Bayreuth, Bayreuther Festspiele, DAS RHEINGOLD - Richard Wagner, IOCO

Wagners „Rheingold“ in Bayreuth: Valentin Schwarz' radikale Regie trifft auf ein Festspiel-Ensemble der Extraklasse. Zwischen Reality-Show, Machtmissbrauch und düsterem Familienepos brillieren Musik, Bühne und Simone Youngs Dirigat. Ein faszinierender Auftakt zum „Ring“.

Bayreuth, Bayreuther Festspiele, DAS RHEINGOLD - Richard Wagner, IOCO
Festspielhaus © Bayreuther Festspiele Enrico Nawrath

von Ingrid Freiberg

„Der Ring ist die Dichtung meines Lebens, all dessen was ich bin und all dessen was ich fühle.“ Richard Wagner

Das Konzept von Richard Wagner zur Tetralogie Der Ring des Nibelungen war weit mehr als nur eine Abfolge von Opern. Er schuf ein gigantisches Musikdrama, das germanische und nordische Mythologie mit tiefgreifenden Reflexionen über Macht, Gier, Liebe und Schicksal verbindet. Das Streben nach Macht zerstört letztlich Götter, Helden und Menschen. Ihr Untergang bedeutet aber auch die Hoffnung auf eine gerechtere Weltordnung. Mit dem im Herbst 1848 niedergelegten Prosaentwurf zu Siegfrieds Tod nahm das Werk erste konkrete Formen an. Vorausgegangen war eine intensive Beschäftigung mit der Edda, dem Nibelungenlied und anderen nordischen Sagen, den klassischen Dramen von Aischylos und Aristophanes und den Deutschen Sagen der Brüder Grimm. Wagners zentrale Reflexion über Herrschaft und Missbrauch der Gesetze stammt noch aus der Zeit vor dem Dresdner Maiaufstand. Er lernte den russischen Emigranten und Revolutionär Michail Bakunin kennen und fand durch diesen zu seiner These „Eigentum ist Diebstahl“. Auch schriftstellerisch betätigte er sich als anarchistischer Revolutionär „Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge, welche die einige Menschheit in feindliche Völker, in Mächtige und Schwache, in Berechtigte und Rechtlose, in Reiche und Arme teilt, denn sie macht aus allen nur Unglückliche. Zerstören will ich die Ordnung der Dinge, die Millionen zu Sklaven von Wenigen und diese Wenigen zu Sklaven ihrer eigenen Macht, ihres eigenen Reichtums macht …“ Im Unterschied zu Bakunin, der nicht nur die Vernichtung aller Kultureinrichtungen, sondern die Zerstörung alles Bestehenden forderte, wollte Wagner die Menschheit durch seine Kunst zum Besseren beeinflussen. Kunst war das geistige Fundament für seine Tetralogie. Die Entstehungszeit umfasste die Jahre 1848 bis 1874; rund 26 Jahre, in denen sich Wagner vom 34-jährigen Revolutionär zum 60-jährigen gut situierten Komponisten entwickelte. Im Ring des Nibelungen spiegelt sich sein eigenes Leben ebenso wider, wie die politischen Veränderungen seiner Zeit. Neben Siegfried, „dem gewünschten, gewollten Menschen der Zukunft“, tritt immer mehr Wotan als Katalysator in den Vordergrund. Wagner erschafft die Tragödie des Gottes: „Er gleicht uns aufs Haar, er ist die Summe der Intelligenz der Gegenwart, wogegen Siegfried der Mensch der Zukunft ist, der aber nicht durch uns gemacht werden kann und der sich selbst schaffen muss durch unsere Vernichtung.“ Vom Revolutionär Siegfried bis zu dem eigenen Untergang als Basis für eine glückliche Menschheit heraufbeschwörenden Wotanführte ein Weg, der für ihn die Auseinandersetzung mit weiteren philosophischen Schriften beinhaltete.

