Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2024, TRISTAN UND ISOLDE - Richard Wagner, IOCO
Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson legt den Fokus seiner Inszenierung auf die Vorgeschichte von Tristan und Isolde und legt den Hauptaugenmerk auf die letzten Szene jedes Aufzugs wenn die Welt des Tages in die Nachtwelt hereinbricht.
Im Jahr 1857 begann Richard Wagner mit der Arbeit an Tristan und Isolde, während er in der Schweiz im Exil lebte. Auf der Flucht vor Gläubigern lebte er unter dem Schutz seiner Mäzene, allen voran Otto Wesendonck und dessen Frau Mathilde. Wagners leidenschaftliche, wenn auch platonische Beziehung zu Mathilde hatte einen großen Einfluss auf seine Arbeit an Tristan und Isolde. Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonck vertonte Wagner in den sogenannten „Wesendonck-Liedern“, die als Studien für Tristan und Isolde angesehen werden. Die Geschichte von Tristan und Isolde basiert auf der mittelalterlichen Sage von Tristan und Iseult, die in verschiedenen Versionen in der europäischen Literatur existiert. Wagner verwendete die Version von Gottfried von Straßburg aus dem 13. Jahrhundert als seine wichtigste literarische Quelle. Philosophisch war Wagner stark von Arthur Schopenhauer beeinflusst. Schopenhauers pessimistisches Weltbild, das die Unaufhebbarkeit des menschlichen Leidens betont und das Leben als eine endlose Kette unerfüllter Wünsche betrachtet, spiegelte sich in der Musik und der Handlung von Tristan und Isolde wider. Die Oper thematisiert die unerfüllbare Liebe und den Tod als einzige Erlösung aus dem Leiden des Lebens.
Aufgrund seiner radikalen musikalischen Neuerungen gilt die Oper als eines der bedeutendsten Werke der Musikgeschichte. Die Oper führt das Konzept des „unendlichen Melos“ ein, bei dem die Musik kontinuierlich fließt und die traditionellen Formen auflöst. Besonders bekannt ist der „Tristan-Akkord“, ein dissonanter Akkord der gleich zu Beginn der Oper erklingt und als symbolisch für das unstillbare Verlangen der Protagonisten interpretiert wird. Dieser Akkord ist keinem Tongeschlecht mehr eindeutig zuzuordnen, sondern steht gleichsam zwischen Dur und Moll. Die diatonische Ganztonskala wird durch die chromatische Tonleiter mit 12 gleichberechtigten Halbtonschritten ersetzt. Auf diese Weise erhält die Musik des Tristan ihr besonderes Gepräge, eine nahezu fortwährende Spannung unaufgelöster Melodien und Harmonien, die sich immer weiter fortspinnen.
Vorgeschichte
Tristan wird als Sohn von Riwalin und Blancheflur, der Schwester König Markes von Cornwall und England, in der Bretagne geboren. Noch vor Tristans Geburt fällt Fürst Riwalin im Kampf gegen seinen Lehnsherrn Morgan, und aus Kummer darüber stirbt Blancheflur während der Niederkunft. Riwalins Marschall Rual und dessen Frau Floraete nehmen sich des Waisenkindes an und taufen ihn auf den Namen Tristan, da er unter so traurigen Umständen geboren wurde. Die beiden verheimlichen ihm seine wahre Herkunft und ermöglichen ihm eine erstklassige Ausbildung.
Als Jugendlicher wird Tristan von norwegischen Kaufleuten entführt und nach einem heftigen Sturm an der Küste Cornwalls an Land gesetzt. Eine Jagdgesellschaft bringt ihn an den Hof König Markes, wo er als Jäger und Musiker große Bewunderung erregt. Nach langer Suche findet Rual seinen Adoptivsohn schließlich am Hofe König Markes wieder und offenbart ihm seine wahre Herkunft. Daraufhin wird Tristan in den Ritterstand erhoben und vom kinderlosen Marke als Alleinerbe eingesetzt.
