Bayreuth, Bayreuther Festspiele, LOHENGRIN – Richard Wagner, IOCO

Christian Thielemann entfacht Magie in Wagners Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen 2025. Neo Rauchs blaue Bilderwelt, Beczała als strahlender Held: Ein musikalisch wie szenisch überwältigender Abend – für viele ein echtes Bayreuth-Wunder.

Bayreuth, Bayreuther Festspiele, LOHENGRIN – Richard Wagner, IOCO
Festspielhaus © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

von Uli Rehwald

Bei den Bayreuther Festspielen steht wohl jeder vor den beiden immer gleichen Fragen:

-          Wie ist die Inszenierung?
-          Wie läuft der einzelne Abend?

Und es gibt eine Wundertüte von unerschöpflich vielen, sehr unterschiedlichen Antworten.

Sicher kommen nur ausgewählte Künstler hierher, die eigentlich eine sichere Bank sind. Oder zumindest so vielversprechend, dass ein Ritterschlag auf dem Hügel aussichtsreich ist. Aber trotz all der erstklassigen Voraussetzungen glaubt das erfahrene Bayreuth-Publikum manchmal, Grund zur Unzufriedenheit zu haben. Aber wer soll es sonst bestimmen, ob Applaus, Begeisterungsstürme oder Buhs angebracht sind?

Bei der Premiere 2018 hätte es durchaus Gründe zur Skepsis gegeben:

Das Künstler-Duo Neo Rauch und Rosa Loy, das noch niemals (!) eine Opernbühne ausgestattet hat, ist diesmal für Bühnenbilder und Kostüme verantwortlich. Obendrein gibt es ein bisher nicht dagewesenes Farbexperiment. Bühnenbild und Kostüme sind vorwiegend in Blautönen. Das Delfter Porzellan soll Pate gestanden haben. Es erfolgt ein Rückgriff auf klassische Bühnenansichten, die vorwiegend aus flächigen, gemalten Kulissen bestehen. Das wäre doch eigentlich was für Traditionalisten? Auch wenn im Einführungsvortrag am Morgen vor der Aufführung freudig verkündet worden ist: „Heute sehen Sie garantiert kein Regietheater“. Dennoch sehen wir heute Abend Regietheater: denn es wird die Geschichte der Emanzipation von Elsa erzählt. Das hat Wagner völlig anders geschrieben und es geht nicht um mittelalterliche Ritter, sondern um Elektrizität/Technik und den Gegensatz zur Natur.  

Olafur Sigurdarson (Friedrich von Telramund), Miina-Liisa Värelä (Ortrud), Chor der Bayreuther Festspiele © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

Aber am heutigen Abend stört sich keiner an den Einfällen der Regie, am experimentellen Bühnenbild - es passt offenbar alles gut zusammen. Das Werk wird eher unterstützt durch die Bilder und die Form der Interpretation. In Erinnerung wird sicher bleiben, dass das bis dahin opernlose Künstler-Duo Neo Rauch und Rosa Loy die Inszenierung geprägt hat. Einige Bayreuth-Veteranen monieren die Personenführung als zu statisch, die Bühnenbilder als zu flächig. Gleichwohl, im Ergebnis wurde die Oper bei der Premiere und in den Jahren danach gut aufgenommen und blieb dann zur Zufriedenheit des Publikums noch auf dem Spielplan. Sie wird diese Saison letztmals gezeigt. Wie kommt das Werk heute (Lohengrin I am 01.08.25) rüber? Am Vorabend gab es bei Götterdämmerung sogar hartnäckige Buhs. Um es gleich vorwegzusagen, heute gelingt wohl ein Wunder aus der Wundertüte Bayreuth. Christian Thielemann nimmt uns von den ersten Tönen der Ouvertüre an mit in eine sphärische, unglaublich strahlende, geheimnisvolle Welt. Man glaubt zu spüren, wie alle im Publikum den Atem anhalten. Und mythisch entrückt werden. Ein paar Zitate zur Ouvertüre aus den obligatorischen Pausengesprächen:

-          Eine Sängerin, die am Vortag noch selbst auf der Bühne gesungen hat, gestand, sie habe Tränen in den Augen gehabt.

-          Zwei altgediente Bayreuth-Besucher kommentieren: So dicht, ergreifend und entrückt haben sie die Ouvertüre noch nie gehört.

-          Wenn sonst nichts gewesen wäre als die Ouvertüre, hätte sich der Abend allein dafür schon gelohnt.