Patrick Zielke (Fasolt), Tobias Kehrer (Fafner), Christina Nilsson (Freia) und Statisterie der Bayreuther Festspiele © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

Mystifikation des Es-Dur-Vorspiels

Wie bei allen seinen Kompositionen hatte Wagner auch für den Beginn des Rheingolds rückblickend eine Mystifikation parat: „Am Nachmittag heimkehrend, streckte ich mich todmüde auf einem harten Ruhebett aus, um die langersehnte Stunde des Schlafes zu erwarten. Sie erschien nicht; dafür versank ich in eine Art somnambulen Zustand, in welchem ich plötzlich die Empfindung, als ob ich in ein stark fließendes Wasser versänke, erhielt. Das Rauschen desselben stellte sich mir bald in musikalischen Klängen des ES-Dur-Akkords dar.“ Aus den 136 Takten des Es-Dur-Vorspiels, einer der eindrucksvollsten musikalischen Naturschilderungen der Operngeschichte, entwickelt Wagner den Uranfang der Welt, einen „Gefühlswegweiser“, der für die rekapitulierenden Erzählungen sowohl musikalisch als auch dramaturgisch erleuchtend ist. Diese „Leitmotive“ sind alles andere als stereotype Erkennungsfloskeln, welche die Handlung auf der Ebene der Musik spiegeln. Wagners Musik ist stets mehrdeutig: Neue Stilelemente wie die unendliche Melodie, der dramatische rezitativisch-ariose Gesang anstelle geschlossener Arienformen, der weitgehende Verzicht auf einen Chor (außer in der Götterdämmerung) sind eine Abkehr. (Ein Chor hätte die Aufmerksamkeit auf eine Kollektivstimme gelegt.) So liegt der Fokus auf den individuellen Figuren und deren Konflikten. Die pausenlose Überblendung der Szenen verleiht den Aufzügen eine sinfonische Großform, aus der sich nur selten Einzelmomente herauslösen lassen, wie die „Loge-Erzählung“ (Das Rheingold), Siegmunds „Ein Schwert verhieß mir der Vater …“ und „Winterstürme“, Sieglindes „Der Männer Sippe …“, Brünnhildes Todesverkündigung (Die Walküre) und Siegfrieds Schmiedelieder (Siegfried). Eher gelingt die Großform mit sinfonischen Einheiten wie dem „Einzug der Götter in Walhall“ (Schlussszene „Das Rheingold“), dem „1. Aufzug der Walküre“, der den Beginn des Heldenepos markiert, „Wotans Abschied“, dem „Feuerzauber“ (Die Walküre), „Brünnhildes Erwachen“ (Siegfried), „Siegfrieds Rheinfahrt“ (Vorspiel zur Götterdämmerung) und „Brünnhildes Schlussgesang“ (Götterdämmerung).

Katharina Konradi (Woglinde), Olafur Sigurdarson (Alberich), Natalie Skrycka (Wellgunde) und Kinderstatisterie der Bayreuther Festspiele © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

„Das Rheingold“ mit seinem trügerisch täuschenden Glanz

Das Rheingold mit dem Einzug der Götter in Walhall, der bereits ihr Ende signalisiert, ist ein erster Höhepunkt dessen, was Wagner mit seinem Orchester, das größer als je zuvor besetzt ist, an klanglicher Sensibilität und Psychologie, an interpretatorischem Raffinement und szenisch-magischer Naturbeschwörung bewirkt. 136 Takte in Es-Dur … Das Orchestervorspiel beginnt mit leisen Bass-Streichern, die den Ton übers Fagott an andere Instrumente weitergeben und in einem „Wellen-Crescendo“ zum Rheingold-Motiv überleiten. „Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weiala weia!“, das ist „gleichsam das Wiegenlied der Welt“ sagte Wagner. Er habe dabei an das „Eia popeia“ gedacht, das Mütter seit Jahrhunderten ihren Kindern zum Einschlafen vorsingen. Aus der Wiege wird ein Universum. Die goldenen Dreiklänge der Harmonie entstehen aus einem Grundton. So eindrucksvoll es ist, das „Das Rheingold ist kein Idyll natürlicher Unschuld, keine naive Botschaft vom Verlust des Paradieses. Es hat einen trügerisch täuschenden Glanz.