Getrieben von dem Wunsch, den Tod seines Vaters zu rächen, kehrt Tristan in seine Heimat zurück, tötet Morgan und nimmt sein rechtmäßiges Erbe in Besitz. Zurück in Cornwall findet er König Marke in Bedrängnis: Morold, der Gesandte des irischen Königs, fordert Tribut, indem er sechzig Knaben aus den edelsten Familien Englands verlangt. Tristan stellt sich Morold im Zweikampf, tötet ihn und schickt dessen Kopf dem irischen König.
Durch einen Schlag mit Morolds vergiftetem Schwert schwer verwundet, begibt sich Tristan auf einem kleinen Boot nach Irland, da er weiß, dass nur Isolde, die irische Prinzessin und Verlobte Morolds, über das Wissen verfügt, ihn zu heilen – schließlich war sie es, die das Schwert mit Gift getränkt hatte. In Irland gibt Tristan sich als Spielmann Tantris aus. Während der Pflege entdeckt Isolde, dass der Splitter, den sie in Morolds Kopfwunde gefunden hat, genau in die Scharte von Tantris’ Schwert passt. Sie erkennt in Tantris ihren Erzfeind Tristan und hebt das Schwert, um ihn zu töten. Doch als sich ihre Blicke treffen, lässt sie die Waffe sinken. Stattdessen heilt sie Tristans Wunde und lässt ihn unerkannt ziehen.
Unterdessen fordern Neider am Hof König Marke, dass dieser erneut heiratet. Tristan drängt den König, Isolde zur Braut zu nehmen, und bietet sich an, als Brautwerber nach Irland zu reisen. Widerwillig gibt Marke nach, und Tristan überquert erneut das Meer, um Isolde als Braut für König Marke zu holen.
Richard Wagners Oper beginnt auf der Rückfahrt von Irland nach Cornwall. Isolde ist aufgebracht über die Verhöhnung durch die Schiffsbesatzung und Tristans Vertrauten Kurwenal sowie über ihr Schicksal, gegen ihren Willen den viel älteren König Marke heiraten zu müssen. Sie beauftragt ihre Dienerin Brangäne, den mitgeführten Todestrank vorzubereiten. Da es ihr damals nicht gelungen ist, Tristan mit seinem Schwert zu töten, soll er nun für seine grausame Dreistigkeit mit dem als Sühnetrank gereichten Gift sterben. Tristan erscheint bei Isolde, die von ihm Genugtuung für den Mord an Morold verlangt. Er willigt ein, und Isolde reicht ihm den Trank, „um alle Schuld zu sühnen“. Isolde glaubt, dass der Trank ihnen beiden den Tod bringen wird, doch Brangäne hat den Todestrank heimlich gegen einen Liebestrank ausgetauscht. Nachdem beide davon getrunken haben, gestehen sie einander angesichts des vermeintlich nahenden Todes ihre Liebe. In diesem Moment erreicht das Schiff Cornwall.
Im zweiten Aufzug treffen sich die Liebenden im Burggarten. Tristan stürzt in Isoldes Arme, und beide versichern sich ihrer grenzenlosen Liebe, die selbst der Tod nicht beenden könne. Während die Warnrufe der wachenden Brangäne ertönen, steigert sich das Liebesduett der beiden zu einem Höhepunkt, der jedoch jäh endet, als das Paar entdeckt wird. Mit einem entsetzten Aufschrei erkennt Isolde die prekäre Lage. Von Tristans vermeintlichem Freund Melot verraten, stehen die beiden Liebenden vor einem niedergeschmetterten König Marke. Dieser gesteht, dass er Isolde aus Ehrfurcht nie berührt habe, und ist über die Untreue seines geliebten Neffen tief bestürzt. Tristan stellt sich der Realität und fasst den Entschluss, ins „Wunderreich der Nacht“, den Tod, vorauszugehen. Isolde versichert ihm, dass sie ihm folgen wird, wohin er auch gehe. Er provoziert Melot so sehr, dass dieser schließlich sein Schwert gegen ihn erhebt. Tristan verteidigt sich nicht und sinkt schwer verwundet in Kurwenals Arme.