Elza van den Heever (Elsa von Brabant), Piotr Beczała (Lohengrin), Chor der Bayreuther Festspiele © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

Man wird es später auch in den Pausen merken: nur leuchtende Augen beim Hinausgehen auf Treppen und im Foyer. Kommentare von unglaublich bis atemberaubend. Das Wunder des heutigen Abends hält auch nach der Ouvertüre an. Wenn der Vorhang aufgeht, findet die Oper in mythisch-leuchtendem Blau statt.  Sie wirkt fast unwirklich, zeigt sich als Märchen, das es ja auch ist. Man kann bestens mit der Handlung mitgehen. Nach der strahlenden Ouvertüre muss gleich als Erster der Heerrufer fast ohne Orchester zeigen, dass er Format hat und er muss zusehen, dass keine Fallhöhe entsteht. Michael Kupfer-Radecky, der am Vorabend in der Götterdämmerung den Gunther gesungen hat, gelingt die kleine, doch wichtige Rolle bestens. Andreas Bauer Kanabas überrascht mit seinem wuchtigen Bass sehr positiv, er muss als König Heinrich für den erkrankten Mika Kares einspringen. Auch Elza van den Heever als Elsa kann die enorme Höhe des Niveaus halten. Lohengrin (Piotr Beczała) kommt im schlichten Blaumann-Kostüm als Elektriker daher, aber sobald er singt, zeigt er seinen strahlend-heldenhaften Tenor in großer Farbigkeit. Das Bühnenbild ist durch die Farbgebung in verschiedenen Blautönen, welche Landschaften andeuten, atmosphärisch sehr unterstützend. Das Mystische im ersten Akt, die soziale Randzone am Schilfgürtel im zweiten Akt, das Entrückte im dritten Akt. Und überall kann man einen Schwan erahnen. Einige Elemente auf der Bühne, die an ein Elektrostellwerk erinnern, zeigen wohl die mangelnde oder wieder zunehmende Energie in Brabant. Die Kostüme zeigen einen Insektenstaat, je nach Rang und Volk werden größere oder kleinere Flügel getragen. Telramund verliert seine Flügel als Zeichen des Verlustes seiner Ehre. Bei den beiden Frauenrollen ist Elsa mit „unschuldigem“ Silberblau und Tagesschmetterlinge am Saum dargestellt. Ortrud dagegen in Dunkelblau mit Totenkopfspinnen, zackig abstehenden Flügeln und Spinnen auf der Handtasche. Auffällig ist die Wandlung von Elsa – dargestellt durch den Farbwechsel von Blau zu Orange. Bis sie am Ende ganz in Orange als erwachte, selbstständige Frau die Bühne verlässt. Es lässt sich wohl kaum erklären, wie ein solches Wunder stattfindet, was alles zum Gelingen eines Abends zusammenwirken muss. Aber schon am Ende des ersten Aktes wissen alle, dass sie heute bei etwas Großem dabei sind. Die Künstler auf der Bühne wissen das ganz sicher auch. Und als am Ende des ersten Aktes das Publikum endlich aktiv werden darf, bricht ein Beifall- und Trampel-Orkan los. Deutlicher kann das Publikum ein großes „JA“ nicht sagen. Im zweiten Akt zeigen dann auch die beiden Wagner-Bösewichte Telramund (Olafur Sigurdarson) und Ortrud (Miina Liisa Värelä) ihre Klasse, dämonisch und intrigant. In tiefer Nacht verstecken sich beide im Schilf. Das Bühnenbild zeigt die Abgeschiedenheit, das gesellschaftliche Grenzgebiet der Geächteten mit dem Saum aus Schilf, Meer und Himmel, alles unscharf ineinander übergehend. Ziehende Wolkengebilde zeigen einen Schwan und etwas Unheilvolles. Im dritten Akt wandelt sich die Farbgebung. Im Brautgemach wird Blau zu Orange, der Komplementärfarbe. Auch Elsas Mantel zeigt eine Spur von Orange.

Elza van den Heever (Elsa von Brabant), Statisterie der Bayreuther Festspiele (Gottfried). Im Hintergrund: Piotr Beczała (Lohengrin) © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

Und dann neigt sich der Opernabend mit der großen Gralserzählung schon wieder seinem Ende entgegen. Und Piotr Beczała gelingt ein weiterer magischer Moment. Im Hintergrund des Bühnenbildes, sozusagen in entrückter Ferne sehen wir dabei einen sehr stilisierten Schwan, fast wie ein utopisches Flugzeug. Ist Lohengrin doch mit einem Raumschiff gekommen, aus Zeit und Raum? Der neu zusammengestellte Chor unter der Leitung von Thomas Eitler de Lint bemüht sich erfolgreich und kraftvoll zu zeigen, dass er auch in dieser Zusammensetzung exzellent ist. Natürlich spendet das Publikum lang anhaltenden, begeisterten Schluss-Applaus. Zu Recht. Alle dürfen feiern, dass sie dabei waren.

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Münster, GOP Münster, „Seasons“ - gezeigt von den Artisten der „Flip Fabrique“, IOCO

Münster, GOP Münster, „Seasons“ - gezeigt von den Artisten der „Flip Fabrique“, IOCO

Tolle Artistik im Lauf der Jahreszeiten In „Seasons“ am GOP Münster begeistern die Artisten von „Flip Fabrique“ Von Hanns Butterhof Nach zwei Stunden fesselnder Akrobatik und standing ovations des Premierenpublikums gab es von der Geschäftsführung rote Rosen für das neun-köpfige Artisten-Team „Flip Fabrique“ aus Kanada und seinen Regisseur Maxime Perron.

By Hanns Butterhof