Die Inszenierung von Valentin Schwarz mit ihrem schweren Stand beim Publikum …

Auch im vierten Aufführungsjahr des „Ring-Zyklus“ unter der radikalen Neuinterpretation von Valentin Schwarz macht es selbst für den kenntnisreichsten Wagner-Kenner Sinn, informiert einzusteigen: Schwarz verzichtet auf märchenhafte und traditionelle Symbolik, bezeichnet seine Regie als „konstruktiv respektlos“. Für ihn sind die Figuren wie Teilnehmer*innen einer Reality-Show eingebunden in eine dysfunktionale Familiengeschichte. Es ist ein erbitterter Erbschaftsstreit und Familienkonfliktdrama, ein kapitalistischer Machtkampf einer Großfamilie in Designerkleidung, zynisch aufgeladen. Götter, Riesen und Helden werden nicht als übernatürliche Wesen, sondern als Angehörige einer dekadenten Welt dargestellt. Popkulturelle Anspielungen und moderne Ästhetik dominieren, was bisweilen als deplatziert empfunden wird. Wotan ist ein egozentrischer Patriarch, die beiden Riesen Fasolt und Fafner windige Geschäftsmänner, die Freia gegenüber sexuell übergriffig werden, Siegfried ein verrohter trunksüchtiger Narzisst und Brünnhilde eine emanzipierte, gebrochene Frau. Eine neue, nicht im Libretto angelegte, Ebene sind die stummen Rollen: Hagen, als Kind und Erwachsener, von seinem Vater Alberich in seiner Kindheit traumatisiert, das Pferd Grane als männlicher Beschützer von Brünnhilde und Kinder, die eine zentrale Rolle spielen und metaphorisch für das Gold, die Zukunft und die nächste Generation stehen. Zur Regiekonzeption gehört auch, dass Alberich und Wotan Zwillingsbrüder sind, Wotan der Vater von Siegfried ist und Freia Selbstmord begeht. Die Personenregie ist vor allem dann überzeugend, wenn die darstellerischen Qualitäten der erstklassigen Sängerinnen und Sänger aufblühen. Während einige im Publikum die Szenen scharf kritisieren, loben andere deren Aktualität, emotionale Intensität und archaische Brüche.

Olafur Sigurdarson (Alberich), Daniel Behle (Loge), Tomasz Konieczny (Wotan) und Kinderstatisterie der Bayreuther Festspiele © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge und wer ihn nicht hat, den nage der Neid …

