oliver Killig
Dresden Kulturpalast / RHEINGOLD konzertant in Dresden hier Tareq Nazmi als Fasold und Rúni Brattaberg als Fafner © Oliver Killig

Das Riesen-Paar, der in Kuwait geborene Tareq Nazmi als Fasold und der von den Färöer-Inseln stammende Rúni Brattaberg als Fafner, beide mit beeindruckenden Bass-Stimmen ausgestattet, sicherten aus ihrer Position im ersten Rang ihre Besonderheiten: Fafner grob und gemein, Fasold eher mit Gefühlen für Freia sowie Bemühungen um Ausgleich.

Die Göttergeschwister Froh von Bernhard Berchtold und Donner von Markus Eiche schmetterten ihre stimmgewaltigen Beiträge vom rechten Podest-Bereich. Als vor Angst schlotternder Mime hatte Jörg Schneider einen, die Figur in das Geschehen des Ring-Gesamtwerkes eingebringenden, überzeugenden Auftritt.

Von der oberen Mitte des Chores, hinter dem inzwischen ruhenden Nibelungen-Arbeitsvolk, meldete sich eine mahnende Wiebke LehmkuhlErda. Mit volltönender Altstimme ließ sie nachdenkliche Momente in der konfliktbelasteten Handlung einfließen, bevor Meister Janowski den Einzug der Götter nach Walhall in seinem vollen Glanz entfaltete.

Für die konzertante Darbietung am 2. Oktober 2022 war Die Walküre der am besten geeignete Teil des Ringes. Dieser Teil der Tetralogie verfügt über die spannendste Orchesterdramaturgie und entwickelt hinsichtlich der Handlungsentwicklung am Ende des ersten Aktes eine gewaltige sinfonische Komponente. Die Rollenverteilung ist überschaubar und psychologisch klar definiert, so dass, eine sängerisch beeindruckende Darbietung vorausgesetzt, das Gegenstück der Opernbühne kaum mehr zu bieten hat.

Nun war aber das Aufgebot der Singenden im Dresdner Kulturpalast regelrecht gigantisch:

Da war das Geschwister-Paar. Spannend konnten Emely Magee und Vincent Wolfsteiner mit vokalen Mitteln die tiefe Verzweiflung, die Erkenntnis der Geschwisterliebe, die Euphorie der Befreiung mit vokalen Mitteln des Paares vermitteln, obwohl beide rechts und links vor dem Dirigenten auf Abstand gehalten worden waren.

Den Siegmund offerierte uns der Tenor mit reifer, charaktervoller Stimme, deren leidenschaftliche vokalen Aufschwüngen durch kammermusikalische Intimität relativiert wurde. Die Sopranistin Emily Magee entwickelte vor allem im zweiten Akt höchste Emotionalität. Nur wenige Sängerinnen werden die Sieglinde so vollendet, stimmlich packend und mitfühlend in ihrer Verletzlichkeit darstellen. Mit tiefer Schwärze hatte der Bassist Tareq Nazmi seinem Hunding eine beklemmende Bühnenpräsenz vermittelt. Grantig und toxisch, nicht ohne Subtilität meldete er seine Ansprüche und Positionen vom rechten Bühnenrand.

Höchste Bewunderung verdient der Wotan-Darsteller Egils Silins. Mit seiner warmen, biegsamen Stimme, einer ungebrochenen Intensität und Ausdauer füllte er die lyrischen Räume von der Verteidigung gegenüber Fricka, die Strenge gegenüber seiner Lieblingstochter Brünnhilde bis zu deren Verabschiedung aus. Die ausufernden Monologe mit seinen Dilemmata gestaltete Silins zum besonderen Erlebnis und ließ dabei durchaus menschliche Aspekte zu hören.