Im dritten Aufzug hat Kurwenal seinen Herrn auf dessen Stammburg Kareol in der Bretagne gebracht. Dort pflegt er den verwundeten Tristan, der im Fieberwahn halluziniert. Da wird die Ankunft eines Schiffes gemeldet. Nur die brennende Sehnsucht nach Isolde hat Tristan am Leben gehalten. In ekstatischer Begeisterung reißt er sich die Verbände ab und stürzt Isolde entgegen, nur um in ihren Armen zu sterben. Das Werk endet mit Isoldes Liebestod, einer ekstatischen Verklärung von Liebe und Tod. In einer Vision, in der sie sich vollkommen mit Tristan vereint sieht, sinkt Isolde „wie verklärt“ über dessen Leichnam nieder.
Die Uraufführung von Tristan und Isolde fand am 2. Juni 1865 unter der Leitung Hans von Bülows im Münchner Hof- und Nationaltheater statt. Zuvor war das Werk in Karlsruhe abgelehnte worden und in Wien scheiterte die Uraufführung. 1863 wurde nach 77 Proben die geplante Premiere wegen Unaufführbarkeit abgesagt. Erst 1883 wurde Tristan und Isolde an der Hofoper Wien erstmalig aufgeführt. 1886, drei Jahre nach dem Tod Richard Wagners, fand die Erstaufführung bei den Bayreuther Festspielen statt. Seine Witwe Cosima Wagner versuchte die von Eduard Sigl im Bühnenbild von Heinrich Döll und Angelo Quaglio inszenierte Münchner Uraufführung zu rekonstruieren. Wegweisend war die Aufführung unter Gustav Mahler in der Ausstattung von Alfred Roller 1903 in Wien. Die starken Abstraktionen des Schweizer Bühnenbildners Adolphe François Appia 1923 an der Mailänder Scala führten dazu, dass die Aufführung gegen den Widerstand des Publikums nur durch den Einsatz des Dirigenten Arturo Toscanini im Repertoire gehalten werden konnte. Wieland Wagner setzte 1962 in Bayreuth mit symbolisch-expressionistischer Zeichenhaftigkeit – die Seereise zu Beginn nach Cornwall als Übersetzen über den mystischen Styx - das Signal für eine Stilwende. August Everding entrückte 1974 in New York die Liebenden als Gestirne an den Himmel, während Jean-Pierre Ponelle sie 1981 in Bayreuth auf dem Boden beließ, in der Nähe eine Baumsymbols, wobei die Ankunft Isoldes im dritten Aufzug nichts anderes als eine Phantasmagorie Tristans war.
In der nunmehr 14. Inszenierung von Tristan und Isolde legt der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson seinen Fokus auf die Vorgeschichte der beiden Liebenden und legt dabei das Hauptaugenmerk auf die letzten Szenen jedes Aufzugs, in der die Tageswelt in die Nachtwelt hereinbricht Todessehnsucht und die bedingungslose Auflösung der eigenen Identität ist der Kern von Richard Wagners Version des Tristan. Thorleifur Örn Arnarssons Personenführung wirkt sehr zurückgenommen, beinahe kammerspielartig und lässt in seiner Symbolhaftigkeit Platz für eigene Interpretationen. Das Schiff im ersten Aufzug wird nur durch herabhängende Schiffstaue angedeutet, Isolde sitzt in einem beeindruckenden riesigen Brautkleid (Kostüme Sibylle Wallum), mit überdimensionalen Ärmeln die an Flügel erinnern, am Rande eines Lochs im Boden. Fortwährend beschreibt Isolde, später auch Tristan, den Stoff mit Worten und Sätzen aus dem Libretto, Erinnerungen aus ihrer beiden Vergangenheit. Nebel und geschickt eingesetztes Licht (Sascha Zauner) ergänzen das stark reduzierte Bühnenbild (Vytautas Narbutas) optimal. Im zweiten Aufzug sieht man einen Schiffsrumpf der einer Schatzkammer gleich Erinnerungsstücke Tristan und Isoldes beherbergen. So finden sich am Ort des Liebesduetts Bilder und Gemälde, Waffen, Statuen, ein ausgestopfter Fuchs, ein Skelett, eine Uhr und andere wundersame Gegenstände. So beeindruckend diese Sammlung an Erinnerungen auch sein mag, wäre hier etwas weniger an Requisite sicherlich besser gewesen. Nicht immer sind die Sänger in all den Requisiten zu erkennen, zumal hier die ansonst großartige Lichtregie von Sascha Zauner nicht genug Licht auf die Protagonisten wirft. Der dritte Aufzug zeigt einen auseinandergefallenen Schiffsrumpf, die auf einen Haufen geworfenen Erinnerungsstücke, vom Steuerrad bis zum Globus, als Ruhebett für den tödlich verwundeten Tristan, der verzweifelt auf Isolde wartet.