Neid treibt Alberich zum Anwesen seines verhassten Zwillingsbruders Wotan. Dort sind die drei Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Floßhilde, adrette Kinder-/Hausmädchen, mit den ihnen anvertrauten Kindern am Swimmingpool. Pflichtvergessen beginnen sie, mit dem Eindringling zu flirten. Bald gerät das Spiel zum Spott. Das Trio verlacht die Mannesschwäche des liebesgierigen Alberichs, der vergeblich nach ihnen hascht. Das führt den Schwarzalben dazu, durch einen Kindesraub die Zukunft zu seinen Gunsten zu wenden. Durch seinen Liebesverzicht gelingt es ihm, einen Knaben, das Gold der Zukunft, in seine Gewalt zu bringen: „Nur wer der Minne Macht versagt, nur wer der Liebe Lust verjagt, nur der erzielt sich den Zauber zum Reif zu zwingen das Gold … so verfluch ich die Liebe!“ Im Atrium bringt Fricka den größenwahnsinnigen Wotan zur Raison: Die von ihm beauftragte Erweiterung des Herrschaftssitzes Walhall würde auf tönernen Füßen stehen. Den Architektenbrüdern Fasolt und Fafner habe er mangels ausreichender Zahlungsmittel seine eigene Schwägerin, Frickas Schwester Freia, unverantwortlich als Lohn versprochen. In den Streit platzen Frickas entrüstete Brüder Donner und Froh. Die verfahrene Situation droht zu eskalieren. Doch der Familienanwalt Loge findet einen Ausweg: Sein Bericht über Alberichs Kindesentführung verfängt bei allen. Auch die beiden Architekten begehren nun die „kindliche Entlohnung“. Bis zum Vollzug des Tauschgeschäfts entreißen sie den Göttern Freia als Pfand. Wotan ist gezwungen, das entführte Kind mit Loge zurückzuholen. (Für den musikalisch grandios implizierten Abstieg der beiden nach Nibelheim entfesselt Wagner ein riesiges Schlagwerk mit achtzehn Ambossen.) Mime bedrückt die trübe Zukunft des geraubten Kindes. Rücksichtslos unterweist Alberich „seinen“ Sohn. Wotan und Loge treffen ein und ihnen offenbaren sich die brutalen Folgen von Alberichs „Aufzucht“. In seinem Größenwahn zielt er mithilfe „seines“ Sohnes auf die totale Unterwerfung aller. Loge gelingt es, den unvorsichtigen Alberich zu überrumpeln und entledigt ihn seiner Waffe. Der Räuber muss sich den Räubern fügen. Der gedemütigte Alberich wird ob seiner Vermessenheit bestraft; das Kind wird ihm entrissen. Daraufhin verflucht er alle, die den Knaben „besitzen“.  Während der Auslösung von Freia bemerken Fasolt und Fafner, dass Mime ein Ersatzkind bereitstellt und Wotan den echten Jungen bewusst versteckt. Unwillig, das Kind den beiden zu überlassen, wird der Göttervater von Erda vor weiteren Verfehlungen bewahrt. Wotan liefert den Kleinen schließlich aus, während Erda dem Haus den Rücken kehrt und das Ersatzkind mit sich nimmt. Der brutale Brudermord bekundet den bereits wirkenden Fluch: Fafner erschlägt Fasolt und nimmt den Jungen mit sich. Während Loge Abschied von der dem Untergang geweihten Familie nimmt, verlocken im letzten Sonnenlicht die Weiten Walhalls zu unrealistischen Wunschträumen. Der Bühnenbildner Andrea Cozzi errichtet eine Haus- und Raumkonstruktion mit Abstufung des Interieurs. Die häufigen Szenenwechsel auf offener Bühne sind technisch und logistisch fabelhaft gelöst. Wirkungsvoll gliedert er die Räume des Herrenhauses der Götter. Reichtum prägt die gesamte Villa. Es gibt einen Swimmingpool, in dem einige Kinder planschen. Auf der linken Seite der Bühne befindet sich eine Garage, in der Fasolt und Fafner ihre Luxuslimousine abstellen und auf deren Kühlerhaube Fafner seinen Bruder erschlägt. Ein Stockwerk schwebt von oben herab und senkt sich lautlos auf die Garage. Das Wohnzimmer der Götterfamilie fährt herein und wieder hinaus, um im nächsten Zwischenspiel ebenso perfekt den „Kinderhort“ von Nibelheim zu platzieren. Die Kostüme von Andy Besuch sind modern und unterstreichen die Hierarchie: Wotan trägt einen curryfarbenen Anzug mit hellblauem Hemd und Amulett, Fricka einen Mantel à la Coco Chanel, Freia ein orientalisch besticktes Kleid, Donner einen leuchtend blauen Anzug mit Weste und Golfschläger, Froh ein farblich herausstechendes grünes Jackett mit goldener Krawatte, Erda ein jugendlich himmelblaues Mantelkleid mit weißem Kragen und weißen Manschetten, Loge, einem Familienanwalt entsprechend, einen gestreiften eleganten Anzug, Alberich Jeans, eine hellbraune Lederjacke und Cowboystiefel, Mime einen neongrünen Cordanzug mit schwarz-cognac-farbenem Rauten-Pollunder. Fasolt und Fafner kommen als moderne Businessmen im dunklen, der neuesten Mode entsprechenden, Anzug daher. Die Rheintöchter (Kinder-/Hausmädchen) sind sehr brav und wenig aufreizend gekleidet, die kleinen Mädchen spielen in ihren weiß-rosa gestreiften Kleidchen mit Wasserbällen und Schwimmreifen. Erschütternd und faszinierend zugleich ist das Video von Luis August Krawen während des Vorspiels des ersten Aufzugs. In einer Fruchtblase, noch mit der Nabelschnur verbunden, bekämpft sich das Zwillingspaar Wotan und Alberich. Alberich schlägt Wotan das linke Auge, sein Gefühlsauge, aus, der noch ungeborene Gott tritt Alberich in seine Genitalien und beraubt ihn damit seiner Manneskraft.