Mit eisiger Kälte zerstörte ihm die Fricka der Marina Prudenskaya unter dem Vorwand ihrer amtlichen Befugnisse die Möglichkeit, mit Siegmund einen potenten Gegner zu Alberich zu schaffen und somit den von Fafner bewachten Machtsichernden Ring zu erobern.

Dresden Kulturpalast / WALKÜRE _ hier die Dresdner Philharmonie mit Catherine Foster als Brünnhilde © Oliver Killig
Dresden Kulturpalast / WALKÜRE _ hier die Dresdner Philharmonie mit Catherine Foster als Brünnhilde © Oliver Killig

Nicht verhindern konnte Fricka, dass die mit einem leuchtend-kraftvoll ausgesungenen Kraftfeld aufwartende Brünnhilde der Catherine Forster die verzweifelte Sieglinde mit dem inzestuös gezeugten Siegfried-Fötus rettete. Frisch, unangestrengt und sauber wurden die schwergewichtigen Hojotoho-Rufe intoniert, ergreifend ihre Todesverkündigung geboten und, durchaus selbstbewusst-fordernd, mit klarer perfekt phrasierender Stimme das Annehmen der Strafe akzentuiert.

In diesem Kraftfeld konnten die acht Walküren von der Brüstung des linken Seitenranges ihre individuellen Fähigkeiten unter optimalen Bedingungen entwickeln sowie mit geballter Stimmkraft aufwarten.

Mit der Helmwige der Regine Hangler, der Gerthilde von Hailey Clark, der Ortlinde der Miriam Clark, der Siegrune von Valentina Kutzarova, der Roßweiße von Roxana Constantineseu, der Schwertleite von Christel Loetzsch und der Grimgerde von Christina Bock waren auch ordentliche Schwergewichte aufgeboten worden.

Die eigentliche Sensation beider Abend waren aber die Musiker der Dresdner Philharmonie unter Marek Janowski.

Die gewaltig besetzten Instrumentengruppen musizierten hochkonzentriert und setzten mit sichtbarer Begeisterung die Janowski-Forderung der Ultra-Präzision mit betörenden Einzel- und Gruppendarbietungen um. Dem Dirigenten gelang, mit seinen Interpreten sowohl transparenten als auch homogen-dramatischen Orchesterklang auf höchstem Niveau zu schaffen. Sauber intoniertes Blech, die kraftvoll tönenden sechs Harfen, das Cello-Solo im ersten Akt sowie unzählige detaillierte Ausführungen und dynamische Tempoabstufungen machten den besonderen Blick  vom Mittelrang in „den Maschinenraum der Orchesterklangentstehung“ zu einem besonderen Erlebnis.

Außer den Besonderheiten der Wagner-Tuben stellte der Orchestergast Kristof Lehmgrübner diskret am Podestrand ein extrem langes „Stierhorn“ vor.

Die direkte Klangkonfrontation ließ uns eine Vielzahl von Details aus dem Getriebe des Wagnerschen Klangzaubers erleben, die uns ein im szenischen Ring üblicher Klangbrei aus dem Graben vorenthält oder eine Ablenkung auf das Visuelle entgehen lässt. An nur wenige musikalische Ereignisse können wir uns erinnern, bei denen sich Werktreue, Professionalität und künstlerische Besessenheit auf das Vollkommenste ergänzten.

Nach einer wohltuenden Pause setzten frenetische stehende Ovationen für die Singenden, die Musizierenden und vor allem für den sichtlich angegriffenen Maestro ein und ließen die Erwartungen auf die kommenden vierzehn Tage steigern.

Für uns, die im Laufe der Jahre mehrfach den Ring des Nibelungen in gelungenen oder auch problematischen szenischen Aufführungen erlebten, erschien Marek Janowski als ein Restaurator, der unter der Übermalung eines Gemäldes das vom Maler ursprünglich geschaffene Werk offenbart. Uns hat er an den   Abenden im Konzertsaal des Kulturpalastes von Dresden einen neuen und eventuell den wahren Richard Wagner nahe gebracht.

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