Andreas Schager beeindruckt in der Partie des Tristan mit einer außergewöhnlichen Mischung aus berührender Lyrik und kraftvoller Strahlkraft. In der Fieberwahn-Szene des dritten Aufzugs hebt er sich mit der enormen Tragfähigkeit seiner Stimme strahlend über dem Orchesterklang ab. Mit seiner klaren Artikulation und nuancenreichen Interpretation liefert Schager eine exzellente Gesamtleistung ab und überzeugt in allen drei Aufzügen gleichermaßen. Camilla Nylund begeistert als Isolde mit einer meisterhaften Gesamtleistung. Sie verfügt über eine breite, sehr geschmeidige Mittellage und einer intensiven Ausdruckskraft in allen Registern. Von besonderer Intensität ist ihr Liebestod, der durch lyrische Feinheit besticht. Camilla Nylund bewältigt bravourös die gewaltigen emotionalen und stimmlichen Anforderungen und überzeugt auch durch ihre hervorragende Phrasierung. Christa Mayers Brangäne überzeugt durch starke Bühnenpräsenz und musikalische Ausdruckskraft. Ihr strahlender Mezzosopran, in den hohen Lagen gepaart mit überzeugendem dramatischem Ausdruck, verleiht der Figur Tiefe. Auch ihre emotionale Nähe zu Isolde und ihre innere Zerrissenheit wirken glaubwürdig. Der König Marke von Günther Groissböck kann nicht ganz so beeindrucken. Trotz kräftiger Stimme voll Ernsthaftigkeit müht er sich mit der tief liegenden Partie hörbar ab und kann auch darstellerisch die kraftvolle Persönlichkeit des König Marke nicht zur Gänze ausstrahlen. Im dritten Aufzug wird Groissböck der Partie einigermaßen gerecht. Olafur Sigurdarson brilliert als Kurwenal, Tristans treuem Begleiter, mit enormer Ausdruckskraft. Seine stimmliche Flexibilität und warme Klangfarbe machen ihn zu einem kraftvollen und gleichzeitig sensiblen Gegenpart zu Tristan. Birger Radde gestaltet den Intriganten Melot mit beeindruckender Ausdrucksstärke. Sein Bariton ist durchdringend und leidenschaftlich. Großartige Leistungen auf höchstem Festspielniveau erlebt man auch in den kleinen Partien: Lawson Anderson als Steuermann, Daniel Jenz als Hirt und Matthew Newlin als junger Seemann. Semyon Bychkov hat gegenüber der Premiere an Tempo zugelegt und erweist sich aufs Neue als ein Meister der Klangfarben. Besonders hervorzuheben sind die brillanten Solo-Holzbläser und das sensationelle Englischhorn-Solo. Auf erstklassigem Niveau ist auch der Klang des Bayreuther Festspielchores unter der Leitung von Eberhard Friedrich. Das begeisterte Publikum bedankte sich mit stürmischem Beifall und Ovationen für die großartigen Leistungen der hervorragenden Solisten.
Kommentare ()