Tobias Kehrer (Fafner), Patrick Zielke (Fasolt), Christina Nilsson (Freia), Nicholas Brownlee (Donner), Christa Mayer (Fricka), Mirko Roschkowski (Froh), Wotan (Tomasz Konieczny) und Statisterie der Bayreuther Festspiele © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

Ein Ensemble auf Festspielniveau

Tomasz Konieczny findet im Laufe der bisherigen „Ring-Zyklen“ zunehmend in die Wotan-Interpretation von Valentin Schwarz hinein. Ihm gelingen große, emphatische Szenen. Seine Diktion ist hörbar verbessert, ist klarer und präziser. Er vereinigt männlichen Drive mit achtsamen Piani. Sein Gott, Naturfrevler, Machtmensch und gescheiterter Herrscher der Welt, ist eine Figur, die sich mit dem Voranschreiten der Geschichte verändert. Konieczny ist ein überzeugender Wotan mit suggestivem Spiel. Mit fließender Geläufigkeit und wohltönender Virtuosität tönt sein dramatisch timbrierter Bassbariton. Nuancenreich bewegt sich auch Nicolas Brownlee als stimmgewaltiger Donner, als Gott der Gewalt und des Zornes. Kraftvoll und völlig unangestrengt kann er dieser Figur differenzierte Schattierungen abgewinnen und beredtes Profil geben. Seine sängerisch-darstellerische Ausdrucksskala überzeugt mit kompromisslosem Nachdruck der Diktion. Mirko Roschkowski singt Froh, den Herrscher über Regen und Sonnenschein, mit strahlend hohen Tönen und stimmlicher Agilität. Seinen lyrisch feinstimmigen, herrlich timbrierten Tenor bringt er zum Erblühen, seine Kantilenen haben belcantische Nuancen von betörendem Wohlklang. Daniel Behle debütiert als Feuergott Loge, dem Gott der Zwietracht. Als aalglatter Intrigant in feinem Zwirn zeigt er starke Bühnenpräsenz und vorbildliche Textgestaltung. Listig und verschlagen treibt er den Untergang der Götter voran - eine ausdrucksstarke Interpretation eines erzählerisch auf Hochglanz polierten Tenors. Fricka, Göttin und Hüterin von Ehe und Moral, Christa Mayer, ist Wotans emanzipierte Ehefrau, ein unbeugsamer Charakter, eine Dame von Welt. Dicht gestaltete Gesangsbögen und wohldosierte Noblesse lassen dramatisch aufwallend ihre Persönlichkeit und Kompetenz aufleuchten. Ihre Stimme ist herb, massiv durchgreifend und charaktervoll. Sie verfügt über einen farbenreichen, in allen Registern ansprechenden Mezzosopran. Freia, gesungen von Christina Nilsson, sorgt für die Unsterblichkeit der Götter. Sie ist der Inbegriff von Weiblichkeit und Fruchtbarkeit. Ihre warme, expressive Mittellage, der Klang ihres jugendlich-lyrischen Soprans, die Feinheiten der Phrasierungen, das strömende Legato in Kombination mit den silbern tönenden Höhen sind bewegend. Anna Kissjudit als Erda, Mutter der Nornen, der Welt weisestes Weib, die allwissende Urmutter und Weltenseele, ist die Entdeckung des Abends. Sie verwöhnt das Publikum mit ihrer Bühnenpräsenz, ihrer alles überstrahlenden farbreichen Stimme - hochdramatisch, raumgreifend, klangschön zupackend, schmerzlich treibend. Fesselnd ist auch Ólafur Jóhann Sigurðsson als Alberich, der Nachtalbe, der der Liebe entsagt. Mit technischer Brillanz, dramatisch aufblühendem virilen Bariton verfügt er über beklemmende Präsenz, ausdrucksstarke Phrasierung und Intensität. Grantig und toxisch meldet er seine Ansprüche an. Sein emotionales Spiel ist eruptiv und durchschlagend. Ya-Chung Huang als Mime ist ein verschlagener Schmied, ein Zerrissener zwischen Vaterrolle und Gier. Entgegen der oft unreflektierten Rollendarstellungen ist er mit Stilgefühl, ohne Faxen, mit großer Selbstverständlichkeit, Natürlichkeit im Vortrag und hoher Konzentration eher zurückhaltend und lässt seine Stimme frei strömen. Er ist ein stimmlich glänzender, prägnant artikulierender Mime mit der erforderlichen Höhe. Als Fasolt gibt Patrick Zielke sein beeindruckendes Debüt. Ursprünglich ein redlicher Riese, hier Bauunternehmer und Architekt, wird er im Streit von seinem Bruder Fafner erschlagen. Ausdrucksstark, mit wunderschön gleichmäßig schwingender Bassstimme gestaltet er mit szenischer Ausstrahlung und wunderschönen Farben die Sehnsucht und die Liebe zu Freia. Tobias Kehrer besticht wiederholt in der Rolle des gewaltbereiten, großspurigen Fafner. Mit bedrohlicher Präsenz, mit klarem heldisch-timbrierten Bass und tiefer Grundierung dominiert er gefährlich, scharf und beeindruckend, ist fesselnd und sicher in seiner szenischen Ausstrahlung. Die Rheintöchter, hier Kinder- und Hausmädchen, sind mit Katharina Konradi (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde) und Marie Henriette Reinhold (Floßhilde) besetzt. Mit ihrem lachenden Spiel (strahlendes Rheingoldmotiv des Orchesters) beginnt die Tragödie. Harmonisch ihr Kichern, Keckern, Jauchzen und Jubeln, sensibel die austarierte Balance der Intonation, warm und lustvoll im Klang.

Tomasz Konieczny (Wotan) © Bayreuther Festspiele - Enrico Nawrath

Simone Young, Musikalische Leitung und erste Frau in der Geschichte der Bayreuther Festspiele, die den „Ring des Nibelungen“ dirigiert, beglückt souverän mit transparenten, rhythmisch pointierten und stringent gestalteten Tempi. Gegenüber dem Vorjahr eine weitere Steigerung … Alle Stimmen werden miteinander verwoben, die Klangfarben differenziert eingesetzt und die zentralen Leitmotive ohne Effekthascherei gewissenhaft herausgearbeitet. Die Wagner-Tuben und Stierhörner schließen sich mit der Natur kurz. Das Festspielorchester besticht mit gefühlvoller Sängerbegleitung, hoher sinfonischer Kompetenz und detailgenauem Spiel. Die dramatischen Passagen liegen Young ebenso wie die lyrischen Stellen, die sie einfühlsam herausstellt.

Am Ende tosender, lang anhaltender Applaus mit wohlverdienten Jubelstürmen für alle Mitwirkenden.

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Münster, GOP Münster, „Seasons“ - gezeigt von den Artisten der „Flip Fabrique“, IOCO

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By Hanns Butterhof